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Ars bene moriendiAssoziationen von Marilyn Monroe beim Gang durch die Ausstellungen in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen - „Der gute Weg zum Himmel“ und „American Pop Art“ sowie Jean Tinguelys „Mengele-Totentanz“ in der Ausstellung „Tinguely - Super Meta Maxi“ im Museum Kunstpalast, Düsseldorf.Barbara Wucherer-Staar
Diese Gedankenwelt ist dem modernen Menschen fremd geworden. An was denken heutige Zeitgenossen, wenn sie die beeindruckenden Zeugnisse mittelalterlicher Frömmigkeit sehen? Was würde eine Berühmtheit wie Marylin Monroe (1926-1962) empfinden, deren eigenes Todes-Schicksal im Mittelalter Furcht und Schrecken verbreitet hätte?
Marilyn beginnt ihren Rundgang in der Ludwiggalerie. Sie ist beeindruckt von dem Hauptstück der Einraum-Schau, der wenig bekannten „Ars bene Moriendi“ des Sinziger Meister des Kalvarienberges (um 1457, Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen), deren Szenario erstmals decodiert wurde. Es finden sich Motive eines „guten Sterbens“ eines Bettlägerigen und der Interzessionsdarstellung (Maria und Christus bitten für die Menschen) im Vordergrund. Hinter dem gekreuzigten Christus breitet sich eine weite Landschaft aus, an deren Horizont eine Stadt einen Ausblick auf das „Heilige Jerusalem“ zeigen könnte.[1]
An Bilder des Hieronymus Bosch erinnert sie die „Errettung der armen Seelen aus dem Fegefeuer“ (1425, Köln, Meister des Palanter Altars, Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen). Wo jedoch in Boschs geheimnisvollen, furchterregenden Bildern kein Ausblick auf Erlösung scheint, finden sich in der Kölner Tafel einerseits eine Allegorie auf den direkten Weg zum Himmel und den guten Lebensweg des Menschen, andererseits der Weg zur Hölle, aber auch eine mögliche Errettung daraus.
Marilyn in ihrer Zeit - memento mori und Kunst für jedermannMarilyn - als Ikone und „Marke“ selbst ein Teil des american way of life, wie ihn die amerikanische Pop Art widerspiegelt - geht in der Ludwiggalerie vom Mittelalter in die 1960er / 70er Jahre. Hier finden sich auf drei Etagen „Meisterwerke massenhaft“ aus der Sammlung Heinz Beck (heute im Museum Ludwigshafen), wie sie in der Sammlung Peter und Irene Ludwig in Köln als Originalgemälde zu sehen sind. Was inzwischen auf dem Kunstmarkt hoch gehandelt wird, wurde ursprünglich als demokratische, für alle erschwingliche Ware fabriziert - als „ars multiple“ in hoher Auflage in einfachen, preiswerten Verfahren, zum Beispiel Siebdruck und Collage. Einfache Alltagsgegenstände wurden Kunst, Original und Geniekult wurden zur Diskussion gestellt, etwa in der legendären „Factory“, dem Atelier des Pop Art Mitbegründers Andy Warhol (1928-1987). An wechselnden Orten eingerichtet wurde es zum Treffpunkt der New Yorker Szene, seiner „Superstars“ und Drehort der Filme.[3] Marilyn entdeckt Variationen der „Campbells Soup Cans“ (1962) von Andy Warhol. Eine einfache, preiswerte Dosensuppe, die auf einer französischen Gourmetmesse zwar um 1900 ausgezeichnet, berühmt aber erst durch Warhols Abbildungen wurde. Sie wünscht, sich in Richard Estes aufgeräumte „Cafeteria“ (1970) zu setzen, schmunzelt über das Pin-up Girl hinter Zigaretten und „Coke“ von Mel Ramos. Der Nagellack auf dem Bild „Foot“ (1968) von Tom Wesselmann ist ihr zu knallig. Die heile, dekorative Konsumwelt des Wirtschaftsbooms, der Promis, Fahnen und Autos ist auch die Zeit des Vietnamkrieges, den Künstler wie James Rosenquist vehement kritisieren. In einer Collage kombiniert er Zeichen der Airforce mit einem (verbrannten?) roten Kindergesicht und einer zerplatzten Glühirne. Um 1962 beginnt Warhols Auseinandersetzung mit Tod, Katastrophen, sozialen und persönlichen Tragödien in der eindringlichen, zuerst umstrittenen Werkreihe „Death and Desasters“. Bilder aus der Tagespresse vervielfältigt er mit kleinen Retuschen kommentarlos: Autounfälle, Flugzeugabsturz, „Electric