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Magazin für Theologie und Ästhetik


White Cube XXII

Haupt- und Nebenwege für Getty Images

Karin Wendt

Letzen Endes sind es wohl denkbare Lösungswege für zukünftige Aufgaben, die sich die weltweit operierende Bildagentur Getty Images davon versprach, als sie fünf renommierte Agenturen für Mediendesign damit beauftragte, die Bilder des umfangreichen Stock Photo Archivs visuell neu aufzubereiten. Zur Firmenphilosophie gehört der Anspruch, Entwicklungen im Bereich visueller Kommunikation zu antizipieren und den Markt so kreativ zu beeinflussen. „We are the first imagery company to employ creative researchers to analyze demographics, sales data and behavioral trends to anticipate the visual content needs of the world’s communicators.”[1] Getty Images mit Sitz in Seattle wurde 1995 von Mark Getty und Jonathan Klein gegründet, um das mehr oder weniger zerstreute Konvolut an Bildern zu zentralisieren und in den Markt digitaler Medien einzubinden. „Getty Images verfügt über ein Archiv von über 70 Millionen Bildern und Illustrationen und rund 30.000 Stunden Filmaufnahmen. Das Unternehmen ist in drei Geschäftsfeldern tätig: Werbung/Grafik Design, Medien (Druck- und Online-Publikationen) und Firmenkommunikation mit anderen Unternehmen.“[2] Getty Images ist heute mit zwanzig Büros in mehr als 100 Ländern tätig und gehört nach der Übernahme der Website iStockphoto aus Kanada im Februar 2006 derzeit zu den erfolgreichsten Serviceagenturen seiner Art weltweit.[3] Bilder von Getty Images finden Verwendung im Bereich von freier und dokumentarischer Fotografie, aber auch in den täglichen Nachrichten, in Sport und Unterhaltung.

10 ways

Im Auftrag von Getty Images haben Mediendesigner von Sumona (Südafrika), der Barbarian Group (USA), von Tomato (Großbritannien), Less Rain (Deutschland) und great works (Schweden) Flash- und Shockwave-Projekte entwickelt, die unter dem Titel „10 Ways“ Visualisierungsvorschläge zu zehn verschiedenen Themenspots präsentieren: Licht – Information / Erinnerung – Raum / + - Gefühl / Farbe – Wahrheit / Zeit - Verwandlung. Die Projekteplattform mit Diskussionsforum – das allerdings bislang keine Einträge aufweist - ist seit dem 8. August 2006 online. Das leitende Interesse der Auftraggeber galt der für Werber und damit auch für deren Provider elementaren Ressource „Aufmerksamkeit“, die in Zeiten des Internets noch kostbarer geworden ist. Die unmittelbare Wirkung von Bildern ist dem Medium Text überlegen, wie Lewis Blackwell, Senior Vice President und Group Creative Director bei Getty Images betont: „Wer hat noch Zeit für Worte, wenn Bilder eine Idee so viel schneller vermitteln können und auf so viel mehr Resonanz stoßen?“ Die zehn Internetprojekte sind freie Arbeiten ohne einen bestimmten Anwendungszweck. Dennoch liegt ihr Potenzial weniger in der Erweiterung des Problembewusstseins sondern eher in der Ausformulierung von Wirkungsmechanismen animierter Bilder, sie dienen, so Blackwell, „als Anstoß für einen wichtigen Dialog über die Entwicklung der Kommunikation.“

Die konzeptuelle Herausforderung lag darin, Bilder neu zu inszenieren, die bereits Teil eines Konzepts oder einer Kampagne waren oder mindestens einen illustrierenden Zweck hatten. So beschreibt Odendaal, einer der Designer von Sumona, im Interview mit O’Reilly von Getty Images seine Anfangsschwierigkeit: „My initial dilemma was just with the photographs themselves. I think most of them were the Stone+ collection and these images had quite strong concepts already. They weren’t random images. Each of them had an idea.”[4] So war für ihn eine erneute erzählerische Annäherung an die Bilder nicht denkbar. „Initially I tried to think of these images in a narrative context, but it became really difficult working with someone else’s existing narratives, especially considering that narrative is not really my strong point.” Gestalterische Bedingung war es, bei der Visualisierung sowohl auf Text als auch auf graphische Elemente zu verzichten. Streng daran gehalten haben sich jedoch lediglich Sumona und Less Rain. Ihre Projekte zu „Licht und Information“ und „Farbe und Wahrheit“ haben mich dann auch am meisten überzeugt.

