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Film-Idyllen zwischen Sehnsucht und KäuflichkeitAnmerkungen zu A Good Year (USA 2006, Ridley Scott)Hans J. Wulff / Ina Wulff Leistungszwänge / FreizeitWer glaubt, in seiner Freizeit oder im Urlaub in einer Welt außerhalb der Leistungszwänge und der Rhythmen der Arbeitswelt zu weilen, unterliegt meist einer Täuschung. Auch hier sind die Termine eng gesetzt, auch hier gilt es, die Effekte des Tuns zu optimieren und zu maximieren. Selbst die ältere Muße wird als „Wellness“ zur Ware, wird zum Bestandteil der allgemeinen Zirkulation von Gebrauchswerten. Auch hedonistische Qualitäten sind Werte und darum nicht gegen die Kommerzialisierung gefeit. Die selbstverwaltete Zeit des Urlaubs (wenn es sie denn je wirklich gegeben hat) wird transformiert in eine bestens kontrollierte Sphäre des „Freizeitkonsums“. Partykultur und Wellness-Urlaub, Verwöhn-Wochenenden und Gruppen-Entertainment in den Urlaubs-Siedlungen - das Zentrum der großen Urlaubsorte ist die „Party-Meile“, Komfort- und Spaß-Erwartungen die zentralen Gratifikationen, die der Tourismus bedienen soll, und selbst Hard-Rock-Konzerte wie das in Wacken werden von den Besuchern als „gelungene Parties“ bezeichnet. Auf eine andere Qualität von „Freizeit“ und „Urlaub“ stößt man aber, wenn man nach den Assoziationen fragt, die die beiden Wörter hervorrufen. Dann zeigt sich schnell, dass „Freizeit“ eine Chiffre ist, die vom Gegenalltag handelt und die nicht so sehr die Möglichkeiten realen Tuns beschreibt als vielmehr Bilder von Wunsch-Energien evoziert. Ein erster Blick in eine Entfremdungsmaschine wird möglich - das Konzept von „freier Zeit“ als einer Zeit, die der Sehnsuchtserfüllung dient, steht einer ganz anderen Praxis entgegen, die die freie Zeit als Maximierung subjektiven Nutzens oder Genusses auswertet, also genau in den gesellschaftlichen Wertschöpfungszusammenhang zurückbringt. Der neuere Hedonismus nach Kohl und Thatcher, nach Neoliberalismus und Globalisierung bringt das Recht auf Spaß zur Geltung. „You have the right / to fight / for your party!“ Der Kampfruf der Beasty Boys bringt es auf den Punkt - Spaß ist ein Wertgegenstand, um den es zu streiten lohnt. Es sind nicht mehr Lohn und Arbeitszeit, um die es im Kern des gesellschaftlichen Widerspruchs geht, sondern es sind subjektive Unterhaltungsansprüche, die jene zumindest oberflächlich verdrängt und überlagert haben. Spaß ist hier kein subjektives Abfallprodukt des Erlebens, sondern ein einklagbarer Gegenstand, um den man ringen muß, der inszeniert und garantiert sein will, der wiederholbar ist. „Spaß“ ist zur Ware geworden. Die linke Theorie kennt diesen Wandel schon lange. Sie spricht von einer „Kommodifikation“, wenn Gegenstände (welcher Art auch immer) zur Ware und damit in den Warenkreislauf eingebunden werden [1]. Gerade die im älteren Programm der Begrenzung der Arbeitszeiten angedachte Zeit des Ausspannens, die Freizeit, wird nach dem ökonomischen Leistungsprinzip durchgestaltet. Die Wert-Erwartung, die die Zeit der Arbeit bestimmte, stand einem Potential anderer Sinnbelegungen gegenüber - der Muße, der Meditation, der Einkehr, der Rückkehr zu selbstgewonnenen Horizontstellungen des Lebens [2]. Wenn nun jene andere Zeit in den Kreislauf der Wertschöpfungen eingeht, geschieht Fatales, es entstehen subtile Zwänge: Ob Urlaub oder Feierabend, jede Tätigkeit muss einen Wert haben. Bildungsreise hier, Erlebnisurlaub da - immer ist ein Nutzen mit eingeplant. Der Übergang zu einer Spaß-Gesellschaft fußt darum auf einem Paradox - die Freizeit gerät unter ähnliche Leistungsanforderungen wie die Arbeitszeit. Die Effekte dieser Annäherung finden sich in manchen grotesk anmutenden Szenarien