Religionsunterricht als Raum für Computer-Spiel-KulturMichael Waltemathe |
||||
ReligionsunterrichtDie Aufnahme von "gelebter Religion" als Objekt des RU resultiert zu Recht in einem Verständnis von Religionsunterricht, dass nicht mehr nur normative, sondern vor allem analytische Themenzugänge erlaubt. Als verkürzt erscheint allerdings der Ansatz, Jugendkultur oder Jugend-Medien-Kultur nur unter religionspädagogischen Aspekten wahrzunehmen und die religiöse Wirksamkeit kultureller Inszenierungen zu betrachten.[1] Wie Friedrich Schweitzer feststellt, kann "die erste Frage, die im Verhältnis zwischen Jugendkultur einerseits und dem pädagogischen Handeln in Religions- oder Konfirmandenunterricht ... andererseits aufbricht, ... nicht die nach der Religion von Jugendlichen."[2] sein. Einen viel gewichtigeren Faktor, der für die Analyse und das Verstehen jugendkultureller Lebensformen notwendig ist, stellt die Fremdheit zwischen jugendkulturellen Ausdrucksformen und der Kultur des kirchlichen Christentums dar.[3] Fremdheit muss erst wahrgenommen und verstanden werden, bevor sie religionspädagogisches Handeln bestimmen kann. Jugend - Medien - KulturDabei kann es nicht nur um Inhalte jugendkultureller Inszenierungen gehen, sondern auch um deren Struktur und Prozesshaftigkeit. Eine Reduktion auf die Wahrnehmung für die Bildung jugendkultureller Inszenierungen interessanter Inhalte wie z.B. Kinofilme, Fernsehsendungen und Popsongs läuft oft an der Realität der Jugendlichen vorbei. Es ist wichtig zu bedenken, dass Jugendkultur schon immer ihren Ort in der Schule hat und zwar auf deren "Hinterbühne"[4]. Wird Jugendkultur aber im Unterricht thematisiert, so droht sie leicht zur Erwachsenenkultur oder, wie Schweitzer formuliert, gar zur Kultur der Schulmeister zu werden.[5] Will man dieser Problematik entgehen, so gilt es den RU für die Jugendkultur zu öffnen. Wichtig ist, im RU Raum für die Jugendkultur in ihrer Selbstdarstellung und -wahrnehmung zu schaffen, und nicht nur der "Suche nach religiösen Motiven in Filmen, in Werbeslogans, in Computerspielen, in den neuen Medien"[6] Platz zu geben. Der Einsatz von neuen Medien im RU sollte also vor allem der Wahrnehmung der kulturellen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen dienen, um den Jugendlichen selbst Raum zu geben, die in ihren jugendkulturellen Inszenierungen immanente Spiritualität formulieren zu können. Aus der Wahrnehmung dieser von innen erfolgenden Beschreibung muss aber eine "Theorie des Zustandekommens der religiösen Symbol- und Deutungswelt aus der Sicht der Beteiligten"[7] entworfen werden. Nur so entgeht man dem Problem der scheinbaren Objektivität der Wahrnehmung gelebter Religion und dem verzweifelten Hoffen auf den "Selbsterweis der gelebten Religion"[8]. Das spricht freilich nicht gegen die Wahrnehmung popularkultureller Mediengeschichten im RU. Allerdings ist fraglich, ob dies in pseudo-objektiver Analyse des Menschenbildes der jeweiligen medialen Inszenierungen anhand eines allgemein gültigen Monomythos geschehen kann, oder ob nicht eher die Jugendlichen in ihrer eigenen Identitäts- und Sinnproduktivität gefragt sind und im RU lediglich Raum finden sollten für ihren spezifischen Umgang mit Medien. So wäre es zumindest möglich, die Fremdheit jugendkultureller Inszenierungen für den RU fassbar zu machen. Ist ein monomythischer Zugang für Massenmedien wie Film und Fernsehen schon problematisch, so wird er den interaktiven Neuen Medien überhaupt nicht mehr gerecht. Hier