Die Einladung zur Tagung mit dem Untertitel "Zum Umgang mit Kirchen der Nachkriegszeit" zeigt auf dem Titel ein kleines Foto eines Architekturmodells. Der Grundriss der den Raum umschließenden Hülle erinnert an eine Parabel. Erkennbar sind in den Raum hinein gestellte Architekturelemente: Die Kirche St. Bonifatius in Münster seit Januar 2006 kirchliches Pressehaus und neue Anschrift des Dialog-Verlags und ein Ziel der Exkursion im Rahmen der Tagung. Doch vor das Konkrete hatte die Tagungsregie das Grundsätzliche gestellt. Architekten, Theologen, Kunsthistoriker und Denkmalschützer waren Anfang Mai 2006 auf Einladung der Akademie des Bistums Münster zusammengekommen, um sich zu informieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die Tagung wurde vorbereitet und durchgeführt in gemeinsamer Leitung des Akademiedirektors, Prof. DDr. Thomas Sternberg, und des Assistenten des Marburger Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart, Matthias Ludwig.
Die Kassen sind leer. In katholischen Diözesen wie evangelischen Landeskirchen stehen Kirchengebäude zur Disposition. Werden sie für den Gottesdienst der Gemeinde nicht mehr benötigt, so muss über eine Nutzungserweiterung, -änderung oder Umnutzung nachgedacht werden. Manchen Kirchen drohen Verkauf oder Abriss.
Die Debatte in der katholischen Kirche
Nach welchen Kriterien soll entschieden werden? Welche Rolle spielen Theologie, Pastoral, Geschichte, Ästhetik oder Kunst in der Buchhaltung der Kirchen? Dr. Herbert Fendrich, bischöflicher Beauftragter des Bistums Essen für Kunst und Kirche und dort inzwischen auch eigens mit der Wahrnehmung der Umnutzungsthematik betraut, stellte in einem Grundsatzbeitrag die Nutzungs- und Erhaltungsdebatte in der katholischen Kirche vor.
Die Ursachen dafür, dass manches mit viel Engagement errichtete Kirchengebäude heute nur noch als Altlast empfunden wird, sind vielfältig und die Entwicklung in den einzelnen Regionen ist sehr unterschiedlich. Verwiesen wurde auf die demographischen Veränderungen, die Abwanderung vieler Menschen aus früheren Wohngebieten und den Mitgliederschwund der Kirchen. Die Teilnahme am Gottesdienst geht zurück. Es gibt zu wenige Priester. Dies führt zur Fusion von Kirchengemeinden und zur Erarbeitung neuer Seelsorgekonzepte mit der Bildung von sogenannten Seelsorgeeinheiten. Und nicht zuletzt sind es die enormen finanziellen Lasten, die mit einer den gegenwärtigen Vorstellungen entsprechenden angemessenen Erhaltung von Kirchengebäuden verbunden sind. Überproportional deutlich ist die Entwicklung in Regionen, die durch besonders starke wirtschaftliche Umbrüche geprägt sind. Dies gilt insbesondere für das Bistum Essen, wo in absehbarer Zeit etwa ein Drittel der Kirchengebäude nicht mehr für den Gemeindegottesdienst benötigt wird und für weitere Nutzungskonzepte vorgesehen ist. ( Zukünftige Struktur der Pfarreien im Bistum Essen, Liste der „weiteren Kirchen“)
Kirchen des 20. Jahrhunderts sind von Umnutzungsplänen besonders betroffen.