Light

Zur Beschreibung des Projekts „light“ heißt es: “At its most basic level, photography is light. Explore a multidimensional world to see how light – or its absence – can determine the mood, emotion and dramatic contrast within an image.” Zu sehen ist ein geschlossener künstlicher Raum, in dem neben weiteren geometrischen Körpern eine Kugel rotiert, bedeckt mit unzähligen Bildern. Jedes Bild kann man ansteuern und dann über Mausaktivitäten aufhellen und damit gleichzeitig scharf stellen.


Licht beeinflusst die Stimmung, die emotionale Qualität und die Dramatik innerhalb eines Bildes. Ein scharf ausgeleuchtetes Motiv kommt uns visuell näher. Unschärfe empfinden wir eher als entfernt, traumartig, nebulös. Ist etwas scharf gestellt, bis in alle Einzelheiten erkennbar, so haben wir das Gefühl, seiner Gegenwart nicht entkommen zu können, ein verschwommenes Halbdunkel entwickelt dagegen einen spezifisch unwirklichen Sog. Das eine wirkt agressiver und scheinbar realer, das andere suggestiver und scheinbar irrealer. Die Belichtung von Bildern entscheidet mit darüber, wie nahe uns ein Motiv kommt und wie nahe uns seine Wirklichkeit geht. In der Arbeit „light“ kann man nur zwischen zwei Blenden wechseln, und es ist eindrucksvoll, wie bereits dieser Wechsel jedes der unzähligen Motive auf völlig verschiedene Art und Weise verändert. Offenbar gibt ein Bild eine Stimmung, eine Anmutung vor, die durch Ausleuchtung verstärkt, konterkariert oder überzeichnet oder aber auch völlig entschärft bzw. aufgehoben werden kann. Indem Odendaal das Motiv aus seiner Entstehungs- und Verwendungsgeschichte extrahiert und es unter nur zwei Filter legt, wird so etwas wie die Essenz des Bildes sichtbar, seine Wirkungsbandbreite. Noch einmal Odendaal selbst: „In terms of assets, we had all these images but I felt uncomfortable doing something narrative. I’ve already mentioned that I don’t believe narrative to be my strong point and the images themselves were already rich in content. I started exploring the essence of these themes by moving away from the actual story of things and looking into what these images are instead. Visually the pieces are looking quite different from the things I would usually do because I often work with graphical elements that I create myself. In this case I only had the images that were provided to work with, and these were other people’s images, so I thought that it would be good to try and approach the project from a more conceptual angle and it’s turned out to be a good exercise for me.”[5] Die Stärke der Arbeit liegt darin, diese Konzentration auf die visuelle Präsenz unkommentiert zu lassen und allein durch die Fülle der angebotenen Bilder das Konzept zu demonstrieren.

Information

Zur Arbeit “information” heißt es erläuternd: „From its content to its visual components, a photograph is filled with information. Choose a point on an image and delve deeper into it, linking one idea to another in a never-ending chain.” Man findet dieselbe im virtuellen Raum rotierende Weltkugel mit den unzähligen Bildmotiven vor. Steuert man jedoch nun eines der Bilder an, so lässt sich jedes Pixel des Bildes wiederum vergrößern zu einem neuen Bild und so weiter. So entsteht ein unendliches Kaleidoskop von ineinander verrechneten Bildebenen. Keines der einzelnen Bilder ist danach realer oder primärer als das andere. In dieser Betrachtung des digitalen Bildes ging es Odendaal darum, gerade nicht die vermeintlichen Nachteile des digitalen Bildes, seine Unschärfe oder mangelnde Präzision und Dichte gegenüber der konventionellen Fotografie auszuspielen, sondern die formale Einfachheit des Mediums in eine Formensprache zu übersetzen. “It’s said that digital images lack the resolution and the detail of conventional print photography, mainly because of a digital image’s finite resolution. I started looking at the digital image as being an almost pure form of information. Like any image, the digital image contains visual information, but it not only contains information, it is information in a binary form.” Die Arbeit “information” visualisiert so auf einen Blick die Charakteristik digitaler Bilder im Unterschied zu traditionellen Printmedien. Die Information einer digitalen Fotografie ist dieser Perspektive nicht der Inhalt oder die Bedeutung des Motivs, sondern seine spezifische Machart basierend auf der Logik des binären Codes. „So the idea was to explore this unique characteristic of the digital image as something that makes it very different from the traditional printed image. Looking at information as not only something that is contained within an image, but also as the fabric it is made of.”[6] Die konkrete Beschäftigung mit der Arbeit ist jedoch weit weniger reizvoll als die dahinter stehende Idee. Sie erschöpft sich allzu schnell in einer bloßen Mechanik. Ich hatte jedenfalls nicht lange Lust, in die unzähligen Bilderwelten hinter den Bildern einzutauchen.

