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Magazin für Theologie und Ästhetik


Trackback - Oder: Gegen das Rokoko

Notizen zu Form und Inhalt: datadám datadám datadám damdám

Andreas Mertin

Weblogs gehören zu den mehr als ambivalenten Erscheinungsformen des World Wide Web. Ambivalent deshalb, weil hier in der Regel die Meinung über das Argument triumphiert, niemand bezüglich seiner Ansichten begründungspflichtig ist und - vermutlich der gravierendste Vorteil - man sein eigener Diktator der Meinungsbildung ist. Ich weiß nicht, unter welchen kulturellen, soziologischen oder psychologischen Aspekten man Weblogs betrachten soll. Seitdem ich begonnen habe, Weblogs ein wenig zu beobachten, wird mir deutlich, was man unter Spiegel- oder Oberflächenphänomen zu verstehen hat. Lange nachdem die Postmoderne die Apologie der Oberfläche betrieben hat, wird nun deutlich, welche kulturellen Katastrophen das mit einschließt. Was man Face-to-Face niemals aussprechen würde und wo man in der intellektuellen Diskussion mit Widerspruch rechnen müsste, das kann im Weblog folgenlos annonciert werden.

Ab und an gerät auch das Magazin für Theologie und Ästhetik in das Blickfeld derartiger Weblogs. Das sind dann in der Regel Kommentierungen von einzelnen Artikeln, Polemiken oder auch nur einfache Hinweise zur Lektüre. Man kann und sollte das im Rahmen der Entwicklung des Internets zu einer sozialen Kommunikationsform durchaus begrüßen, wäre nicht eine Vielzahl dieser Äußerungen nichts als bloß das: eine einfache Meinungsäußerung.

In einem derartigen Weblog äußert sich nun jemand auch zum Verhältnis von Form und Inhalt im Magazin für Theologie und Ästhetik, genauer zur letzten Ausgabe, die Anfang Dezember 2005 erschien. Kein Artikel sei subjektiv von Interesse vermeldet das Weblog, um dann aber doch auszuholen zu einer grundsätzlichen Kritik des Magazins. Nur zur Erinnerung: die letzte Ausgabe beschäftigte sich mit dem Film Easy Rider, mit Auferstehungskonzepten im Film, mit Ausstellungen zur aktuellen Fotografie, mit Bücherneuerscheinungen und aktuellen Phänomenen im Internet. Nichts also, was jemand zwingend interessieren muss (diesen Anspruch erhebt das Magazin nun wahrlich nicht), aber in etwa die Mischung an hoch- und populärkulturellen Themen, die jede Ausgabe des Magazins seit 1998 prägen. Ein repräsentativer Querschnitt sozusagen.

Das Weblog ist damit aber nicht zufrieden. Form und Inhalt stimmten nicht überein. Das Lesen des Magazins sei anstrengend, die Erscheinungsform zu sehr am Buch und zu wenig an zeitgemäßer Online-Kommunikation orientiert. Wow, das hat getroffen! Ein Ästhetik-Magazin, das nicht ästhetisch ist. Gleichzeitig scheint es mir aber nicht ganz einleuchtend zu sein. Würden wir eine "zeitgemäße Online-Kommunikation" betreiben, hätten wir ein Problem mit dem Inhalt, denn dieser passt nicht zu zeitgemäßer Online-Kommunikation. Wir pflegen immer noch jene in der deutschen Aufklärung entwickelte Ästhetik, die es nicht erzwingt, seine Worte in "sinnenfreundliche Mediengestaltung" zu packen. "Sinnenfreundliche Mediengestaltung" verachten wir - das sollte jedem Leser inzwischen deutlich geworden sein. Natürlich hätte Picasso auch "Guernica" etwas sinnen- und medienfreundlicher verpacken können, natürlich hätte man allen kulturellen Artefakten gleich eine Gebrauchsanleitung beilegen können, kurzum man hätte die Kultur sinnenfreundlicher ausstaffieren können, allein: es macht nicht so viel Spaß. Ob das, wie das Weblog es vermutet, etwas mit evangelisch oder katholisch zu tun hat, möchte ich doch stark bezweifeln. Träfe das zu, dann wäre der Suhrkamp-Verlag vermutlich das Pantheon des Protestantismus.

Es mag etwas mit dem universalen Verblendungszusammenhang zu tun haben, der Textlektüre nur noch dann gestattet, wenn sie illustriert nach dem Stil von "Denken für Dummys" daher kommt. Heinrich Böll war ein guter katholischer Autor, aber ich fürchte, eine heutige Generation würde eine "sinnenfreundliche Mediengestaltung" von seinen Schriften verlangen. Kein guter Autor, wer nicht von Hollywood verfilmt werden kann. Theodor W. Adornos "Ästhetische Theorie", Rüdiger Bubners Äußerungen zur "Ästhetischen Erfahrung" ... sie alle gehören in den Orkus der Geschichte, denn sie alle sind Bleiwüsten und entbehren der "sinnenfreundliche Mediengestaltung". Von Kants "Kritik der Urteilskraft" oder der Bibel ganz zu schweigen. Nicht umsonst wird die Bibel an Konfirmanden heute nur noch in illustrierten Ausgaben abgegeben, denn religiöse Bleiwüsten sind niemandem mehr zuzumuten. Nein, lieber Webloger, wir begreifen Ästhetik nicht als die "Theorie und Philosophie der sinnlichen Wahrnehmung in Kunst, Design, Philosophie und Wissenschaft"! Derartiges nennen wir "Aisthetik" - Theorie der sinnlichen Wahrnehmung und eben nicht Theorie der Verbindung von Sinnlichkeit und Reflexion, wie es im Anschluss an Kant in der philosophischen Tradition üblich wurde. Und, nein, wir werden auch in Zukunft derartiges Rokoko des Denkens und Schreibens nicht pflegen.

Aber wir würden natürlich gerne zurückfragen, warum die Kritik am Magazin selbst in Form einer puritanischen Bleiwüste daherkommt, mithin die Form der Kritik dem Inhalt der Kritik nicht entspricht. Aber vielleicht ist das auch zuviel erwartet.


© Mertin 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 39/2006
https://www.theomag.de/39/am176.htm