Klassische Bildgattungen

Rezension

Karin Wendt

Es gibt Begriffe, mit denen man innerhalb einer Wissenschaft selbstverständlich operiert und die deshalb eine genauere Hinterfragung lohnen. Der Begriff der „Bildgattung“ ist so ein Begriff, der nicht nur das Phänomen der Einteilung der Malerei in verschiedene thematische Fächer bezeichnet, sondern das Ergebnis recht komplexer kunsttheoretischer Überlegungen ist und dessen Etablierung in der Geschichte der Kunst diese auch als Sozialgeschichte spiegelt. Nun könnte man sagen, dass eine solche strukturelle Befragung der Kunstgeschichte vorrangig für Fachleute interessant ist. Auf der anderen Seite ist es jedoch gerade für an Kunst Interessierte äußerst hilfreich zu verstehen, vor welchem Hintergrund die Künstler noch im 19. Jahrhundert ihre Arbeit begriffen und wie weit die Vorgeschichte dieser hierarchischen Ausdifferenzierung reicht. Das Wissen um den Stellenwert der Bildgattung ist nicht zuletzt unersetzlich, um eine Vorstellung davon zu bekommen, welche Art von Bruch die Infragestellung dieser Binnenstruktur durch die beginnende Moderne bedeutete.

Es gibt eine Fülle von Publikationen zum Thema der Bildgattungen. Die Digitale Bibliothek (Band 158) hat sich für die Dokumentation einer Buchreihe entschieden, die das Kunsthistorische Institut der Freien Universität Berlin von 1996 bis 2002 herausgegeben hat. Sie vereint fünf Einzelbände zur Historienmalerei von Thomas Gaethgens und Uwe Fleckner (1996), dem Porträt von Rudolf Preimesberger, Hannah Baader und Nicola Suthor (1999), der Landschaftsmalerei von Werner Busch (1997), der Genremalerei von Barbara Gaethgens (2002) und dem Stilleben von Eberhard König und Christiane Schön (1996). Die „Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren“ führt in die Geschichte und Theorie der akademischen Bildaufgaben ein, wobei jede Bildgattung im Rahmen von Quellentexten im Original und in deutscher Übersetzung behandelt wird. Einzelne Autoren werden kommentiert und in einen größeren kunsthistorischen und -theoretischen Zusammenhang gestellt.

Zur Bedeutung der Bildgattung für die Geschichte der Kunst schreibt Thomas Gaehtgens im ersten Band:

„In der Geschichte der Kunst seit der Renaissance ist zu beobachten, daß sich die Künstler gleichsam verschiedenen Fächern innerhalb des weiten Bereichs der Malerei zuwandten. Man war nicht einfach Maler, vielmehr konzentrierten sich die Künstler bereits seit dem 15. Jahrhundert auf bestimmte darzustellende Gegenstände und erwarben auf diese Weise ihre besondere Qualifikation. Im Lauf der Jahrhunderte kann von einer zunehmenden Spezialisierung gesprochen werden, wobei sich fünf Disziplinen herausbildeten: Historie, Porträt, Genre, Landschaft und Stilleben. Diese Unterscheidung der Bildgattungen mag uns heute als eine leicht einsehbare, pragmatische Arbeitsteilung erscheinen. Mit ihr ist jedoch eine Vielzahl von kunsttheoretisch höchst komplizierten Fragen verbunden, deren Beantwortung zum Verständnis der Kunst nicht nur in den früheren Epochen notwendig ist Zunächst muß man sich klarmachen, daß die Spezialisierung der Maler einem längeren Prozeß in der Entwicklung des kunsttheoretischen Denkens und der Sozialgeschichte der Künstler entsprach. Erst im 17. Jahrhundert scheint die Trennung der Arbeitsbereiche in der beruflichen Organisation der Künstler endgültig vollzogen, praktiziert aber wurde sie bereits früher. Die Unterteilung der Gattungen ist jedoch für die Kunstgeschichte nicht nur ein pragmatischer Vorgang, sondern vor allem ein konzeptioneller. Denn parallel zur Arbeitsteilung entwickelte sich seit der Renaissance auch eine unterschiedliche Bewertung der künstlerischen Aufgaben. Es galt als schwieriger, einen lebenden Menschen zu malen als etwa einen Baum. Es wurde als eine größere Leistung angesehen, im Bild ein vergangenes Geschehen zu rekonstruieren, als einen Ausblick auf eine Landschaft zu schildern. Ein Gemälde, für das der Künstler Einbildungskraft und Bildung benötigte, wurde höher bewertet als ein Werk, das nur die Natur nachahmte. Die unterschiedliche Anerkennung drückte sich daher nicht nur in der entsprechend höheren Bezahlung, sondern auch in der höheren sozialen Stellung des Künstlers aus. So entstand seit der Renaissance eine Rangstufung der Bildgattungen von Stilleben und Landschaft über Genre und Porträt bis hinauf zur Historienmalerei.“

