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Gestenkultur![]() Eine kleine NotizAndreas Mertin Handfestes Christentum ...
Damit liegt das Buch in der Logik früherer Werke von Huizing, in denen er an herausragenden Beispielen der medialen Gestenkultur nachgegangen ist. Seinerzeit war die Bildende Kunst nur am Rande Thema der Erörterung, dieses Mal rückt sie ins Zentrum des Interesses. In gewohnter Weise verknüpft Huizing subjektive Erfahrung mit wissenschaftlicher und religiöser Deutung. In zwölf Schritten durchmisst er den potentiellen Raum einer gestenästhetischen Kulturerschließung. Grundlegend ist dabei sein 'Bezugsheiliger' Aby Warburg mit seinen detaillierten Studien der künstlerischen Pathosformeln.
Und da wir gerade bei den kritischen Anmerkungen sind: unglaublich ist die schlechte Qualität der Abbildungen auf dem für Kunstwerke völlig ungeeigneten Papier des Buches. Gut zweidrittel der Abbildungen sind unbrauchbar. So wird jede Erkenntnis vernichtet, da hätte man gleich auch auf die Abbildungen verzichten können. Andrea del Castagnos "David" ist im Buch zwar gleich zweimal abgebildet, aber jedesmal nicht zu erkennen. Es i
In der Sache selbst finde ich die vorgelegte Materialbasis für die These einer sich in der Kunst äußernden christlichen Gestenkultur zu gering. Nicht, dass es diese Gestenkultur in der Kunstgeschichte nicht gäbe, das scheint mir unstrittig zu sein. Was ich bezweifle ist die Tragweite des dabei in Anspruch genommenen Adjektivs "christlich". M.E. wird dessen Bestimmung außerästhetisch generiert und nur im Akte einer Illustrationsverifikation in der Kunst aufgefunden bzw. zugewiesen. Präziser ist Huizings Essay daher eher als Sammlung von Illustrationen christlicher Gesten (oder dessen, was man dafür hält) in der Kunstgeschichte zu begreifen. Empirisch wäre aber ein umgekehrtes Vorgehen sinnvoller. Sich eine spezifische christliche Szene zu suchen und dann im Querschnitt der Kunstgeschichte zu schauen, ob es dazu eine spezifische als christlich zu deutende Geste gibt. Also - um den Hinweis von Bill Viola aufzugreifen, den dieser in dieser Angelegenheit gibt ("The Greeting") - müsste man etwa die Begegnung von Maria und Elisabeth auf eine spezifische Geste (die sich nicht aus der menschlichen Natur der Begegnung zweier Frauen ergibt) hin untersuchen. Ich bin mir nicht sicher, Vielleicht gelingt dieses Verfahren am ehesten noch bei den Gesten unter dem Kreuz, die in der Kunstgeschichte reich differenziert vorliegen und ihrer Entdeckung harren (jenseits des allgeliebten langen Zeigefingers des Johannes aus der Kreuzigung des Isenheimer Altars). Hier lassen sich vermutlich eine Fülle von unserer visuelles Gedächtnis tief beeinflussenden Gestenrepertoires beobachten. Aber sie müssten präzise aufgezeigt werden. Dagegen sind Huizings Deutungen oftmals der visuellen Ähnlichkeit von Gesten geschuldet. Dass diese Gesten aber spezifisch christlich - und nicht eben einfach menschlich - sind, kann nur thetisch vertreten werden. Die bloße Ähnlichkeit etwa einer Kreuzabnahme Rogier van der Weydens mit dem legendären Benetton-Bild eines sterbenden Aids-Kranken ist in diesem Sinne keine Übernahme einer christlichen Geste, sondern im vorgängigen menschlichen Gestus der Zuwendung zum Sterbenden in der Trauer begründet. Was die Moderne betrifft, so sind mit Marc, Picasso, Mondrian Bacon und Nitsch zwar ausreichend prominente Vertreter versammelt, aber dennoch überzeugt mich die Argumentation im Buch nur selten. Sie bedarf in der Regel der Stützung durch außerästhetische Wahrnehmungen, sei es der Vita, der Psychoanalyse oder der Sekundärliteratur. Mit der visualisierten Geste selbst wird mir daher zu wenig gearbeitet. Die Bildsprache sui generis findet mir ganz allgemein zu wenig Beachtung, sie erscheint in der Regel nur als Ausdruck von etwas. Wenn aber der Satz "Der liebe Gott steckt im Detail" zutrifft, dann muss auch bei einer Kunstgeschichte christlicher Gesten in der Nachfolge Aby Warburgs en Detail der visuelle Nachweis geführt oder wenigstens evident (im Wortsinne) gemacht werden. Daher kann Huizings Buch im Moment nur als Anregung zu einem derartigen Projekt begriffen werden. Dem Verlag aber wäre dringend zu raten, künftig Bücher, die sich mit Bildender Kunst beschäftigen und vor allem mit Bildern der Kunst auch argumentieren, entsprechend auszustatten. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/47/am210.htm |