Eine notwendige VorbemerkungWird man gebeten, einem Jubilar ein Geschenk zu überreichen, so bringt dies verschiedene pikante, unter Umständen sogar dramatische Herausforderungen mit sich. Man ist sogleich unmittelbar gefordert, den eigenen Geschenketat zu überprüfen und je nach monetärem Potential groß oder klein zu denken. Man kann sich einem solchen, unter Umständen kostenintensiven materialistischen, Ansinnen aber auch durchaus elegant dadurch entziehen, dass man etwas verschenkt, was einem selbst bereits zu vorheriger Gelegenheit überreicht oder übereignet wurde. Pikant wird die Sache allerdings dann, wenn man dem Jubilar nun genau dasselbe zurückschenkt, was er selbst einem vor gewisser Zeit zukommen ließ. Das ist dann im Regelfall eine peinliche Angelegenheit erst recht dann, wenn sich der nun Schenkende gar nicht mehr daran erinnert, dass just dieses Geschenk ursprünglich genau vom nun Beschenkten stammte (Letzteres dies sei schon hier angemerkt ist im vorliegenden Fall glücklicherweise nicht so!). Die Herausforderung stellt sich nun als eine noch größere dar, wenn es sich beim Geschenk um ein Kunst-Stück handeln soll. Sind nicht Kunststücke in besonderem Sinn ungeeignet zur Weiter-, erst recht zur Rückgabe? Entweder sind sie im performativen Sinn überhaupt nur von einmaliger unwiederholbarer Art, deren nochmalige Darstellung in anderen Kontexten gar nicht mehr funktioniert. Oder das Kunststück, mit dem man höchst persönlich beschenkt wurde, hat in der Zwischenzeit einen sehr individuellen Standort in den eigenen vier Wänden gefunden hat und ist aus dem eigenen Haus kaum mehr wegzudenken. Diese Bedenken werden zudem noch durch die offene Frage verschärft, ob denn der von mir „zurückzugebende“ Gegenstand überhaupt als Kunststück durchgeht. Das ist mehr als eine Geschmacksfrage. Vielmehr ist diese Frage zu stellen, da ich mir keineswegs sicher bin, ob Dietrich Zilleßen als erster Geber dieses konkrete Kunst-Stück des Frage-Zeichens überhaupt als Geschenk an mich wahrgenommen hat. Ich könnte also im Begriff sein, etwas zurückgeben, was er selbst ursprünglich gar nicht als Geschenk verstanden wissen wollte oder empfunden hat. Ich rette mich im Folgenden aus diesen prekär-dramatischen Grundfragen des Schenkens und Beschenktwerdens, indem ich freimütig mein Vorhaben bekenne, dieses einst (und mehrfach durch Dietrich Zilleßen überreichte) Kunststück des Frage-Zeichens nicht einfach in gleicher Gestalt zurückzugeben, sondern gleichsam in der bei mir und durch mich veränderten Gestalt, die es in der Zwischenzeit angenommen hat. So pikant und dramatisch die Dinge liegen mögen: ich hoffe auf verständnisvolle Entgegennahme und vielleicht sogar freudiges Überrascht-Sein! Mediale Erfahrung:Kaum eine frühe Medienerfahrung ist mir so präsent wie dieses Fragezeichen. Gespannt saßen wir Kinder mit den Eltern vor dem Fernseher und hofften inständig darauf, die letzte Kandidatin möge bloß nicht vergessen, das Fragezeichen zu nennen: Seit 1974 zogen „am laufenden Band“ in einer Minute Gegenstände vorüber, von denen es möglichst viele zu erinnern und nach dem obligatorischen Gong in möglichst schneller Abfolge und möglichst großer Zahl aus dem Gedächtnis wiederzugeben galt. Was die Kandidaten benennen konnten, durften sie behalten: die begehrten Konsumartikel der Zeit, Symbole der aufblühenden Konsum-Haushalte der 70er Jahre: Kaffeemaschine, Elektrowecker, Fernseher etc. Und wenn dann endlich in der memorierenden Aufzählung nicht nur der Globus oder das Flugzeug (was in der Regel für eine Reise stand) genannt wurden, sondern das erlösende Wort: „Fragezeichen“ fiel, atmeten wir erlöst auf: Denn das war der Hauptpreis, dessen eigentlicher Sinn vom Showmaster Rudi Carrell in geradezu heiligem Gestus eröffnet wurde. Eine Katastrophe für den Kandidaten hingegen war es, wenn er die Erwähnung des Fragezeichens versäumte dies kam meiner Erinnerung nach nur einige wenige schmerzhafte Male vor. In einem solchen Fall war das Verdikt gnadenlos: die Chance auf das Beste war endgültig dahin. Auf die Bitte hin, Dietrich Zilleßen ein Kunststück zu „schenken“ oder wenigstens zu widmen, ist mir zu meinem Beitrag spontan eben jenes Fragezeichen vor Augen getreten, samt der Erinnerung daran, wie dieses profane Zeichen der Medienwelt in mir so intensiv gespannte Unruhe und bange Erwartung ausgelöst hat. Ich komme um eben dieses mediale Kunst-Stück als symbolhaftem Geschenk deshalb schwerlich herum, weil die theologische Kunst, gespannte Unruhe und bange Erwartung auszulösen, unmittelbar mit ihm zu tun hat und geradezu auf ihn verweist. Unmittelbare Erfahrung I:Schon meine erste unmittelbare Erfahrung mit Dietrich Zilleßen ist von Fragezeichen-konnotierter Art. Wir schreiben das