Color

In “color” tanzt ein isoliertes Pixel durch verschiedene Panoramen. Der User hat die Möglichkeit, über die Maus Bereiche im Bild anzusteuern und die jeweilige Farbe auf das Pixelfeld zu übertragen. Je nach Färbung erfolgt ein unterschiedlicher Impuls, mit dem sich die Stimmung des Raumes oder der Situation ändern. Damit soll sich, so Lars Eberle von Less Rain, auch die Bedeutung des Bildes ändern. Dies ist jedoch nur bedingt der Fall. Meiner Erfahrung nach hat man keine Möglichkeit, den Lauf des Pixels im Bild zu beeinflussen, so dass die Möglichkeit der Variation zeitlich begrenzt bleibt. Es ist aber auch möglich, dass ich mich in diesem Punkt irre. Die Arbeit bleibt für mich gleichwohl ohne einen besonderen Zauber. Sie erscheint zu blass. Die in Aussicht gestellte „visuelle Reise“ bietet kaum Eindrückliches und Raum für neue Erfahrungen.

Truth

Wie differenziert können wir Bilder wahrnehmen? Was empfinden wir als einen „Bruch“ im Bild? Was begründet seine Authentizität? Inwiefern überzeugen Bilder? Die Wahrheit von Bildern liegt nicht in dem, was sie zeigen, also in einer vermeintlichen Realität des Dargestellten im Unterschied zu fiktionalen Inhalten, sondern allenfalls in der Art ihrer Verwendung. Um ein Bild „richtig“ zu verwenden, muss man also den Kontext kennen, in dem es entstanden ist und man muss den Kontext benennen, in dem es nun Verwendung findet. Man versteht ein Bild lediglich dann „falsch“, wenn man es nicht als Bild, also als mehr oder weniger komplexes Zeichengefüge versteht.[7] Dennoch bilden wir meist unmittelbar ein unausgesprochenes Urteil über Bilder.

In „truth“ finden wir für dieses Dilemma eine visuell überraschende Lösung. Zur Beschreibung heißt es: “The concept of truth can be both universal and intensely personal. Guide five personalities on an exploration of the many ideas – and possible truths – that an image can communicate.” Auch hier sehen wir unterschiedliche Panoramen wie während einer Urlaubsreise mit durch das Bild tanzenden verschieden farbigen Pixeln. Klickt man sie an und hält die Maushalte gedrückt, öffnen sich die Punkte zu immer größer werdenden Blasen, in denen nun weitere Motive sichtbar werden. Hinter jedem der Pixel versteckt sich ein anderes Motiv. So entstehen skurrile, erschreckende, harmlose oder fantasievolle Bilddialoge. Auf einen Schlag wird so deutlich, dass wir uns Bilder erschließen und sie bewerten, indem wir uns auf die gleichsam dahinter liegenden Bilder beziehen. Es sind also diese Bilder im Kopf, die das ursprüngliche Motiv überlagern, die wir aus unserem Gedächtnisarchiv mehr oder weniger bewusst assoziieren und erzählend in das Bild einbringen. Es sind innere Kommentierungen, die einer Selektion im Bild folgen und letztlich das Bild „übersehen“. Anders als die Gestaltungsidee zum Thema „Farbe“ überzeugt mich der Visualisierungsvorschlag zum Thema „Wahrheit“ sofort. Bei “truth” findet auch das interaktive Moment einen sichtbaren Ausdruck. So stellte sich Eberle die Frage: “What would make people interact with the picture?”[8] So entstand die Idee, unterschiedliche Charaktere zu formen, mit denen sich der User wie in einem Rollenspiel verbinden kann. Jedem der Pixel ist eine gewisse Charakteristik zu eigen. Es ist, als stünden sie für unterschiedliche Persönlichkeiten, die mit ihren Assoziationen und Bewertungen reisend die Welt sehen. Der Wissenschaftler, der kulturell Interessierte, der Fun-Typ, der Romantiker oder der Freak - sie alle kommentieren und modellieren die Bilder nach ihrem Weltbild, und sie alle schaffen so verschiedene Wahrheiten des einen Bildes. Der Eindruck einer gewissen Stereotypie ist von den Erfindern gewollt, wie Eberle bestätigt: „Yes, I think we had to establish like really stereotypical characters in there, because otherwise I think it would be difficult to follow those characters through the journeys. I think they are a little bit over-stereotyped. I wouldn’t say that they are really interesting people, the kind I would like to go out with and chat with. They are a little bit like the typical target group advertising people like to think of.”




