Das katoptrische Universum |
Spiegelungen: Bibeltexte Zitate BilderAndreas Mertin BibeltexteZitate
Bilder I: Spiegel und KlugheitPrudentia: Klugheit, Weisheit, eine der vier Kardinaltugenden. Als Attribut und Symbol der Personifikation der Prudentia u.a. Schlange, Spiegel, Sieb, Fackel, Kopf mit mehreren Gesichtern, Sarg, offener Sack, aus dem Geldstücke fallen. Von Giotto gibt es zwei Darstellungen der Prudentia, der Klugheit, die jeweils in einen Spiegel schaut. Die Darstellung in der Scrovegni-Kapelle in Padua ist insofern interessant, dass zum einen nicht unmittelbar erkennbar ist, ob die Klugheit hier ebenso wie in der späteren Version in der Unterkirche in Assisi janusköpfig ist. Es spricht aber einiges dafür, dass auch hier der Blick in die Zukunft und in die Vergangenheit durch ein Doppelgesicht dargestellt ist. Weiterhin bemerkenswert ist, das Prudentia nicht in das ausliegende Buch schaut, sondern in den Hohlspiegel in der Hand, der das eigene Antlitz wiedergibt. Die Klugheit gebietet also Selbsterkenntnis. In Assisi ist das Buch durch ein Astrolabium ersetzt, das hier für die Erkenntnis der größeren kosmischen Zusammenhänge steht. Albrecht Dürer hat als 23jähriger nach den italienischen Tarocchi del Mantegna eine Federzeichnung der Klugheit angefertigt. Die Tarocchi sind eigentlich nicht wirklich Tarotkarten und stammen auch nicht vom Maler Andrea del Mantegna (1431-1506), sondern werden diesem nur zugeschrieben. Sie waren zur Zeit des Besuches von Dürer in Italien sehr populär. Die Tarocchi del Mantegna sind in fünf Gruppen zu je zehn Bildern unterteilt, die jeweils durch symbolische Themen aus der Renaissance bestimmt sind. Die fünf Sets repräsentieren Aspekte wie Berufe und gesellschaftlichen Positionen, Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften, die neun Musen, moralischen Tugenden und Himmelsobjekte. Einige der Themen sind durchaus Karten aus dem Tarot verwandt. Zum Beispiel gibt es den Kaiser, den Papst und Bilder, die Kraft, Gerechtigkeit, die Sonne und den Mond darstellen. Die gesamte Gruppe wird als Himmelsleiter interpretiert und als humanistisches Modell des Renaissance-Kosmos. 1561/62 erstellt der Maler Jan Pieter Bruegel d.Ä. einige Zeichnungen als Vorlage für einen Zyklus über die Tugenden, der später von Philippe Galle gestochen wird. Eines der Blätter stellt die Klugheit dar, die unschwer im Zentrum des Bildes als Frau mit einem Spiegel in der Hand erkennbar ist (auch wenn sie offenbar die Augen geschlossen hat). Darüber hinaus trägt sie einen mit einem Kreuz bemalten Sarg und ein Sieb auf dem Kopf. Weniger deutlich ist, was der (für Bruegel gar nicht so untypische) überaus reiche Kontext des Bildes mit der Tugend der Klugheit in der Mitte des Bildes zu tun hat. Wir sehen links einen Menschen im Krankenbett umgeben von Arzt und Priester, im Bildhintergrund Dachdecker bei der Reparatur eines Kirchendaches, auf dem See ein wegen eines drohenden Sturmes heimkehrendes Boot, rechts Handwerker bei der Renovierung eines baufällig gewordenen Hauses und Gesinde beim Anlegen eines Vorrates. Vor allem aber sehen wir die sorgfältige Verwertung eines gerade geschlachteten Schweines, ein häufiges Motiv auf alten Monatsbildern. Zur Erklärung des Ganzen gibt es unter dem Bild eine lateinische Sentenz, die aus den Formulae Vitae Honestae von Martin von Braga (515-580) stammen dürfte (Si prudens esse cupis, in futura prospectum intende et quae possunt contingere, animo tuo cuncta propone. Nihil tibi subitum sit sed totum ante prospicies). Sie lautet übersetzt: "Wenn du klug sein willst, richte den Blick auf die Zukunft, und stell dir alles vor, was sich ereignen könnte, dann sollte dir nichts unvermutet passieren, sondern du wirst das Ganze im Vorhinein erblicken.“ Es geht mit anderen Worten bei diesem Bild um die Klugheit der Vorsorge. Der Orbis sensualium pictus des Theologen Johann Amos Comenius aus dem Jahr 1658 kann als des erste protestantische illustrierte Schulbuch begriffen werden. Auf 309 Seiten beschreibt Comenius darin die Welt von den größten bis zu den kleinsten Dingen. „Die einzelnen Artikel bewegen sich in einem Zyklus über den gesamten Kosmos, von Gott und der Welt, Himmel und Erde, über die Elemente, Pflanzen und Tiere hin zu den Menschen. Deren Handwerke und Berufe, Künste und Wissenschaften, Tugenden und Laster werden ebenso thematisiert wie Spiele, Politik, Kriege, Religionen und Strafen bis hin zum Jüngsten Gericht.“ [Wikipedia] Die zweisprachige Ausgabe, bei denen die Begriffe durchnummeriert und im Bild bezeichnet sind, erlaubt zugleich das spielerische Erlernen fremder Begriffe. Über die Klugheit heißt es:
Bilder II: Spiegel und AffenVon der Tugend der Klugheit zu den Affen scheint es ein weiter Weg zu sein. Seid klug wie die Schlangen findet sich noch in den biblischen Schriften, aber Affen kommen in der Bibel im Grunde nur einmal vor: Laut 1. Könige 10 bzw. 2. Chronik 9 bringen Salomos Schiffe neben Gold, Silber, Elfenbein und Pfauen auch Affen mit. Sie scheinen damals also zu den exotischen Luxusgütern gezählt zu haben. In nachchristlicher Zeit wird der Affe dann zum religiösen Sinnbild des Teufels oder des dem Teufel verfallenen Menschen, also des Sünders, der dem Teufel auf den Leim geht. Beides findet sich im Physiologus, der Naturdeutung in religiöser Perspektive aus der Frühzeit des Christentums. Albrecht Dürers Kupferstich „Madonna mit der Meerkatze“ aus dem Jahr 1497 zeigt dementsprechend den Affen bzw. die Meerkatze als von Christus schon gebundenes, also bezwungenes Tier. Im Grunde aber wird der Affe nach und nach zum Spiegelbild des Menschen. Der frühe Barock zeigt ihn höchst ironisch bei der Selbstbespiegelung im Garten der Natur: Die Welt ist ein Spiegel, aus dem jedem sein eigenes Gesicht entgegenblickt (William Makepeace Thackeray, Jahrmarkt der Eitelkeit).
