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Magazin für Theologie und Ästhetik


Virtueller Kirchenbau zur heiligen Einfalt

Gimmicks oder: Die populäre Anästhetik des Religiösen

Andreas Mertin

Über die strukturelle Begrenztheit von Webangeboten zur religiösen Erfahrung hat Sabine Bobert bereits im Heft 7 des Magazins für Theologie und Ästhetik ekklesiologische, homiletische und medientheoretische Argumente vorgetragen: "Das homiletisch und liturgisch Gewohnte wird formal und inhaltlich weitgehend unverwandelt ins Netz gestellt. Dabei herrscht, wie gegenüber den gemeindlich Engagierten, weitgehend die Erwartung einer Hermeneutik der Zustimmung. Niemand wird mit Vieldeutigkeit allzu lange alleine gelassen."[1] Die einfache Verdoppelung des schon Vertrauten, angereichert mit ein paar Flashfilmchen und Multiple-Choice-Varianten treibt einen eher wieder in die richtigen Gottesdienste, als dass sie zur religiösen Erfahrung einladen würden.

Aus zwei Gründen wird dieses Thema in diesem Einwurf noch einmal aufgegriffen. Zum einen haben EKD und EKiR nun einen Wettbewerb zur Gestaltung von Webandachten ausgeschrieben, der eher von der tiefen Ratlosigkeit der Betreiber als vom Erfolg des religiösen Angebots zeugt. Man könnte verkürzt sagen: Wenn einem selber nichts mehr einfällt, schreibt man einen Wettbewerb aus. Zum anderen haben die Auslober des Wettbewerbs drei ihrer Ansicht nach vorbildliche Angebote ins Netz gestellt, an denen sich die Wettbewerber orientieren sollen. Einer dieser "vorbildlichen" Auftritte beschäftigt sich auch mit kirchenbauästhetischen Fragen. Ich tue im Folgenden einmal so, als sei das ernst gemeint (was einem wahrlich schwer fällt) und setze mich dieser Erfahrung virtueller religiöser Raumgestaltung mit anschließender religiöser Übung aus.

A - Gimmicks

Wer unter der Adresse www.webandacht.de die Andacht "Webkapelle" (sic!) aufruft, landet scheinbar unversehens mitten im Gerippe eines Wals, das sich dann auf den zweiten Blick als virtueller Andachtsraum mit einer nicht ganz einsichtigen Raumstruktur erweist.

Ein hereinfliegender Textrahmen tut kund: Willkommen im virtuellen Andachtsraum von Kerygma! Schön dass du dich auf unser Experiment einlassen möchtest ... weiter

Nun möchte ich ja eigentlich nur an einer Webandacht teilnehmen, aber wenn sie denn anders als im Rahmen eines Experiments nicht zu haben ist, dann eben so. Zum anderen lerne ich, dass "Kerygma" offenbar nicht nur die Predigt Jesu und die nachösterliche Predigt über Jesu bezeichnen kann, sondern auch etwas anderes, das hier offensichtlich einen Andachtsraum anbietet - in diesem Falle eine Webdesign-Agentur mit offensichtlich schwerpunktmäßig religiöser Klientel. Ich klicke also wie gewünscht auf weiter.

Auf dem Bildschirm erscheint folgender Text: Unser virtueller Andachtsraum lädt dich ein, deinen Gedanken nachzugehen und nach Gott zu suchen. Vielleicht fragst du dich, ob es dazu überhaupt Räume braucht? Über Gott nachdenken kann ich doch auch im Wald, in der S-Bahn oder zuhause. Aber vielleicht kann auch ein künstlicher Raum helfen, deine Gedanken auf die Reise zu schicken. ... weiter

Der Sinn dieser Sätze wird mir auch nach mehrmaligem Lesen nicht einsichtig, der Zusammenhang von Raum, S-Bahn, künstlich und Reise scheint mir mehr oder weniger willkürlich hergestellt. Schließlich hat der Internetnutzer doch auf www.webandacht.de geklickt, wollte also gar nicht in den Wald, befindet sich vermutlich auch nicht in der S-Bahn, sondern vor dem Bildschirm auf der Suche nach Andacht in virtuellen Welten. Ich klicke also kopfschüttelnd auf weiter und werde von folgender hereinfliegender Mitteilung überrascht: Dieses Menu wird dich durch die Andacht begleiten. Du kannst es im oberen Bereich mit der Maus per Drag und Drop verschieben! ... weiter

