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Magazin für Theologie und Ästhetik


Begegnung mit Frederike Mayröcker

Petra Bahr

Nicht sie trägt den Mantel, der Mantel trägt sie. Sie hängt sich in ihn ein wie in eine Menschenhaut, die man ja abends auch nicht auszieht mit den Kleidern. Es sei denn, man zöge dem Fleisch die Haut ab. Ohne Mantel kann ich sie mir nicht vorstellen. Er hängt ihr bis über die Knie und noch nie habe ich gesehen, dass ein viel zu großes Kleidungsstück so angegossen sitzt. Die Füße stecken in klobigen Stiefeln, als stünde ein hundertjähriger Winter bevor. Ernst Jandl, der Geliebte, der im Jahr 2000 gestorben ist, hat ihr das Fell geschenkt. Das sagt jedenfalls die Legende, die sich schon heute um Grande Dame der deutschsprachígen Lyrik rangt. EJ heißt er in ihren Gedichten. Wie die Elohim und der Jahwist in einer Person. Ein irdischer Gott, den sie immer noch liebt und der sie immer noch zu lieben scheint. Wer ihre Gedichte nicht liest, wer ihre Stimme nicht hört, wenn sie ihre eigenen Sätze zum Leben erweckt, der mag das kitschig finden. So klingt die Liebe, die stärker ist als der Tod. Aus der Zeit gefallen und doch wahrhaftig. Manchmal redet sie EJ in ihrer Kurzprosa mit Kapitälchen an. Großes DU, wie in alten Gebetstexten.

Der Mantel ist braun und fellig, er zeigt blanke Stellen – eine Hülle, die an das Elementare des Lebens erinnert, das im besten Sinne Unzivilisierte, das Körperliche. Als gälte es der 82jährigen, die auch in der alltäglichen Konversation nach jedem Wort so ausführlich sucht wie eine Dichterin sie in ihre Schreibmaschine hackt, - so konserviert sie beiläufig ein Geräusch, das es gar nicht mehr gibt – dem allzu Kunstsinnigen ein körperliches Dementi zu verleihen. In der evangelischen Akademie wirkt sie wie eine Vagabundin, die sich in der Tür vertan hat und trotzdem gedrängt wurde, einzutreten. Dabei wird ihr Auftreten nie manieriert, im Gegensatz zu das affektive Gehabe der Ehrerbietung durch das Rudel schwäbischer Deutschlehrerinnen, dass sie mit ironischen Bemerkungen in bestem Wiener Österreichisch kommentiert. Ironisch, aber liebevoll. Ich war ja auch mal eine, fügt sie erklärend hinzu. Von Ferne sieht sie aus wie ein zartes Mädchen. Ihre Haut ist fahl wie Porzellan. Die dunklen Haare trägt  sie trägt sie streng und glatt, mit geradem Pony, wie Cleopatra. Von nahem erschrickt man ein wenig in ihr Gesicht, das lederig ist wie bei einer Puppe, die alt geworden ist. Wenn sie so aus ihrem braunbärartigen Mantelkragen schaut, sieht sie aus, als hätte sie den hundertjährigen Winter schon hinter sich,

Keine Dichterin des 20. Jahrhunderts zerrt das Leben so in die Kunst und die Kunst so in das Leben. Ihre Kurzprosa macht vor Darmverschluss keinen Halt und nicht vor der Bosheit junger Mädchen in der Straßenbahn, sie schickt ihre Worte in alle Körperöffnungen und ins Parkhaus, dann und wann auch in die Bilder und Texte anderer Leute. Sie setzt sich im Deutschen fest wie eine Furie, die ihrem Opfer an den Haaren zieht, die kratzt und beißt und wie zur Beruhigung ihres Opfers auch mal sehr zärtliche Gesten übrig hat, um dann wieder loszuschlagen. Dann wieder verdreht sie die Sprache in alle Richtungen, trennt ihnen die Wirbel aus dem Rückrad, reißt die Buchstaben aus ihrem Korsett und wirft sie mit Vergnügen in die Luft. Das hat etwas Kannibalisches. An den Lauten, die so neu entstehen, hat sie diebisches Vergnügen. Der Alltagssinn des Redens macht sie skeptisch, ärgerlich oder manisch produktiv. Das hat etwas Messianisches. Als sei die neue Zeit der Sprache schon angebrochen. Dabei ist sie eigen und großzügig zugleich. Sie verschenkt ihre Verse großzügig an Freunde und Kollegen, auch an die, die schon hundert Jahre tot sind. Ihre Wiener Wohnung ist bevölkert von der künstlerischen Avantgarde der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Maler, Romanschreiberinnen und Dichterinnen, Konzeptkünstler und Tänzerinnen und Meister des elektronischen Tonexperimentes scheinen sich auf den Sesseln zu fletzen. sie lungern vor ihrem Schreibtisch herum und machen sich in ihren Texten breit, als seien sie ungezogene Enkelkinder, die man niemals fortschickt, auch nicht, wenn sie sich noch so daneben benehmen. Der liebevolle Blick auf diese Künsterbande lässt eine vergangene Zeit vital erscheinen. Und auf allen ihren Texten liegt wie eine Transpiration der Wiener Schmäh, der die Lust am sprachlichen Experiment befeuert. Was, um Himmels Willen, fällt Fredrike Mayröcker zu Paul Gerhardt ein? Ich frage sie. Postwendend kommt die Antwort: Das Experimentale hält sich in Grenzen, als wolle sie den alten Dichterpfarrer nicht in Verlegenheit bringen. Sie zerrt nicht an seiner Perücke, sondern streicht ganz freundlich seinen Kopf. So rettet sie ihn vielleicht am ehsten vor der Musealisierung wie vor der Banalisierung allenthalben.

Paul Gerhardt. geistliches Lied

die Nachtluft duftet nach Holunder, sichtbare und unsichtbare Engel
schützen und helfen uns, unsere Irrtümer unsere Unwissenheit sind
unsere eigentlichen Feinde. Ich habe nicht gemerkt wie die Tage ver-
gehen - ach die Blumen Wanderungen : es gibt mir Kontur. Herr Jesu
Christ war angeknöchelt, begibt sich auf die Würge Bank. Der Regen
fällt die Träne quillt der Mai mit Blüten ist bekränzt, die Unmuts
Tropfen fallen vor meine Pest Füsze. Diese Illusion diese Lilien die-
se Verzückung: seltsames Bild, trage es bei geschlossenem Auge lan-
ge mit mir herum, die grüne Wildnis im Fenster vis-à-vis ..
1 Distelfink 3 Krähen kreuzen Telefunken, wenn er da war war alles
im Gleichgewicht, mein Atem ging ruhig ich suchte sein Auge, wenn
ich neben ihm sasz, seine Hand

(15.8.06)



Das Mayröckersche Stück Kurzprosa erscheint zusammen mit anderen Beträgen von Lyrikern, Grafikern und bildenden Künstlern im März als Buch: Annäherungen an Paul Gerhardt, chrismon-edition, herausgegeben von Petra Bahr.


© Petra Bahr 2007
Magazin für Theologie und Ästhetik 45/2007
https://www.theomag.de/45/pb3.htm