des gesellschaftlichen Lebens wie dem „Speed-Dating“ oder den alltäglich vollführten Ritualen der Werbung des einen um den anderen Partner, der optimalerweise in den „One-Night-Stand“ einmündet. All dieses will inszeniert sein, es fügt sich in Liturgien und Drehbücher. Die Verfahren der Spaßgewinnung müssen formalisiert werden wie Arbeitsabläufe, sonst lassen sich die erwarteten (und vom Anbieter garantierten) Unterhaltungs-Effekte nicht sicherstellen. Diese Einstellung des Zeit-Sparen!s lässt sich keiner besonderen gesellschaftlichen Gruppe zuordnen. Sie findet sich in allen Schichten und Berufen. Leistungsfähigkeit ist impliziert und wird als wünschenswert dargestellt. Wer hingegen dem Leistungsanspruch nicht standhält, gilt als schwach, gar als labil. Diesem Muster unterwerfen viele ihre Selbstanforderungen, formulieren hiernach ihr Selbstdiktat, formieren danach ihre Selbstdarstellung. „Die Darstellung von Erfolgen wird zum wichtigsten Teil der gesellschaftlichen Umgangsformen“, heißt es in einem kritischen Bericht (in der Berliner Zeitung v. 4.3.2000), der auf den intimen Zusammenhang zwischen Erfolgszwang und sozialen Ängsten, Depressionen und Burn-Outs aufmerksam macht. Der selbst- und fremdauferlegte Leistungsdruck ist immens, die Leistungsfähigkeit, die permanent in höchster Anspannung verfügbar sein sollte, hingegen sinkt immer öfter, mündet möglicherweise in Krankheit ein (die wiederum lesbar ist als körper-gewordene Abwehr eines den einzelnen verachtenden Leistungssystems). Filme einer imaginären GegenbewegungSo verbreitet diese Umwandlungsprozesse auch sind, so sehr sie in manchen sozialen Milieus fast zwanghaft umgesetzt werden, so gibt es seit vielen Jahren aber auch eine Gegenbewegung, die sich im imaginären Raum des Kinos artikuliert. So sehr das assoziative Feld der „Freizeit“, das eingangs erwähnt wurde, mit Elementen der Sehnsucht und Kräften des Wünschens besetzt ist, so sehr ermöglicht es das Kino, sich dem Spiel der Imagination hinzugeben und zumindest in der Dunkelheit des Kinosaals und der Irrealität der Fiktion jenen Impulsen nachzuhängen, die sich den Kontrollansprüchen kapitalistischer Arbeitsordnungen entgegenstemmen. Die Geschichten, die diese Filme entspinnen, basieren fast immer auf dem Widerspruch zweier Lebensrealitäten - der einen, in der die Protagonisten funktionierende Bausteine des gesellschaftlichen Produktionssystems sind, und einer anderen, in die sie meist ungewollt hineingestoßen werden und in der sie nicht nur Figuren begegnen, die in ihrer ursprünglichen Welt nicht funktionieren können, sondern auch in einen Prozeß der Selbstvergewisserung hineingezogen werden, den sie am Ende als Gewandelte verlassen. Einige Beispiele:
Erinnert sei schließlich auch an Filme, in denen Protagonisten unheilbar krank werden und es erst unter diesem Druck lernen, die Fehlstellungen des eigenen Lebens zu überdenken und zu revidieren - Filme wie The Doctor (1991, Randa Haines), der von einem äußerst erfolgreichen Arzt handelt, der selbst zum Krebspatienten wird und sein Leben radikal umstellt, oder Regarding Henry (In Sachen Henry, 1992, Mike Nichols), dessen Held nach einer Schußverletzung das Gedächtnis verliert und mühsam elementarste Tätigkeiten des Lebens neu lernen muß. Und auch der deutsche Film Emmas Glück (2006, Sven Taddicken) behandelt die Geschichte eines Mannes, der sterbenskrank entdeckt, daß das Glück auf einem Alternativ-Bauernhof in der Nähe auf ihn wartet. Eiune Mischform ist Nancy Meyers Komödie Something's Gotta Give (Was das Herz begehrt, USA 2003), dessen Held nach Herzanfall sein auf Jugendlichkeit ausgerichtetes Alltagsverhalten umstellt und ausgerechnet am Urlaubsort bei der Mutter einer seiner