Bei der Auswahl der Kirchen, die nun als "weitere Kirchen" bezeichnet werden, waren nicht in erster Linie wirtschaftliche Faktoren ausschlaggebend, sondern pastorale Konzepte. Fendrich verwies darauf: "Die ökonomisch größte Last sind die historischen Kirchen". Dennoch sind diese nicht entsprechend von der Umnutzungsdebatte betroffen. Zu den über 90 "weiteren Kirchen" im Bistum Essen, für die künftig keine Steuergelder mehr ausgegeben werden, zählen sieben aus den Jahren zwischen 1898 und 1918, zwölf aus der Zwischenkriegszeit. 18 "weitere Kirchen" wurden zwischen 1945 und 1958, dem Jahr der Errichtung des Bistums, gebaut. Allein 56 "weitere Kirchen" stammen aus der Zeit zwischen 1958 und 1988. Hier sieht Fendrich eine besondere Problematik. Denn gerade die jüngeren Kirchen wie St. Albertus Magnus von G. Hülsmann in Essen-Katernberg seien für die gegenwärtigen Feierformen der Liturgie besser geeignet. Solche Kirchen werden aber aufgegeben, weil sie ungünstig liegen oder weil man sich für den Erhalt der ursprünglichen historischen Mutterkirche entschließt und die in den 70er und 80er Jahren entstandenen Filialkirchen eher aufzugeben bereit ist.
Die Überlegungen und Erfahrungen des Bistums Essen gingen weitgehend ein in die Orientierungshilfe der deutschen Bischöfe "Umnutzung von Kirchen. Beurteilungskriterien und Entscheidungshilfen" vom 24.9.2003.
Festzustellen ist aber auch, dass die Wahrnehmung der Situation nicht überall so klar wie in Essen ist. Andernorts greifen noch immer Verdrängungsmechanismen.
Die Debatte in der evangelischen Kirche
Ähnliches konnte für die evangelische Kirche festgestellt werden. Zudem machte Matthias Ludwig vom Marburger Kirchbau-Institut Unterschiede zwischen West und Ost deutlich und innerhalb des Westens zudem ein Nord-Süd-Gefälle aus.
Nutzungsprobleme ergaben sich in den 80er Jahren zunächst bei großen Stadtkirchen, ausgehend von West-Berlin. Nach der Wiedervereinigung verschärfte sich die Situation. Seit der "Wende" wurde in den neuen Bundesländern sehr viel an den baulich lange vernachlässigten Kirchen getan. Doch noch immer sind etwa 350 Kirchen zwischen Ostsee und Erzgebirge vom völligen Verfall bedroht, viele weitere befinden sich in baulich schlechtem Zustand. Da es in der ehemaligen DDR deutlich weniger katholische Kirchen gab, ist diese Problematik in den östlichen Bistümern nicht so erheblich wie in den evangelischen Landeskirchen dieses Bereichs mit ihrem enormen Mitgliederschwund: So gab es in der Kirchenprovinz Sachsen (Magdeburg/Erfurt) 1953 ca. 3,9 Millionen evangelische Christen. Heute sind es unter 600.000 bei etwa gleichem Baubestand. Dabei stammen viele Kirchen aus dem Mittelalter, der Großteil von ihnen steht unter Denkmalschutz.
In den alten Bundesländern unterscheidet sich die Problematik in der evangelischen Kirche dagegen kaum von der in der katholischen. Insbesondere Nachkriegskirchen stehen z. B. in Hamburg, an Rhein und Ruhr oder in Frankfurt am Main zur Disposition. Betroffen sind vor allem Kirchen in größeren Städten, zunehmend aber auch in ländlichen Räumen. Matthias Ludwig verwies allerdings auf umfangreiche Erfahrungen mit alternativen Nutzungskonzepten:
- in (kirchen)eigener Nutzung: Einbau von Gemeinderäumen, Integration Umfeld-bezogener kultureller, sozialer und gesellschaftlicher Angebote, Wahrnehmung übergemeindlicher Funktionen bspw. als Citykirche u.a.,
- bei Mischträgerschaften und Nutzungspartnerschaften: Hier nehmen die neuen Länder eine Vorreiterrolle ein. Mittels kirchlich-kommunaler Kooperationen rückt Kirche als Ortsmitte (wieder) ins Bewusstsein und wird nun gemeinschaftlich genutzt, getragen und erhalten.