muss die Frage nicht lauten: "Was suchen Jugendliche in den Medien?" sondern vielmehr "Welchen Umgang geben Neue Medien den Jugendlichen mit 'ihren Themen' durch die Medienstruktur vor?". Interaktive Medien sollten aus verschiedenen Gründen vor allem unter spieltheoretischen Überlegungen betrachtet werden. Zum einen erfolgt der Zugang zu interaktiven Medien in einer Medienbiographie häufig über das Computerspiel. So finden sich dann auch im Umgang mit Internet und z.B. Handy vor allem spielerische Herangehensweisen. Dies wird deutlich im Spiel mit der eigenen Identität in Chatrooms[9] oder in der Konstruktion spielerisch verfremdeter Sprachformen für die Online-Kommunikation[10]. Gleichzeitig hat aber die Mensch-Maschine-Kommunikation schon von ihrer Anlage her spielerischen Charakter. In der Ausblendung der Umwelt und der Konzentration des Computernutzers auf die Welt auf (oder vielmehr hinter) dem Bildschirm betritt er einen eigenen Wirklichkeitsbereich mit ganz spezifischen Regeln und Handlungsformen, die denen ähneln, welche die Spieltheorie als spieltypisch ausmacht[11]. Folgt man Brian Sutton-Smith, so sind Spiele Simulationen von Adaptionsprozessen an Anforderungen die auf bestimmte Gruppen zukommen. So eröffnet das Computerspiel als Zugangsmöglichkeit zur Computertechnologie einen freien und relativ konsequenzlosen Einstieg in eine der Schlüsseltechnologien unserer Zeit.[12] Der weitere Umgang der Jugendlichen mit dieser Technologie bleibt dann allerdings diesem Muster entsprechend spielerisch. Man probiert diverse Identitäten frei und konsequenzlos aus[13], man sucht sich seinen Weg durch das Labyrinth der Hypertextualität des WWW[14], evtl. unter Benutzung von Suchmaschinen, die aber durch ihre häufig verwirrende Antwortfülle auch eher konsequenzloses und freies Suchen ermöglichen, oder man spielt Computerspiele, sei es alleine oder vernetzt. Alle diese Umgangsformen sind bestimmt von einer Erlebnisform, die der amerikanische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi Flow nennt.[15] Spiele - besonders Computerspiele sind exemplarische Flow-Situationen[16], und dies kann von der Handlungsstruktur im Umgang mit Neuen Medien auf jeden Umgang mit Computern ausgeweitet werden. Das beleuchtet z.B. Horst Opaschowski in seiner Studie "Generation @"[17], wenn er die PC-Nutzer nach der Eignung des Computers als Rückzugsnische fragt und diese als Ort des Flow identifiziert[18]. SpielMichael Kolb untersucht in "Spiel als Phänomen - Das Phänomen Spiel" unterschiedliche anthropologisch-phänomenologische orientierte Spieltheorien. "Die phänomenologische Herangehensweise wendet sich ... dem Spiel als solchem, als eigenständigem Phänomen mit bestimmten Merkmalen, Kennzeichen und Strukturen zu und fragt nach seinem Sinn im Ganzen des Lebens."[19] Kolb konstatiert allen untersuchten spieltheoretischen Ansätzen, "dass sie von einem präreflexiven Verhältnis des Menschen zur Welt ausgehen."[20] Der Mensch tritt mit seiner Umwelt zuerst leiblich in Kontakt. "Der Leib ist nicht nur Körper, sondern das leibliche Subjekt und die Welt bedingen sich gegenseitig in dialektischer Verschränkung. Der Mensch richtet sich mit seinem Leib auf die Welt und ist den Gegenständen in ihrem widerständigen Charakter ausgesetzt."