l. Positionen
a. Autonomie
Jeder Versuch einer Zuordnung von Kunst, Religion und christlichem Glauben muss sich darüber im klaren sein, dass er an der Autonomie der Kunst nicht vorübergehen kann. Versuche, die an einen Zustand anknüpfen wollen, als Kunst, Religion und Christentum noch eine Einheit waren, sind zum Scheitern verurteilt. Ein solches Nichtwahrhabenwollen führt nicht etwa zu einem neuen Modus von Begegnung, sondern lediglich zum Bündnis zwischen einer am Gestern orientierten Kirchlichkeit und einem gestrigen Kunstverständnis. Das Glück solcher Eintracht aller ist nur ein Glück auf Zeit. Da sich Kirche der Zeitgenossenschaft nicht entziehen kann, da ihre Glieder auch als communio sanctorum den geistigen und kulturellen Entwicklungen verbunden sind, wäre es töricht, die Entwicklung zur Autonomie der Kunst aufgrund falscher Apologetik leugnen zu wollen. Bezogen auf die Kunst ist es für Religion und Glauben daher sinnvoll, die neuzeitliche Kunstentwicklung seit der Renaissance, seit dem Paradigmenwechsel der Romantik (Caspar David Friedrich) und der Entwicklung zur Moderne (Cezanne, Kubismus, Expressionismus, Abstrakte Malerei usw.) zur Kenntnis zu nehmen. Für alle weiteren Überlegungen bleibt die Autonomie der Kunst der Ausgangspunkt.
b. Soli deo gloria
Man könnte einwenden: Wird damit nicht auf eine theologische Deutung der Kunst verzichtet? Sollte nicht alle Kunst im Kontext von Kirche Rühmung sein, vergleichbar dem "s.d.g", (soli deo gloria), das Johann Sebastian Bach unter seine Kompositionen schrieb?
Dass alles schöpferische Tun - sofern wir es theologisch verstehen wollen - ein Rühmen des Schöpfers sei, ist als theologischer Satz gewiss vertretbar. Mit dieser generellen Bejahung ist allerdings noch nichts darüber gesagt, wie man mit einem solchen Satz in konkreten Situationen umgehen kann. Falsch wäre es auf jeden Fall, daraus zu schließen, eine theologisch besonders legitimierte Institution habe das Recht, den Künstlern vorzuschreiben, was sie zu tun oder zu lassen hätten. Wer dies täte, hätte den theologisch richtigen Satz, Kunst sei Rühmung, dazu missbraucht, die Autonomie der Kunst durch eine behauptete Heteronomie zu verdrängen. Wenn es gegenüber der Autonomie einen "höheren Standpunkt" gibt, so wäre dies Theonomie, nicht aber die Heteronomie. Theologische Heteronomie versuchte sonst ihr eigenes innerweltliches Gesetz - das sie als göttlich wähnt - den irdischen Erscheinungsformen aufzuzwingen. Theonomie hingegen wahrt das Jenseits von Autonomie (und Heteronomie), insofern sie alles menschliche Bilden unter den Vorbehalt, das es nicht das Letztgültige sei, stellt.
Damit wird die klerikale Heteronomie ebenso in Frage gestellt wie eine mögliche, unter dem Begriff von Autonomie zu Unrecht vorgebrachte, Selbstvergötterung der Kunst. Sätze wie alle Kunst sei eo ipso heilig und die Künstler (z.B. Cezanne, van Gogh, Gauguin) seien Götter in einem säkularen Pantheon, missachten den theonomen Vorbehalt ebenfalls. Wer im Bereich der Religion Mythen entzaubert, hätte stumpfe Zähne, wenn er im Bereich Kunst einem jeglichen Mythen-, Heiligen- und Reliquienkult aufsitzen würde. Man kann nicht die Bibel entmythologisieren und gleichzeitig an Beuys-Reliquien "glauben". Wohl aber kann man - auch an Beuys - das schätzen, was seine Kunst vermittelt; und dies ist gar nicht wenig. Recht verstanden - also nicht im Sinne eines Machtanspruchs der Institution Kirche - erweist sich die Formel soli deo gloria als vereinbar mit der Autonomieforderung, die sie zugleich transzendiert. Bei strikter Betonung der Eigenständig- und Eigengesetzlichkeit der Kunst bewahrt sie den künstlerischen Anspruch vor Selbstvergötterung. Der recht verstandenen Autonomie wohnt ein Stachel inne, der sie vor Götzendienerei bewahrt. Die Abfolge Heteronomie, Autonomie, Theonomie wäre die Leitvorstellung, nicht hingegen das Zurück aus der Autonomie in die theologische Heteronomie.
