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Magazin für Theologie und Ästhetik


Paradigma „beleidigt“

Bruno Amatruda

Der Blasphemievorwurf wird heute zumindest in unserem Kulturkreis selten erhoben. Hingegen ist nicht erst seit dem Karikaturenstreit vermehrt von der Verletzung religiöser Gefühle die Rede. Den Stein des Anstosses bilden in beiden Fällen meist Medienerzeugnisse: Bilder, Plakate, Flugblätter, Werbematerial, Comics.

Beispiele aus der Praxis

Was auf der Weltbühne für Aufsehen sorgt, lässt sich auch im Kleinmassstab auf der Gemeindeebene beobachten. Drei Beispiele mögen reichen:

Im Jahre 2000 gastierte die schwedische Fotografin Elisabeth Ohlson mit ihrem Bildzyklus Ecce Homo in der Offenen Kirche St. Jakob in Zürich. Ein aufgebrachter Gläubiger aus der Ostschweiz zerstörte mit einem Hammer das „Abendmahl“, weil er das Bild für gotteslästerlich hielt.

Die ökumenische Kampagne „Brot für alle“ macht jedes Jahr mit pfiffigen Plakaten auf ihre Sammelaktionen aufmerksam. Das Aushängeschild, das vorletztes Jahr an unserer Kirchentüre angebracht war, trug den Spruch „2004 n.Chr. ist es an Ihnen, kleine Wunder zu vollbringen“. Dieser erregte die Gemüter einiger weniger Passanten, die darin eine Respektlosigkeit dem Heiland gegenüber erkannt haben wollten. Die anschliessende Diskussion im Pfarrkollegium war kurz und hatte keine Konsequenzen, zeigte aber, dass –ähnlich wie es Negativmeldungen eher in die Nachrichten schaffen- in Kirchenkreisen sehr schnell auf Reklamationen reagiert wird, was nicht selten zu einem „management by anger“ führt. Die Kantonalkirche Fribourg beispielsweise empfahl den Gemeinden, auf das Plakat zu verzichten.

Im Jahre 2005 schliesslich stand ich selbst ungewollt im Kreuzfeuer der Gemeindekritik. Unser Flyer für den alternativen Abendgottesdienst wurde von einem Teil der Gemeinde sehr positiv, von einem anderen Teil sehr negativ aufgenommen. Die Vorwürfe reichten von „geschmacklos“ bis zu „blasphemisch“, wobei jemand sogar ein Gerichtsverfahren androhte.

Zum einen wurde der Wandteppich, welcher der berühmten Abendmahlabbildung aus der Sixtinischen Kapelle nachempfunden ist, als Comiczeichnung und als Verballhornung missverstanden. Zum andern störten sich viele am Namen der Veranstaltung. Mit „pasta, vino & amore“ wurden „Italianità“ und Erotik assoziiert, was für einige definitiv nicht in die Kirche gehört. Zum experimentellen Charakter des Gottesdienstes gehörten auch Jazzmusik und die anschliessende Kirchenbar, was für manchen das Bild einer Kirchenschändung evozierte. Dementsprechend heftig fielen die Reaktionen aus. Erst die Einladung an einen solchen Abend, sowie einige Gespräche vermochten die Wogen etwas zu glätten.

Diese Beispiele sind eher von lokaler Bedeutung. Sie sind – sieht man von der Sachbeschädigung ab- nicht so spektakulär, dass darüber über den Kreis der direkt Betroffenen hinaus berichtet würde. Sie sind aber bewusst so gewählt, weil sie die kirchliche Alltagspraxis widerspiegeln. Manch ein Berufskollege, eine Pfarrkollegin hierzulande oder anderswo wüsste bestimmt ähnliches zu berichten.

