Religiöse und biblische Motive in säkularer PopmusikEine Herausforderung und Chance christlicher VerkündigungGerd Buschmann |
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"This is my church. This is where I heal my hurts." So heißt es in "God is a D(isc-) J(ockey)" (1998) der Gruppe "Faithless" im Hinblick auf Techno-Diskotheken: (Hier ist meine Kirche/mein Gottesdienst, hier heile ich meine Schmerzen). "Joan Osborne" fragt 1995 "What if God was one of us?" und lässt Gott menschlich werden, die "Crash Test Dummies" erzählen von einem merkwürdig-fröhlichen Picnic mit Gott im Paradies ("God shuffled his feet", 1993), "E Nomine" beten das "Vater unser" (1999), Joachim Witt alias "Bayreuth I" inszeniert rechtzeitig zur Jahrtausendwende apokalyptisch "Die Flut" (1998), "Michael Jackson" als synthetischer Messias fragt "Will You be there?", fordert "Heal the world" (1991) und betet im Klagepsalm-"Earth Song" (1995) für die ganze Erde, sexy "Madonna" (!) (bürgerlich: Maria Louise Veronica Ciccone) inszeniert in ihrem Videoclip "Like a Prayer" (1989) ein Kapitel schwarze Befreiungstheologie, - das dürfte mehr noch als die ihr eigene Erotik im Kirchenschiff den anti-befreiungstheologischen Kardinal Ratzinger auf den Plan gerufen haben: die selbst ernannte Mutter Gottes des Pop kommt auf den Index ... Und die EKD unterstützt jüngst die wieder auf Suche nach Halt und Orientierung befindliche "Generation Golf" in Form der christlichen Popband "Normal Generation" ("Long for you") bis auf einen respektablen dritten Platz beim Vorentscheid zum "Grand Prix d´ Eurovision". Gott ist längst in den Charts, als die EKD ihn hineinbringen will: U2, Cliff Richard, Bruce Cockburn, die Neville Brothers, Xavier Naidoo, Van Morrison u.v.a. haben einen christlichen Hintergrund, andere thematisieren religiöse und christliche Themen: Bob Marley "Exodus", Bruce Springsteen "My Father´s House" (Lk 15: Verlorener Sohn), Marius Müller-Westernhagen "Jesus", Genesis "Tell me why", Die Toten Hosen "Opium fürs Volk", Arrested Development "Fishin´ 4 Religion", PUR "Nie genug", Sting "O my God", Peter Gabriel "Blood of Eden", Prince "The Cross", R.E.M "Losing my Religion" - um nur einige zu nennen (vgl. Uwe Böhm & Gerd Buschmann, Popmusik - Religion - Unterricht. Modelle und Materialien zur Didaktik von Popularkultur, 2. Aufl. Münster 2002). Noch vor der "christlichen" Popmusik ist Religion ein natürlicher und grundlegender Bestandteil aller (säkularer) Popmusik , - das gilt es zunächst einmal sensibel wahrnehmen zu lernen, bevor (aus christlicher Perspektive) geurteilt und verurteilt wird, konservativ-gutbürgerlich oder linksintellektuell-ideologiekritisch: Blasphemie! Kommerz! Aushöhlung christlicher Kultur und Werte! Oberflächliche Show mit christlichen Kitschelementen! Funktionalisierung des christlichen Erbes zur Profitmaximierung! Seicht-religiöse Massenkultur! So oder ähnlich klingt es in der merkwürdigen Koalition der "clerical correctness" höchstunterschiedlicher Couleur.- Popmusik hat religiöse Wurzeln in der afroamerikanischen Musikkultur, im rhythmischen Zugang zum religiösen Erleben in Work Songs und Spirituals, in der christlich-ekstatischen Musikreligion von Gospel, Rhythm & Blues und Rock ´n´ Roll, dessen Protagonisten oft aus pfingstlerischen Kirchen stammen (vgl. Gotthard Fermor in seiner Dissertation "Ekstasis", Stuttgart 1999). So bildet das religiöse Erbe der Popmusik durchaus eine Herausforderung an die Kirchen; denn das ekstatische Erleben ist das Scharnier zwischen Popmusik und Religiosität, viele Songs greifen biblische Themen auf oder thematisieren christliche Tradition, die popmusikalische (Jugend)Kultur verwendet (und entfremdet) gern