c. Lagos spermatikos
Theonomie als Leitvorstellung ist eine Vorbehaltsklausel. Im konkreten Fall des Umgangs von Kirche mit wirklichen Kunstwerken lässt sie sich nicht operationalisieren. Wer unter raumzeitlichen Bedingungen über die Einbeziehung oder Nicht-Einbeziehung von Kunstwerken in den Kontext Kirche nachdenkt, wird zunächst an der autonom gewordenen Kunst anzuknüpfen haben. Überblickt man daraufhin die Kunst unseres Jahrhunderts, so fällt auf, dass es innerhalb einer sich autonom verstehenden Kunst bedeutende Kunstwerke gibt, die die Frage nach Religion in mancherlei Weise eigens thematisieren. Wir begegnen im 20. Jahrhundert zum Beispiel Formen visueller Mystik - Kunstwerken, die auf ein Jenseits des Sag- und Deutbaren hin tendieren - und einer Kunst ekstatischer Expressivität, die die abbildhafte Wirklichkeit angesichts eines "anderen" Sinnes zerbricht; wir begegnen mannigfachen Formen der Auseinandersetzung mit den biblischen Themen - etwa der Christusgestalt, der Apokalypse, dem Thema "Engel".
Die In-den-Blick-Nahme solcher Phänomene macht allerdings bewusst, dass man seitens der Kirche solchen Erscheinungsformen im künstlerischen Bereich wenig Beachtung geschenkt hat. Man könnte angesichts der künstlerischen Moderne von einer Tradition des Wegblickens und der Ausgrenzung sprechen. Bis auf wenige, angesichts der Vielfalt von Bauten geringfügige Ausnahmen, haben die Klassiker der Moderne in den Kirchen keine Aufnahme gefunden.
Bei Jawlensky, Kandinsky, Nolde, Beckmann und anderen war angesichts ihrer Ernsthaftigkeit die Nichtwahrnehmung seitens der Kirche menschlich eine große Enttäuschung. Aber auch für die Kirche war es ein großer Verlust.
Was bei diesen Künstlern an Erfahrungen, Erkenntnissen, Sehnsüchten und Hoffnungen ins Bild gebracht wurde, hätte Theologie und Kirche in der ersten Jahrhunderthälfte vielfältig befruchten können. Waren (oder sind) nach dem 2. Weltkrieg die Gesprächsansätze und Initiativen zur Einbeziehung von Gegenwartskunst in der Kirche zahlreicher, so ist die generelle Fremdheit gegenüber der jeweiligen Gegenwart - im Unterschied zur Hochschätzung der klassischen Moderne - keineswegs überwunden. Die Einbeziehung der Kunst erfolgt nach wie vor an vorangegangenen Leitbildern - auch wenn diese jetzt anders sind als zu Noldes Zeiten -; die In-den-Dienst-Nahme der Kunst als ancilla theologiae (Magd der Theologie) ist nach wie vor aktuell. Trotz mancher mutiger Brückenschläge von Einzelgängern besteht die Gefahr, dass sich die Ausgrenzung der Kunst aus der Kirche auch in der zweiten Jahrhunderthälfte fortsetzt. Während man seitens der Kirche vielfältige Anstrengungen unternimmt, die Zeitgenossen anzusprechen, bleibt unbemerkt, dass zur gleichen Zeit seitens der Kunst an vielen Orten ähnliche Fragen behandelt werden. Die geistige Auseinandersetzung, die man seitens der Kirche provozieren will, findet längst statt. Man braucht nur hinzuschauen, um im Bereich der Kunst den eigenen Fragen, Symbolen und Mythen erneut, aber auf andere, neuartige Weise, zu begegnen.
Das mag im Einzelfall schwierig sein, zumal das Kunstwerk die Person als ganze fordert und eingeübte Sicht- und Erlebnisweisen oft jäh aufbricht und verändert. Aber man wird sich einer solchen Mühe gern unterziehen, sofern man sich etwas davon verspricht. Um diesen Gedanken nachzuvollziehen, muß der Vor-Stellung gewehrt werden, diese Ausführungen bezögen sich nur auf Kunstwerke mit religiöser oder christlicher Thematik. Vielmehr geht es darum, Kunst auch dann theologisch ernst zu nehmen, wenn inhaltliche Brückenschläge nicht mehr möglich sind. Erst hier wird die Frage interessant.