"Stilllegung" auf eine bessere Zukunft hin
Die mit der Situation oft überforderten Gemeinden seien im Westen jedoch zunehmend bereit, sich von der nicht (mehr) benötigten Kirche, die nur noch als Belastung empfunden würde, zu trennen. Dabei sei die Nachfrage auf dem Immobilienmarkt eher gering. Dringend sei daher der Einbezug der am Schicksal der Kirchengebäude sehr interessierten Öffentlichkeit in anstehende Prozesse und Entscheidungen, um auf breiter Basis nach zukunftsträchtigen Konzepten und Lösungen zu suchen.
Nach Ansicht Ludwigs gibt es keine Patentrezepte, notwendig sei aber bereits die Öffnung der Kirchen über den Sonntagsgottesdienst hinaus. Unbedingt zu vermeiden sei überstürztes Handeln: "Wir brauchen den Mut zu Zwischennutzungen, die langfristige Lösungen ergeben können." (Vgl. Maulbronner Mandat)
Kirchenbau und Theologie
"Zur Feier der Eucharistie versammelt sich das Volk Gottes in einem Kirchenraum; steht keiner zur Verfügung, kann ein anderer Raum gewählt werden, der eine würdige Feier gewährleistet. Auf jeden Fall müssen die Räume für den Vollzug der Liturgie geeignet sein und die tätige Teilnahme der Gläubigen gewährleisten. Die Gottesdiensträume und alles, was dazu gehört, sollen in jeder Hinsicht würdig sein, Zeichen und Symbol überirdischer Wirklichkeit." Das ist die grundsätzliche Aussage, die die Allgemeine Einführung in das Messbuch (AEM 253) über den Kirchenraum macht. Als Kirche also wird nicht in erster Linie der Raum verstanden. Kirche ist dort, wo Menschen im Namen Jesu Christi zusammenkommen und Gottesdienst feiern. Kirchenräume sind keine heiligen Orte, keine Tempel. Geheiligt wird der Kirchraum nach christlichem Verständnis durch die heilige Handlung, durch die Begegnung mit Jesus Christus. Im zentralen gottesdienstlichen Handeln der Kirche, in der Messfeier "ist Christus wirklich gegenwärtig in der Gemeinde, die sich in seinem Namen versammelt, in der Person des Amtsträgers, in seinem Wort sowie wesenhaft und fortdauernd unter den eucharistischen Gestalten." (AEM 7). Darüber hinaus ist eine Kirche Ort vielfältiger weiterer Gottesdienste, sie bietet Raum für die individuelle Frömmigkeit, für Gebet und Andacht, für die Verehrung der Heiligen und die Anbetung Gottes.
Sakralität wird oft mit Stimmungswerten verwechselt.
"Sakralität ist eine personale und handlungsbezogene Kategorie", so der Münsteraner Liturgiewissenschaftler Prof. Dr. Klemens Richter, der in seinem Beitrag auf den Zusammenhang von Gemeinde, Gottesdienst und Raumverständnis einging. Auch die im Deutschen gebräuchliche Bezeichnung "Kirchweihe" trage dazu bei, dass der Eindruck entstehe, der Kirchweihritus begründe die Sakralität des Raumes. Dabei aber unterscheiden die römischen liturgischen Bücher den im Deutschen mit "Weihe" wiedergegebenen Begriff sehr genau: Die consecratio ist nur auf Personen bezogen. Bei der Kirchweihe spricht die römische Liturgie von dedicatio (feierliche Besitznahme). Damit ist klar: "Sakralität ist keine Kategorie der Raumatmosphäre", wie sie besonders in Deutschland verstanden werde, wo der Begriff "sakral" im 19. Jahrhundert aufgekommen sei. Durch die Übernahme antiker Stilelemente auch im profanen Bereich sei das Sakrale mit Stimmungswerten in Verbindung gebracht worden. Dies sei aber nicht die Aufgabe eines Kirchenbaus.
Kirchen haben nicht nur eine liturgische, sondern auch eine diakonische Funktion.
