Wiedergänger

Caravaggio (Detail)

Zeitgenössische Kunst im reformierten Kirchenraum

Andreas Mertin

Info Andreas MertinIm aktuellen Heft der Zeitschrift „Die Neue Gegenwart“ findet sich unter der Überschrift „Kunst und Religion“ eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst im religiösen Raum. Berichtet wird dort von der Begegnung von Kunst und Gemeinde am Beispiel einer Abendmahlsinstallation von Wolfgang Knoll, der sich seit längerem mit Studierenden mit der Frage beschäftigt hat, „was heutige Betrachter aus der christlichen Abendmahltradition noch übernehmen können oder wollen“. Nun ist dies schon sui generis keine ästhetische oder künstlerische Frage, sondern eine Frage der religiösen Gestaltung und ihrer Rezeption. Derlei Fragestellungen verfolgen kirchliche Veranstalter seit Jahrzehnten in regelmäßigen Abständen. Künstlerisch am überzeugendsten ist hier sicher nicht die Arbeit von Knoll, sondern Ben Willikens Werk „Abendmahl“, das für den zentralen Raum des Frankfurter Architekturmuseums(!) vorgesehen war. In und mit Willikens Arbeit (einem impliziten Plädoyer für die Ästhetik des weißen Raumes) wurde deutlich, dass die Frage der Gestaltung des Abendmahlstisches eben keine religionsästhetische oder religiöse mehr ist, sondern eine genuin kunstästhetische. Dass heißt, wer sich um ein derartiges Objekt versammelt, sammelt sich um ein Kunstobjekt. Wer ein solches Objekt gestaltet, muss dies ausschließlich künstlerisch tun.

Kann ein Kunstobjekt als religiöses Raumobjekt genutzt werden? Das ist die Frage, die sich die Autoren stellen und angesichts der Rezeption des Objekts von Knoll zu kritischen Schlussfolgerungen kommen. Intentionalität des Abendmahls und Ambiguität des Kunstwerks vertrügen sich für die Mehrheit der Rezipienten nicht. Das aber ist das Problem aller theologischen Lehren, die sich selbst als Verkörperungen von Wahrheit und nicht als in sich schon ambiguitär angelegte religionsästhetische Inszenierungen begreifen.

Andererseits: Als ich das Objekt von Knoll sah, wurde mir schon vor der Lektüre des Artikels deutlich, dass der innerkirchliche Umgang damit notwendig scheitern musste. Aber mir war auch sofort klar, dass dies nichts mit dem reformierten Raum, nichts mit der reformierten Theologie und nichts mit der Gemeinde zu tun hat. Vielmehr liegt die Unklarheit im Objekt selbst, dass sich eben nicht entscheiden kann, ob es als kunstästhetisches Werk auftreten oder als religionsästhetisches agi(ti)eren will. Knoll will eben nicht die Migration der Form bearbeiten, sondern doch einen zeitgenössischen Abendmahlstisch gestalten. Das trübt das Objekt so sehr, dass man es in künstlerischer Perspektive dann eben als misslungen bezeichnen muss. Und darauf reagiert die Gemeinde zu Recht, weil sie merkt, dass ihr hier nicht ein künstlerischer, sondern ein religiöser Ausdruck vorgelegt wird (den sie vielleicht gar nicht teilt). Gerade dass die Gemeinde so reagiert, zeigt, wie sensibel sie theologisch wie ästhetisch ist. Die Entwicklung der Kunst ist über diese Form der künstlerischen Gestaltung lange hinaus und nur die Eventausrichtung der Kunst in den letzten Jahren hat hier (durch diverse Projekte von Buchverhübschungen und Bilderbibeln zeitgenössischer Künstler) Vernebelungen eingeführt.

Dass ein Kunstobjekt dagegen auch als Raumobjekt religiös genutzt werden kann, steht daher für mich nicht in Frage, solange das Kunstobjekt nicht als Religionsobjekt auftritt. Der Versuch, den Differenzierungsgewinn der Moderne durch das ästhetische Re-Design von Religion zu unterlaufen, geht in die Irre. Nicht an der reformierten Tradition, nicht an der Reaktion der Gemeinde oder der ästhetischen Ambiguität ist das Problem entstanden, sondern an der nicht konsequent genug durchgeführten Kunstästhetik.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/48/am220.htm
© Andreas Mertin