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ZwischentöneAnmerkung zu Sloterdijks "Eifer"Markus Mürle Sprachästhetisch versetzt mich das neue Buch Peter Sloterdijks in Sphären studentischer Glasperlenspielereien. Solche köstlichen Früchte funkelnder Sprach- und Assoziationskraft sind im alltäglichen beruflichen Leben rar geworden. Es erfreut den Geist, z.B. die paulinische Wirksamkeit unter Anspielung auf Kleist[1] derart zusammengefasst zu bekommen: "Es mag kein Zufall sein, daß die paulinische Arbeit weitgehend in Form von Briefen dokumentiert ist, sofern dieses Genre wie kein anderes die apostolische Wirkung in die Ferne bezeugt. In ihnen beobachtet noch der heutige Leser die allmähliche Verfertigung des Christentums beim Schreiben." (30f) Das Thema des Buchs "Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen" wird in acht Abschnitten traktiert: Die Prämissen, Die Aufstellungen, Die Fronten, Die Feldzüge, Die Matrix, Die Pharmaka, Die Ringparabeln, Nach-Eifer. - Herzstück ist das Kapitel "Die Matrix". Hier, und nicht in Terror- bzw. Clashszenarien heutiger oder vergangener Tage, findet man wohl des Verfassers Ausgangspunkt - und einen vermutlich lange gehegten Groll. Hier kläfft der kynische Hund nicht nur in bewährter Manier, hier verbeißt er sich regelrecht in die "eifernden Monotheismen", die vom attackierenden Autor mit einem Hyperlink zu einem binären zoroastrisch \ abrahamitisch \ mosaischen Wurzelverzeichnis versehen werden. Etymologische Beißhilfe könnte Sloterdijk aus der althebräischen Sprache erhalten: Das Verb nb' bedeutet prophetisch auftreten aber auch rasen; ähnlich wie das seltenere ntf mit prophezeien oder geifern konnotiert werden kann.[2] Sloterdijk arbeitet sich mit seiner Analyse merklich ab; nicht nur an Vorgaben theologischer Traditionen, sondern auch an monolithischen Ontologien philosophischer Überväter. Mitunter formuliert der Philosoph dabei im Gestus eines Konfirmanden, der meint, den ihm aufgezwungenen Konfirmandenunterricht trotzig pubertär abwehren zu müssen.
Gleichwohl bleibt die Aufgabe, unter den in Sloterdijks Anamnese global abgetasteten Bedingungen, religiöse Themen in allen Schattierungen anzusprechen. Und zwar nicht als abzuschleifende nutzlose Endmoränen, die monotheistische Gletscher bei ihrem Rückzug hinterlassen haben, sondern als Findlinge, die Spuren sein können zu Heilsamem. Selbst der von Sloterdijk angeführte Kronzeuge Jan Assmann weist, und sei es nur aus gesprächstaktischen Gründen, auf den befreienden Hintergrund mosaischen Glaubens hin.[3] Ein Beispiel aus der Schule: Man kann mit den jungen Leuten anhand der Shell-Jugendstudie[4] Typologien jugendlicher Religiosität, einschließlich damit verbundener Gottesvorstellungen sortieren. Das führt oft zu Aha-Erlebnissen über eigene Prägungen, die es auch bei den heitersten Heiden gibt; es entsteht konturierter Freiheitsgewinn (es gibt ja noch andere Entwürfe); es ergeben sich Vergleichsmöglichkeiten (was taugt nun - wozu?). Zur Bildungsverantwortung gehört inzwischen unabdingbar die Kenntlichkeit des Lehrers. Moderation ist nur die halbe Miete. In postmoderner Freiheit-Gleichgültigkeit-Unübersichtlichkeit verlangen aufgeschlossene und wache Jugendliche danach: nicht, um Erwachsene zu kopieren (wer will das schon), sondern um eines interessanten Reibepunkts willen, an dem man seine Maße finden kann.