Kirchen sollen für die Feier der Liturgie geeignet sein: "Die Liturgie als Bauherrin’ der Kirche". Aber Richter fügt ausdrücklich hinzu: " nicht nur die Liturgie". Denn Kirchenräume hätten und dies würde immer mehr gesehen auch eine diakonische Funktion: Architektur, Kunst, Kirchenmusik, Orte der Stille, Totengedenken ... Mit Hinweis auf Orte wie die Kapelle auf Schalke oder den "Raum der Stille" im Kölner Polizeipräsidium sieht Richter die Notwendigkeit, dass Kirchen auch ein Angebot geistig-geistlicher Erholung sein sollten: "Kirchenräume müssen Zeichen der diakonischen Präsenz der Kirche in der Welt sein."
Anmerkungen aus Kunstgeschichte und Denkmalpflege
"Europäische Vorstellung von dem, was Menschen überhaupt können" sei die von Rudolf Schwarz gebaute Fronleichnamskirche in Aachen. So öffnete der Kunsthistoriker Dr. Ulrich Reinke (Westfälisches Amt für Denkmalpflege Münster) einen neuen Horizont. Nachkriegskirchen sind nicht nur eine Last, sondern auch ein unglaublicher Schatz.
Damit deutete sich schon die Frage nach der Qualität von Kirchenräumen an. Während zwischen Düsseldorf und Köln nahezu alles, was im Kirchenbau der Nachkriegszeit an Innovation möglich war, vorhanden ist, sei man in Münster bis an die 60er Jahre vorsichtiger an das 20. Jahrhundert herangegangen.
Architektonische Highlights und freundliche Landkirchen
Um über Nutzungskonzepte entscheiden zu können, müsse man aber mehr über die Kirchen wissen selbst wenn es wie im Münsterland nach 1945 viele "Normbauten" gab, die aufgrund der zahlreichen Umsiedler gebaut wurden. Sie orientierten sich weitgehend an der Münsteraner Pfarrkirche Hl. Dreifaltigkeit, gebaut von Heinrich Benteler und Albert Wörmann 1938/39. Diesem Typus folgten auch die Anfang der 50er Jahre gebauten Pfarrkirchen St. Mariä Himmelfahrt und St. Josef in Greven und eine Vielzahl weiterer Bauten: nicht monumental, knapper Dachüberstand, Turm nicht zu hoch, großes bergendes Dach, Elemente des Heimatstils der 1910er Jahre freundliche Landkirchen, über die kaum Informationen vorliegen. Auch die Architekten der Grevener Pfarrkirchen sind nicht bekannt.
Aus Reinkes Sicht sei die Aufmerksamkeit einer größeren Öffentlichkeit dadurch gegeben, dass erstmals die in früheren Säkularisationen verschonten Pfarrkirchen vom Phänomen der Umnutzung betroffen seien, während die Aufgabe von Kloster- und Anstaltskirchen auch heute kaum wahrgenommen würde. Da nur vermisst werden könne, was einmal bekannt geworden sei, plädierte Reinke für eine umfassende Inventarisierung der Kunst- und Kulturgüter. Wie sehr die Situation drängt, zeigte sich an der Bemerkung, dass in Nordrhein-Westfalen inzwischen die Regelung für die Denkmalpflege gelte, dass zumindest Kurzinventare rasch zu erstellen seien.
Glasmalerei
Dr. Annette Jansen-Winkeln (Stiftung Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jh. e.V., Mönchengladbach) wies in diesem Zusammenhang auf ein wichtiges Problemfeld im künftigen Umgang mit Kirchengebäuden hin: "Wenn Gebäude verkauft, umfunktioniert oder abgerissen werden, sind auch die Glasbilder von Zerstörung bedroht, zumal sie jeweils für den räumlichen Zusammenhang entworfen wurden." Wegen der besonderen Gefährdung der architekturabhängigen Glasmalkunst wurde 1993 die von Jansen-Winkeln vorgestellte Stiftung Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jh. e.V. gegründet mit dem Ziel, die Glasmalerei insbesondere des 20. Jahrhunderts zu sammeln, zu dokumentieren, zu präsentieren und wissenschaftlich aufzuarbeiten.
