Verweigerung

San Stae

Andreas Mertin

Sicher kann man sich dem Kontext verweigern und den White Cube feiern, als ob dies die Ultima Ratio der Kunst-Präsentation und –Wahrnehmung wäre. Der White Cube ist eine Errungenschaft der frühen Moderne, als es galt, sich den Einflüssen von Politik, Religion und Ideologie zu entziehen. Nichts sollte die Wahrnehmung des Artefaktes stören, ganz pur und rein sollte der Raum für Kunstwerke und Betrachter sein. Dennoch verband sich mit dem White Cube immer eine quasi-religiöse Aufladung, wie der viel zitierte Text von O’Doherty zum White Cube zeigt. Im White Cube steht der Betrachter vor dem Kunstwerk wie weiland der Gläubige im Tempel vor Gott. Die Apotheose der Kunst findet im White-Cube-Kunsttempel ihre adäquate Ausdrucksgestalt. Das muss man im Hinterkopf haben, um zu sehen, was die Schweiz mit ihrer Kunstinszenierung in der Kirche San Stae für die 52. Biennale angestellt hat.

Jan-Christoph Rößler verweist auf seiner lesenswerten Internetseite über Venedig darauf, dass die Kirche ins 12. Jahrhundert zurückgeht, aber „1678 nach Entwurf von Giovanni Grassi neu errichtet wurde. 1709 wurde, finanziert durch den Nachlass des Dogen Alvise II Mocenigo, dessen Palast nur wenige Meter von der Kirche entfernt steht und der in San Staè begraben ist, ein Wettbewerb ausgelobt, um einen Entwurf für die Fassade zu gewinnen. Domenico Rossi gewann die Auslobung mit einem ... Entwurf mit vier korinthischen Blendsäulen auf hohen Piedestalen. ... Der Innenraum der Saalkirche besitzt je drei Kapellen an den Seiten.“

Dass die Schweizer hier einen Teil ihrer Biennale-Präsentation zeigen, hat eine lange Tradition. Nun kann man sich an der Örtlichkeit reiben und stoßen, wie dies die ausstellenden Künstler in den vergangenen Jahren auch gemacht haben.

Was Urs Fischer und Ugo Rondinone gemacht haben, hat aber mit Reibung oder Auseinandersetzung nichts mehr zu tun, sondern ist schlichte Kontext-Verweigerung. Es ist völlig egal, wo ihre Werke präsentiert werden, der umgebende Raum, den sie in den Raum der Kirche eingebaut haben, neutralisiert alles.

Die Assoziation an einen japanischen Tee-Raum ist nahe liegender als der einer alten Kirche. Daran können auch die Duftstäbchen nichts ändern, die Rondinone einer seiner Arbeiten beigefügt hat. Ganz im Gegenteil.

Wer durch das Portal tritt, betritt einen weißen Kubus mit sieben Arbeiten, drei raumgreifenden Skulpturen von Urs Fischer und drei plus einer Wandarbeit von Ugo Rondinone. Der Abschluss von der Umgebung ist vollkommen.

Da der Besucher den Kontext aber auch nicht visualisieren kann, kann eben auch nicht von einer Bestreitung die Rede sein. Statt dessen haben sich die Künstler einen optimalen Präsentationsraum eingerichtet. Das ist eine absolut verschenkte Chance und ehrlich gesagt: langweilig.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/49/am230.htm
© Andreas Mertin