Dass Kunst Quelle von Erkenntnis sein kann, ist kein neuer Gedanke. Aber Kunst kann auch Quelle theologischer Erkenntnis sein, wenn sie als Erfahrung - verdichtet und reflektiert - theologisch relevant wird. Die frühchristlichen Apologeten und die alexandrinischen Theologen bedienten sich der Lehre vom Logos spermatikos, um eine Beziehung vom Geist im griechischen Sinn (als "ausgestreutem Samen") zum Logos in Christus herzustellen. Diese Vorstellung - in neuer Form aufgegriffen - ist die Folie, vor der sich das Verhältnis von Kunst und christlicher Verkündigung begreifen lässt. Bei der Begegnung mit einem Kunstwerk ist auf den Logos spermatikos zu achten, der im Kunstwerk vorhanden ist, verborgen in Brüchen und Rissen.
Vor diesem Hintergrund kann man getrost mit den Künstlern auf "Entdeckungsfahrt" gehen. Damit ist nicht gesagt, dass alles auf den Seitenpfaden Gesichtete einem kritisch-theologischen Urteil standhielte. Die Stärke des Künstlers, seine eigene Subjektivität in die Waagschale zu werfen, ist gleichzeitig seine Grenze. Christlich verantwortete Theologie kann sich sehr wohl auf diesen Weg einlassen, sollte aber in einem zweiten Schritt das vom Künstler Erkannte und Vermittelte mit dem biblisch-christlichen Grundverständnis in Beziehung bringen. Dieses jedoch ist weder "Damoklesschwert", noch "Prokrustesbett", sondern ein "weiter Raum", worauf sich stehen, sehen, hören und leben lässt (Psalm 31,9). Gemeinsam ist beiden, Kunst wie Theologie, dass sie aufgrund ihres Gegenstands grundsätzlich offen sind. Wer fertige Antwortsysteme produziert, wer die andere Seite ausgrenzt, hätte damit den Beweis, nicht in der Wahrheit zu sein, bereits erbracht.
2. Anti-Positionen
a. Gesamtkunstwerk Kirche
Umgang mit Gegenwartskunst seitens der Kirche bedeutet, in jedem Einzelfall zu entscheiden, an welchem Ort, mit welcher Intention ein Kunstwerk im Kontext Kirche generell oder speziell im Kirchenraum in Erscheinung treten kann, wobei die Autonomie der Kunst mit ihren Implikationen nicht verletzt werden soll. Mit der Betonung auf Autonomie ist u.a. Abschied zu nehmen von einem Denkmodell bezüglich des Verhältnisses von Verkündigung und Kunst, wie es im Hochmittelalter, im Barock, zum Teil aber auch beim späten Luther, im Tridentinum (und bei Hegel) vorkommt. Es handelt sich um die Vorstellung, dass der geistige Gehalt Anschauung zu werden hätte und Wort und Bild potentiell zur Einheit finden sollten. Wer sagt, dass das Evangelium in allen Bereichen versinnlicht (visualisiert) werden müsse, um der Ganzheit des Menschen zu entsprechen, begreift Kunst als Medium jener Vermittlung. So hehr diese Vorstellung zu sein scheint und so sehr es womöglich wünschenswert wäre, dass das Evangelium in allen Formen "Gestalt gewönne", für die Kunst bedeutet ein solches Modell jedenfalls eine Einschränkung, orientiert am ancilla theologiae-Modell, unvereinbar mit ihrer Autonomie.
Es gilt, von dem Gedanken Abschied zu nehmen, Kirche als Träger des Evangeliums könne sich auf allen Ebenen ganzheitlich verwirklichen, wobei auch im sinnenbezogenen Glaubensvollzug Gleichnishaftigkeit erreicht werden könne. Eine solche Vorstellung lässt sich nur durch Über- und Unterordnung verwirklichen und ist krasse Heteronomie. Was aus der Sicht des Wortes seine Versinnlichung und Konkretion ist, ist aus der Sicht des Bildes sein In-den-Dienst-Genommenwerden. Vielleicht genügt es der Kirche, um ihrem Auftrag gerecht zu werden, das Evangelium zu bezeugen. Dies sinnlich veranschaulichen zu müssen, es paradigmatisch Gestalt werden lassen zu müssen und aus der Kirche ein Gesamtkunstwerk machen zu müssen, ist nicht die Aufgabe. Es besteht kein Zwang zum Barock, auch wenn das historische Recht des Barock nicht bestritten werden soll.