Es ist natürlich schön und beruhigend, wenn man vor dem Bildschirm und in einem sterilen künstlichen Raum nicht ganz alleine ist, sondern von einem Menu begleitet wird. Ich klicke schnell auf weiter und werde von meinem mich begleitenden Menu folgendermaßen in Anspruch genommen Wähle nun bitte als erstes: Boden - Wände - Säulen ... weiter

Irgendwie hatte ich mir bis dahin Andachten immer etwas anders vorgestellt, aber die Inanspruchnahme als Laien-Innenarchitekt hat vermutlich einen Sinn. Und da heute ein Adventssonntag ist, klicke ich jedes Mal auf Gelb und dann auf weiter. Aber nichts da mit Andacht, nun soll ich - da schon einmal als Architekt tätig - die Löcher im Gebäude bestimmen. O sancta simplicitas! Der Text, der mich dazu auffordert, lautet: Als nächstes kannst du dir überlegen, ob der Raum Fenster haben soll. Manchmal ist es schön, sich nur auf den Raum selber zu konzentrieren. Andererseits verbinden uns Fenster mit der Außenwelt und weiten unseren Blick. Du kannst nun wählen, ob der Raum Fenster haben soll und wenn ja, welche Form du den Fenstern geben willst: runde Fenster - hohe Fenster - keine Fenster - Schlitz - offener Raum ... weiter

Variante A
Variante B
Ich entscheide mich für die Konzentration und wähle "keine Fenster", obwohl mir der Zusammenhang mit der Andacht immer noch nicht einleuchtet. Ich entscheide mich für ein offenes Modell, um die Kirche mit der Außenwelt zu verbinden und bei langweiliger Andacht, wenigstens etwas anderes vor Augen zu haben.
Wohin lassen Dich die Fenster blicken? Du kannst nun auswählen, wohin du schauen möchtest. Mit unseren Vorschlägen bieten wir dir auch an, zwischen verschiedenen Tageszeiten auszuwählen ... Welches Motiv versetzt dich in eine meditative Stimmung? Himmel - Sterne - Berge - Meer - Wald - Sonnenuntergang? ... weiter
Das verstehe ich nun gar nicht. Ich habe doch gar keine Fenster! Und gleich wohin ich auch klicke, es passiert nichts! Also weiter. Was für eine Auswahl! Irgendwie hat es den Programmierern die Natur als Ort der Andacht offenkundig angetan. Willkürlich tippe ich auf Sterne und klicke auf weiter.

Ein spiritueller Raum braucht ein sichtbares Zentrum. Dies kann ein Altar sein oder eine individuell gestaltete Mitte. Bitte wähle aus, worauf der Raum ausgerichtet sein soll. Altar - individuell - nichts ... weiter.

Schon wieder habe ich etwas nicht verstanden. Wenn die conditio sine qua non eines spirituellen Raumes der Altar oder die gestaltete Mitte sind, warum gibt es dann die Option "nichts", wenn es mit "nichts" doch nicht geht? Und was ist mit denen, die "nichts" wählen? Nehmen sie an der Andacht in einem nicht-spirituellen Raum teil? Und ändert sich die Andacht dadurch? Die Antwort weiß ich jetzt schon - es ist sch...egal, was ich anklicke, es kommt jedes Mal der gleiche Sermon. Und so ist es. Ich klicke auf "nichts" und dann auf weiter. Es folgt die Anfrage: Welche Gegenstände sollen in die Mitte? Du kannst mit der Maus auf die Symbole klicken und sie in den Raum verschieben. Überlege, was dir besonders wichtig ist und mit welchen Gegenständen du etwas verbindest. Ziehe die Gegenstände, die du nicht verwenden möchtest auf die dunkle Fläche unten im Menü - dann verschwinden sie! ... weiter.

Das ist entweder ein religiös-moralischer Hammer oder eine Herausforderung für Blasphemiker. Wer möchte schon - nachdem er sich einmal als religiös interessiert offenbart hat - im nächsten Schritt das Kreuz verschwinden lassen? Und wer möchte zugeben, dass er mit Brot und Wein nichts verbindet? Ich klicke dennoch unverdrossen auf weiter.

