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Magazin für Theologie und Ästhetik


Raum und Religion

Thesen zur Diskussion

Jörg Herrmann

1. Die Aktualität des Themas Kirchenraum

Das Thema des Kirchenraumes ist in letzter Zeit aus unterschiedlichen Gründen ins Blickfeld gerückt. Zum Ersten sind es finanzielle Gründe, die dazu zwingen Kirchengebäude aufzugeben, zum Teil in großem Umfang. So sollen allein im Bistum Essen an die hundert Kirchen geschlossen werden. Zum Zweiten fordert der Widerspruch zwischen der Größe der Gebäude und der Schrumpfung von Gemeinden zur Erweiterung der Nutzung heraus. In der Regel geht es dabei um kulturelle Nutzungen. Zum Dritten lässt sich in den letzten Jahren ein neues Interesse am Kirchenraum als Kirchenraum beobachten. Diese neue Aufmerksamkeit für den Kirchenraum hat mit der Kirchenpädagogik auch neue religionspädagogische Arbeitsweisen angeregt. Dabei geht es darum, den Kirchenraum und seine Kontexte durch eine erfahrungsorientierte Raumhermeneutik zu erschließen.

2. Raum und Religion im Neuen Testament

Jesus war ein Wanderprediger. Bestimmte Gebäude und Orte hatten für seine Verkündigung keine besondere Bedeutung. Er predigte auf dem Berg, am See, unterwegs. Auch für die ersten Christen waren Gebäude und Orte sekundär. Wo man jederzeit mit der Wiederkunft Christi rechnet, stellen sich keine Baufragen. In der Apostelgeschichte wird betont, dass Gott nicht in Tempeln wohne, die mit Händen gemacht sind. Paulus spricht vom Leib als Tempel Gottes. Das Urbild göttlicher Einwohnung ist die Einheit von Gott und Mensch in der Person Jesu (Inkarnation). Für die Christen ist die göttliche Gegenwart durch den Glauben vermittelt. Sie kennen keine heiligen Orte. Die ersten Kirchenbauten orientierten sich dann auch nicht am Tempel (und der mit ihm verbundenen Unterscheidung von heilig und profan), sondern an der römischen Markt- und Gerichtsbasilika.

3. Raum und Religion bei Luther

In seiner Einweihungspredigt für die Schlosskapelle in Torgau (1544) sagt Luther, man solle Kirchen bauen, „das nichts anders darin geschehe, denn das unser lieber Herr selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir wiederumb mit jm reden durch Gebet und Lobgesang.“ (WA 49, 588). Eine besondere Heiligkeit kommt den Gebäuden dabei nicht zu, man könne auch „draussen beim Brunnen oder anders wo predigen“. (A.a.O., 592).

In seiner Auslegung des 118. Psalm betont Luther: „Des Herrn Haus heiße, wo er wonet, wo sein Wort ist, es sey denn auf dem Felde, in der Kirchen oder auf dem Meer. Wiederumb, wo sein Wort nicht ist, da wonet er nicht, ist auch sein Haus nicht da, sonderen der Teufel wonet daselbst, wenns auch gleich eine güldene Kirche were, von allen Bischoven gesegnet“. (WA 31, 179, 5-10).

Luthers Kirchenraumverständnis ist streng funktional: Kirchen dienen dem Zusammenkommen der Gemeinde, dem Hören des Wortes Gottes, dem Beten und Singen und der Praxis des Sakraments. Für Luther gibt es kein Gebäude, das als solches heilig wäre. Der zentrale Ort religiöser Praxis ist für ihn das glaubende Individuum. Wenn Kirchen, so sinngemäß in der „Kirchenpostille“, ihre Funktion verlieren, soll man sie abbrechen. Dies ist auch prophylaktisch gegen das Bedürfnis nach einer Sakralisierung des Kirchenraumes gesagt. Der Raum ist eben, im Unterschied zu Wort und Sakrament, kein Medium der Heilsvermittlung. Eine Theologie des Kirchenraumes in einem engeren Sinne kann es darum in dieser Perspektive nicht geben.

4. Raum und Religion heute

Heutige Raumtheorien sehen den Raum als ein kulturelles Artefakt. Räume werden für bestimmte Zwecke gebaut und gestaltet. Sie können bestimmte Erfahrungen ermöglichen, aber nicht herbeiführen. Ob religiöse Erfahrungen in Kirchenräumen gemacht werden, hängt an der religiösen Praxis in diesen Räumen. So können Kirchenräume als religiöse Räume erfahren werden. Per se ist jedoch kein Kirchenraum religiös oder gar heilig. In der Abwandlung eines Pauluswortes könnte man sagen: Die Steine schweigen, aber der Geist macht lebendig. Doch der Geist wohnt niemals in Steinen oder anderen Gegenständen. Das wäre ein magisches Religionsverständnis, also Götzendienst. Der Geist Gottes weht vielmehr dort, wo er will und wo sein Wort Glauben findet.

5. Die Gestaltung und Umgestaltung von Kirchenräumen

In protestantischer Perspektive wäre die Gestaltung von Kirchenräumen in erster Linie am Kriterium ihrer Funktionalität für die religiöse Kommunikation zu orientieren. In ästhetischer Hinsicht wären Korrespondenzen mit den religiösen Inhalten anzustreben (so würde ein atmosphärisch kalter und dunkler Raum kaum zur christlichen Botschaft von der bedingungslosen Annahme passen).

Die Funktionalität orientiert sich wiederum am menschlichen Körper als dem ersten Tempel Gottes. Man sollte also in einer Kirche gut sprechen und hören können, gut lesen und singen, gut beten und loben und als Gemeinde zusammenkommen können. Die Umgestaltung von Kirchenräumen ist jederzeit möglich und sollte sich an architektonischen Kriterien, den gemeindlichen Bedürfnissen und den Anforderungen der jeweiligen religiösen Praxis orientieren. Dabei kann eine Erweiterung der kulturellen Nutzungsmöglichkeiten auch dem Dialog von Religion und Kultur neue Möglichkeiten eröffnen und die Kommunikation zwischen der Vielfalt der Gegenwartskultur und der christlichen Religionskultur fördern.


© Jörg Herrmann 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 42/2006
https://www.theomag.de/42/jh12.htm