Oktober 2006
Liebe Leserinnen und Leser, |
dass die Welt ein Theater und das Leben nur ein Schauspiel ist, war nicht erst den Kirchenvätern klar. Die heutige Mediengesellschaft fördert aber eine Theatralisierung des Lebens, die nur schwer erträglich ist. Keine Leichtigkeit des Seins, sondern ostentativ vorgetragene verletzte Gefühle, das große Pathos der Betroffenheit und die öffentliche Inszenierung des Aufschreis der Massen beherrschen die Bühne des Lebens. Für Zwischentöne, für Differenzierungen und Nachdenklichkeiten bleibt da wenig Raum. Die Metapher des Theaters ist vielleicht eine der aktuellsten überhaupt, bei gleichzeitig nachlassender Bedeutung der Institution des Theaters für den öffentlichen Diskurs. Was die Religion und das Theater betrifft, so ist ihr Verhältnis seit jeher ambivalent. Zwischen vehementer Abwehr und missionarischer Vereinnahmung schwankt die Haltung. Das Theater kann als totaliter aliter zur religiösen Welterfahrung gedeutet werden oder zur religiösen Institution werden. Beides zeigt die Geschichte der letzten 2000 Jahre präzise. In der Gegenwart freilich ist das Niveau der religiösen Theaterkritik bei manchen derart gesunken, dass ihnen alle Kategorien flöten gehen. "Deutsche Oper köpft Jesus" titelte eine katholische Nachrichtenagentur und Website einen Beitrag, der ein akademisches Lehrstück für die Verzerrung der Vorgänge, für Fehlurteile, Kategorienverwechslungen und die Unkenntnis des behandelten Gegenstands sein könnte. Um so wichtiger ist es, sich mit der Beziehung von Theater und Religion künftig verstärkt auseinander zu setzen. Andreas Mertin zeichnet eine Geschichte der wechselhaften Beziehung von Religion und Theater seit den frühen Anfängen nach. Das zweite Thema dieser Ausgabe des Magazins für Theologie und Ästhetik ist eine philosophische Auseinandersetzung von Frauke Annegret Kurbacher mit dem Phänomen der Haltung. Es geht dabei "nicht um die Bestimmung einzelner Gefühle, auch nicht um verschiedene Haltungen oder unterschiedliche geistige Einstellungen im Besonderen, sondern darum, Gefühle als integrative Bestandteile - zusammen mit geistigen, willentlichen und sensitiven - von Haltungen zu verdeutlichen, die selbst wiederum wechselwirkend als Leistung, Vollzug wie Ergebnis und Ausdruck solch einer Vermittlung zu begreifen sind." Unter den REVIEWS finden Sie eine Untersuchung zum Ort praktischer Urteilssuche am Beispiel von Hal Hartleys Book Of Life durch Dominik Bertrand-Pfaff In den MARGINALIEN ein Kommentar von Andreas Mertin. In der Rubrik SPOTLIGHT finden Sie das WEBLOG, die vertrauten Kolumnen zu interessanten Internetadressen und Lektüren von Andreas Mertin und Ausstellungen von Karin Wendt. Mit herzlichen Grüßen Andreas Mertin und Karin Wendt |