Chair“. Etwa zur gleichen Zeit beginnt seine Serie der „Marilyns“. Ihre „Images“ nach einem Foto aus dem Film „Niagara“ (1953) produziert er in den folgenden Jahren in vielen schrill-bunten Varianten als satirischen Comic zum Thema Starkult und Vergänglichkeit. Marilyn in Jean Tinguelys absurdem TheaterJean Tinguely (1925 - 1991) gilt mit seinen spielerisch-poetischen, ironischen und provozierenden Skulpturen, die den Betrachter aktiv ins Geschehen einbeziehen, als einer der originellsten Impulsgeber der internationalen Kunst um 1960. Wie damals als Kind steigt die Monroe auf das Karussell-Pferd der eine Ausstellungshalle füllenden, ratternden „Super-Méta-Maxi-Maxi-Utopia“ - Installation (1987, 810 x 1683 x 887 cm). Aus einem Lautsprecher klingt Musik. Solch eine mechanisch exakt konstruierte Riesenmaschine aus sich bewegenden Eisenteilen, Alutreppen, Holzrädern, Gartenzwerg und anderem Zeug erinnert sie an Charlie Chaplins Film „Modern Times“. Ebenso wie in Tinguelys ironischer Kritik am Maschinenzeitalter werden Menschen in technische Mechanismen grotesk hineingezogen - gerne hätte sie damit einen Film gedreht. Sie schlendert neugierig durch die kinetischen, exakt konstruierten, teils mechanischen Objekte des Schweizers. Beklemmend still wird sie vor Tinguelys Altarensemble „Mengele Totentanz“ (1986) in einem schwach erleuchteten Kabinett. An den Wänden finden sich große Schattenrisse - erschreckender als die von Harry Limes, gespielt von Orson Welles, in Carols Reeds Thriller „Der dritte Mann“ (1949). Per Knopfdruck in Bewegung gesetzt erinnern sie an tanzende Skelette. Sie stammen von angekokelten und verrosteten Geräten aus der Landwirtschaft, von verendeten Tieren, die nach dem Brand in einer Scheune übrig blieben. Aus Teilen der „Mengele Landmaschinen“, deren Name Assoziationen an Konzentrationslager auslöst, baut er im Zentrum der mehrteiligen Installation den Hochaltar als ein unheimliches großes Flügelwesen. Weitere 13 Skulpturen montiert er aus verkohlten Holz-Balken, Pflugscharen, Tierskeletten, Haushaltsgeräten, Eisenteilen, Ketten, Sägen und Elektromotor: „Die Mutter“ (eine Viehtränke mit Eisenteilen, -ketten), „Targa-Florio, alias die Gottesanbeterin“, „Aggression“, „Des Rammbocks Fee“, „Transmission de la mort“ (ein Strohballentransportband mit Tier- und Menschenschädel). Einen seiner wichtigsten Werkstoffe - stabiles, unverwüstliches Eisen - nutzt er hier als verrostetes Material für seine zentralen Themen: Vergänglichkeit und Bewegung. Man könne den Eindruck gewinnen, so Museumsleiter Beat Wismer in einem Interview, dass „… Gedanken wie Memento Mori oder Sinnlosigkeit des menschlichen Tuns eigentlich von Anbeginn in diesen Maschinen drinstecken … Er ist auch ein Zeitgenosse von Beckett … das Leben ist ein absurdes Theater.“ Die in seinem Werk perfekt konstruierte Verbindung von Mensch und Maschine wird - in anderer Weise als in Andy Warhols „Death and Desaster“ Serien - zum eindringlichen „Memento Mori“, von Schrecken, Leid und gesellschaftspolitischer Kritik. Er verweist auf den „Basler Totentanz“. In dem mittelalterlichen Reigen lädt der Tod Menschen allen Standes, Alters und Geschlechts zum Hinübertanzen ins Jenseits: König, Mönch, Maler und Herzogin. Die Menschen des Mittelalters würden erschrecken vor dem „schlechten Sterben“ in der Moderne. Den von einem „hässlichen“, unvorbereiteten Tod plötzlich überraschten Menschen wurde damals oft die Begräbniszeremonie verweigert. Nach 1945 so erläutert der Philosoph Philippe Ariès - wird der Tod tabuisiert und damit unheimlich: er wird „medikalisiert“. Dieses „anonyme Sterben“ ist nicht gesellschaftsfähig, muss im Verborgenen bleiben: in einem Krankenhaus, in einem Apartment oder Lager. Marilyn - und vielleicht auch Warhol und Tinguely - fragen sich: hat der Mensch heute noch eine menschliche Beziehung zum Tod?[4] Literatur / Ausstellungen:
Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/102/bws14.htm |