christliche Symbole (Kruzifix, Marienbilder, Engel, Licht-Dunkel-Metaphorik usw.), die Popstars stilisieren sich als Madonna oder Messias und die Live-Konzerte haben nicht nur wegen ihres "Call & Response" liturgisch-rituellen Charakter. Michael Jackson inszeniert seine Konzerte als kultisches Drama, mit einem brillianten Advent, Elementen von Passion und Auferstehung, Verhüllung und Offenbarung, mit der Predigt der Liebe und der Botschaft zur Rettung der Welt, mit dem tröstenden Zuspruch "Ich liebe Euch" und der abschließenden Himmelfahrt des Pseudo-Messias. Religiosität allüberall! Nicht wenige Songs der Popmusik versuchen ernsthaft, christlichen Glauben in die Gegenwart zu übersetzen: Nächstenliebe ("Brothers Keeper", Neville Brothers), Frieden ("Give Peace a Chance"), Bewahrung der Schöpfung ("Earth Song"). Auch die Person Jesu ist in der Popmusik der 90er Jahre, die ohne die Bildwelten der Musik-Videoclips nicht mehr vorstellbar ist, ein beliebtes Thema: R.E.M. - Losing my religion, Frankie goes to Hollywood - The Power of Love, Depeche Mode - Personal Jesus und Try walking in my shoes, Nirvana - Heart Shaped Box. Madonna trägt seine Wundmale, Michael Jackson stilisiert sich selbst als Messias. Marius Müller Westernhagen inszeniert in seinem Musik-Video zum Song "Jesus" (1998) verschiedene Szenen aus dem Leben Jesu unter deutlichem Rückgriff auf christliche Bildkonvention und Ikonographie. Trotz ironisierender Elemente wird die Jesus-Thematik in modernen Bildern substantiell vermittelt: Pietà und Leonardos Abendmahl in einem Videoclip! Bei der Liedzeile "Jesus, spende mir Blut" sieht man einen Verkehrsunfall. Die Hand des verletzten Motorradfahrers sinkt in den Rinnstein, eine Frau beugt sich darüber. So entsteht eine eindeutig ikonographisch geprägte Pietà (Schmerzensmuter) und ein Verkehrsunfallopfer wird mit Christus gleichgesetzt: Ist Gott heute ein DJ und wird Christus im Straßenverkehr getötet? Maria mit dem Leichnam Jesu Christi auf dem Schoß - das ist das klassische mittelalterliche Andachtsbild zur Versenkung in die Wunden Christi. Müller-Westernhagens Jesus-Videoclip als modernes Andachtsbild mittelalterlicher Passionsfrömmigkeit?! Weitere Szenen fragen: Hängt Jesus heute in Kreuzeshaltung als Stadtstreicher in den Halteschlaufen einer U-Bahn? Jesus im Untergrund der Gesellschaft? Und wird er heute beim "Abendmahl" in schicken Szenekneipen verraten? Interessant auch die Umkehrung der Fußwaschungsszene in einem Bordell: hier werden der Prostituierten die Füße gewaschen. Blasphemie?! Oder doch kunstvoll angemessenes Weiterdenken der Jesus-Tradition?! Es lohnt, den Clip anzuschauen ... - In Madonnas "Like a Prayer" (1989) wird fälschlicherweise ein Schwarzer im Südstaaten- und Ku-Klux-Klan-Ambiente für einen Mord verantwortlich gemacht, den ein Weißer begangen hat. Ein befreiter schwarzer Heiliger erst führt in Verbindung mit der stigmatisierten Madonna zur Befreiung des Inhaftierten: wortwörtliche Befreiungstheologie! Im "Earth Song" (1995) singt Michael Jackson nicht nur in Form eines alttestamentlichen Klagepsalms, er hängt auch am Holze und erreicht mit einer einzigen Ausstrahlung dieses (zugegeben kitschigen) Musikvideos in den europa- und weltweiten Musiksendern MTV und VIVA wohl mehr ökologisches Bewusstsein bei den "Teenies" als die evangelischen Kirchen mit einer ganzen Dekade "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung". Und ganz biblisch ist es der Wind, der Hauch, der Geist des alttestamentlichen Gottes, der zur Umkehr bläst. Ideologiekritisch (Was unterscheidet M. Jackson von Jesus Christus?) und kulturhermeneutisch (Warum kann ein Sturm Panzer zum Rückwärtsfahren zwingen?) aufbereitet erweist