Ex-Geliebten bleibt. Die Nähe des Todes ist in all diesen Filmen Auslöser einer Sinnkrise, die nur durch einen radikalen Wandel der alltäglichen Konditionen des Lebens bewältigt werden kann. In vielen anderen Filmen des kleinen Motivkreises ist der Druck, über Horizonte des eigenen Lebensentwurfs nachzudenken, dagegen viel geringer - hier geraten die Helden durch Zufall in Kontakt mit jenen anderen Möglichkeiten des Lebens, so daß schlaglichtartig die Oberflächlichkeit und Materialität ihres bis dahin ungefragt gelebten Lebens greifbar wird. Orte und Gegen-OrteVon besonderer Bedeutung für alle diese Filme ist der Umgang mit Zeit. Industrialisierte Zeit ist portionierte Zeit, man spricht von „Produktionszyklen“ und meint damit doch eigentlich, dass die Zeit in kleine Einheiten aufgesplittet ist, um sie so um so mehr verfügbar und kontrollierbar zu machen. Auch Alltagszeit ist gegliedert, und um so feinere Zeittakte vorgegeben oder selbst gewählt werden, um so mehr stellt sich der Eindruck der „Schnelligkeit“ ein. Vor allem an A Good Year lässt sich der Gegensatz von Schnell-Lebigkeit und konträr gesetzter Langsamkeit aufweisen. Orte und Gegen-Orte. Die eine Seite repräsentiert London: Inbegriff von Geschäftigkeit und wirtschaftlichem Wohlstand. Eine Stadt, die niemals schläft. Der Protagonist (Max, gespielt von Russell Crowe) ist erfolgreicher Börsenmakler. Zeit ist Geld, und Geld ist das, was er will; ohne Rücksicht auf Verluste. Die andere Seite ist das Landleben, das zudem nicht in England, sondern in Frankreich lokalisiert ist. Die ländliche Idylle wird als ein Leben im Genuss gezeichnet, reich an Zeit und Träumen. Das Leben verläuft zum anfänglichen Ärger des Helden nicht nur nach unterschiedlichen Zeitstrukturen, es lassen sich auch deutlich unterschiedliche Wertungsmechanismen und -muster ablesen. Während in der Stadt zwar die wertvollere Kunst bestaunt und als ästhetischer Genuss gefeiert wird, ist das Genießen auf dem Lande von anderer Qualität, sinnlicher, Gegenstand der leiblichen Auseinandersetzung mit der Umwelt, gelebter und nicht auf die Dauer eines Museumsbesuchs eingeschränkter Genuß. Essen und Wein, bei Musik und guter Gesellschaft - all dieses illuminiert das Prinzip des savoir vivre, das schon in der Wahl des Gegen-Ortes anklingt. (Die Schlüsselszene der romantischen Komödie French Kiss, 1995, Lawrence Kasdan, zeigt die großstädtische Heldin und den vom Lande stammenden Filou, als er ihr einen Geruchskasten zeigt, den er einmal als Kind gebaut hatte; und als er ihr deutlich machen kann, dass ein guter Wein alle diese Gerüche aufnehme, beginnt sie zu verstehen, dass ein Winzer eine andere, viel leibbezogenere Einstellung zu seinem Gegenstand einnehmen muß, als sie das je erfahren hatte. Signifikanterweise spielt auch A Good Year mehrfach mit der Fähigkeit des Protagonisten, die geschmacklichen Qualitäten von Weinen unterscheiden und beurteilen zu können.) Der Held wird eher versehentlich und sogar gegen seinen Willen in die Gegensätzlichkeit, aber auch die Dynamik von Ort und Gegen-Ort verstrickt. Die Betrachtung der Kunst könnte einen Gegenpol zur Geschäftigkeit des Makler-Alltags sein. Max‘ Londoner Boss Sir Nigel ist nun zwar im Besitz eines echten van Gogh. Während das Original versteckt im Tresor seine Zeit fristet, ist lediglich eine täuschungsechte Kopie ausgestellt. Besagtes Gemälde spiegelt sowohl Verlangen als auch Versprechen. Es spiegelt eine Sehnsucht, eine Urlaubsidylle, die sich der fleißige Geschäftsmann real jedoch nicht zugestehen mag. Die Metapher des versteckten Originals hat viel tiefere Bedeutung - als solle das Bild, das vor alltäglicher Besichtigung geschützt ist, für Potentiale stehen, die die Akteure für sich nicht zulassen. Sie leben in der Welt der Kopien. Die der Originale ist unzugänglich, ja sogar unbetretbar. So erklärt Max seiner Sekretärin: „Sag‘ auf keinen Fall, das ich in Urlaub bin. Das ist schlimmer als Sterben, klar?