Was sich bei Tommaso Salini schon abzeichnet, die Zusammenführung von Spiegel und Malerei bzw. Konterfei, findet dann in der Satire des 18. und der Kunst des 19. Jahrhunderts seine konsequente Zuspitzung. Auf einem Kupferstich eines unbekannten Künstlers aus dem Jahr 1780 fragen sich drei ‚affige‘ Affen: Wem sehen wir gleich? Und sie betrachten dabei die seinerzeit in Mode gekommenen Schattenrisse, von denen unzählige Abzüge und Varianten auf dem Boden liegen. Die Kunst der Silhouetten hat ihren Spitznamen nach dem französischen Finanzminister Étienne de Silhouette, dem nachgesagt wurde, lieber an guter Kunst zu sparen und sich stattdessen die preiswerteren Schattenrisse an die Wände zu hängen. Der Schattenriss wurde so zum Synonym für billige Kunst. Dennoch kam es im 18. Jahrhundert zu einer Modewelle derartiger Schattenrisse in ganz Europa, so dass sich jeder so eine Silhouette zulegte. Man griff Gedanken des Physiognomen Lavater trivialisierend auf, und sah Silhouetten nicht nur als einfache Porträts an, sondern betrachtete sie als tiefschürfende Charakterstudien. Jeder Affe konnte so fragen: Wem sehe ich gleich? Was lässt sich dieser Silhouette entnehmen? Spiegelt sich in dieser Physiognomie auch ein Charakter? Mit der Trivialisierung und später dann der Automatisierung der Porträterstellung als Schattenriss verband sich aber auch eine Krise der Malerei. Wenn das Wesentliche schon mit der einfachen Abbildung der Silhouette einzufangen war, wozu diente dann noch die Malerei, die bis dato in ihren Porträts komplexe Charakterbilder erschaffen hatte? Konnte nicht jeder Affe Porträtkunst erschaffen (und begutachten)? In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts finden wir bei Alexandre-Gabriel Decamps (1803-1860) derartige Übertragungen in den Bereich der Kunst, die den Affen als Spiegelbild des Malers bzw. des Kunstkritikers zeigen. „Seine Affen als Musiker, als Köche, als Bäcker, als Metzger, als Maler zeigen eine drastische Persiflage menschlicher Physiognomie. Das erfolgreichste seiner Affenbilder war eine bissige aber witzige Satire gegen die akademische Jury des Pariser Salon, die seine Bilder zu ihren jährlichen Kunstausstellungen sehr oft nicht zuließ.“ [wikipedia] Alexandre-Gabriel Decamps, Der malende Affe, 1833
Bilder III: Ehrenrettung des SpiegelsMan ist bei biblischen Zitaten zum Thema „Spiegel“ immer geneigt, auf die berühmte paulinische Stelle in 1. Korinther 13, 12 zu rekurrieren: 1. Korinther 13 zeichnet im Vers 12 ein überaus kritisches Bild des Spiegels: er ist dunkel, er ist enigmatisch (rätselhaft), deutungsbedürftig, er verbirgt mehr, als er offenbart. Erst wenn wir das Spiegelstadium überwunden und hinter uns gelassen haben, dann sind wir zu wahrer Erkenntnis fähig. In 2. Korinther 3, 18 ist die Tonlage des Paulus ganz und gar anders, seine im 1. Korintherbrief noch so skeptische Bewertung des Spiegels kippt nun ins pure Gegenteil: Bezugspunkt des Paulus ist zunächst die Geschichte von Mose, der Gott sehen durfte, was seinem Antlitz einen Glanz gab (Ex 34, 29ff.). Paulus interpretiert die Geschichte nun so, dass der Glanz des Moses vergänglich war (und Mose deshalb sein Gesicht verhüllte). Mit Christus wird die Herrlichkeit des Herrn aber dauerhaft sichtbar: κατοπτριζόμενοι - wie in einem Spiegel. Keinesfalls meint Paulus an dieser Stelle, die Christen schauten die Herrlichkeit „nur“ wie in einem Spiegel, sozusagen als Abglanz, bloß sekundär. Ganz im Gegenteil: Sie erkennen die Wahrheit unverhüllt und das heißt: wie in einem guten Spiegel. Wie auf den wunderbaren französischen Buch-Miniaturen zu Giovanni Boccaccios „De mulieribus claris“ (Von berühmten Frauen) ist der Spiegel hier ein unverzichtbares Hilfsinstrument der Bildwerdung (τὴν αὐτὴν εἰκόνα μεταμορφούμεθα) und der Erkenntnis. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/100/am539.htm |