Jahr 2002: als Studienleiter in Bad Boll kam mir die Aufgabe zu, die Jahrestagungen der evangelischen Religionslehrerinnen und -lehrer an Beruflichen Schulen in Württemberg zu organisieren. Jedes Jahr ein großer und nicht immer leicht zu nehmender, engagiert-aufgeregter, manchmal etwas überspannter Kreis von deutlich über 150 Personen. Jedes Jahr mächtiges Gebrumme und großes Hallo im großen Saal der Evangelischen Akademie. Nun der Morgen des zweiten Tages: Aufgrund organisatorischer Notwendigkeiten verpasse ich den Anfang des Referats des mir bis dato nicht persönlich bekannten Theologen Zilleßen. Erst einige Zeit nach dessen Vortragsbeginn betrete ich den dicht gefüllten Raum. Aber wo ich bisher laute Unruhe wahrgenommen hatte, herrscht jetzt geradezu atemlose Stille im Auditorium. Eine den Raum ruhig und rheinisch füllende Stimme, eine körpersprachlich völlig unaufgeregte Szenerie. Auf der Wand die projizierte Animation eines Fahrradfahrers und dazu eine Frage: „Fährt Gott Fahrrad?“. Und im Sinn einer „Didaktik der Gottesfrage“ sprach die Stimme: „Konkrete Theologie stellt eigenartige Fragen“. Und dann einige Zeit später das durchaus befremdliche, ganz ungewöhnliche Fazit: „Ob Gott existiert? Die Frage ist ohne Bedeutung“. Unmittelbare Erfahrung II:Wem es gelingt, eine solche bodenständig-pädagogische Rasselbande von Berufsschullehrern nicht nur zur konzentrativ-fragenden (wohl auch leicht desorientierten) Stille, sondern auch zu wahren Beifallsstürmen (so endete die beschriebene Vortragsszenerie) hinzureißen, der sollte wieder eingeladen werden so strategisch denken Studienleiter an Evangelischen Akademien. Und so kam es sowohl im Mai als auch im Dezember 2002 zu weiteren Begegnungen in Bad Boll: zum Thema „Bildung auf evangelisch“ und zu Fragen der „Religionspädagogik im 21. Jahrhundert“ trug Dietrich Zilleßen erneut vor: auch hier wieder zielgenau fragende Annäherungen: „Meine Bildung bin ich. Aber wer bin ich?“ Wer weiter nachlesen mag, kann dies tun[1]. Was mir aber noch mindestens ebenso sehr in Erinnerung blieb, war die abendliche Diskussion im Café Heuss, am Tisch gemeinsam mit Antje Roggenkamp-Kaufmann und Joachim Kunstmann. Worin besteht die Rolle des Religionslehrers gegenüber seinen Schülern. Soll er orientieren, soll er Themen setzen, soll er die Richtung vorgeben? Dietrich Zilleßen fragte gemeinsam mit uns ganz auf Augenhöhe, gänzlich unprätentiös, ohne rechthaberischen Gestus und doch zugleich in eindeutiger, beinahe hartnäckiger Weise: „Nein“, so habe ich es in Erinnerung: „die Schüler müssen ihre Wege und Antworten ganz und gar selber finden“. Die Lehrpersonen hätten sich ganz und gar zurückzunehmen, aus jeglichem Erkenntnisprozess wohlweislich herauszuhalten, alles andere käme einer Entmündigung gleich. Seit 2002 haben wir uns regelmäßig im Rahmen des Expertenkreises „Theologie in der beruflichen Bildung“, unter anderem in Rom, Brüssel, in Winnenden, auf der Ebernburg und in Zürich getroffen. Und auch hier immer wieder die Erfahrung des pointiert und gezielt Fragenden: dann, wenn es besonders konkret um berufsbildungspolitische Fragen geht, wenn innovative Qualifikations- und Finanzierungsmodelle vorgestellt werden, setzte Dietrich Zilleßen die eigentlich wichtigen und weiterführenden Fragezeichen: „Welches Menschenbild steckt im Hintergrund dieses Ansatzes?“, „Was heißt eigentlich Bildung?“, „Wie meint Zukunftsfähigkeit?“. Damit unterbrach er immer wieder auf heilsame, manchmal auch nach-fragend entlarvende Weise die Hochglanzpräsentationen und so zweifelsfrei daherkommenden Erfolgs-Projektionen, die uns auf den Exkursionen des Kreises vor-gehalten wurden. Das war sperrig und blieb doch dialogfähig, da wurde klar und sicher und doch im gleichen Moment offen-suchend kommuniziert bei kaum einem anderen Kollegen der theologischen Zunft habe ich mich seitdem so häufig gefragt, ob es wohl so etwas wie eine empathische Penetranz bzw. penetrante Empathie geben kann. Diese unmittelbaren Erfahrungen machten Lust auf intensivere Beschäftigung. Literarische Erfahrung I:Es gibt Theologen, von denen ich ab dem Zeitpunkt entweder unter größtem Widerwillen oder gleich nichts mehr gelesen habe, als ich sie persönlich kennen gelernt habe. Es gibt Theologen, denen ich begegnet bin und daraufhin beschloss, mehr von ihnen zu lesen. Dietrich Zilleßen gehört zweifellos in die zweite Abteilung der Theologenzunft. Im Sommer 2006 habe ich seinen Text „Werte vermitteln“[2] an den Beginn eines Seminars an der Theologischen Fakultät Zürich zu Fragen ethischer Erziehung gestellt. Gerade dadurch wurde es auf ganz ungezwungene Weise möglich, falsche Erwartungen unter den Studierenden auf den Kompetenzerwerb bestimmter eindeutiger ethischer Handlungsanweisungen zu relativieren ohne diese Erwartungen dabei aber gänzlich enttäuschen zu müssen. Seine Grundfrage „Sind Erwachsene willens, Jugendlichen … Übertretungen zu ermöglichen?