Pastoralökonomie und KirchenbauConrad Lienhardt |
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"Sag beim Abschied leise Amen" - so titelte ein Beitrag in der DIE ZEIT vom 12. April: "Das Bistum Essen schließt fast hundert Kirchen." Selbst wer sich durch die fast täglichen Meldungen über die Finanznotstände von Bistümern abgehärtet wähnte, wurde durch diese Meldung aufgerüttelt. In vielen anderen Diözesen Deutschlands dürfte die Situation nicht wesentlich besser sein. Anders dagegen die Situation in Österreich. Die Diözese Linz zum Beispiel baut nahezu Jahr für Jahr neue Kirchen:
Erst Ende Juli ist ein weiterer Kirchenbau um über 2 Mio. Euro für eine etwa 2.000 Katholiken zählende Gemeinde fertig gestellt worden. Die neue Seelsorgestelle befindet sich nur wenige hundert Meter entfernt von der 1990 erbauten Kirche Linz-St. Paul. Nicht allen Diözesen in Österreich geht es so gut wie der Diözese Linz, aber wirklich schlecht geht es keiner. Fragt sich woran das liegt. Natürlich, gejammert wird hier auch, denn das gehört zum Geschäft. Umso mehr, als so die "Auswüchse" der 70er und 80er Jahre leichter zurückgenommen werden können. Dennoch, die Zeiten ungetrübten Wohlstands sind auch hier vorbei. Im Kirchenbau, anders als in der Personalpolitik, ist es allerdings noch zu keinem Umdenken gekommen. Einem Pawlow’schen Reflex nicht unähnlich führen Stadterweiterungsprojekte immer noch fast automatisch zum Kauf von Parzellen in möglichst zentraler Lage - für einen späteren Kirchenbau, der im Regelfall nicht lange auf sich warten lässt. Während andernorts Städte schrumpfen und daher die Reize für diesen Reflex ausbleiben, gibt es in Österreich noch ambitionierte Stadterweiterungsgebiete, wie die SolarCity in Linz oder das Flugfeld Aspern in Wien, um nur zwei zu nennen. Zwar schrumpfte auch Linz, was die Stadt im Länderausgleich zuletzt rund 20 Millionen Euro jährlich kostete. Aber durch die Erweiterungsgebiete im grünen Süden steigen die Bevölkerungszahlen allmählich wieder. Im Fall der SolarCity hat die Diözese mit der Stadt Linz und deren gemeinnütziger Wohnungsgesellschaft einen Bauplatz im Zentrum verhandelt. Diesen hat sie mit der Auflage zugesagt bekommen, dass das Kirchengebäude bis zur Fertigstellung des Stadtteils ebenfalls errichtet sein müsse. Mit anderen Worten: Während ein Stadtteil mit rund 1.300 Wohnungen auf der grünen Wiese entstand, hat sich die Diözese in die Pflicht nehmen lassen, einen Kirchenbau vorzubereiten und einen Wettbewerb durchzuführen, noch bevor sich so etwas wie eine Gemeinde bilden konnte. Der Stadtteil wurde 2004 fertig gestellt, die Kirche 2006. Ein mehr als irritierender Vorgang, den sich eine Diözese leisten können muss - nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch pastoraler Hinsicht. Die Ausschreibung des Wettbewerbs berücksichtigte Vorgaben des diözesanen Bauamtes und des Liturgiereferates. Was gänzlich fehlte, war ein solides Pastoralkonzept und ebenso eine wirtschaftliche Bewertung des Vorhabens, nicht nur der Gestehungskosten. Genau das forderte schon 1974 die Pastoralkommission Österreichs in ihren "Grundsätze für kirchliches Bauen in der heutigen Zeit". 1977 wurden diese Grundsätze für die Diözese Linz als verbindlich erklärt. Sie sehen vor, neben einem fundierten Pastoralkonzept und einer entsprechenden Pastoralplanung, dass sich Verantwortliche der Diözese mit entsprechender Kompetenz generell in Planungsüberlegungen von Kommunen einbinden, was besonders dann notwendig ist, wenn die Diözese "ihren eigenen Bauaufwand eher noch mehr einschränken muss". Christen sollen "stärker an Planungen und Vorhaben, die von politischen Gemeinden oder von anderen Gruppen ausgehen, mitwirken". Dezidiert wird formuliert: "Wenn der Bau von Räumlichkeiten durch die öffentliche Hand