Für die Kunst bedeutet dies, dass sie im eben beschriebenen Sinn der Verpflichtung zur Gestaltwerdung und Visualisierung des Evangeliums enthoben ist. Der Beitrag von Kunst und Evangelium sollte gewürdigt und ins Gespräch gebracht werden. Wo es gar zu einem Gleichklang beider kommt, sollte dies gewürdigt, keineswegs aber erzwungen werden. Das Wechselgespräch beider ist bereits als solches ein Wert.
b. Biblia pauperum - Idee
Mit Berufung auf die mittelalterliche biblia pauperum-Idee werden die Bilder verteidigt, um das Evangelium bildhaft nahe zubringen. Nilus, Gregor der Große, selbst Luther konnten so argumentieren. Zu denken wäre jetzt weniger an die biblia pauperum als Buchtyp, als an die Lehre von den Bildern als den Büchern der Laien, wie sie Gregor I. in seinem Brief an den Bischof von Marseille ausformuliert hat. "Denn was für die Lesenden die Schrift, das gewährt den Laien, indem sie sehen, das Bild, weil in ihm auch die Unwissenden sehen, was sie befolgen müssen; durch diese (die Bilder) lesen diejenigen, die die Schriften nicht verstehen. Darum vor allem nimmt für das Volk das Bild die Stelle des Lesens ein."[1]
Dass sich das Bild als "Schrift" begreifen lässt, ist ein attraktiver Gedanke. In der von Gregor vorgebrachten Begründung allerdings ist das Bild lediglich Notbehelf für die des Lesens Unkundigen. Das Bild wird der Schrift im engeren Sinn untergeordnet; es ist die zweite Schrift, die Schrift der Laien und Ungebildeten, eine Art Ersatzprogramm, damit wenigstens ein Minimum an biblischer Geschichte und moralischer Verpflichtung vermittelt werden kann. Der Bilderfeind Karlstadt wittert dabei einen bösen Vorsatz: "Sie haben gemerkt, dass sie, wenn sie die Schäfchen in die Bücher führten, ihr Gerümpelmarkt nicht mehr zunehmen würde . . . Die Laien sollten keine Jünger Christi sein, sollten nie mehr frei werden von des Teufels Banden, sollten auch nicht in göttliches und christliches Wesen kommen."[2]
Umgang mit Gegenwartskunst macht klar, dass der Beitrag der Kunst nicht mehr als biblia pauperum oder littera laicorum verstanden werden kann. Wäre Kunst noch immer ancilla theologiae und würde sich die Kunst von der Theologie ihre Inhalte und Darstellungsweise geben, ließe sich dieses Modell aufrechterhalten. Kunstwerke auf der Grundlage der Autonomie der Kunst haben - wie wir sehen konnten - ihre eigene "Aussage", die weder das Evangelium illustriert, vereinfacht oder besser zugänglich macht, sondern Eigenes zu Tage fördert, Eigenes formuliert, eine eigene "Schrift" sein will. Will man eine schichtenspezifische Zuordnung wagen, so sind es gerade nicht die einfach strukturierten Menschen, denen solche Kunst "etwas sagt", sondern eher Menschen mit einem gewissen Bildungsstand. Diese "Schrift" zu lesen, setzt den Umgang mit zeitgenössischen Bildern voraus. Da ein solcher Umgang trotz seiner gesamtgesellschaftlich zunehmenden Tendenz bei den Gemeindegliedern nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden kann, ist zum Teil sogar mit Befremden und Ablehnung zu rechnen. Gregors These ist also auf den Kopf zu stellen: Die "Schrift" dieser Bilder hat eher die Gebildeten statt die Ungebildeten im Auge. Besteht das Didaktische bei Gregor darin, dass über die Bilder die Geschichten der Bibel und der Heiligen dem Volk näher gebracht werden sollen, so sind die Bilder, denen unsere Beschäftigung gilt, unter keinen didaktischen Aspekt mehr zu subsumieren. Die Herausforderung besteht in dem eigenständigen Wahrheitsanspruch dieser Bilder. Damit ist die Problemstellung viel aufregender als zu früheren Zeiten, und Karlstadts Vorwurf, man wolle mit Hilfe der Bilder das Volk dumm halten, trifft auf die zeitgenössischen Bilder ganz gewiss nicht zu. Eher noch wäre der Vorwurf des Elitären am Platze. Der jedoch lässt sich durch Bildungsprozesse innerhalb der Gemeinde kompensieren.
c. Instrumentalisierung
In Unterricht und Predigt bedient man sich der Bilder gewöhnlich in Form von Reproduktionen als Dias, Fotos, Poster, Kunstpostkarten, Folien. Diese Umgangsweise hat den Nachteil, dass man es nicht mehr mit Originalen zu tun hat und sich auf die über die Bilder vermittelten Inhalte konzentriert; das Format, die materielle Beschaffenheit, die Machart, die sinnliche Präsenz des Kunstwerks werden nicht berücksichtigt. Die Vermittlungsform nimmt die Stelle des Originals ein, das Werk wird einzig in seiner medialen Präsentation in den Unterrichtsprozess oder die Predigt eingebracht.