“ hat mehr ausgelöst als es ein ganzes Handgepäck moralischer Erziehungstipps je hätte erreichen können. Und das Erstaunliche war, das bei der Besprechung aller folgenden Texte im Lauf des Seminars eben diese Grundfrage und Dietrich Zilleßens Beitrag als Ganzer so etwas wie die Prüffolie, sein Autor der heimliche Gesprächspartner für alle folgenden Seminardiskussionen und die Lektüre weiterer Abhandlungen anderer Autorinnen und Autoren blieb. Die genannten unmittelbaren Erfahrungen haben in mir Lust und Interesse ausgelöst, Dietrich Zilleßens Für-sich-Sprechen intensiver nachzulesen (ich vermeide die Formulierung „ihm auf die Spur zu kommen“). Dafür hat es sich mir aus verschiedenen Gründen, die hier nichts zur Sache tun, nahe gelegt, seine Beiträge im Evangelischen Erzieher (im Folgenden: EvErz) nachzulesen. Literarische Erfahrung II:Im Zeitraum zwischen 1967 und 1990 und darauf will ich mich begrenzen erscheinen rund 30 Beiträge und einige Rezensionen die Be-Wertung und Be-Urteilung der Schriften Anderer scheint ihm nicht primäre Herzenssache zu sein aus seiner Feder. Nicht zu vergessen, dies tut leider das 1992 erschienene Register des EvErz, sind vier Beiträge, die in besonderer Weise der Kategorie der Frage zuzuordnen sind und die unter den Bezeichnungen „Interview“ und „Gespräch“ firmieren. Zilleßen ist in 1973 (und damit recht zeitnah zur medialen Erfindung des Fragezeichens!) nach bereits mehrjähriger und intensiver werdender Mitarbeit in den engeren Herausgeberkreis der Zeitschrift eingetreten. Man weiß nicht so recht (das gilt für den Verfasser dieses Beitrags ebenso wie hinsichtlich der Selbstauskunft Zilleßens), warum genau er in diesen Kreis aufgenommen wurde. In jedem Fall waren die entscheidenden Protagonisten auf ihn aufmerksam geworden und für die Anfang der siebziger Jahre anstehende Neuausrichtung des EvErz galt der 1970 nach Köln Berufene als wichtige und inspirierende Größe. Signifikant ist Zilleßens mir gegenüber geäußerte Bemerkung, dass in der Folge seines ersten größeren Aufsatz „Sprachphilosophische Überlegungen zur Theologie“ von 1968 Hans-Dieter Bastian nicht nur direkt Kontakt zu ihm aufnahm, sondern eben jenen Beitrag im Blick auf Wittgensteins „Fragefreudigkeit“ auch in seiner „Theologie der Frage“ explizit erwähnt[3]. Als weiterer Grund für den Eintritt in den Verantwortungskreis der Zeitschrift ist auch nicht auszuschließen, dass neben W.-E. Failing als Kontaktperson zum Diesterweg-Verlag auch Klaus Wegenast mit der ihm eigenen Direktheit eine intensivere Integration Zilleßens befürwortete und sei es, um hier mit einer durchaus anderen religionspädagogischen Stimme wenigstens im unmittelbaren Gespräch sein zu können. Versucht man sich einen Überblick auf die von Zilleßen veröffentlichten Beiträge zu verschaffen, fällt sogleich die thematische Bandbreite ins Auge. Gleichwohl kann man, und dies soll im Folgenden aufgezeigt werden, quer durch viele der Beiträge seine spezifische Grundhaltung emphatisch-empathischen Fragens und damit vielfache, wohl überlegt gesetzte Frage-Zeichen entdecken. Grundsätzlich lassen sich die Gegenstandsfelder seiner Beiträge annäherungsweise in folgender Weise kategorial erfassen:
Eine erste Annäherung an die Gesamtzahl der Beiträge und deren jeweiligem Thema lässt erkennen, dass sich die Schwerpunkte im Lauf der Jahre signifikant verschieben. Während sich in bis in die achtziger Jahre hinein eine Vielzahl explizit ethisch und politisch dimensionierter Abhandlungen sowie bildungspolitische und didaktische Beiträge auffinden lassen, treten diese seit Mitte der achtziger Jahre zugunsten grundsätzlicher theologischer und schließlich kulturtheologischer, alltagsphänomenologischer und medientheoretischer Erwägungen deutlich zurück. Nun könnte man diese Veränderungen auf die faktischen Veränderungen der zeitgeschichtlichen und auch religionspädagogischen Debattenlagen zurückführen und Zilleßens Ausführungen gleichsam als nachgängige Interpretamente der bestehenden Diskurslandschaft und des dementsprechenden „agenda setting“ verstehen. Gegen eine solche ausschließliche Zeitbedingtheit spricht nun allerdings, dass von Beginn an, konkret ab den bereits erwähnten sprachphilosophischen Ausführungen, ein spezifisch gegründeter Fragehorizont alle thematischen Erwägungen mindestens implizit durchzieht. So lässt sich über die Zeiten hinweg in den aufgeführten Beiträgen tatsächlich eine genuine religionspädagogische Denkkultur des emphatischen Frage-Zeichens auffinden. Das Fragezeichen ist damit wesentliches Grundelement