Die angeführten Beispiele scheinen symptomatisch: Der Blasphemievorwurf wird nicht von der Kirchenleitung erhoben. Zumal in den reformierten Kirchen der Schweiz, die dank demokratisierter Strukturen sehr flache Hierarchien kennen, ist man mit der Blasphemiekeule selten bei der Hand. Der Blasphemievorwurf erschallt - oft sogar laut und aggressiv- aus dem Kreis der Gemeindeglieder, meist gepaart mit Austrittsdrohungen, verbalen und, dies zum Glück sehr selten, physischen Attacken. Da derlei Störungen des Kirchenbetriebs nicht sehr häufig vorkommen, werden sie als Ausnahmefälle und als Taten Einzelner betrachtet und wie Kundenreklamationen im Warenhaus behandelt. Man bemüht sich um verärgerte Mitglieder, Kirchenleitung und Pfarramt versuchen zu schlichten, aber die sachliche Auseinandersetzung, wenn sie denn stattfindet, ist sekundär. Das Bestreben gilt der Beruhigung der Gemüter, die Streitfrage „Blasphemie oder nicht“ wird diesem Aspekt untergeordnet. Für die schweizerische Mentalität mögen Harmoniebestreben und Kompromisse –auch faule- typisch sein. Für die Sache erweisen sie sich selten als dienlich. Sie haben nämlich u.a. zur Folge, dass Situationen möglichst vermieden werden, welche Gläubige in ihren „religiösen Gefühlen“ provozieren könnten. Das nährt den Verdacht, dass nur deshalb diese Störungen Seltenheitswert haben, weil der Kirchenbetrieb so angelegt ist, dass die Gemüter auch möglichst nicht erhitzt werden.

Paradigmenwechsel?

Man müsste meinen, hierarchisch strafferen Organisationen gehe der Blasphemievorwurf lockerer über die Lippen und das mag im Einzelnen der Fall sein, zumal in fundamentalistischen Kreisen. Doch auch im neuesten Medienskandal, dem immerhin die Empörung der katholischen Kirche zugrunde liegt, wird der Musiksender MTV nicht der Blasphemie bezichtigt, sondern der Verletzung der religiösen Empfindung. Den heiligen Zorn der Sittenwächter haben sich die Macher der Trickfilmserie „Popetown“ nicht nur aufgrund der Geschichte um einen psychotischen Papst zugezogen, der von kriminellen Kardinälen umgeben ist, sondern auch mit den Werbeanzeigen, die Jesus vor dem Fernseher sitzend zeigen. Für die katholische Deutsche Bischofskonferenz stelle die Anzeige eine Provokation der Christen in Deutschland dar, erklärte die Bischofskonferenz in Bonn. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sprach von «Verhöhnung des christlichen Glaubens».

Man merke, dass –trotz der Verballhornung Christi, immerhin der zweiten Person der Trinität- hier nicht von Gottesbeleidigung, sondern von Verhöhnung des Glaubens und Provokation der Gläubigen die Rede ist. Es erscheint sogar für kirchliche Schwergewichte wie der Bischofskonferenz nicht opportun, im öffentlichen Raum von Gotteslästerung zu reden. Indessen führt man die Gläubigen, ihren Glauben und die religiösen Gefühle ins Feld.

Vollzieht sich hier etwa ein Paradigmenwechsel des Beleidigtseins? Ersetzt die Rede von den verletzten religiösen Gefühlen den alten Blasphemievorwurf? Was widerspiegelt dann aber der Wechsel von der Gottes- zur Menschenbeleidigung, die Ablösung der Gotteslästerung durch die Lästerung religiöser Empfindung ? Die Individualisierung, die Privatisierung, die Demokratisierung, die auch die Religionen erfasst haben? Oder eher die Situation der Säkularisierung, d.h. den Diskurs, der noch gebilligt wird in einem Rechtsstaat, welcher den Blasphemieparagraphen nur mit Blick auf die öffentliche Ordnung handhabt, aber kein inhaltliches Interesse daran nährt?

Möglicherweise will man vor allem den Eindruck vermeiden, im Namen Gottes zu sprechen und als Gottessprachrohr sich gebend nur das eigene Beleidigtsein zu offenbaren. Immerhin kommt man mit den „religiösen Gefühlen“ der Sache insofern näher, als dass man sie in der bunten Palette menschlicher Befindlichkeiten lokalisiert und so den eigentlichen Sachverhalt eher trifft.