Und habe endlich nach all der vielen Design- und Innenarchitekten-Hilfsarbeit Glück: Nun kann die Andacht beginnen ... weiter.

Bevor ich erleichtert zum neunten(!) Mal auf weiter klicke, frage ich mich, was ich eigentlich im Rahmen meiner bisherigen Aktivitäten unter der Adresse www.webandacht.de getan habe?

Die Andacht beginnt, wie die hereinfliegenden Buchstaben versichern, im Namen Gottes - Quelle des Lebens, im Namen Jesu - Grund unserer Hoffnung, im Namen des heiligen Geistes - Kraft, die uns stärkt und bewegt. Was dann aber folgt, hatte ich wirklich nicht erwartet:

172 Zeichen kann ich eingeben. 172 Zeichen hat Gott also Zeit für mich! Einen Gedanken darf ich äußern. Wie sagt Gott: Bitte fassen Sie sich kurz! Und es wird sorgfältig notiert, wie viele Sorgen ich noch haben darf. Ich tippe also drauflos: Ärger über dumme Andachten, schlecht gestaltete Andachtsräume, Zumutungen an Pseudoreligiosität und die vergeudete Zeit, die ich bis jetzt für diese Webseite geopfert habe. 0 Zeichen kannst Du noch eingeben, belehrt mich daraufhin mein Menu. Frustriert klicke ich auf weiter.

Ein Buchstabensalat der eingegebenen Gedanken wabert über den Bildschirm und mein Menu versichert mir: Deine Traurigkeit oder Freude, deine Lebenslust und dein Zweifel, dein forsches Wesen und deine Zurückhaltung, deine Ängste und deine Zuversicht: Gott kennt sie. ... weiter

Das wusste ich schon vorher. Klar ist nun, warum ich nicht mehr Ängste oder Lebenslust haben durfte, als in 172 Buchstaben zu fassen war: es hätte die Gestaltung gestört und die Buchstaben hätten nicht so nett über den Bildschirm wabern können. Meine Gedanken waren nur Vorwand für einen Bildschirmeffekt, einen Gimmick, und das verärgert mich nun wirklich. Die unbedingte Zusage Gottes ist frei von allen Gimmicks und sie ist auch in der Verkündigung davon freizuhalten. Alles andere ist wirklich eine Zumutung.

B - Bibel light

Die Andacht fährt nun fort mit den Worten: Höre nun einen Psalm. Es sind Worte eines Menschen, der dazu aufruft, sein Schicksal in Gottes Hand zu legen. Wenn du magst, kannst du ihn mitsprechen oder mitlesen. Den Text blenden wir ein. ... weiter

Ich stutze: "sein Schicksal in Gottes Hand legen"? Das Wort Schicksal hatte ich bisher anders konnotiert. Aber wofür hat man diverse Texte auf der Festplatte? Ich rufe parallel den Brockhaus auf und tippe "Schicksal" ein. "Das Schicksal des Menschen ist der Mensch" sagt Brecht; "Das Schicksal setzt den Hobel an" sagt Ferdinand Raimund; "Dein Schicksal ruht in deiner eignen Brust" sagt Schiller, aber auch: "Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme"; "Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen" sagt Beethoven; "Schicksal des Menschen, wie gleichst du dem Wind!" sagt Goethe; "Sein Schicksal schafft sich selbst der Mann" sagt Gottfried Kinkel; "Willst du mit den Kinderhänden in des Schicksals Speichen greifen?" sagt Franz Grillparzer. Irgendwie kommt in all dem die Bibel nicht vor. Aber der Text versichert doch, es sei ein Psalm? Ich rufe also die digitale Bibelausgabe auf und tippe wieder "Schicksal" ein. Drei Funde zeigt mir das Programm an, aber keine einzige Bibelstelle, sondern nur später eingefügte Zwischenüberschriften. Das Wort "Schicksal" kommt zumindest in der Lutherübersetzung in der Bibel nicht vor. Es ist tatsächlich eher anderen religiösen und kulturellen Kontexten zuzuordnen.