[21] Leib und Welt sind dabei aufeinander hingeordnet, Sinngebung und Bedeutung werden in diesem Wechselverhältnis konstruiert. Das Spiel wird dann analog zu Buytendijk zur "exemplarische(n) dialogische(n) Daseinsform, ... die sich zwischen den gegenüberstehenden , strukturierenden Momenten von Subjekt und Welt entfaltet"[22] Noch deutlicher formuliert Axel Horn: "Die Ganzheitlichkeit des ´Selbst´ wird im Spielen nicht nur als eine bereits bestehende erfahren, sondern bildet sich im Spielen allererst aus und wird auf diese Weise erfahren. Im Spiel erspielt sich der Mensch also seine Selbstheit, er bringt seine Identität hervor, er ist sein Spiel."[23] Spiel ist grundlegender Sinnkonstruktionsprozess in der menschlichen Entwicklung, aber ohne theoretisch-funktionalen Aspekt. Dies spiegelt rück auf die Erkenntnis von Selbst und Welt: "Das sogenannte Normale ist das Resultat hochkomplizierter Lernvorgänge, die nur spielend geschehen können."[24] Spiel wird so zur Verbindung von Selbst und Welt, zum Wechselspiel von Selbsterfahrung und Einspielen auf die Welt. Im Gegensatz zu Traum und Phantasie ist es realisierte Möglichkeit. Spiel so definiert ist endlos. Wenn sich Stabilität eingespielt hat, beginnt das Spiel mit den stabilen Bildern und Symbolen von vorn. Stabile Wirklichkeit wird spielerisch über ihre Grenzen hinaus entfaltet in mögliche Wirklichkeit. Die Wechselwirkung von stabiler Wirklichkeit (Aussenwelt, Tradition) und möglicher Wirklichkeit (Innenwelt) ist nicht nur Spiel, sondern immer auch Spielanlass zugleich. "Das Spiel ist in dieser übergreifenden Auslegung ein Sich-Selbst-Transzendieren durch Infragestellen der jeweiligen empirischen Existenz im Dienste eines steten Sich-Erprobens in offenen Situationen."[25] Ein so weiter und umfassender phänomenologisch orientierter Definitionsbegriff läuft notwendigerweise Gefahr so breit zu sein, dass er aussagelos wird. Wird Spiel zur Grundbeziehung zwischen Subjekt und Welt, so ist fast alles Spiel. Trennscharf kann nicht einmal zwischen Phantasie und Spiel unterschieden werden, es sei denn man reduziere Spiel auf den leiblichen Aspekt. Jedes in irgendeiner Form mit Reflexion verbundene Handeln in der Außenwelt scheint per Definition Spiel zu sein. Betrachtet man allerdings die Grundlagen der unterschiedlichen phänomenologisch inspirierten Spieltheorien, so wird schnell deutlich, dass die Grundvoraussetzung Freiheit natürlich auch diesem Theoriekonstrukt vorgeschaltet sein muss. Spiel ist nur da, wo frei gespielt wird, wo die Möglichkeit größeres Gewicht als die Faktizität hat. Auch wenn eine solche Spieltheorie keine wirklich klare und deutliche Definition liefert, so gibt sie doch einige Hinweise auf Anknüpfungspunkte zwischen Spiel und Religion(spädagogik). Das, was Religionspädagogik im religiösen Bereich immer erreichen will, nämlich Lernprozesse ermöglichen und initiieren, scheint Spiel immer schon zu leisten[26]. Die Bedingungen des Spiels sind aber auf ihre religionspädagogischen Möglichkeiten und besonderen Schwierigkeiten zu überprüfen. Allgemein wäre zu klären, ob und wie sich Lernen in spielerischen Zusammenhängen als Spielpädagogik überhaupt realisieren lässt. Freiheit und MöglichkeitVom Spiel her scheint es möglich, die Fremdheit der Jugendkultur festzumachen an der Freiheit und Möglichkeit im Zugriff auf massenmediale Inszenierungen, den spielerischen Umgang mit Geschichten, Symbolen und "existentiell religiöser Verbindlichkeit". Strukturell lässt sich dies an den Neuen Medien zeigen und festmachen. Inhaltlich gilt es auch für den Umgang mit "alten" Massenmedien. Es stellt sich die Frage, ob nicht die grundsätzliche Strukturunterscheidung zwischen Massenmedien wie Film, Fernsehen, Buch und