jeglicher religionspädagogischen Theoriebildung überhaupt. Gegen eine vor allem menschlichen Denken und Reden liegende metaphysisch-fiktionale Vorstellung des Seins Gottes formuliert Zilleßen gleichsam sein Programm des für alle Theologie konstitutiven offenen und hartnäckigen, gelassenen und elementar interessierten Fragens: „In der Sprache ist die Wirklichkeit des Seins … Theologische Verkündigung ist ein Sprachprozess“[4]. Und dies erfolgt im Modus einer doppelten entscheidenden Frage mit je signifikant kurzer und um so prägnanterer Antwort: „Wie sollte der Theologe die Sprache als Transportmittel unabhängiger Wahrheiten und sich selbst als Transporteur verstehen können? Neue Sprache setzt auch neue Inhalte“[5]. „Wie kann er [der Mensch, Th.S.] die Wahrheit des Glaubens als vorgegebene Wahrheiten, als vorausgesetzte Glaubensinhalte verstehen? Wahrheit gibt es nur in der Sprache. Sinn ist Sinn für mich; Sinn für Menschen“[6]. Dafür erscheint es nur konsequent, wenn Zilleßen seine Schwerpunkte nun eben nicht nur durch eigene Abhandlungen entfaltet, sondern für die weitere Klärung Interviews und Gespräche eine bedeutsame Rolle einnehmen. Man könnte gemäß der oben vorgenommenen Ordnung sogar sagen, dass sich im Blick auf die aufgeführten Kategorien über die Interviews wesentliche Elemente der theologisch begründeten Fragekunst Zilleßens zeigen. Hier gilt es im Übrigen zu bemerken, dass eine solche „fragende Gattung“ grundsätzlich bis zur Beginn der Mitherausgeberschaft eine Ausnahme innerhalb des EvErz darstellte. Über die Interviews, in denen er explizit als Gesprächspartner genannt ist, hinaus steht zu vermuten, dass er auch an weiteren der aufgeführten Interviews beteiligt war; wenigstens lässt der Stil so mancher Nachfrage darauf deutlich schließen. Eigener Auskunft zufolge hat sich Zilleßen innerhalb des Herausgeberkreises immer wieder für eine Ausweitung dieses Zugangs stark gemacht, um theologische Debatten nicht nur lebendiger und prägnanter zur Darstellung zu bringen, sondern auch um Theologie selbst in ihrem prozessualem Sinn besser und angemessener zu verdeutlichen. Diese Form fragender und zugleich emphatischer wie empathischer Annäherung soll im Folgenden exemplarisch an einigen Gesprächen deutlich gemacht werden. Im EvErz von 1990 ist dokumentiert, wie Zilleßen fünf Schülerinnen und Schülern der Klassen 10 und 11 der Gesamtschule Bergisch Gladbach befragt, besser: sich mit ihnen unterhält. Dem Abdruck des Gesprächs gehen Reflexionen Zilleßens über die möglichen Intentionen dieses und jedes unterrichtlichen Gesprächs voraus: gegenüber einer vermeintlich eindeutigen Frage-Antwort-Logik mit vorhersehbaren oder gar feststehenden Ergebnissen plädiert er für eine Gesprächskultur gemeinsamen Suchens, „wo und wie befreiende und verunsichernde Kraft aus der Begegnung mit christlicher Religion zu gewinnen ist“[7]. Das ausführlich dargestellte Gespräch selbst verläuft von Aspekten der Lebensplanung und der beruflichen Perspektiven hin zur Frage, was das Leben ausmacht, von dort aus zu konkreten Lebenserfahrungen, den Möglichkeiten und Anforderungen der mobilen und schnellen Welt mitsamt ihrer Probleme und einem kurzen Ausflug zum Thema Gehorsam und Autoritäten. Von dort aus kehrt das Gespräch zu Fragen des Planens zurück, nun verbunden mit der Anregung gegenüber den SchülerInnen, im Sinn der Auseinandersetzung mit sich selbst auf ihr bisheriges Leben zurückzublicken,. Diese Ebene der Selbstreflexion wird anschließend auf die weitere Zukunft hin geöffnet und mit Aspekten des Beängstigenden und Bedrückenden verbunden. Von dort aus wird der Blick auf Lebensentwürfe anderer Menschen (die „Großen der Welt“, Vorbilder, Lehrer) gerichtet. Und hier gibt nun Zilleßen dem Gespräch durch folgenden Satz eine weitere Wende: „Ihr wollt nicht alles einfach hinnehmen, nicht einfach alles glauben so formuliere ich mal. Welche Rolle spielt dann der Glaube? Ist Glauben eine wichtige Haltung?“[8] Von hier aus kommt man auf den Kirchenglauben, den Glauben an Menschen, den Zukunftsglauben und die modische Zuwendung zu östlichen Religionen zu sprechen, was schließlich zur Frage führt: „Was kritisiert Ihr am Christentum?“. Neben diesem tastenden Annäherungsversuch an die Erfahrungs- und Glaubenswelten der Jugendlichen sind es insbesondere die beiden Schlussfragen Zilleßens, denen paradigmatischer Charakter für die prinzipielle Bedeutsamkeit einer Haltung des Fragens beigemessen werden kann: zum einen wird einer möglichen individuellen „Entscheidung“ für die religiöse Dimension des Lebens bewusst zukünftiger Raum eröffnet: „Könnt Ihr Euch vorstellen, dass die Religion größere Bedeutung gewinnen wird, wenn Ihr älter geworden seid, in Eurem späteren Leben?