gewährleistet oder geplant ist, bzw. wenn profane Räumlichkeiten zur Verfügung stehen, die ohne große Schwierigkeiten auch von kirchlichen Einrichtungen gemietet werden können, soll in der Regel von der Errichtung eigener kirchlicher Bauten abgesehen werden." Das gilt natürlich insbesondere dort, wo es faktisch noch keine Gemeinde gibt, wo diese vielmehr erst gebildet werden muss. Große Veranstaltungsräume des Volkshauses im Zentrum des neuen Stadtteils hätten für die ersten Jahre sicherlich ausgereicht, um einer sich entwickelnden Gemeinde den nötigen Raum für die gottesdienstlichen Feiern, aber auch für Gemeindefeste und Gemeindeaktivitäten zu schaffen. Zudem gibt es mittelfristig zu wenig Personal, um Gemeinden dieser Größe und der gebauten Infrastruktur angemessen "versorgen" zu können. Die Grundsätze scheinen in Vergessenheit geraten zu sein. Ein sozio-kulturelles Gutachten für den Stadtteil SolarCity, das die Stadt Linz in Auftrag gegeben hatte, stieß mit seinen wesentlichen Forderungen bei der Stadt auf Unverständnis. Dass es ein solches Gutachten überhaupt gab, war den verantwortlichen diözesanen Planern bis zuletzt unbekannt. Entsprechend konnte es für pastorale Überlegungen auch nicht herangezogen werden. Darin wurden u.a. dezentrale räumliche Strukturen empfohlen und begründet. Die Diözese baute ihre Kirche im Zentrum, ohne sich der Frage zu stellen, was denn Zentrum in dieser städtebaulichen Situation sein könne, was Zentrum für Kirche und pastorale Arbeit bedeute und welcher Stellenwert der Peripherie zukäme. Es scheint, als wollte man Mitte besetzen, ein Zentrum einnehmen. Der langjährig intensiv geführte Diskurs zu Zentrum und Peripherie ist an den Verantwortlichen spurlos vorüber gegangen. Planung und Konstitution von Räumen sind in der Regel mit der Durchsetzung von Interessen und Ansprüchen verbunden. Nicht zu Unrecht weist daher Martina Löw auf die Gefahr der strukturierten sozialen Ungleichheit hin. Das verlangt gerade von Kirchen ein hohes Maß an kritischer Distanz und Selbstreflexion. Der Kirchenbau könnte gerade im sog. Zentrum leicht als Zeichen einer anmaßenden, der gesellschaftlichen Realität nicht mehr entsprechenden Anspruchshaltung verstanden werden. Ökumenische Zentren, Orte des interreligiösen Dialogs und Begegnungsstätten von Gläubigen mit Menschen ohne religiösem Bekenntnis müssten von vornherein bauliche Typologien ausschließen, die zu sozialen Asymmetrien führen könnten und damit zur Diskriminierung. Kirchen sind gut beraten, wenn sie Stadtentwicklung und damit Stadtplanung als wichtige Herausforderung betrachten und sich an Planungsvorgängen beteiligen, statt sich längst überkommenen Reflexen zu überlassen. Darüber hinaus ließen sich die Verantwortlichen in der SolarCity vom Bürgermeister in die Pflicht nehmen. Um sich vor allem Kosten und Ärger zu ersparen, hat dieser die Kinder- und Jugendarbeit an die Kirche delegiert. Die Seelsorgestelle kompensiert damit kommunales Versagen beim Anbieten notwendiger Dienstleistungen im Rahmen einer engagierten Quartiersentwicklung und Gemeinwesenarbeit. Anstatt diese Dienstleistungen gemeinsam mit den Bewohnern bei der Kommune bzw. den Wohnbauträgern einzufordern, hat die Diözese den Ball aufgenommen. Da in den wenigsten Fällen die entstehenden Kosten teilweise oder gar gänzlich durch die Kommune erstattet werden, führt dies zu einer erheblichen wirtschaftlichen und personellen Belastung. Der "Verein Jugend und Freizeit", der im Auftrag der Stadt Linz u.a. Jugendzentren betreibt, hatte erklärt, dass er sich in den ersten Jahren mit Streetworkern mobil auf die Stadtteilarbeit mit Jugendlichen konzentrieren werde. Erst wenn klar sei, was die Jugendlichen dort brauchen, wenn gemeinsam Überlegungen für ein Jugendzentrum angestellt worden