Ein Teil des didaktischen Nutzens besteht darin, dass Bilder die Schüler zum Sprechen bringen und manch einer über das Bild in die Lage versetzt wird, Inneres nun auch verbal zu äußern. So erfreulich es sein mag, dass angesichts eines Dias von XY im Unterricht viele vieles äußern und dabei auch Persönliches zur Sprache kommt, so hat dies vom Kunstwerk aus betrachtet auch Schattenseiten, die "doppelte Instrumentalisierung".
- Die erste Instrumentalisierung besteht darin, das Kunstwerk als Medium didaktisch auszubeuten, beispielweise dann, wenn eine Zeichnung von Paul Klee neben eine Kinderkritzelei, einen Comic, ein Foto und eine Karikatur gleichberechtigt zur Seite tritt.
- Die zweite Instrumentalisierung besteht in der Freigabe der Kunstrezeption in die Beliebigkeit der (womöglich kreativen) Deutung durch die jeweiligen Adressaten.
Prediger und Unterrichtender sollten wissen, dass das Bild, dessen sie sich bedienen, die gleiche Sorgfalt erfordert wie der Text, den sie behandeln. Bedenkt man, wieviel Mühe z.B. für das Erlernen fremder Sprachen, exegetischer Methoden und dogmatischer Zusammenhänge erforderlich sind, um die Bibeltexte angemessen auszulegen, dann ist die Forderung, die Sprache der Bilder (nach und nach) zu erlernen, nicht unangemessen. Das Bild ist nicht Illustration eines Textes, sondern ist als Bild eigenständig und bedarf eines eigenen Zugangs. Die Bildpredigt beispielsweise lässt sich als Ellipse mit zwei Brennpunkten begreifen, deren einer das Bild und deren anderer der Bibeltext ist. Beiden gegenüber als Quellen ist der Prediger verantwortlich, wenn auch der Stellenwert der jeweiligen Quellen ein anderer ist. Das Bild steht für Erfahrung, der Bibeltext für Evangelium.[3]
3. Praktische Folgerungen
a. Kunstausstellungen im Kontext Kirche
Um Gemeinden mit Gegenwartskunst in Verbindung zu bringen, empfiehlt es sich, Kunstwerke vorübergehend in Kirchenräume (und andere kirchlich verwaltete Räume) zu bringen.[4] Das klassische Modell ist die zeitlich befristete Kunstausstellung, ein anderes ist die kurzfristige Einbeziehung eines einzelnen Kunstwerks in die Kirche, wobei dann das Kunstwerk die Gottesdienste und übrigen Veranstaltungen durch seine Präsenz begleitet. Für beide Typen gibt es gute Beispiele. Trotz mancherlei Sorgen der Kirche für die kommenden Jahrzehnte kann von einer Raumnot nicht gesprochen werden. Im Gegenteil, Räume für die schwindende Zahl von Gemeindegliedern gibt es genug, zu groß gewordene Kirchenräume, zum Teil leerstehende Kirchen in den Stadtzentren, dazu Bildungshäuser, Verwaltungszentren mit Foyers usw. Das Bedürfnis, solche Räume für Ausstellungen zu nutzen und den Gemeinden und Besuchern der jeweiligen kirchlichen Einrichtung Kunst anzubieten, liegt auf der Hand. Wenn solche Initiativen im kirchlichen Kontext erfahrungsgemäß von Worten begleitet und von Veranstaltungen, Eröffnung, Künstlergespräch, Diskussion, Kirchenmusik eingebunden werden, lässt sich die Ausstellung in die übrige kirchliche Arbeit sinnvoll integrieren. Beim Wunsch, eine Kunstausstellung durchzuführen, ist dabei allerdings nicht immer das Engagement für Kunst Primärmotivation. Oft geht es darum, innerhalb der Gemeindearbeit einen besonderen kulturellen Akzent zu setzen, leerstehende oder wenig frequentierte Räume zu nutzen oder einem nüchternen Verwaltungsgebäude durch Ausstellungen etwas Farbe zu geben.