“[9]. Zum zweiten wird sehr grundsätzlich gefragt: „Ist es überhaupt sinnvoll, solche Gespräche wie dieses mit Jugendlichen zu führen?“[10] Nicht nur die Schlussantworten der Jugendlichen, sondern auch ihr Umgang mit den anderen angerissenen Aspekten lässt erkennen, dass Zilleßens Fragezeichen ganz offensichtlich Wesentliches auszulösen vermögen: die Jugendlichen bejahen die Frage nach dem Sinn solcher Gespräche indirekt positiv: von Denkanstössen, vom hilfreichen Hören anderer Meinungen, vom eigenen Frustabladen ist die Rede. Die Idee des durch Fragen initiierten und gerade dadurch bedeutsam werdenden Gesprächs wird deutlich. Und die Denkanstösse sind wohl gerade deshalb möglich, weil es dem Fragenden gelingt, auf rhetorische oder suggestive Fragen zu verzichten, gegenüber den Befragten selbst eine echt fragende Haltung einzunehmen, so dass sie sich als Gesprächspartner auf Augenhöhe ernst genommen wissen können. Paradigmatisch für Unterrichtsgespräche über Religion ist dieses Gespräch insofern, als bewusst nicht auf eine abschließende Klärung abgezielt wird, sondern auf den Prozess des gemeinsamen Weiterdenkens gesetzt wird, indem Raum für weitere individuelle Klärungsprozesse und weitere Horizonte eröffnet wird. Diese Fragekunst wird auch innerhalb der früheren Interviews deutlich erkennbar. Interessant ist dabei, dass sich Zilleßen in eigenen Beiträgen zu Fragen der interdisziplinären Aspekte der Theologie sowie zur ethischen-politischen Dimension evangelischer Religionspädagogik durchaus profund und deutlich geäußert hatte. Und die thematisch damit verbundenen Interviews dienen nun erkennbar keineswegs einfach der nachträglichen Untermauerung seiner Haltung, sondern sind auf weitere, nach Möglichkeit durch das Gespräch initiierte Erkenntnisfortschritte aus. Dies zeigt sich beispielhaft im EvErz des Jahres 1972, das der intensiven Auseinandersetzung mit Dorothee Sölles Theologie gewidmet ist. Dahinter steht ohne Frage die zunehmend schablonenhafte Rezeption ihrer Schriften in der theologischen und kirchlichen Öffentlichkeit, die Dietrich Zilleßen und Henning Schröer in der Einführung des Heftes zu der grundsätzlichen Bemerkung veranlasst, dass Polemik kein Gespräch ersetzen kann und sie die Einsicht formulieren lässt: “Der pädagogische Charakter von Sölles Theologie bietet die Möglichkeit, ohne fachtheologische Rückversicherung Anfragen an ihre Theologie zu stellen. Theologische Vorbehalte erlauben dagegen nur Scheingefechte“[11]. In einem grundsätzlichen Kommentar vor Abdruck des Interviews fragt Zilleßen, wie parteilich man denn nun angesichts der öffentlichen Auseinandersetzung über die Reform des §218 werden dürfe. Man mag nun zwar durchaus kritisch bemerken, weshalb er von der „Spätphase parlamentarischer Demokratie“ spricht, gleichwohl ist sein Plädoyer für eine durch Erziehung mitzubewirkende Demokratisierung des Bewusstseins und zur Kritikfähigkeit eindeutig. Im guten utopischen Sinn stellt er gegen die Polarisierung von Unmündigen und Unmündigen die notwendige Bearbeitung des schweren und gefährlichen Problems „einer Mischung von Plebiszitärem und Repräsentativem"[12] und stellt, wiederum im Sinn der eindeutigen Frage „Wie parteilich darf man denn nun werden?“ die dezidierte eindeutige und doch zugleich offene Antwort: „So parteilich wie nötig“[13].
Daran schließt das gemeinsam mit Günter Ruddat und Henning Schröer am 29. Februar 1972 mit Dorothee Sölle geführte ausführliche Interview an[14]: es ist zwar nicht gekennzeichnet, wer welche Fragen gestellt hat, allerdings gibt auch hier wieder die Art des Fragens sowie die Abfolge der Gesprächsthemen die Frage-Intentionen Zilleßens zu erkennen: nach einem Rekurs auf die konkrete pädagogische Praxis Sölles kommt man auf die Anforderungen für einen zeitgemäßen Religionsunterricht, die Frage kognitiver und affektiver Lernziele bzw. die dafür notwendigen biblischen und aktuellen Texte zu sprechen. Im Zusammenhang wird nicht nur auf die gegenwärtige Situation der Schüler rekurriert, sondern auch der Aspekt einer religionspädagogischen Wende von der existentialen Interpretation zur Ideologiekritik thematisiert. Es werden die Funktion von Schule und den Lehrkräften in ihrer besonderen Verantwortung sowie die Möglichkeiten des Konfirmandenunterrichts als einem “Stückchen Gegenschule“[15] diskutiert. Insbesondere in den theologischen Abschnitten des Interviews ist zu erkennen, dass man sich in der Analyse der Herausforderungen weitgehend einig ist, die dogmatischen Versuche einer Ortsbestimmung zugunsten der Vorstellungskategorien und Bedürfnisse der Schüler selbst zu relativieren und gegen alle Verdinglichungstendenzen Lernen generell als „Verändert-Werden-Können“[16] bzw. als Hoffnungs-Lernen zu