seien, frühestens dann denke man daran, den Bau eines Jugendzentrums in Erwägung zu ziehen. Vorher sei das kein Thema. Was eigentlich naheliegend ist - für die Diözese galt das nicht. Ohne die Gemeinde zu kennen, ohne deren Bedürfnisse klar zu sehen, wurden Räumlichkeiten geplant und realisiert, als Angebot, diese zu nützen. Die Kosten des Baus, des Betriebs und für das Personal übernimmt die Diözese ohne mittel- und langfristige wirtschaftliche und pastorale Planung. Einer der Gründe könnte sein, dass die Verantwortlichen den grundsätzlich veränderten Bedingungen und Dynamiken in urbanen Räumen nicht Rechnung getragen haben. Diese Kirchbaupolitik, die selbst in den 70er und 80er Jahren nur sehr bedingt funktionierte und selbst damals wirtschaftlich nicht immer verantwortbar war, ist in einer deutlich veränderten städtischen Kultur weitgehend anachronistisch. Sie weiter zu verfolgen scheint in hohem Maße fahrlässig. Sie führt früher oder später zur Frage: wie können wir diese Anlagen erhalten und betreiben. Für nicht wenige Bauten werden wie in Deutschland oder noch früher in den Niederlanden Umnutzungen und Verkauf diskutiert werden müssen. Bis dahin werden viele Gemeinden mit Fragen der Finanzierung und Erhaltung ihrer Bauten so beschäftigt sein, dass dies das Gemeindeleben nachhaltig beeinträchtigen wird. Aber das kann sich hier noch niemand vorstellen. Es wird jedoch zwangsläufig die wirtschaftliche Basis der Gemeinden und der Diözese schwächen. Dann wird oft das Heil in Rezepten gesucht, wie McKinsey diese deutschen Diözesen zumutete. Ein weiteres Stadterweiterungsgebiet ist in Linz in Planung. Der Reiz für einen weiteren Reflex ist gegeben. Pastoral und wirtschaftlich sinnvoll wäre es, danach zu fragen, wie künftig Pastoral in einer sich schnell wandelnden Stadt gestaltet werden kann, in einer Stadt mit Erweiterungsbedarf und Bedarf an Stadtverdichtung. Es wäre notwendig, darüber nachzudenken, wie mit jenen Seelsorgezentren umzugehen sein wird, die in den 70er und 80er Jahren errichtet wurden, deren Gemeinden teilweise dramatisch schrumpfen und die mit hohen finanziellen Bürden leben müssen. Laterale Modelle müssten entwickelt werden, abseits von alten Gewohnheiten, Rezepten und Reflexmodellen. Vom wenige Kilometer entfernten Wels-Laahen könnte ähnliches geschildert werden. Dort wurde auf der grünen Wiese ein Seelsorgezentrum um 3,2 Millionen Euro gebaut, obwohl die Stadt kurzerhand die Bebauung und Realisierung des Stadterweiterungsgebietes zeitlich verschoben hatte. Der rührige Diakon denkt bereits darüber nach, die 2004 geweihte Kirche wegen seines großen Publikumerfolgs zu erweitern. Die Zahl der Gläubigen in Wels hat insgesamt nicht zugenommen. Die Seelsorgestelle in Laahen hat sich jedoch im wesentlichen auf "Kosten" anderer Gemeinden erfolgreich zu einer prosperierenden Personalgemeinde entwickelt. Was aber, wenn der charismatische Diakon abhanden kommt. Denn - mit welchem Personal will die Diözese die Seelsorgezentren betreiben? Soweit mir bekannt ist, gibt es für keinen Bau der letzten Jahre in der Diözese Linz eine mittel- bis langfristige verbindliche Personalplanung. Und hier dürfte die Diözese Linz kein Einzelfall sein. Die Diskussion zum Kirchenbau kann keinesfalls mehr nur als Angelegenheit zwischen Architekten und Liturgikern betrachtet werden. Sie ist eine eminent pastoraltheologische Herausforderung. Und sie ist darüber hinaus auch eine eminent wirtschaftliche Herausforderung. Ökonomische Überlegungen würden die Diözesen und Gemeinden zwingen, klarer und konzentrierter zu planen, und sie könnten auch dazu beitragen, jene zentralen Fragen zu stellen, die sich die Kirche aus sich heraus offenbar nicht mehr stellt: Was wollen wir wirklich damit?
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