Ich klicke wieder einmal auf weiter und mit Text, Ton und Musik wird mir der Psalm vorgetragen: Leg dein Schicksal in Gottes Hand! Verlass Dich auf ihn! Er macht es richtig! Deine Treue zu ihm macht er sichtbar wie ein Licht und sein Recht lässt er strahlen wie die Mittagssonne. Werde ruhig vor dem Herrn, erwarte gelassen sein Tun. Wenn jemandem seine bösen Pläne stets gelingen, reg dich nicht auf! Lass dich von Wut und Zorn nicht überwinden. Ereifre dich nicht, wenn andere Böses tun, sonst tust du am Ende selber Unrecht. Leg dein Schicksal in Gottes Hand! Verlass Dich auf ihn! Er macht es richtig!

Der Leser ahnt es schon: was wir hier vor uns haben, ist die Anpassung der Lutherübersetzung an die Alltagssprache, die Bibel im heutigen Deutsch, die Gute Nachricht im Jargon der instrumentellen Zurichtung. Es ist kein Zufall, dass an dieser Stelle nicht Luthers Übersetzung des 37. Psalms - denn darum handelt es sich - zitiert wird: "Befiehl dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn, er wird's wohlmachen und wird deine Gerechtigkeit heraufführen wie das Licht und dein Recht wie den Mittag. Sei stille dem HERRN und warte auf ihn. Entrüste dich nicht über den, dem es gut geht, der seinen Mutwillen treibt. Steh ab vom Zorn und lass den Grimm, entrüste dich nicht, damit du nicht Unrecht tust." Das müsste man zweimal nachlesen und seiner Bedeutung nachdenken. Aber wir sind ja in einer Webandacht und hier ist leichte Kost gefragt. Und da bietet sich die Gute Nachricht natürlich an. Da ist nichts, woran der Gedanke noch hängen bleiben könnte.

Und daher ist es auch kein Zufall, dass das Zitat mit Vers 8 abbricht und dann Vers 5 wiederholt, statt Vers 9ff. zu zitieren: "Denn die Bösen werden ausgerottet; die aber des HERRN harren, werden das Land erben. Noch eine kleine Zeit, so ist der Gottlose nicht mehr da; und wenn du nach seiner Stätte siehst, ist er weg. Aber die Elenden werden das Land erben und ihre Freude haben an großem Frieden." Da könnte man ja glatt auf falsche Gedanken kommen.

Und es ist schließlich auch kein Zufall, dass die Übersetzung von Psalm 37 in der Fassung der Guten Nachricht im heutigen Deutsch vor allem in evangelikalen Kreisen zitiert wird. "Die neuen Übersetzungen möchten vor allem 'Außenstehende' erreichen. In Wirklichkeit sind es aber vor allem kleine Bibel-Lesegruppen und freie Gemeinden, die jetzt endlich eine Bibel zur Verfügung haben, die sie ohne weiteres verstehen. Frei vom Ballast einer mehrtausendjährigen Geschichte, ohne die vielschichtige Verflochtenheit in das jüdische Erbe können sie die Bibel lesen, als ob in ihr ein Mensch aus unserer Zeit seinen Mitmenschen bestimmte Informationen weitergeben würde. Bei alldem geschieht das, was der Apostel Paulus als die größte Gefahr einer christlichen Überheblichkeit gesehen hat: Die Gläubigen schneiden sich ab von der Wurzel, die sie trägt, von der besonderen Geschichte, die das Volk Israel erlitten hat." Das schrieb jüngst Bernhard Rothen in der Neuen Zürcher Zeitung über die kaum beachtete Kulturrevolution der neuen Bibelübersetzungen.[2] Und er fährt fort: "Die modernen Bibelübersetzungen sind zu tiefgreifenden, nachhaltig wirksamen Trägern einer funktionalen Frömmigkeit geworden ... Sie haben keine Theologen nötig, die Hebräisch und Griechisch können und sich komplizierte Gedanken über die säkulare Gesellschaft machen. Sie beschweren sich weder mit den 1000 Jahren der alttestamentlichen Geschichte noch mit den 2000 Jahren, in denen die Kirchen Grosses geleistet und schwere Schuld auf sich geladen haben. Diese jungen Gemeinden kennen die 'message' und konzentrieren sich ganz auf die Frage, wie sie ihr Anliegen treffsicher 'hinüberbringen'." Und Rothen schließt seine Betrachtung mit den Worten: "Vielleicht regt sich aber vorher noch hier oder dort eine Leidenschaft, die alten Kirchen und ihre Rückbindung an die heiligen Texte der Bibel wieder zu beleben und zu stärken - weil Glaube doch etwas mit Wahrheit und Wahrheit etwas mit Vorgaben zu tun hat."