den neuen, computergestützten Medien eine methodisch fundamental andere Herangehensweise im RU erfordert. Während "alte" Massenmedien ja immer schon Spiel mit Inhalten religiöser Tradition sind, die vor allem wahrgenommen werden, ermöglichen die computergestützten Medien grundsätzlich das eigene Spiel mit den in ihnen vorkommenden Versatzstücken der Tradition. Die Forderung nach dem Lehrer als Moderator, als Mit-Lernendem bleibt doch solange nur Forderung, wie man nicht dem spielerischen Zugang der Jugendlichen zu ihren Medien Rechnung trägt und diesen Zugang methodisch im RU verankert. Jugendliche fühlen sich eben nicht nur wegen ihrer Themen in den Medien zu Hause, sondern aufgrund der besonderen Struktur des Medienzugangs, welcher bei Neuen Medien grundlegend anders ist als bei den traditionellen Massenmedien. Von daher ist es inkonsequent, die Rolle der neuen Medien auf die von Nachschlagewerken zu reduzieren. Arbeitsblätter und Arbeitsaufgaben sind methodisch und didaktisch notwendig. Die Besonderheit der spielerischen Freiheit der Informationsvermittlung im Internet wird mit ihnen aber nicht nachvollzogen. Die lose vernetzte Informationsstruktur des Internet sollte wahrgenommen werden, der Zugang zum Computer sollte auf spielerisch-entdeckendem Weg erfolgen. Die Jugendlichen werden unterschätzt, wenn man ihnen eine gewisse Medienkompetenz nicht als Vorschussvertrauen zugesteht und an konkreten Unterrichtsbeispielen im trial-and-error Verfahren schärft, sondern ihnen diese stattdessen von außen überstülpt. Ein mitlernender Lehrer/eine mitlernende Lehrerin greift auf das Expertenwissen der Schülerinnen und Schüler zurück und ersetzt es nicht. Dies lässt sich z.B. am Einsatz von Computerspielen im RU verdeutlichen. Im Bereich der Computerspiele steht vielen Jugendlichen ein ihrer Lebenswelt entspringendes Expertenwissen zur Verfügung. Jens Wiemken berichtet von Versuchen Computerspiele in der Jugendarbeit szenisch ins Spiel zu bringen und auf diese Art und Weise mit der Lebenswelt der Jugendlichen zu verknüpfen. Bei diesem "breaking the rules" Ansatz[27] geht es darum, kreativ mit dem Computerspiel umzugehen, um dann seine Begrenzungen aufzubrechen und die ihm innewohnenden Gesetzmäßigkeiten gezielt zu verfremden, um die "Diktatur der Maschine"[28] abzuwenden. Das bedeutet, die bewahrpädagogische Strategie der den Computerspielen meist ablehnend gegenüberstehenden Pädagogen und Pädagoginnen durch einen kreativen Umgang mit Mustern des Computerspiels zu ersetzen und das Computerspiel so auch außerhalb der virtuellen Welt erfahrbar zu machen. Hintergrund dieses Ansatzes ist die Erfahrung, dass Computerspieler sich immer wieder Fehler im Spiel zunutze machen, um die vorgegebenen Erlebensformen in der Spielewelt zu erweitern. Daraus entwickelt Wiemken den Ansatz, die Erlebensformen von Computerspielen auf die Alltagswelt zu übertragen. Dieser Ansatz lässt sich in der Schule nutzbar machen, indem man nicht das Thema des Computerspiels in ein außervirtuelles Rollenspiel übernimmt, sondern vielmehr ein den Schülern und Schülerinnen bekanntes Computerspiel durch diese spielerisch so verändern lässt, dass es religionspädagogisch nutzbar wird. Gleichzeitig zeigt dieser Ansatz, dass Jugendliche sich im Spiel schon intensiv mit den möglichen Erlebensformen und Sinnmustern auseinandersetzen und diese auch für ausservirtuelles Leben fruchtbar zu machen suchen. Bei-SpielJedi-Knight: Mysteries of the Sith
|
|
https://www.theomag.de/24/miwa1.htm |