Das vorhandene und womöglich ständig wachsende Bedürfnis nach Kunstausstellungen im kirchlichen Kontext könnte unversehens zu einer Nivellierung führen, die es dem arrivierten Künstler und der renommierten Galerie nicht mehr erlaubte, sich mit Kirche überhaupt einzulassen. Der kirchliche Veranstalter sollte sich deshalb der Autonomie der Kunst bewusst sein und die Instrumentalisierung meiden. Das bedeutet u.a., dass er beispielsweise die (inzwischen sehr hoch angesetzten) Standards im Bereich der Kunstpräsentation und Kunstvermittlung zu berücksichtigen hätte. Das betrifft die Qualität der auszuwählenden Künstler, das Plakat, die Einladungskarte, die Präsentation der Kunstwerke im Raum, sachgemäße Hängung, Beaufsichtigung, Transport, Versicherung, Presseverlautbarung usw. Wird der Standard auf Dauer grob verletzt, wird man im Kontext Kirche nur noch Nachwuchskünstler oder Künstler dritter Wahl ausstellen können, während der prominente Künstler einen Renommeverlust zu befürchten hätte. Das gegenwärtig zu beobachtende Interesse an Kunstausstellungen könnte bei unsachgemäßer Durchführung längerfristig sogar schädlich sein. Man bedenke, dass die Kirche aufgrund der weitgehenden Ausgrenzung der Moderne im kirchlichen Bauen sich der Kunst gegenüber in der Defensive aufhält. Die Nichtwahrnehmung der Gegenwartskunst ging zum Teil Hand in Hand mit der Förderung von zum großen Teil kunstgewerblichen, leicht verdaulichen Produkten, aus der Sicht der Kunstwelt ein bleibendes Manko. Wenn dann eine Kirchengemeinde, eine Akademie oder ein anderes kirchliches Bildungswerk, eine Kirchenverwaltung oder gar der Deutsche Evangelische Kirchentag oder der Katholikentag sich zu Kunstausstellungen entschließen, müssen sie sich dieser Hypothek bewusst sein. Dann wird die Autonomie zum Prüfstein. Wenn man die Kunst für die eigenen (gewiss sehr hohen) Zwecke lediglich instrumentalisierte, sollte man in einem solchen Fall auf eine Kunstausstellung verzichten.
Vor diesem Hintergrund ist die Präsentation eines einzelnen Kunstwerkes oder eines einzelnen Künstlers sogar noch unproblematischer als die Themenausstellung. Bei der Einzelwerkpräsentation oder der Vorstellung eines einzelnen Künstlers wird man sich immer verstärkt mit dem Werk oder der Person beschäftigen, weshalb der Instrumentalisierung Grenzen gesetzt sind. Die Ausstellung zu einem biblischen Thema ist demgegenüber schwieriger, weil die Gefahr der Instrumentalisierung der Kunstwerke immer präsent ist. So anregend es für den Veranstalter ist, Themen wie "Abendmahl", "Schöpfung" oder "Engel" in mehreren Variationen vorzuführen, der Künstler könnte leicht in die Rolle des bloßen Zulieferers und Anregers zurückgedrängt werden (wobei ein originelles Plakat oder eine Fotografie vielleicht sogar das gleiche leisten würde). Wer mit Gegenwartskunst im Kontext Kirche zu tun hat, kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Zumindest dies könnte Kunst bewirken: die Unterbrechung, die Irritation.
Mit entsprechender Sensibilität begleitet und gedanklich verantwortet hat die Kunstausstellung im Kontext Kirche allerdings auch für den Künstler einiges zu bieten:
- Räume, die Maßstäbe setzen und die die Gegenwartskunst in (oft historische) Raumzusammenhänge bringen, die keine Galerie und keine Kunsthalle je bieten könnte (gotische Hallenkirche, barocker Festsaal usw.);
- einen veränderten Besucherkreis und damit völlig andere Formen der Kunstrezeption (nicht mehr das gleiche Vernissage-Publikum zwischen Flensburg und Rosenheim);
- die Einbeziehung der Kunst in anders situierte Veranstaltungsformen: Meditation, Gottesdienste, Gespräch, Diskussion, Lesung, Orgelimprovisation (ein neuer nicht-musealer Kontext);
- andere Künstler, Neuentdeckungen (der materielle Zwang der Galerien und Kunstmacher, ihre Markenprodukte zu präsentieren, entfällt).
