Neuauflage

Von fehlerhaften Meisterwerken

Andreas Mertin

Vor sechs Jahren

Info Andreas MertinIm Heft 11 des Magazins für Theologie und Ästhetik veröffentlichte ich eine Kritik der gerade neu erworbenen CD-ROM-Serie "5555 Meisterwerke". Mein Urteil war äußerst kritisch: "der Kauf dieses Pakets kann nicht empfohlen werden!" Die Liste der seinerzeitigen Fehler war immens. Allein für den Bestand der Uffizien galt: "Damit sind gut ein Drittel der Datenangaben unvollständig oder sogar fehlerhaft. Blickt man auf die aufgeführten Abweichungen genauer, so stellt man fest, dass zahlreiche schwerwiegende Fehler vorkommen: mehrfach werden Künstler verwechselt (Filippino Lippi mit Filippo Lippi; Bacchiacca mit Baciccio; Giotto di Bondone mit Giottino), einmal wird ein falsches Bild zugewiesen sowie der Standort falsch angegeben."

Sechs Jahre später kommt nun eine Doppel-DVD aus derselben Quelle, die nun "40.000 Meisterwerke. Malerei - Grafik - Zeichnungen" verspricht. De facto wurde der Datenbestand für Gemälde verdreifacht, immerhin 18.000 Gemälde(ausschnitte) sind nun verfügbar. Die DVD verspricht viel: "Sämtliche Abbildungen sind durch eine sorgfältig erarbeitete Datenbank erschlossen, die auch speziellen kunsthistorischen Ansprüchen genügt und ausgefeilte Recherchen ermöglicht." Von einer sorgfältig erarbeiteten Datenbank mit kunsthistorischen Ansprüchen kann allerdings weiterhin keine Rede sein. Ein Student, der sich auf die Angaben in dieser Datenbank verlassen würde, bekäme seine Seminararbeit um die Ohren gehauen. Zunächst habe ich nur die Angaben überprüft, die ich schon vor sechs Jahren moniert und im Internet öffentlich gemacht hatte.

Und eigentlich hätte ich den oben eingeblendeten Kommentar heute einfach noch einmal veröffentlichen können. Denn von einigen korrigierten Marginalien abgesehen, bestehen einige der schwersten Fehler weiter fort!

Ein Wunder

Laut damaliger CD-Sammlung und auch laut aktueller DVD hat Francesco d'Ubertini, genannt Bacchiacca (1494-1557), zwischen 1540 und 1545 das nebenstehend abgebildete Porträt des Kardinals Leopold erstellt.

Da sieht man einmal die visionäre Kraft historischer Kunst. Denn Leopoldo de Medici, der jüngste Sohn des toskanischen Großherzogs Cosimo II., lebte von 1617 bis 1675 und wurde 1663 Kardinal!

In Wirklichkeit ist das Werk natürlich von einem anderen Künstler, nämlich Baciccio, eigentlich Giovanni Battista Gaulli (1639-1709) und so wird es auch in allen seriösen Datenbanken geführt.

Aber angesichts der DVD fragen wir uns, wie Bacchiacca 120 Jahr vorher schon wissen konnte, wie der Medici-Kardinal einmal aussehen wird. Und das Yorck-Project, das diese DVD entwickelt hat, muss man fragen, warum es kardinale(!) Fehler, auf die es schon 2001 aufmerksam gemacht wurde, selbst 2007 noch nicht korrigiert hat.

Risse in der Wand

Allenfalls von dokumentarischem Werk ist auch die weiterhin unzureichende Abbildung der Erschaffung Adams in der Sixtinischen Kapelle. Denn nicht die am Anfang des Artikels abgebildete Darstellung aus der Webgallery of Art ist auf der DVD zu finden, sondern die nachstehend abgebildete aus der Zeit lange vor der 1994 abgeschlossenen Restaurierung. Sie ist mithin vermutlich mindestens ein Vierteljahrhundert alt.

Das ist absolut unbefriedigend. Was soll man mit so einer Abbildung anfangen? Die Frage stellt sich auch vor dem Hintergrund, dass die Bilder nur für den privaten Gebrauch frei gegeben sind und ansonsten kommerziell vermarktet werden. Überraschenderweise sind einige andere Abbildungen der Werke aus der Sixtinischen Kapelle wiederum neueren Datums, so dass man sich fragen muss, nach welchen Kriterien die Bilder präsentiert werden.

Stichproben

Nun macht es gerade die Menge der abgebildeten Bilder nahezu unmöglich, die Qualität der einzelnen Bildzuschreibungen und Abbildungen zu überprüfen. Ich greife also zur bewährten Methode und hole den Katalog der Uffizien aus dem Schrank und suche auf der DVD mit der Malerei alle Werke, die in den Uffizien lokalisiert sind.

