Seit dem 12. Oktober 1998 läuft in Münster das 29. Projekt der "Öffentlichen Interventionen" des in Berlin lebenden Künstlers Christian Hasucha. Seine Ausstellung im Förderverein Aktuelle Kunst zeigt bis zum 1. November zwölf auf Leinwand aufgezogene Fotos von Einfamilienhäusern der Siedlung Duesbergweg, in der sich der Galerie-Bunker befindet. Die Fotoleinwände sind am Boden zu einer Modellsiedlung angeordnet, kulissenartig pointiert durch kleine Kakteen, und haben genau in der Mitte eine vertiefte Aussparung. Die Bewohner dieser Häuser hat Hasucha eingeladen, drei Wochen lang, d.h. für die Zeit der Ausstellung, ein Oktavheft zu füllen: mit Notizen, Skizzen, Texten, oder auch mit leeren Seiten. Die Hefte in einem Einband aus Edelstahl waren bei Eröffnung wie blinde Tafeln mobil über je einem der Fotos angebracht und wurden im Anschluß an die Teilnehmer übergeben. Am Ende der eigentlichen Ausstellung werden sie zurückkehren und ähnlich einer Reliquie oder einem Fundstück in die ausgesparte Mitte eingesetzt. Prozessual kann man mit Hasucha von einer "multiplen, sich in der Streuung selbst generierenden Skulptur" sprechen. Resultativ handelt es sich um Doppelextrakte des Projekts mit dokumentarischem Charakter - "Außenfassaden mit Innenleben" (Christian Hasucha) -, die dann vom Künstler in üblicher Weise in der Kunstszene und auf dem Kunstmarkt bewegt werden. Zehn Jahre lang, bis sie in den Besitz der Bewohner zurückgehen. Welche Prozesse lösen diese Projekte aus? Christian Hasucha setzt konzeptuelle Rahmenbedingungen, die das individuelle Erfahrungspotential eines gesellschaftlichen Raumes aktivieren. Mit dem Verfahren der Intervention greift er in Handlungsabläufe oder Lebensläufe ein, so daß sie in der entstehenden meist minimalen Distanz neu exponiert und anders perspektiviert erscheinen. Mit dem Prinzip der demokratischen Beteiligung macht Hasucha den klassischen Betrachter zum Akteur. Den Teilnehmern von "Leben in Münster" wird die gezielte Wahrnehmung von einer bestimmten Phase ihres Lebens ermöglicht. Sie werden jedoch nicht ins außerästhetische Niemandsland entlassen, sondern zu einer Verarbeitung des Eigenen aufgefordert, die die Dinge nicht funktionalisiert oder vernutzt: Sie sollen gucken, notieren, schreiben oder skizzieren, also subjektive Akzente setzen, nach eigenen Kriterien einer "Ordnung der Dinge" und nach eigenen Maßstäben der Selbstdarstellung suchen. Sie sind damit eigenverantwortlich zur Aktivierung ästhetischer Erfahrung aufgerufen. Die "Öffentlichen Interventionen" unterlaufen die vertraute Dialektik von privat und öffentlich. Sie suggerieren keinen utopischen Gegenraum, der einen den Alltagsstrukturen enthebt. Ebensowenig wollen sie mit ästhetizistischem Gestus funktionale Sinn-Schleifen des Alltags offenlegen. Durch strukturelle Unterbrechungen machen sie vielmehr Spuren des Eigenen lesbar. P.S.:
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