“ Die Geschichte wird zeigen, dass Max „das Originale“ in Frankreich finden wird, etwas heißes Ursprüngliches, gegen das die kalte Realität und Rationalität seiner Firma absticht. In der Arbeitswelt der Börsenmakler steht nüchtern berechnendes Kalkül gegen Irrationalität und Leidenschaft. Das zeigt sich an den dargestellten Handlungsräumen. Sowohl Börsenhalle als auch Büro sind pragmatisch klar geformt und nüchtern eingerichtet. Sie sind puristisch reduziert und wirken kühl. Die Personen sind austauschbar, unpersönlich und abgeschottet. Selbst gute Freunde bleiben oberflächlich und unverbindlich. Zwischenmenschliche Beziehungen stehen in einem Spannungsverhältnis von Praxen wie „Jeder-ist-sich-selbst-der-Nächste“ und materialistischen Werten. (Bild geworden ist die Kälte der sozialen Beziehungen in einer kleinen Szene in Local Hero: Obwohl die Freunde sich in dem gewaltigen Glasgebäude der Ölfirma, in der beide arbeiten, sehen können, versuchen sie sich telefonisch zu verabreden - und das Treffen kommt nicht zustande, weil man angeblich schon andere Verabredungen getroffen hatte.) Ganz anders erscheint schon die Realität der Dinge, der Häuser und Einrichungen auf dem Weingut in der Provence. Wärme und Licht spielen ineinander und zeichnen ein romantisches Bild nach dem anderen. Allerdings: Wenn man genauer hinsieht, sieht man, dass der Film die Idylle in Bildwelten wiedergibt, wie wir sie aus der Werbung kennen. Auch der Gegen-Ort in A Good Year (und der meisten anderen Filme des kleinen Motivkreises) gehört eigentlich der imaginären Schicht der Realität der Börsen-Banker zu: Solche Bilder geben einem impliziten Sehnsuchts-Impuls Gesicht, sie artikulieren etwas „Verborgenes“ und Gegenstehendes. Doch selbst dieses wird zum Gegenstand einer ausbeuterischen Strategie, wenn man versucht, sie als Images an Waren anzukleben, in der Hoffnung, dass die Wärme und der Reiz der gezeigten Szene als Anmutungsqualität auf die beworbenen Produkte übergehe. Das zweite Paradox der Idyllen - auch ihre Bilder sind nicht unschuldig, sie sind „kommodifiziert“ und tragen Bedeutungen, die der Konsumwelt zugehören und selbst wieder Genuss-Versprechen signalisieren, die auf der Ausbeutung von Gegenwelt-Phantasien beruhen. Das war einmal anders: Wenn die alte Frau am Ende von Lina Braake oder Die Interessen der Bank können nicht die Interessen sein, die Lina Braake hat (BRD 1974, Bernhard Sinkel) in Süditalien von einer Großfamilie aufgenommen wird - dargestellt in Bildern, die jenen aus den Filmen, denen dieser Artikel gewidmet ist, durchaus ähneln -, dann gewinnt die Heldin nach langen Phasen der Einsamkeit und der Mißachtung ein Leben in Gemeinschaft. Aber: Sie hat sich in die Familie mit dem Gewinn aus ihrem Bank-Betrug eingekauft - so dass das Ende höchst ironisch gebrochen erscheint. Gegen-ZeitDoch zurück zur Dramaturgie der Gegen-Orte. Das Leben passiert hier mit einer besonderen Gemütlichkeit und Eigenart, es wirkt detailreich und verspielt. Hier sind auch die Figuren gewandelt - sie selbst sind die Unikate, sie sind individuell und bunt, Sonderlinge, Exzentriker, Unangepaßte. Nicht in den allgemeinen Takt der Zeit eingeübt. Verweigerer? Nein, es geht in den Filmen des Motivkreises nicht um Aussteiger. Sondern um Figuren, die eher zufällig in die privilegierte Situation geraten, die Routinen ihres Alltags für eine eigentlich begrenzte Zeit aufgeben zu können, die oft zunächst in eine Art von Orientierungslosigkeit geraten, bis sie die