Allessandro Allori
Gleich die erste Meldung im Alphabet ist ganz interessant. Es handelt sich um Allessandro Alloris (1535-1607) "Opferung Isaaks". Auf der DVD erfährt man dazu folgendes: um 1601, Öl auf Leinwand. Der Katalog der Uffizien dagegen notiert: Öl auf Holz, 94x131 cm, signiert und datiert (1601). Bereits 1589 in der Tribuna der Uffizien. Abgesehen von der falschen Angabe zum Bildträgermaterial wird dem Leser und Betrachter auch der Kleinkrimi unterschlagen, der uns ein Bild präsentiert, das noch vor seiner Signierung und Datierung zur Sammlung der Uffizien gehörte.

Fra Angelico
Und die dritte Meldung verweist wie schon in der alten CD-Sammlung auf Fra Angelicos Marienkrönung. Nur ist das abgebildete Werkdetail einer ganz anderen Arbeit Fra Angelicos entnommen, die im Pariser Louvre hängt. Ein elementarer Fehler. Und ein offensichtlicher zumal, da das Gesamtbild direkt davor korrekt dem Louvre zugeordnet ist.

Giovanni Bellini
Das nächste Wunder ist die 13. Meldung. Sie präsentiert uns Giovanni Bellinis Beweinung Christi. Auf der DVD finden wir dazu die spärlichen Angaben: 2. Hälfte des 16. Jh. Da stutzt man kurz und fragt sich, wie ein Künstler, der am 29. November 1516 gestorben ist, noch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (quasi aus dem Jenseits) eine Beweinung Christi malen konnte. Der Katalog der Uffizien datiert das Werk daher auch realistischerweiser auf die Zeit um 1500 und informiert uns zudem darüber, dass es Tempera auf Holz ist und 74x118 cm groß.

Andrea Boscoli
Beim nächsten Werk (Andrea Boscolis "Geburt der Jungfrau") bin ich mir unsicher, ob es überhaupt in den Uffizien ist. Mein Katalog und auch die online-Datenbank der Uffizien weisen dieses Werk nicht aus. Im Internet gibt es nur eine Fundstelle und die bezieht sich ausgerechnet auf die Ausgabe aus dem Yorck Project.

Filippo Lippi
Bei vielen Werken fehlen einfach die elementarsten Daten, etwa bei der Anbetung Christi von Filippo Lippi. Hier steht in der DVD nur: 15. Jahrhundert. Der Katalog weiß es genauer: Tempera auf Holz, 140x130 cm, 1463.

Auch die nachfolgende Verehrung Christi, die wiederum nur allgemein ins 15. Jahrhundert datiert wird, kennt der Katalog besser: Tempera auf Holz, 137x134 cm, um 1455.

Die Krönung der Maria kommt gleich zwei mal auf der DVD vor, einmal ohne präzise zeitliche Einordnung (unter dem Titel Krönung der Jungfrau) und dann mit zutreffender Zeitangabe. Die Größenangaben variieren zwischen DVD und Katalog um 20 cm.

Ich überspringe nun zahlreiche Bilder mit fehlerhaften oder unzureichenden Angaben und wende mich dem Ende des Alphabets zu:

Giorgio Vasari
Bei Vasaris Werk "Die Schmiede des Hephaistos" gibt die DVD an: um 1540–1560, Öl auf Leinwand. In den Uffizien trägt das Werk den Titel: Die Schmiede des Vulkans mit den Angaben Öl auf Kupfer, 38x28 cm. Auf eine Datierung wird verzichtet. Bedeutsam scheint mir bei diesem Thema das Bildträgermaterial, das sicher nicht zufällig gewählt ist.

Ich breche die Überprüfung an dieser Stelle ab. Da alle Bilderdaten aus den Uffizien online zugänglich sind, verstehe ich nicht, warum sich im Yorck-Project so viele Fehler einschleichen konnten und warum seit den ersten Ausgaben dieses Projects niemand die Fehler korrigiert hat. Seriös ist das nicht und kunsthistorischen Ansprüchen genügt es auch nicht.

Um dem Verdacht zu begegnen, nur bei den Uffizien hätten sich Fehler eingeschlichen, vergleiche ich schnell noch einige Werke aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien, dessen Katalog ich ebenfalls zur Verfügung habe.

