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Magazin für Theologie und Ästhetik


Videoclips XV

Gewalt und 'Gewalt'

Andreas Mertin

Madonna "Die another day"

Er sei gewaltverherrlichend wurde schon kurz nach dem Erscheinen Madonnas neuestem Videoclip "Die another day" vorgeworfen. Nun gehört seit einiger Zeit die Inszenierung von Skandalen zur ganz normalen Präsentation popmusikalischer Neuerscheinungen, erinnert sei nur an Robbie Williams DJ Rock oder auch an jeden Auftritt von Eminem. Was nun Madonnas Videoclip zum neuesten James Bond Film betrifft, so mag er zwar das Thema Gewalt aufgreifen, gewaltverherrlichend ist er aber keineswegs, ganz im Gegenteil. Betrachtet man ihn genauer, so macht er Gewalt zum Thema der Auseinandersetzung, indem er zum einen die ironische Gewaltverwendung in den James-Bond-Filmen radikalisiert, zum zweiten auf die latente Gewalt in den Geschlechterverhältnissen der 007-Filme hinweist und zum dritten die Frage nach den Gewaltpotentialen radikal individualisiert und psychologisiert.

Madonnas Movie-Clip zu "Die another day" hat, wie schon bei vielen ihrer Clips vertraut, verschiedene Handlungsebenen: reale und symbolische. Auf der realen Ebene wird eine sich heftig und kräftig wehrende Frau - dargestellt von Madonna - von ihren militärisch gekleideten Peinigern, die alle an bestimmte Figuren aus James-Bond-Filmen erinnern, einer Befragung unterzogen und schließlich zur Exekution zum elektrischen Stuhl geführt. Die Exekution erweist sich nach ihrem Vollzug jedoch gescheitert, da die Delinquentin aus dem Electric Chair verschwunden ist, während sich auf dem Stuhl die hebräisch nachgebildeten Buchstaben "Love" () einbrennen.

Auf der symbolischen Ebene bekämpfen sich zwei Frauen als Fechterinnen (Madonna 1 und 2), die eine ganz in weiß, die andere ganz in schwarz gekleidet. Der Kampf der Tochter des Lichts gegen die Tochter der Finsternis ist allerdings, wie die mehrfache Verknüpfung mit der realen Ebene zeigt, nicht eine apokalyptische Inszenierung (wie bei den Essenern), sondern ein innerer Kampf der Protagonistin selbst. Der Kampf Gut gegen Böse ist ein Kampf der Protagonistin mit sich selbst. Was zu Beginn noch die Auseinandersetzung zweier Fechterinnen während eines Turniers sein könnte, dramatisiert und radikalisiert sich zunehmend zu einer finalen Auseinandersetzung auf Leben und Tod.

Jede Verletzung, die die symbolischen Figuren ihrem dualistischen Spiegelbild zufügen, erleidet auch die reale Protagonistin, die beide in sich vereint. Als die böse Madonna die gute am Bauch trifft, blutet die reale in der Folterkammer, als die gute die böse ritzt, ziert nun ebenfalls eine Verletzung ihren Oberarm. Und als die Protagonistin im Folterraum spektakulär den durchsichtigen Spiegel durchbricht, sieht man in den Scherben die symbolischen Kämpferinnen. Wie heißt es im Liedtext von "Die another day" dazu: "Sigmund Freud - Analyze this"!

Die Ambivalenz der Gewalt

Das ironische Spiel mit der Gewalt ist nun konstitutiver Bestandteil aller James-Bond-Filme, jenes Agenten mit der "Lizenz zum Töten". Das Publikum goutiert diese Grenzüberschreitung, bleibt sie doch im Rahmen der konventionellen Grenzziehungen von Gut und Böse. Was aber, wenn im Rahmen der postmodernen Zitatencollage die ironische Kontextualisierung unterlaufen wird, wenn mit dem messerscharfen Bowlerhut der weißen Katze von Dr. No der Kopf abgetrennt wird, wenn also nicht mehr der Böse, sondern die unschuldige Kreatur leiden muß? Ironisch ist der Clip allenfalls darin, dass während der lebensbedrohlichen Auseinandersetzung zwischen Madonna 1 und 2 zunächst nur James Bond alias Pierce Brosnan dran glauben muss: auf einem Konterfei trifft ihn eine fehlgeleitete Waffe tödlich. Darüber hinaus gibt es noch einige weitere kleine Merkwürdigkeiten im Clip, etwa der nach der Hinrichtung kurz eingeblendete männliche Musikhörer auf dem elektrischen Stuhl.