sich der Earth-Song-Clip als Muß für Konfirmandenunterricht und kirchliche Jugendarbeit! Dabei kann dann auch kritisch herausgestellt werden, wie sich diese Ikone der Popkultur religiös auflädt, sich messianisch selbststilisiert und zum Erlöser-Weltmythos avanciert, im Neverland lebt, die Luft dieses Planeten nur gefiltert atmen kann und sein Angesicht verhüllt: ein Wesen, nicht von dieser Welt, stilisiert als doketische Lichtgestalt, umgeben von unschuldiger Aura, einem Erlöser angemessen, Dualismus und ethischen Rigorismus predigend. Auch eine so spezifische Spielart der Popmusik wie der jamaikanische Reggae (u.a. Bob Marley) ist zutiefst von alttestamentlicher Theologie durchprägt und vermischt sich mit anderen Elementen wie der skurrilen Verehrung Kaiser Haile Selassies, Vegetarismus, Verbot des Bart- und Haarscherens (3. Mose 19,27 / Dreadlocks) und Black & Proud -Ideologie zu einer höchst merkwürdigen, synkretistisch-religiösen Vorstellungswelt. Das biblische Exodus-Motiv der Befreiung aus aller Unterdrückung und Rückführung ins gelobte Land findet sich, vermittelt über Spiritual ("Let my people go") und Gospel im Reggae und Rastafarismus in spezifischer Weise interpretiert und wird heute in nicht wenigen Ethno-Popmusiken zum Ausdruck der Sehnsucht unterdrückter Minderheiten und deren sozialen Protests schlechthin, - ganz im Gegensatz zu unserer Raiffeisen- und Volksbanken-Werbung ("Wir machen den Weg frei"), wo das Exodus-Motiv der kleinbürgerlichen Sparkassen-Ideologie dienstbar gemacht wird. Der narrative Rap und HipHop thematisiert immer wieder religiöse Themen, exemplarisch Arrested Development "Fishin´4 Religion" oder in Deutschland "Xavier (=Saviour / der Retter) Naidoo" und seine etwas wirre apokalyptisch-christliche Glaubensüberzeugung "Nicht von dieser Welt". Er spricht prophetisch: "Hier spricht Xavier Naidoo ... Seid ihr mit mir? Seid ihr mit mir? (vgl. Jes 43,1f) Seid ihr bereit für die Stimme Mannheim´s Sohns (vgl. Joh 5,25)? Eure Ohren und eure Herzen sind mein Thron." - Sogar die Punk-Musik setzt sich mit Religion auseinander: Tote Hosen Frontman Campino sammelte über Wochen Erfahrungen in einem Kloster, die CD heißt "Opium fürs Volk" (1996) und beginnt mit dem "Vater unser". Selbst die weitgehend wortlose Techno-Kultur, die auch den eigentlichen Pop-Musiker nicht mehr kennt, lässt sich als säkularisierte Religiosität in der Postmoderne interpretieren. Folgende Begriffe und Sätze im Kontext der Techno-Kultur mögen das zeigen: Ekstase, Trance, Schamanismus, Ritual, säkulare unio mystica, der DJ als Priester der Nacht, die Techno-Disco als Ort moderner Mysterienkulte, Techno als Wochenendreligion, "I am the creator, I am the M.C." = Master of Ceremony), "Peace, Love, Unity", der DJ als Schamane etc. Wenn man exemplarisch nur allein das Thema "Engel / Angel" in der Popmusik zu fassen bekommen will, so erscheint das als fast unmögliches Unterfangen und bietet entsprechend umfängliche religionspädagogische Anknüpfungsmöglichkeiten. Der/die geneigte Leser/in möge einmal sensibel diesem Thema nach-hören ... Die Pop-Musik bietet also mindestens drei Bezugspunkte zur Religion: 1) Ihre Wurzeln liegen in der religiösen Tradition von Spiritual und Gospel, 2) in den Song-Texten und Videoclips begegnen vielfältig (christlich-)religiöse Motive, (z.B. thematisieren Genesis in "Tell me why", Depeche Mode in "Blasphemous Rumors" und XTC in "Dear God" explizit die Theodizee-Frage) 3) die öffentliche Präsentation der Popmusik in Konzerten enthält kultisch-religiöse Züge. (Junge) Menschen kommen heute mehr durch Popmusik mit (christlicher) Religion in Berührung als durch kirchliche Arrangements. Popmusik ist heute die Weltsprache