Doch die grosse anthropologische Wende bleibt aus. Es sind wohl rein strategische Gründe, die den Menschen –und nicht Gott- zum gekränkten Subjekt machen. Unsere Staatsordnung ist religiös neutral und die Situation weltanschaulich plural. Wenn es eine gemeinsame Basis gibt, auf der alle Bürger stehen, sind das die Grundrechte, deren Kern die Menschenwürde ausmacht. Diese bildet das per Verfassung verbriefte Fundament der Gesellschaft. Sich hier also auf Gott als Subjekt zu beziehen, erscheint weniger aussichtsreich als sich auf die Menschenwürde zu berufen. Wenn seit dem Karikaturenstreit die Meinung vorherrscht, es seien bei aller Wertschätzung der Presse- und Meinungsfreiheit die religiösen Gefühle der Glaubensgemeinschaften zu respektieren, entsteht der Eindruck, es verhalte sich mit religiösen Gefühlen ähnlich wie mit der Menschenwürde, die es unter allen Umständen zu wahren gilt. Die Rede von Verletzung religiöser Gefühle mahnt eine Grenzüberschreitung an, wobei nicht deutlich wird, worin die Übertretung genau besteht. Je diffuser der Begriff, umso mächtiger die erhoffte Wirkung.

In der Grundstruktur sind denn auch beide Redeweisen ähnlich. Der Blasphemievorwurf wie der Aufschrei aufgrund verletzter religiöser Gefühle beziehen sich auf ein Drittes, das von demjenigen vorgeschoben wird, der den Vorwurf erhebt. Anstatt zu sagen: „Ich fühle mich gekränkt“, verweist man auf Gott, die Religion, die Gefühle der Glaubensgemeinschaft. Anstatt in eigenem Namen zu sprechen, tut man dies im Namen des Glaubens, der Heiligen Schriften etc. Man bleibt als Subjekt gleichsam unantastbar, da man gewissermassen nur Sprachrohr einer höheren Instanz oder eines grösseren Ganzen ist.

Dadurch werden in beiden Redeweisen –„Blasphemie“ und „Verletzung religiöser Gefühle“- Legitimationsdikurse erschwert, wenn nicht sogar verunmöglicht. Umgekehrt proportional dazu steht die absolute Drohung, mit der Blasphemievorwürfe einhergehen. Wer möchte sich schon den Zorn Gottes zuziehen? Dass der Zorn aufgrund von „verletzten religiösen Gefühlen“ fanatisierter Gläubiger nicht minder zu fürchten ist, haben die Ausschreitungen im Karikaturenstreit mehr als deutlich gemacht.

Fazit

Die Rede von Verletzung religiöser Empfindungen ersetzt aus Gründen politischer Korrektheit den Gotteslästerungsvorwurf, kann sich aber wie dieser bald einmal als Moralhammer erweisen, mit dem eine kritische Debatte verhindert wird. Jede Religion kennt Tabus. Inwieweit müssen aber Nichtangehörige einer Religion sich an solche Tabus halten, um die religiösen Gefühle Andersgläubiger nicht zu verletzen? Verletzte etwa die Publikation der Mohammedkarikaturen ein Gefühl oder nicht doch vielmehr zunächst ein muslimisches Gebot? Und wieso sollten Nichtmuslime muslimische Gebote einhalten? Was genau wird durch das Anbringen oder Entfernen religiöser Symbole auf öffentlichem Raum verletzt oder respektiert? Liesse sich mit Rekurs auf religiöse Gefühle nicht allerlei rechtfertigen, verlangen und durchsetzen? In einer offenen Gesellschaft, deren Gestaltung auch von Debatten, Diskussionen und Argumenten abhängt, ist es vonnöten, genau hinzuschauen, wie die Begriffe gebraucht werden und wie damit argumentiert wird.

So mag es der säkularen Kultur adäquater sein und auf den ersten Blick einsichtiger, harmloser, ja, humaner scheinen, von verletzen Empfindungen zu sprechen statt von Blasphemie. Doch auch die Rede von der Verletzung religiöser Gefühle kann zu Machtzwecken missbraucht und als Druckmittel verwendet werden. Auch sie birgt ein nicht zu unterschätzendes Aggressionspotenzial.


© Bruno Amatruda 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 41/2006
https://www.theomag.de/41/ba1.htm