Attraktivität und innere Ordnung der zufällig gefundenen Anders-Realität entdecken. Verführte, nicht Aussteiger. Es hatte oben geheißen, dass dem Leistungsprinzip des Spaßhabens ein Sehnsuchtsprinzip entgegenstünde, daß also die allgemeine Kommodifizierung aller Lebensbereiche ein imaginäres (aber dennoch reales) Gegenüber habe. Dass es sich bei den Realitäten in A Good Year eben nicht um realistische Darstellung der Wirklichkeit handelt, steht außer Frage. Sowohl London als auch die Provence sind hochstilisierte Bildfelder, die vor allem einen Zweck haben - Sehnsuchtspotentiale anzusprechen, auf die der Zuschauer durch die Werbung vorbereitet ist. Entgegen dem Zeitdruck von normalem Alltag steht ein vielfältig erkennbares Bedürfnis nach Ruhe und Langsamkeit. Anders als nach dem Freizeitideal der Aktivität, ist es oftmals der Wunsch nach Ruhe, Erholung und Abschalten, der bei der konkreten Gestaltung der eigenen Freizeit eindeutig die Oberhand gewinnt (so Horst Opaschowski in einer empirischen Studie zu den Urlaubsidealen [5]). Die ländliche Idylle, die Filme wie A Good Year ausmalen, ist somit besonders als Sehnsuchtsformulierung zu lesen. Die Zeit, die keinen Verpflichtungen und Zwängen unterliegt, gilt als eigener Wert. Kuren, Wellness, Entspannungs-Urlaub sind ware-gewordene Erscheinungsformen jener Gegen-Zeit. Sie wird nur in der zeitlichen Enklave des Urlaubs zu erlangen sein. Anders dagegen die Realität der Gegen-Zeit, die Filme wie A Good Year propagieren - ländliche Idylle, romantische Naturverbundenheit, Einklang mit der Zeit. Bedächtigkeit und Ruhe entsprechen hierbei einer Langsamkeit, die dramaturgisch-diametral gegen die Hektik der Großstadt gesetzt ist. Durch dieses Spannungsverhältnis laden sich die Bilder gegenseitig symbolisch auf. Landleben steht in diesem Deutungsbereich für das Versprechen eines guten und einfachen Leben - als das Versprechen von Zeit. Alle diese Filme zeigen, dass es sich bei den eingangs skizzierten Transformationen der Zeitsphären des Alltagslebens um keine Modeerscheinungen handelt, sondern um gesellschaftlich relevante Prozesse. Und dass diese Filme ausnahmslos Kino-Erfolge gewesen sind, mag man als Indiz dafür werten, dass ein breites Publikum der Unterwerfung der Identität unter die Leistungsanforderungen einer Spaßgesellschaft skeptisch gegenübersteht. Die Filme nehmen die Problematik der realen Verschiebungen der Werte auf und entwerfen Gegenentwürfe. Der Onkel des Helden in A Good Year brachte es einmal auf den Punkt, was für den Neffen viel später Anlaß zur Neuformierung seines ganzen Lebens wurde: „Hast du einmal etwas Gutes gefunden, musst du es pflegen!“ Gerade der Umgang mit Zeit ist eines der fundamentalen Themen all dieser Geschichten. So scheint die gesellschaftliche Praxis des „Sich-keine-Zeit-Nehmens“ Sehnsuchtsbilder zu schüren, die vor allem durch eines gekennzeichnet sind: „Zeit-Haben“. Die Zuschauerzahlen können als Indikator für die Aktualität dieses Widerspruchs gewertet werden. Sie sprechen für ein verbreitetes Bedürfnis nach „Urlaubsidyllen“, die dem allgemeinen Trend entgegenstehen. So märchenartig die Filme diese Kritik formulieren, so wenig realitätsnah ihre Lösungen sind, so ist die Zuwendung, die sie durch ein breites Publikum finden, durchaus politisch zu verstehen: als eine letztlich ohnmächtige Auflehnung gegen einen raffinierten Zwangsmechanismus, der noch die Residuen selbstverwalteter Zeit unter die Gesetze von Ausbeutung und Leistung stellt. Das ideologische Paradox von Filmen wie A Good Year bleibt bestehen - sie machen neue Anstrengungen der Tourismus-Industrie sinnvoll, ja: gehören ihnen selbst zu. Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/51/hjw5.htm |