Nr. 1 (Peter Gabriel); in ihr spiegeln sich die wesentlichen Erfahrungen der Masse unserer Zeitgenossen. Popmusik ist für die Mehrheit Jugendlicher die bevorzugte Freizeitbeschäftigung; ihr identitätsstiftender Charakter kann kaum überschätzt werden. Die damit verbundenen religiösen Symbolwelten wollen auf ihrer subjektiven Bedeutungsebene ernst genommen sein, - und nicht durch das gängige bewahrpädagogische Besorgnis- und Verfallvokabular diffamiert werden. Popmusik und Popkultur befriedigen über eine Adaption mythologischer Inhalte Bedürfnisse, die früher durch Religion erfüllt wurden. So müssten die Kirchen eigentlich dankbar sein, dass die Popkultur religiöse und christliche Themen auf so massenwirksame Weise ins Spiel bringt, - wenn auch nicht immer dogmatisch korrekt. Aber lieber synkretistische, spielerische, postmoderne Lebendigkeit als tote dogmatische Richtigkeit! Mangelnde Wahrnehmungskompetenz, selbst-ghettoisierende kirchliche Subkultur, Solo-verbo-Protestantismus und, - ich möchte es nennen -, "clerical correctness" führen aber nicht selten zu einer ängstlichen Hüter- und Verurteilungsmentalität christlicher Kreise gegenüber der Popmusik. Diffamierende Abwertung von "Massengesellschaft" und "Massenkultur" als "Prostitution mit der Unkultur" (Ratzinger) hilft nicht weiter. Der Blasphemie-Vorwurf sagt dabei oft mehr über die Vortragenden als über die angeblichen Verursacher aus! Eine Schwäche kirchlicher und christlicher Kritik ist häufig, dass sie Phänomene verurteilt, ohne sie richtig wahrgenommen zu haben. Christliche und kirchliche Kreise sehen sich außerdem nicht selten als alleinige Hüter religiös-christlicher Tradition. Auch die christliche Symbolik aber unterliegt keinem Copyright der Kirchen. Eine mangelhafte Wahrnehmungskompetenz und Verweigerungshaltung gegenüber Jugend-, Pop- und Massenkulturen, in denen sich religiöse Inhalte und Sehnsüchte ausdrücken, wird zu einer weiteren Selbst-Ghettoisierung der Kirchen in eine christliche Subkultur führen. Der Dialog mit und das Sich-Einbringen in die Popkultur mit ihren (nicht selten fragwürdigen) Heilsangeboten ist aus christlicher Perspektive gefordert. Insofern sind "Normal Generation" und EKD auf dem richtigen Weg, die Grenzen zwischen "christlicher" und "säkularer" Popmusik auch in Deutschland aufzubrechen und den christlichen Glauben auch massenmedial zu inkulturieren, - nicht im Sinne von Funktionalisierung und Anbiederung, sondern weil (Pop)Musik und Religion seit jeher Geschwister sind (vgl. Manfred L. Pirner, Musik und Religion in der Schule, Göttingen 1999) und die inhaltliche Konkurrenz der Heilsangebote offensiv angegangen werden muß, um der lebendigen Inkulturation des christlichen Glaubens, um des spirituellen Defizits der Gesellschaft und um der ideologiekritischen Begleitung säkularer Heilsangebote willen, - etwa der Bewahrung vor Idolisierung. Es geht um die kulturelle Kommunikationskompetenz kirchlicher Praxis. Popkulturelle Medienerfahrungen prägen nicht nur entscheidend unsere Identitätsbildung, sondern auch unsere Wertorientierungen, Rollenbilder und auch religiösen Vorstellungswelten. Deshalb muß 1) Religion in ihren medialisierten Kultur-Formen stärker als bisher wahrgenommen werden, 2) christliche Religion sich stärker kulturell und (massen)medial vermitteln und sich 3) stärker an dynamisch-kommunikativen Kategorien orientieren als an statisch-identitätsstiftenden. Theologie und christlicher Glaube müssen sich dem Spiel, dem Schein, der Virtualität, der Form, der Ästhetik und der gesamten Gegenwartskultur stellen; denn Form ist nicht nur Äußeres, sondern "the medium is the message".
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