verstehen. Auch wenn man in der Frage der indikativischen Bedeutung des Hoffnungsbegriffs erkennbar unterschiedlicher Meinung ist, findet man gegen Ende des Interviews eine deutlich gemeinsame Basis. Auf die Frage: „Würden Sie denn sagen, ... die Theologie muss das Unmögliche darstellen, damit das Mögliche wenigstens geschieht“, antwortet Sölle: „Dass die Theologie etwas mit dem Unmöglichen zu tun hat, das glaube ich in jedem Sinn“[17]. Und es erscheint durchaus als mutig und wiederum als Ausdruck offen-fragender Selbstreflexion, wenn die Interviewer angesichts der von Sölle herangezogenen nicht-theologischen Literatur fragen: „Müssten die Leser, an die wir uns wenden, dann eher diese Dinge zur Kenntnis nehmen als solche Zeitschriften, wie wir sie hier machen?“[18] Diese Frage erscheint alles andere als ein „Fishing for compliments“, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass Sölle in ihrem Abschlussstatement nicht mehr direkt auf diese Frage eingeht. Wenn Zilleßen an späterer Stelle deutlich kritische Fragen, Mängel und theologische Probleme sowie Vereinfachungen gegenüber Sölles Ausführungen markiert, so lässt ihn doch die Lektüre ihrer Schriften wiederum sehr grundsätzlich zustimmend formulieren: „Wie anders können Kreativität und Spontaneität entwickelt werden als durch Störung eigener Denktradition, Verfremdung des Normalen, Vereinfachung des Komplizierten, Infragestellung des Selbstverständlichen“[19]. Nach Lektüre ihrer Politischen Theologie konstatiert er: „Kritische Fragen an D. Sölle bleiben. Das ist gut so. Ein vollkommenes System blockiert das Denken“[20]. Man kann diese dezidierte Haltung des engagierten und um Aufklärung suchenden Fragens grundsätzlich und wiederum durch die Zeiten hindurch an seinen explizit auf das Politische bezogenen Überlegungen ablesen. Bereits die ersten noch ganz historisch und auf den kirchengeschichtlichen Unterricht bezogenen daherkommenden Beiträge zielen auf Aktualisierung und politische Relevanz ab: „Es lässt sich eine Vielzahl von Fragen der heutigen Zeit durch überraschend ähnliche oder vorbereitende Fragestellungen der konstantinischen Zeit veranschaulichen“[21]: unter der Prämisse, dass kirchengeschichtliche Vergangenheit nicht weniger als die Vergangenheit der christlichen Gegenwart ist[22], hat religiöse Bildung politische Fragen als wesentliche Aspekte ihres Tuns zu begreifen: dies gilt für das Verhältnis von Kirche und Staat, das Selbstverständnis des jungen Menschen als „Staatsbürger der Gegenwart“[23], dem Vorbehalt „gegenüber christlichen Etikettierungen staatlicher Einrichtungen (vgl. christliche Parteien)“[24] ebenso wie für die Frage der Wehrdienstverweigerung aus christlichen Motiven: Grundsätzlich lautet die religionsdidaktische Maxime: „Widerspruch unterstützen!“[25]. Über seine größeren Schriften hinaus wird auch im EvErz die Zielsetzung Zilleßens erkennbar, einen Religionsunterricht zu denken, der nicht nur aus methodischen, sondern aus prinzipiell emanzipatorischen Gründen auf Interaktion setzt und für den deshalb ein politischer und konkret gesellschaftskritischer Blickwinkel conditio sine qua non ist, Entfremdung und Abhängigkeit gerade deshalb aber nicht in ausschließlich politischen Kategorien zu denken ist. Materialiter zeigt sich in einer Reihe von didaktischen Erwägungen zu konkreten Problemen das starke Plädoyer für eine Förderung von Kritik- und Handlungsfähigkeit, „ohne einfach bestehende Normen, vorgegebene Werte, äußere Sinnsetzungen kritiklos zu übernehmen“[26] und das didaktische Ziel, sich mit einem Standpunkt tatsächlich auseinandersetzen zu können um so schließlich „für sich selbst Leben neu“[27] definieren bzw. Lebenssinn[28] für sich entdecken zu können. Dabei zieht sich durch die politisch relevanten Überlegungen immer wieder die Warnung vor falschen Ideologisierungen (auf allen Seiten!) sowie allen Parolen, die auf nichts weiter als Unmündigkeit bauen oder abzielen: So ist die Grundfrage zu stellen, „wie bestimmte Qualitäten (Freiheit, Solidarität, etc.) zu konkretisieren und zu quantifizieren sind, ohne dass eine totale, ideologische Verrechnung von Qualitäten und Quantitäten stattfindet“[29], einzelne Theologoumena lediglich für bestimmte didaktische Interessen instrumentalisiert und damit die eigentlichen Sinnprobleme unterlaufen werden. Gegen den Trend der späten siebziger Jahre eines entweder nur formalistisch redenden oder aktionistisch-irrationalistisch daherkommenden Religionsunterrichts versucht er angesichts der technokratisch geprägten Neutralisierung sozialpolitischer Potenzen und Energien, politisch wie theologisch seriöse Grundlinien eines ethischen Lernens zu konzipieren. Gegen alle Formen sowohl politischer wie theologischer Ideologisierung, Dogmatisierung und Totalisierung stellt Zilleßen im Übrigen lange vor allen Überlegungen neuerer Politikdidaktik die Forderung nach partizipatorischen und kommunikativen Formen des religiösen Lernens auf: und auch hier wieder mit Hilfe nachdrücklichen Fragens: „Wird Orientierung durch Reflexionsprozesse im Unterricht ermöglicht oder mehr durch Erfahrungen in praktischer Lebensgemeinschaft, durch personale Bezüge oder durch Partizipation an bestimmten Lebensmodellen?