Nachkriegskirchen entdecken, erhalten, erschließen
Während Kirchen zunächst als Gottesdiensträume, Orte der Stille, Baukunst, Denkmale oder auch als wirtschaftliche Belastung wahrgenommen wurden, gelang es der freiberuflich in Forschung, Beratung und Vermittlung von kirchlichen Bau- und Kunstwerken tätigen Theologin und Kunsthistorikerin Karin Berkemann, noch eine Reihe weiterer Aspekte vor Augen zu führen. Dabei benannte sie Stärken, aber auch Gefahren der jeweiligen Sichtweise und versuchte Perspektiven aufzuzeigen.
Im Blick etwa auf die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin, die sie als "Wahrzeichenkirche" kennzeichnete, wurde deutlich, dass die enge Verknüpfung des Gebäudes mit der Stadtgeschichte einen hohen Identifikationswert hat, dessen Herausforderung gerade darin bestehe, dass er inhaltlich gefüllt werden müsse.
Räume wie die Mannheimer Trinitatiskirche (1959) könnten als Teil einer "Kirchenlandschaft" ihre Bedeutsamkeit behaupten, da sie zeittypisch und charaktertragend das Stadtbild prägten und so Lebenswelten der Epoche sichtbar machten. Andere Kirchen könnten als "Wege-Kirchen" an einer Kultur- oder Touristikroute wahrgenommen werden oder sich als "Offene Kirchen" besonders profilieren. In dem kleinen im Bistum Magdeburg gelegenen Kurort Bad Schmiedeberg sei die katholische Pfarrkirche St. Maria Regina Pacis (1956) beispielsweise besonders auf die Kurgäste eingestellt, die die Kirche offen vorfinden mit einem speziell auf die Zielgruppe zugeschnittenen Schriftenständer und Meditationstexten.
Identifikationsorte und "Zeitspeicher"
Wenn Kirchen erst wieder als bedeutsam entdeckt und erlebt würden, so wären auch die Chancen für ihren Erhalt größer. Daher gelte es für jedes einzelne Gebäude eine Lobby zu schaffen, um Zeit zu gewinnen und tragfähige Nutzungskonzepte zu erstellen. Denn Nachkriegskirchen stellen als Identifikationsorte für Kirchen- und Ortsgemeinden ein enormes Potenzial dar. Sie zeichnen sich aus durch pointierte theologische und künstlerische Bau-Konzepte und sind so "Zeitspeicher" für die Lebenswelt vorangegangener Generationen. Daher sei es sinnvoll, das jeweilige individuelle Profil zu erschließen und unter fachlicher Begleitung zukunftsfähige Konzepte zu entwickeln und umzusetzen.
Aktuelle Beispiele für Kirchenumnutzungen
Der Architekt Jörg Preckel, Münster, bot in seinem Referat einen Überblick über Umnutzungen von Kirchen in Deutschland und Europa. Die Beispiele reichten von Nutzungserweiterungen bis hin zur radikalen Profanierung von Kirchengebäuden.
Als eigenes Projekt stellte er das Kolumbarium in Marl-Hüls vor. Die 1956 von dem Architekten Emil Steffan entworfene Kirche wurde im Januar 2006 profaniert und zu einem Begräbnisort für Urnenbestattungen umfunktioniert. In der ehemaligen Pfarrkirche St. Konrad bietet seit Ostern 2006 ein christlich geprägter Urnenfriedhof dem Totengedenken einen einmaligen Schutzraum. Auf der Internetseite der Pfarrgemeinde, die den Bestattungsort trägt, heißt es: "Die architektonisch stilvolle und heilige Halle nimmt in einheitlich geprägten Wandflächen die Urnen auf. Tagsüber ist die Kirche geöffnet, um den Trauernden freien Zugang für das Totengedenken zu gewähren. 15 Jahre beträgt die Ruhezeit; danach wird die Urne in einem Sammelgrab, das sich innerhalb der Kirche vor den Stufen des Altars befindet, entleert
Der christliche Verabschiedungsgottesdienst wird in der kirchlichen Atmosphäre des Konrader Kolumbariums gefeiert. Für die Zeit der Aufbahrung, auch im Falle einer Erdbestattung, stehen in der ehemaligen Sakristei zwei schlichte, christlich gestaltete Verabschiedungsräume zur Verfügung."