Allein die Bündelung der Einzelbände durch die digitale Übertragung ist für die Erschließung des Themas sehr von Vorteil. Für eine sichere Zitation sorgt die wortgenaue Seitenkonkordanz zu den gedruckten Ausgaben sowie ein Sigelverzeichnis der den Quellen zugrundegelegten Ausgaben. Eine Verbesserung gegenüber den Printausgaben sind die Abbildungen, die soweit es möglich war durch farbige ersetzt wurden, eine gute Qualität haben und sich problemlos vergrößern lassen. Übersichtlich sind die zu einer Tabelle zusammengefassten Quellen, die mit den Textseiten so verknüpft sind, dass sich etwa alle Quellen eines Autors untereinander anzeigen lassen oder über den Befehl „Tabelle filtern“ die Einträge nach bestimmten Inhalten oder für bestimmte Zeiträume durchsucht werden können. Außerdem ist ein Personenregister für alle fünf Bände zusammengestellt, so dass ersichtlich ist, wer sich mit mehreren Bildgattungen befasst hat.

Die vorliegende Textsammlung ist vor allem für diejenigen eine „Fundgrube“, die kunsthistorisch und komparatistisch arbeiten. Die Quellenangaben sind verlässlich und die Fülle an Originaltexten mit Übersetzung erspart viel Recherchearbeit. Man kann der Bewertung durch den Klappentext zustimmen, wo es heißt: „In den zeitgenössischen Quellen kann die Kunstgeschichte in einer verblüffenden Authentizität erlebt werden, lassen sich Wendemarken erhellend nachvollziehen und wird das kulturelle Spannungsfeld lebendig, in dem sich die Kunst in ihrer jeweiligen Zeit befand.“

Wer jedoch eine erste Orientierung in diesem komplexen Themengebiet sucht, der ist vielleicht besser mit den Texten des Funkkollegs Kunst beraten, die auf Quellenmaterial verzichten. Unter dem Titel „Schule des Sehens – neue Medien der Kunstgeschichte“ haben die Kunsthistorischen Institute von fünf deutschen Universitäten in den letzten Jahren eine Online-Fassung des Kollegs erarbeitet, die ein virtuelles Studium für Studierende des Faches Kunstgeschichte und Laien ermöglicht. Während das Funkkolleg den Fokus auf eine deutende Darstellung der Kunst in ihrer religiösen, ästhetischen, politischen und mimetischen Funktion legt, bietet die Buchreihe auf der CD-ROM mehr historisches Material und eröffnet damit eine Fülle von Perspektiven, deren Bewertung jedoch allererst durch das eigene Studium erfolgen muss. So eignet sich die hier vorgestellte Publikation eher zur Vertiefung und Erweiterung von bereits Erlerntem.

Als Standardmaterial für das Studium der Kunstgeschichte und für weitergehende Forschung ist die CD-ROM in jedem Fall sehr zu empfehlen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/49/kw56.htm
© Karin Wendt