“[30]. Angesichts der gegenwärtigen Kompetenzdebatte ist hierbei folgende grundsätzliche Einsicht besonders zu beachten: „Kompetenz kann Imaginationskraft sein … Sie kann Fragekompetenz sein … In Teilbereichen muss sie aber auch Sachkompetenz“[31] sein. Man könnte sagen: Maßstäbe für das, was Lebensqualität heißt, sind nicht zu gewinnen, wenn dem Individuum die wesentlichen Fragen von außen vorgegeben und womöglich auch noch mit den einzig „passenden Antworten“ versehen werden. Und dies ist eben nicht nur eine Grundfrage an die Verantwortlichkeit von Schule und Lehrkräften, sondern an die Verwendung biblischer Überlieferung selbst: auch deren Einsatz beginnt mit der angemessenen Frage: Inwieweit sind „’anzuwendende’ biblische Traditionen auf praktische (kursiv D.Z.) Vernunft und Erfahrung beziehbar und können auch von daher Verbindlichkeit gewinnen?“[32] Diese grundsätzliche Fragehaltung und -kompetenz zeigt sich auch in dem schriftlichen Interview, das Zilleßen im Jahr 1983 mit Hartmut von Hentig führt[33]. Thematisch geht es um die Aufgaben der Schule und der Lehrerschaft unter den veränderten Lebensbedingungen des Politischen und des Sozialen inmitten der Leistungsgesellschaft, einen zukunftsfähigen Begriff des Lernens, Fragen der Werte- und Tugendvermittlung und schließlich die Aufgabe der Theologie für die Pädagogik sowie des Religionsunterrichts für die öffentliche Schule. Die gestellten Fragen sind von so grundsätzlicher Art, dass sie selbst den hier sehr auskunftsbereiten von Hentig zu der Reaktion führen: „Was für Fragen!“[34]. Gleichwohl wird auch hier wieder erkennbar, dass es Zilleßen erneut keineswegs um eine Bestätigung des ohnehin schon sicher Gewussten geht, sondern tatsächlich um pädagogische Inspirationen für die eigene Urteilsbildung. Ganz unprätentiös stellt er sich von Hentig gegenüber als jemand vor, der sich „mit Fragen der Religionspädagogik, der Pädagogik und der Theologie“[35] beschäftigt. Innerhalb der Fragen enthält er sich weitgehend eigener Statements oder gar des Verweises auf eigene Überlegungen und Studien. Gleichwohl markiert er seine Analysen des gegenwärtigen Zustandes des Bildungswesens: Dies zeigt sich an den eingeflochtenen Bemerkungen der „bedrohlichen Entwicklung für die Schule“ und der „gefährlichen Konsequenzen“ ihrer Verrechtlichung, der von Politikern ausgegebenen „Parole“ zu Leistungswille und Leistungsbereitschaft, der monierten pauschalen Wertungen von Pädagogen und Politikern hinsichtlich der Emanzipationsidee sowie der „frag-würdig“[36] gewordenen Lehrerbildung. Auch in diesem Interview wird deutlich, dass Zilleßens Fragehaltung zum einen in aller Deutlichkeit auf konkreten Beobachtungen und Einschätzungen, mithin auf einem vehementem Interesse basiert, zugleich auf tatsächlichen Erkenntnisgewinn aus ist und damit prinzipiell offen für kundige Korrekturen und alternative Sichtweisen ist. Dies zeigt sich schließlich auch in den beiden Interviews, die er im darauf folgenden Jahr mit dem Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer[37] und mit Robert Jungk[38] führt. Hintergrund ist die Themenstellung des Heftes, die wiederum in fragender Form von Zilleßen formuliert ist: „Heute von Gott reden? Unter den Belastungen gegenwärtigen Lebens theologisch argumentieren? Bei diesen Frageperspektiven reizt das Thema des vorliegenden Heftes zur Auseinandersetzung“. Und auch hier sogleich die bereits bekannte prägnante Einsicht: „Theologische Sätze sind oft bloße Thesen“[39]. Die Interviews selbst drehen sich erneut um die großen Fragen: dabei wird im Interview mit Schmidbauer deutlich, dass es dem Interviewer auch hier wieder um einen Klärungsprozess anhand einer dezidierten Außenperspektive geht. Die Fragen erscheinen insofern auch alles andere als rhetorisch oder in der Absicht gestellt, es ohnehin bereits besser zu wissen, sondern durch das Gespräch wird augenscheinlich viel erwartet. Zudem ist erkennbar, dass Zilleßen durch die direkte Anrede an Schmidbauer nicht einfach ein interdisziplinäres Gespräch der Disziplinen durch einzelne Vertreter intendiert, sondern vielmehr gerade auf das persönliche Gespräch zwischen Individuen setzt, die je für sich auf der Basis ihres disziplinären Kenntnisstandes Auskunft geben können. So werden die Fragen konsequenterweise eingeleitet mit „Was halten Sie...