Exkursion zu ausgewählten Kirchen der Nachkriegszeit in Münster
Bei der von Prof. Sternberg und Dr. Reinke geleiteten Exkursion wurden die Fragen der Bedeutung der Kirchenräume und des Umgangs mit ihnen konkret.
- Gemeindezentrum St. Anna, Mecklenbeck gemeindlicher Mittelpunkt
Das Gemeindezentrum St. Anna, Mecklenbeck, 1971/72 (H. Deilmann), hat in diesem Ort die ausgeprägte Funktion einer Mittelpunktkirche. Neben dem Kirchenraum (polygonaler Grundriss, durch hohe Fensterschlitze belichtet) gehören zum Gemeindezentrum Pfarrhaus, Bücherei, Altentagesstätte und Kindergarten. Das Gemeindezentrum ist von Pfarrgemeinde und Öffentlichkeit als Ortsmittelpunkt angenommen.
- St. Theresia liturgische Neuordnung
Die 1956 nach Plänen von W. Schröter errichtete Kirche ist eine einfache Halle; der trapezförmige Grundriss verstärkt die Ausrichtung dieses Wegekirchenraumes auf den Chor hin. Nach der Neugestaltung (1991-1999) des Raumes hat der Altar (ein Werk des Mataré-Schülers Erwin Heerich) seinen Platz nicht mehr auf dem Stufenberg, sondern in der Mitte der Kirche. Die Chorwand-Gestaltung von Ben Willikens zeigt über einer trapezförmigen Grube eine Folge von Räumen, die auf ein helles Tor zulaufen.
- Hl. Dreifaltigkeit Suche nach Nutzungskonzepten
Die Pfarrkirche Hl. Dreifaltigkeit wurde 1938/39 (H. Benteler/A. Wörmann) erbaut. Nach der Fusion dreier Gemeinden (St. Bonifatius, Dreifaltigkeit, Heilig Kreuz) wird die künftige Nutzung des Raumes diskutiert. Eine Umbaukonzeption für das denkmalgeschützte Gebäude zum Gemeindezentrum mit sakral genutztem Bereich, Räumen für Gruppenarbeit, Feste, Konferenzen und eine Kindertagesstätte ist gescheitert.
- St. Bonifatius kirchliches Pressehaus
Die dritte Kirche der zur Pfarrgemeinde Heilig Kreuz fusionierten Gemeinde, die 1965 am Nordrand der Münsteraner Innenstadt gebaute St. Bonifatius Kirche, wurde nach der Fusion profaniert und 2005/06 zum Verlagsgebäude des kirchlichen Dialogverlags umgebaut. Äußerlich sind die Nutzungsänderungen sehr zurückhaltend gestaltet. Auffällig ist der seitlich angeordnete Eingang. Die Stufen des Portals der ehemaligen Kirche führen nicht mehr auf einen Weg, sondern münden in ein Kiesbett. In der Kirche finden sich auf drei Etagen die Arbeitsplätze von knapp 30 Mitarbeitern. Die Büros sind in zwei "Riegeln" untergebracht, die einen axialen Atriumhof umschließen. Durch diesen freien Mittelgang geht der Blick bis zum ehemaligen Altarraum, der als Ort für Vorträge oder Konzerte genutzt werden soll. Auf dem angrenzenden ehemaligen Pfarrheim ist ein gläserner Konferenzraum entstanden. Mit dem Umbau nach den Plänen von "agn" Paul Niederberghaus & Partner GmbH, Ibbenbüren, wurde im Frühjahr 2005 begonnen. Die Eröffnung erfolgte am 26.1.2006.
Die Exkursion zeigte, was in der abschließenden Diskussion nochmals deutlich wurde: Noch herrscht Ratlosigkeit bei der Frage nach wirklich überzeugenden Umnutzungskonzepten für nicht mehr benötigte Kirchenräume.
Mehr Mut, mehr Phantasie, mehr Kreativität im Umgang mit Nachkriegskirchen
"Bleiben die Kirchen des Wohlstandsbaubooms der 60er und 70er Jahre auf der Strecke?" Prof. Sternberg moderierte die Podiumsdiskussion zum Abschluss der Tagung.