Deutlich wird aber aus den Ausführungen von Rothen, warum die Verwendung der Bibel in heutigem Deutsch so kongenial zur Webandacht von Kerygma passt: es geht um die funktionale Zurichtung, das Evangelium im Softstil, dem jede Widerständigkeit genommen ist. In seinem Protest gegen die Gute Nachricht im heutigen Deutsch schrieb schon vor beinahe 20 Jahren der Literaturwissenschaftler Johannes Anderegg: "Wo die Alltagssprache herrscht, wo wir mit der Alltagssprache herrschen, da ist alles in Ordnung. Von einer Sprache des Glaubens aber reden wir im Hinblick darauf, dass Außerordentliches in unsere gewohnten Ordnungen einbricht und sich ihnen widersetzt".[3]

Kehren wir zurück zur Webandacht von Kerygma. Nach der Verlesung des Psalm folgt der Zuspruch: Geh in das, was du heute noch zu bewältigen hast, in den Tag oder die Nacht, mit Gottes Segen. ... weiter

Es folgt - wie sollte es anders sein - ein irischer Reisesegen: Deine Wege mögen dich aufwärts führen, freundliches Wetter begleite dir deinen Schritt, Wind stärke dir deinen Rücken, Sonnenschein gebe deinen Gesicht viel Glanz und Wärme. Und bis wir uns beide, du und ich, uns wiedersehen, halte Gott dich schützend in seiner hohlen Hand. ... weiter

Irische Reisesegen begegnen einem inzwischen ebenso inflationär wie postmoderne Architekturen und sie sind nur allzu oft von gleicher Qualität. Kerygma jedenfalls schließt seine Zumutung ab mit den Worten: Danke, dass du uns besucht hast und dich auf das Experiment 'virtueller Andachtsraum' eingelassen hast. Wenn du magst, kannst du den Andachtsraum weiterempfehlen oder uns ein Feedback schreiben. ... weiter. Es folgt ein Formular, das man offensichtlich gleich mehrfach an Freunde zur Verbreitung dieser frohen Botschaft versenden soll.

Und wie wir es in einer nahezu vollständig verdinglichten Welt nicht anders kennen, schließt die Andacht mit einer Werbeeinblendung der die Andacht tragenden Firma. Irgendwie müssen sie sich wohl dabei verschrieben haben, denn korrekterweise sollte es doch heißen: Ein Produkt von Kerygma.

"Religion ist Privatsache und entzieht sich allen formalen Ansprüchen: Beten darf jeder, wie er will, und nur schlechter Stil fordert Wahrheit, wo es um den Glauben des Herzens geht." Mit diesen ironischen Worten eröffnete Bernhard Rothen in der NZZ seine Kritik von Bibeln in heutiger Sprache. Und er mag Recht haben. Dennoch protestiere ich an dieser Stelle gegen die Zumutung, die uns von den Betreibern der Seite webandacht.de geboten wird. Und ich protestiere nicht nur aus religiösen und theologischen, sondern auch aus ästhetischen Gründen. Es geht darum, Sprache, Gestalt und Raum ernst zu nehmen und sie nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Es geht darum, die schon weitgehend vorherrschende Anästhetik des Protestantismus nicht zur protestantischen Leitkultur werden zu lassen. Es geht darum, etwas von der kulturellen Bedeutung des Protestantismus zu erhalten. Lightkultur haben wir schon genug.

Anmerkungen
  1. Sabine Bobert, "The medium is the message"? Zum medialen Wandel der Predigt im Internet, www.theomag.de/7/sbs1.htm
  2. Bernhard Rothen, Die Bibel in Leichtversion. Über eine wenig beachtete Kulturrevolution, Neue Zürcher Zeitung 20. Dezember 2003
  3. Johannes Anderegg: Sprache und Verwandlung. Zur literarischen Ästhetik. 1985, S. 84.

© Andreas Mertin 2004
Magazin für Theologie und Ästhetik 27/2004
https://www.theomag.de/27/am105.htm