“, Können Sie...“, „Ist Ihnen als Therapeut...“, „Sehen Sie...“ und nicht mit „Was hält die Psychotherapie...“, „Kann die Psychologie...“ etc. Dies mag ein marginaler semantischer Unterschied sein und doch setzt gerade diese Form des Gesprächs ein deutliches Signal der Dialog-Bereitschaft (nicht der Theologie, sondern) des theologischen Gesprächspartners, für den die großen Fragen nach Gott und Gottesbild, Gebet, Mythen und religiöser Sprache und den Zusammenhang von Gottesglaube und „sozialem Einfühlungsvermögen“ grundsätzlich nicht abschließend beantwortet sind oder in dieser Weise zu beantworten wären. Die Fragen an Robert Jungk mögen beinahe unverschämt groß klingen: „“Glauben Sie an Gott? Warum? Warum nicht?“[40] oder „Profitiert die Friedensbewegung von Menschen, die an Gott glauben?“[41]. Und man ist durchaus erstaunt darüber, in welcher Kürze Jungk damit umgeht (ob hier das kommunikative Bemühen womöglich gescheitert ist? man würde gerne mehr über das konkrete Setting erfahren). Gleichwohl zeigt sich auch hier die emphatische Hartnäckigkeit des Fragenden, die bei aller Provokation von Jungks Antworten gleichwohl die Größe hat, die Dinge stehen zu lassen wie sie beim Anderen sind. Ein ZwischenfazitWenn die eigentlichen Klassiker viel eher die „Meister des Fragens“ als des Antwortens sind, und primär nicht Sorgeträger für Irritation, nicht für Imitation[42] stehen, dann wage ich gerne, Dietrich Zilleßen als religionspädagogischen Gegenwarts-Klassiker zu bezeichnen. Je öfter ich ihn gehört und gesprochen habe, und das ist inzwischen für die kurze Zeit der Bekanntschaft durchaus häufig geschehen, desto besser „be-greifbar“ wird mir, warum er wo seine Frage-Zeichen setzt, wie und worüber er überhaupt spricht. Obwohl ich in manchem vielleicht auch in sehr Entscheidendem (da bin ich mir noch nicht sicher) nicht mit ihm einig bin, solidarisiere ich mich im Konfliktfall, den er regelmäßig auszulösen versteht, immer spontan mit ihm. Dies geschieht, wie mehrfach erlebt, gerade dann, wenn der überwiegende „Teil“ der Zuhörerschaft Unverständnis, Ärger, Abfälliges artikuliert: Ich habe von ihm gelernt, dass es vermutlich ganz falsch ist, ihn verstehen zu wollen, wenn man nicht auf seine entscheidenden Fragen bis hin zur höchst persönlich fraglichen Spitzenaussage achtet: „das Namensetikett Dietrich Zilleßen [ist] eine bloße enigmatische, rätselhafte Behauptung“, so hieß auf der AfR-Tagung 2005. Dass damit so mancher Teilnehmende davon in hohem Maß irritiert war bzw. damit überhaupt nichts anfangen konnte, darauf scheint Zilleßen bewusst zu setzen und das allein schon ist seiner Verteidigung wert. Religionspädagogisch gewendet kann man mit ihm sagen: wer ohne Fragen verstehen will, wer meint, ohne Irritation auszukommen, wird grandios scheitern. Und vermutlich besteht Dietrich Zilleßens theologische Kunst gerade darin, im Anderen dieses Fragen auszulösen, offen zu halten und sich mit bisherigen eigenen Antworten eben nicht zufrieden zu geben. Bis heute gelingt es ihm, wo immer wir uns begegnen, diese Frage nach dem Verborgenen und Überraschenden und Sich-Eröffnenden in aller empathisch-emphatischen Prägnanz und Penetranz zu stellen, selbst und gerade dort, wo auf den ersten Blick alles aufgeregt nach Konkretionen ruft. Angesichts seiner frag-würdigen Zugänge zu den religionspädagogischen Grundproblemen löst er mindestens bei mir sehr wohl die Hoffnung aus, dass „Vertrauen und Kritik als Lebenseinstellung“ möglich sind und bleiben[43]. Das empfinde ich als wesentliches Geschenk der konkreten und literarischen Erfahrungen mit ihm, das ich auf diesem Weg gerne im Symbol des Fragezeichens an ihn „zurückgebe“ bzw. wieder an ihn weiter geben möchte. Übrigens und zum vorläufigen Schluss: der Preis, der sich hinter dem allerersten Fragezeichen des „Laufenden Bandes“ verbarg, war ein Grundstück. Also ein Gewinn, der für die erste Preisträgerin mit der Zukunftsaufgabe verbunden war, dieses Fleckchen Erde erst noch zu bebauen, zu bepflanzen, zu kultivieren. Ich bin mir sicher: dieses hinter dem profan-medialen Frage-Zeichen verborgene kreative und herausfordernde „Geschenk“ hätte auch der Kunst-Wirker Dietrich Zilleßen als ausgesprochen verheißungsvoll angesehen. Und doch im gleichen Atemzug nicht darauf verzichtet, das Zeichen selbst sogleich wieder zum sinnhaften Ausgangspunkt notwendiger Medien-Kritik zu machen - ganz im kritischen und politischen, konkret-utopischen Sinn: „Bei Rudi Carrell und Hans Rosenthal und Hans Rosenthal und Rudi Carrell kann man leicht vergessen zu fragen, um wessen Interessen es eigentlich geht“[44]. Anmerkungen
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