Es blieben mehr Fragen als Antworten. Sind an einem Ort aufwändige Raum-in-Raum-Lösungen wie beim Pressehaus St. Bonifatius vielleicht die richtige Wahl, so können sie andernorts wegen der hohen Kosten nicht realisiert werden.
Kolumbarien scheinen vielerorts eine gute Lösung zu sein. Doch wurde in der Diskussion auch die Frage aufgeworfen, ob damit nicht die Feuerbestattung im Gegensatz zur Erdbestattung sehr aufgewertet würde. Neben pastoralen und anthropologischen Bedenken, auf die Prof. Richter aufmerksam machte, wurden von Dr. Fendrich auch Zweifel an der Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit solcher Projekte angemeldet.
"Die Zeit arbeitet für den Erhalt der Gebäude."
Einig war man sich darüber, dass die Nachkriegskirchen ein bedeutendes Kulturgut sind, mit dem nicht leichtfertig umgegangen werden dürfe. Zugleich aber müsse die Frage nach der Qualität der einzelnen Gebäude gestellt werden, da nicht alles erhalten werden könne. So müsse durchaus Veränderung zugelassen werden.
Dr. Reinke plädierte für Geduld im Umgang mit den Kirchenräumen und warnte vor vorschnellen endgültigen Entscheidungen: "Wir Menschen leben nur vom Erbe. Die Klosterkirche von Cluny ist weggekommen’. Wäre es heute ebenso, machten wir uns künstlich arm." Karin Berkemann forderte ebenfalls, dass nicht voreilige Entscheidungen getroffen werden sollten: "Die Zeit arbeitet für den Erhalt der Gebäude." Man müsse rechtzeitig beginnen, für gefährdete Kirchengebäude eine Lobby zu schaffen, damit kreative Lösungen gefunden werden könnten.
Gesamtgesellschaftliche Verantwortung
Matthias Ludwig und Prof. Sternberg machten zudem aufmerksam auf die gesellschaftliche Verantwortung für den Erhalt der Kirchengebäude. Prof. Sternberg MdL verwies auf eine bevorstehende Landtagsanhörung von Vertretern der Kirchen, bei der mehr finanzielles Engagement des Landes Nordrhein-Westfalen gefordert und die Gründung einer Landesstiftung nach dem Vorbild der 1995 gegründeten Stiftung für Industriekultur angeregt werden solle. (Der Landtag von NRW hatte sich im Februar 2006 einstimmig dafür ausgesprochen, entwidmete Kirchengebäude durch eine neue Nutzung vor Verfall oder Abriss zu retten. Einen entsprechenden Antrag hatte der grüne Abgeordnete und Ex-Bauminister Michael Vesper auf den Weg gebracht.)
Dr. Fendrich machte darauf aufmerksam, dass kirchliche Entscheidungen ebenso auch berechtigte Interessen der Kommunen zu berücksichtigen hätten: "Kirchen stehen im Stadtraum, im Lebensraum von vielen Menschen. Diese Öffentlichkeit verpflichtet beide Seiten!"
Die Veranstaltung vom 5. bis 7. Mai 2006 in Münster war die erste Tagung, die sich dezidiert mit der Zukunft der Nachkriegskirchen auseinander setzte. Sie zeigte ebenso wie die in Mönchengladbach unter dem Titel "Altlast Kirche" am 6. Mai 2006 veranstaltete Jahrestagung des Vereins für christliche Kunst im Erzbistum Köln und Bistum Aachen e.V., dass es noch keine endgültig überzeugenden Lösungskonzepte gibt. Die Fortsetzung der Diskussion ist dringend notwendig. Viele Fragen, mögliche Antworten und deren Folgen sind zu bedenken beispielsweise auch die Frage des Umgangs mit Kunstgut bei der Aufgabe von Kirchen.
© Andreas Poschmann 2006
|
Magazin für Theologie und Ästhetik 42/2006 https://www.theomag.de/42/ap1.htm
|
|
|
|