Für die Dauer der Ausstellung, also in einem temporär beschränkten Rahmen, sollten beide Seiten, Kunst und Kirche, die Position des anderen uneingeschränkt zulassen. Wird danach der eigene Wahrheitsanspruch erneut reflektiert, wird man die durch die andere Seite vermittelte Erfahrung für das eigene Verstehen einbeziehen.
b. Zeitgenössische Kunstwerke im Kirchenraum
Am weitesten geht, wer den Kunstwerken im Kirchenraum einen dauerhaften Ort zuweist. Hier trifft die wirkliche Präsenz des Kunstwerks auf die Präsenz des Raums und wird mit den vielfältigen Formen des Gottesdienstes und anderen gemeindlichen Veranstaltungen dauerhaft verbunden. In der Regel wird der Kirchenraum als Schwelle empfunden, hinter der in der Kunst vieles nicht mehr erlaubt ist, was andernorts unstreitig noch möglich ist. Künstler wie Arnulf Rainer, Jürgen Brodwolf und Werner Knaupp werden beispielsweise auf Akademietagungen oft diskutiert, sind auf Ausstellungen im Kontext Kirche vertreten, und trotzdem findet man von diesen Künstlern kein Werk, das in einer zum Gottesdienst genutzten Kirche auf Dauer seinen Ort gefunden hätte.
Der Grund hierfür ist ein zweifacher: Zum einen sind die Kunstwerke im Kirchenraum Teil der Kirchenarchitektur, weshalb die räumliche Einbindung - womöglich sogar in einer historischen Architektur - beachtet werden muß. Von den räumlichen Gegebenheiten her ist formal nicht alles machbar. Die Korrespondenz der Kunst zur Architektur kann Einfluss haben auf Größe, Standort, Materialien, Farbgebung, Lichtführung usw. Bei Kirchen, die unter Denkmalschutz stehen, können zusätzliche Forderungen hinzutreten.
Zum anderen stehen diese Kunstwerke in Korrespondenz zu dem, was in der Kirche Sonntag für Sonntag, an Wochen- und Festtagen, als Gottesdienst stattfindet. Der Gottesdienst in seinem liturgischen Verlauf ist Wort und Antwort, ist Mahlfeier und repräsentiert Sinn und Wert dessen, was die Gemeinde glaubt, denkt und fühlt. Des Gottesdienstes wegen kommt die Gemeinde zusammen, nicht des Raumes wegen und nicht wegen der Kunst.
Solche Vorgaben legen es nahe, dass man bei der Einbeziehung eines Kunstwerks in die Kirche auf Risiken weitgehend verzichtet und in Sachen Kunst das Unverbindliche einer profilierten Aussage vorzieht. Man meint, ein Werk müsse mit dem Raum und allen kirchlichen Anlässen jetzt und für alle Zukunft verbunden sein. Die Dominanz der Mittelmäßigkeit der Kunst im Kirchenraum hat hierin ihre Ursache, ein fast tragisches Phänomen! Weil Gottesdienst und Raum ein hoher Wert sind, verweigert man der Kunst den Zutritt. Es ist nicht so, dass man nicht um die Existenz von Gegenwartskunst wüsste; man kann sich nur nicht vorstellen, dass sie im Kirchenraum einen festen Ort hätte, sei es aus Gründen der Einbeziehung in die Architektur (gar aus Gründen der Denkmalpflege), sei es aus gottesdienstlich-liturgischen Gründen. Die gleiche Person, die auf einer Akademietagung ein Bild für äußerst wichtig erachtet, stimmt womöglich dagegen, wenn es in einem historischen Kirchenraum als Glasfenster seinen Ort finden könnte.
Sind beide Vorgaben angesichts der Einbeziehung von Gegenwartskunst in den Kirchenraum wirklich Hinderungsgründe?
Recht verstanden müsste es sehr wohl möglich sein, der Gegenwartskunst auch innerhalb des Kirchenbaus ein Existenzrecht zu sichern. Erforderlich ist allerdings, dass sich einerseits die autonome Kunst ihrer spezifischen Ortsgebundenheit bewusst ist und andererseits Architektur, Denkmalpflege und kirchlich Verantwortliche ihren Vorstellungshorizont von dem, was möglich sein könnte, erweitern. Ein zeitgenössisches aussageträchtiges Werk kann auch in alter Architektur zur Geltung kommen, ohne sie zu verstümmeln oder zu zerstören. Wenn die Gegenwartskunst in der ihr spezifischen Sprache nicht mehr in Gotteshäusern einbezogen werden kann, so liegt das nicht allein an der mangelnden Anpassungsfähigkeit des Gegenwartskünstlers, sondern auch an einer zu engen Auslegung des Gottesdienstes. Für Denkmalpflege und Kirchengemeinde ist es eben einfacher, mit dem mittelmäßigen, unverbindlichen Künstler zu arbeiten als mit einem, der Gegenwartskunst mit Zeitgenossenschaft verkörpert.