Madonna wäre aber nicht Madonna, hätte sie nicht auch einige höchst irritierende Brechungen in den Clip eingebaut. Während sie unter heftiger Gegenwehr in den Raum mit dem elektrischen Stuhl geschleppt wird, bindet sie sich Tefillin, den jüdischen Gebetsriemen an den linken Arm. Das "Zeichen an der Hand" (nach Exodus 13 und Deuteronomium 6 bzw. 11) als Zeichen der Erinnerung der Befreiung von der Knechtschaft ist traditionell mit dem männlichen Geschlecht verbunden, im Rahmen der Bar-Mizwa-Feier eines Jungen ist das erste Anlegen der Tefillin der symbolische Ausdruck für seinen Eintritt ins Erwachsenenalter. Die katholische Protestantin Madonna unterläuft diese Zuschreibung, indem sie sich selbst zu diesem Ritus ermächtigt. Im Ablauf des Clips muss man die Tefillin als Zeichen der Wehrhaftigkeit deuten, was das am anderen Arm eintätowierte lautmalerische hebräische Love konterkariert. Die Anspielungen auf die jüdische Tradition sind sicher nicht zufällig.

Die Ästhetik der Gewalt

Dass Madonnas Clip gewaltverherrlichend sei, leuchtet trotz aller wahrnehmbaren Gewalt nicht ein. Allgemein ist man bei der populären Kultur und der Unterhaltungskultur mit dem Vorwurf der Gewaltverherrlichung zu schnell bei der Hand. Verglichen mit Werken der Hochkultur ist in der Regel das, was in der globalisierten Kultur der Pop-Musik zur Visualisierung von Gewalt eingesetzt wird, eher dezent bis harmlos. Betrachtet man etwa die Enthauptung des Holofernes durch Judith und ihre Magd auf dem Gemälde der Künstlerin Artemisia Gentileschi (1593-1652), dann kommt hier die Gewalt der Heldin ganz anders visuell zum Ausdruck.

Was Madonnas Auftreten im Clip mit der Darstellung Artemisia Gentileschis verbindet, ist die aktive Rolle der Frau, das Selbstbewusstsein in der dargestellten Handlung, was sie trennt, ist die Haltung zur (Anwendung der) Gewalt. Bei Madonna ist alles immer doch nur Spiel, nur vorläufig, nur inszeniert. Das ist bei Artemisia Gentileschi insofern anders, als man bei ihr den begründeten Eindruck hat, dass hier real erfahrene Gewalt im Medium des ästhetischen Scheins bearbeitet wird.

Staatlich sanktionierte Gewalt

Wollte man einen passenden Vergleich für Madonnas Clip suchen, könnte man vielleicht Andy Warhols "Big Electric Chair" heranziehen. Warhol, der unterschiedslos Konsumgüter, Prominente, Straßenunfälle, Mörder, Filmgestalten und eben Exekutionsinstrumente auf seinen Werken notierte hat mit seinen Electric Chairs einen Werkzyklus geschaffen, dessen beredte Sprachlosigkeit sehr ausdrucksstark ist. Warhols Arbeit ist nur scheinbar harmlos, eher von kalter Leidenschaftslosigkeit und doch notiert sie die Gewalt, die Menschen anderen Menschen im Rahmen des Rechtssystems antun, dokumentiert sie den Riss, den bewusst bewirkten Tod.

Madonnas Clip ist "nur" ein Movie-Clip, dennoch kann mit ihm die Frage nicht nur medialer Gewalt gut bearbeitet werden. Die Kritik der männlichen Gewaltklischees, die Inversion der Geschlechterverhältnisse, das weibliche Selbstbewusstsein, die Subjektivierung der Gewaltpotentiale - das alles kann thematisiert werden. Aber auch die dualistischen Züge müssen zur Sprache kommen, ebenso wie die Frage, ob "Love" eine ausreichende Antwort für die Auseinandersetzung mit Gewalt ist.

Hinweise

Madonnas Videoclip zu "Die another day" und die beiden abgebildeten Screenshots sind unter ihrer Homepage http://www.madonna.com abzurufen. Der Liedtext kann unter http://www.superlyrics.de gefunden werden. Das Bild von Artemisia Gentileschi kann hochauflösend bei der auch ansonsten empfehlenswerten Web Gallery of Art unter http://www.wga.hu/html/g/gentiles/artemisi/judit.html geladen werden.


© Andreas Mertin 2003
Magazin für Theologie und Ästhetik 21/2002
https://www.theomag.de/21/am78.htm

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