Albrecht Dürer
ist hier u.a. mit seinem Landauer Altar vertreten. Auf der DVD erscheint dieses Bild zweimal: einmal als Allerheiligenbild mit den Angaben 1511, Holz, 135 × 123 cm und dann noch einmal unter dem Titel Landauer Altar mit den Angaben um 1509–1516, Lindenholz, 135 × 123,4 cm. Abgebildet ist einmal das Altarbild und einmal der gesamte Altar mit dem Rahmen, der heute in Nürnberg ist. Insofern ist die zweite Abbildung mit ihren Angaben irreführend und daher falsch. Das KHM Wien gibt dagegen die Maße für das eigentliche Tafelbild mit 135x123,4 cm an und das Bildträgermaterial mit Pappelholz, die Maltechnik mit Öl.

Antonio de Pereda y Salgado
Bei der Allegorie der Vergänglichkeit dieses Künstlers variieren die Jahresangaben um 6 Jahre und die Angabe des Bildträgermaterials. Während die DVD Öl auf Holz aus dem Jahr 1640 angibt, schreibt das KHM Wien: um 1634, Öl auf Leinwand.

Man sieht: bei anderen Museen wird es nicht viel besser. Entweder arbeiten also alle Museen schlampig oder die DVD mit den Meisterwerken.

Wiedergänger

Bei den jüngeren Werken aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts scheint mir die Datenlage besser zu sein. Allerdings finden sich auch hier stupende Angaben.

Jean-Baptiste Armand Guillaumin
der am 26. Juni 1927 gestorben ist, soll noch 1992 das Gemälde "Die roten Felsen" gemalt haben. Auch nicht schlecht.

Gustav Klimt
der 1918 in Wien gestorben ist, bereichert uns "um 1980" mit einem Bild vom "Schloss Kammer Attersee".

Giovanni Boldini
1931 in Paris gestorben, arbeitet im Jenseits gleich ganze drei Jahre, 1972-75 an einem Bild von einem "Haueingang in Montmartre".

Hans Baluschek
gestorben 1935 in Berlin, bereichert uns angeblich 1969 mit dem Bild einer "Straßenwalze".

Kategorien

Epocheneinteilungen sind natürlich immer etwas Kontroverses. Natürlich gibt es Romantik, Gotik, Renaissance. Aber um Himmels willen, welche Epoche heißt "Karikatur"? So steht es als Epocheneinordnung hinter 72 Bildern aus der Zeit zwischen 1795 und 1916. Sicher sind es alles Karikaturen, aber als Epochenbegriff scheint mir das merkwürdig zu sein. Zumal es bereits in der Antike Karikaturen gegeben haben soll.

Auf der anderen Seite ...

... ist es natürlich so, dass eine Bildsammlung mit 40.000 Abbildungen bzw. mit 18.000 Gemälden ein wirklicher Schatz ist, auf den man ungerne verzichten möchte. Aber sich vorzustellen, dass man eigentlich bei jedem Bild extra noch nachschlagen muss, ob die Bildangaben stimmen, ob das Bild wirklich von diesem Künstler ist, ob die Datierung stimmt, die Materialangaben und die Größenangaben - das nervt schon und erschwert die Arbeit mit der DVD eigentlich unnötig. Der Vorteil der digitalen Präsentation wird so gleich wieder aufgehoben.

Funktional ist die Arbeit mit der DVD aber durchaus. Wenn man ein Bild gefunden hat, dann kann man es anklicken, es zoomen und betrachten , kann das Bild in einen externen Bildeditor laden oder in ein anderes Programm kopieren.

Die Datenbank erlaubt allerding nur Exporte bis 256 Datensätze. Ich hätte lieber alle Datensätze nach Excel exportiert und dort durchsucht und bearbeitet, da Tabellenprogramme wesentlich mehr Möglichkeiten (auch statistischer Auswertungen) haben. Die Webgallery of Art verfügt über diese Funktion und macht das Recherchieren dadurch wesentlich einfacher.

Fazit

Wer nur auf der Suche nach Bildern ist, ist mit der DVD gut bedient. Zwar gibt es immer noch einige Qualitätsausfälle, aber im Großen und Ganzen liegt hier ein guter Bildfundus vor. Getrübt wird das dadurch, dass man sich weiterhin nicht auf die Bildangaben verlassen kann. Ich würde dem Yorck Project anraten, statt an dieser fehlergetränkten Version weiter zu arbeiten, lieber die Webgallery of Art auf DVD verfügbar zu machen. Das wäre etwas, für das ich glatt das Doppelte der Summe ausgeben würde. Sie umfasst mit 17.000 Bilder einen repräsentativen Querschnitt aus der Kunst und hat den Vorteil eines ausgefeilteren Angebots. So ist in(!) jedem einzelnen Bild die Bildkommentierung als jpg-Kommentar eingeschrieben. Das macht es möglich, jedes einzelne Bild jederzeit zuordnen zu können.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/47/am208.htm
© Andreas Mertin