Hat man die bisherigen Ausführungen vor Augen, muß man seitens der Kirche ein doppeltes, tragisch entgegengesetztes Verhalten zur Gegenwartskunst konstatieren. Während es zum einen tatsächlich ein Interesse an Ausstellungen von Gegenwartskunst und an der Einbeziehung von Bildern in Unterrichtsabläufe gibt, ist man bei der Hineinnahme von Gegenwartskunst im Kirchenraum weitgehend zurückhaltend und geht eher ausgetretene Pfade.
Hinsichtlich der Einbeziehung von Gegenwartskunst in Kirchenräumen wäre es - im Unterschied zu den Warnungen zuvor angebracht, Mut zu machen zu mehr Wagnis. Kirchen, in denen die Gegenwartskunst - aus welchen Gründen auch immer keinen Ort und kein "Wort" mehr findet, haben sich in eine selbstverschuldete Isolation begeben. Nicht das Modernitätsdefizit ist daran das Beängstigende. Schlimmer wiegt, dass man sich damit von den Prozessen gegenwärtiger geistiger Auseinandersetzung ausgrenzt. Das Nichtwahrnehmen der in der Kunst erhobenen Frage nach Sinn, Wert und Transzendenz mag eine Rolle spielen. Oft ist es auch die Angst, das eigene proprium nicht mehr aufrecht erhalten zu können, also Kleinglaube.
Das Ja zum zeitgenössischen Kunstwerk bedeutet nicht, dass an jeder Stelle im Kirchenraum jedes qualitativ hohe Kunstwerk seinen Ort finden könnte. Im Einzelfall wird abzuwägen sein, was sinnvoll und der Gemeinde zumutbar ist und was nicht. Nicht jeder Ort in einer Kirche hat die gleiche Repräsentanz und die gleiche Rezeption seitens der Gemeinde. Gleichwohl ist - gerade um der Gemeinde willen - zu fordern, dass man der Gegenwartskunst exemplarisch im Kirchenraum einen dauerhaften Ort zuerkennt. Dies zu missbilligen, wäre eine Ohnmachtserklärung, gesamtgesellschaftlich wie theologisch.
Die Präsenz von Gegenwartskunst bedeutet die permanente Anwesenheit von zeitgenössischer religiöser Erfahrung und Weltdeutung, die aufgrund ihrer Permanenz jederzeit über das Auge abrufbar und ablesbar ist. Als Desiderat verblieben das theologische Nachdenken über "Wahrnehmung", die Wiederaufnahme des Begriffs "Kultur" als der Zusammenfassung zeitgenössischen geistigen Schaffens und Vermögens. Wo dem Kunstwerk soviel Macht zugesprochen wird, stellt sich natürlich auch die Frage nach der Grenze. Doch bevor man die Grenze markiert, sollte man sich erst einmal mit der Kunst auf den Weg begeben haben. "Und wer dich nötigt, eine Meile weit zu gehen, mit dem gehe zwei!" (Mt 5,41).
Aus: Bilder und ihre Macht.
Hg. von Schwebel/Mertin. Stuttgart: Kath. Bibelwerk, 1989. S. 232-250.
Anmerkungen
- Nam quod legentibus scriptura, hoc idiotis praestat pictura cernentibus, quia in ipsa etiam ignorantes vident quid sequi debeant, in ipsa legunt qui litteras nesciunt. Unde et praecipue gentibus pro lectione pictura est. (Migne, PL 77, 1128f; Ep. XI,13).
- "Sye haben vermerckt/wan sie die schefflein/yhn die bucher furtten/yhr grempell marckt wurd nichts tzunehmen." Andreas Karlstadt, Von abtuhung der Bylder und das keyn Betlier unther den Christen seyn sollen, 1522, hrsg. von H. Lietzmann (Kleine Texte für theologische und philologische Vorlesungen und Übungen), Bonn 1911, S. 9.
- Siehe den Beitrag von Andreas Mertin, Kunstvoll predigen. Der Umgang mit Kunstwerken in homiletischer Perspektive, in: Verf./Mertin, Bilder und ihre Macht, Stuttgart 1989, S. 212ff.
- Siehe den Beitrag von Peter Stolt, Zum Umgang mit Kunst in der Gemeinde, ebenda, S. 136ff.
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