Alle Arbeiten eint der Versuch, Fotografie so einzusetzen, dass die Illusion der Bewegung entsteht. Sie zeigen damit an, wie sich die mediale Vermittlung immer mehr weg von der statischen Aufnahme hin zum dynamischen (Film-)Bild entwickelt. Statische Fotografie wird zukünftig im Internet eine immer geringere Rolle spielen, so Eberle: „Static photography, for me, makes sense in books and newspapers and everywhere in printed form but it doesn’t make that much sense as far as online newspapers go, the classical medium, engaging in interactive experiences.“ It’s not like a typical photograph. It’s more like a cinematic scene and that’s just because you make this element bounce around and live within the picture.[9]

Keine der Arbeiten ist künstlerisch wirklich innovativ. Keines der Projekte zeigt visuell Neues oder gar Aufregendes. Man muss Jenny Hoch Recht geben, wenn sie resümierend schreibt: „Anders als man erwarten könnte, geht es hier weniger um die Revolutionierung der Netzkunst, die seit dem Zusammenbruch der Dotcom-Blase ein Nischendasein führt. Im Wesentlichen sollen die visuellen Spielereien den Internet-User als potentiellen Konsumenten ansprechen. Da Bilder im Gedächtnis länger haften bleiben als Texte, wollen die Marketingbranche und die Unterhaltungsindustrie dieses Segment mit Hilfe kreativer Vordenker kommerziell ausbauen. [...] So gesehen ist ‚10 Ways’ weniger eine frei flottierende Experimentierbühne als ein Marketingtool im globalen Kampf um das Interesse der Konsumenten.“[10] Es sind jedoch sehr konzentrierte, in Sinne der Effizienz „einfache“ Arbeiten, die das jeweilige Thema im Sinne der Sichtbarmachung von Werbestrategien pointieren.

Die Plattform „10 ways“ bietet einen repräsentativen Querschnitt aus der Szene hochkarätiger Mediendesignagenturen. Dass über diesen temporären Verbund auch ein Einblick in den Kreativtool hinter dem kommerziellen Websites gewährt wird, ist gerade aus der Perspektive des Konsumenten nicht uninteressant.

Anmerkungen
  1. http://corporate.gettyimages.com/source/about/index.aspx
  2. http://de.wikipedia.org/wiki/Getty_Images
  3. Größter Konkurrent ist die Bildagentur Corbis, vgl. http://www.heise.de/newsticker/meldung/8404/
  4. Andries Odendaal discloses the big secret of Information, flexes his “conceptual muscle” and takes pictures in Vegas… Interview von John O’Reilly mit Andries Odendaal von Sumona, unter “projectbackground” in: http://interact10ways.com/usa/sumona.asp
  5. Ebd.
  6. Ebd.
  7. Nelson Goodman: Weisen der Welterzeugung, Frankfurt/M. 1984, S. 167.
  8. Less Rain’s Lars Eberle tells the Truth about Color and reveals the secret gender of pixels…
  9. Interview von John O’Reilly mit Lars Eberle von Less Rain, unter “projectbackground“ in: http://interact10ways.com/usa/less_rain.asp
  10. Siehe Anm. 8.
  11. Jenny Hoch: INTERNET-AUSSTELLUNG - Roadmovie durchs Web, http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,430474,00.html
© Kain Wendt 2006
Magazin für Theologie und Ästhetik 43/2006
https://www.theomag.de/43/kw51.htm