[5] Diese Aufgabe kann übrigens in einem Diskurs auch der Rekurs auf heilige Schriften einnehmen - man muss diesfalls Kanon nicht immer nur als militaristische Kampfmetapher missverstehen... Erst von diesem Boden positiv verstandener, kostbarer und notwendiger Religionsfreiheit aus, ist Sloterdijks Skepsis gegenüber hyperpathetisch-eindimensionalen und vor allem rechthaberisch-selbstimmunisierenden religiösen Entwürfen klar zuzustimmen. Lieber mit Peter Sloterdijk in dessen Hölle diskutieren dürfen[6], als Bill Hybels in dessen Himmel recht geben müssen[7]. Da aber Schwarz-Weiß-Schemata nicht taugen, entfällt diese Alternative ohnehin. Allenthalben offene Türen einrennend, erinnert der Philosoph daran, dass es neben binärem Schwarz-Weiß auch die Grauschattierungen des Lebens gibt, was in multimedial-bunten Zeiten nahezu klerikal streng anmutet. Dabei leistet sich Sloterdijk selbst einen allzu brachialen globalen wie diachronen Rundumschlag. Hintergrund könnte der Druck sein, im Rahmen umfassender Monotheismuskritik den Nachweis einer zumindest einigermaßen ordentlich gewaschenen Humanismusweste führen zu müssen: Inzwischen haben auch sich vornehmlich auf die Aufklärung Berufende bemerkt, dass ihre Traditionsklamotten nicht nur blütenweiß rein sind. Sloterdijk arbeitet tricky: In der Bugwelle Freuds[8] und Assmanns surfend, mutiert Moses unter seiner Tastatur zum zweiten Adam, der das monotheistische Elend dieser Welt verschuldet hat. Wo lässt sich der bei Moses vorhandene Keim monomanischen Eifers, polarisierenden Thymos, zelotischen Furors, rabiaten Rigorismus, kaltglühenden Terrors aufspüren? Bei Paulus? Mohammed? Robespierre? Marx? Stalin? Mao? Diese lassen sich doch, über das Konstrukt widerstreitender "Gegenreligionen", locker miteinander verlinken - und: "Somit wären große Teile der okzidentalen Glaubens- und Geistesgeschichte ausdehnungsgleich mit den Feldzügen der Gegenreligionen, deren parteiübergreifendes Feldzeichen jedesmal in der zur Unduldsamkeit aufreizenden Verbindung von Kombattanz und Wahrheitsanspruch zu finden ist." (S. 210) Wie ein Atlas stemmt nun Sloterdijks Moses, dieser zweite Adam, die Bürde allen Unheils, das sich irgendwie auf "kombattante Wahrheitsansprüche" zurückführen lässt. Dass hierbei kynischer Abbau pathetischer Wahrheitsansprüche zur zynischen Nivellierung individueller Opfergeschichten gerät, dürfte der Preis solcher gewalt(tät)igen Verallgemeinerungen sein. Wo solls hinlaufen? Sucht man nach Hinweisen, erhält man ein paar Brosamen aus des Philosophen Hand: Locker bleiben. Zivilisatorischer Nach-Eifer. Renaissance. Kulturwissenschaften. Gedämpfter Kapitalismus. Pluriformität. Demokratie. Die eine Erde. Das erinnert an Kirchentagsschlussveranstaltungen: Die eine Erdkugel, symbolisch von Menschenhänden sanft getragen, 1985 im Stadiongottesdienst zu Düsseldorf. Mich beunruhigte schon damals dieses Bild. Es gibt eine ähnliche Szene in einem Chaplin-Film: Hier ist es „der große Diktator“, der mit dem Erdenball spielt. "Die Erde ist des Herrn" Sloterdijk rezipiert derlei Sätze, Frömmlern nicht unähnlich, mit dem Klirrfaktor keifender Einwertigkeit; sie sirren im Ohr wie ein giftiger Tinnitus. Demgegenüber möchte ich für ein pluraleres hermeneutisches Repertoire plädieren und erlaube mir, dieses Psalmsprachspiel als befreiendes Lied vernehmen und intonieren zu dürfen: Mir scheint ein offenhaltendes Woher ein besserer Grund, der Erde treu zu bleiben, als den Ball in monoanthropem Squashspiel an die Wand zu dellern. Kern ist nicht das Herr-Knecht-Gefälle, das man bejahen oder ablehnen muss, wie Sloterdijk meint. Tertium datur: Es geht darum, dass Leben vom Anderen her gegründet ist. Wir sind Resonanzwesen. Das wird in jedem Kirchenchor deutlich. Dort können, im poly(!)phonen, von unzähligen Zwischentönen durchsetzen Raum, selbst verspannt-verfeindete Brüder und Schwestern zu Mit-Menschen werden. Dort kann man auch überzeugte Atheisten und graumelierte Zweifler die steilsten Trostworte heiliger Schrift in erstaunenswerter Inbrunst singen hören. „Der Gerechten[9] Seelen sind in Gottes Hand und keine Qual rühret sie an!“ „Hölle, wo ist dein Sieg?“„Herr, du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft!“ dürfen wir das Brahms-Requiem nicht auch als Expression kraftvollen Glaubens, zarten Hoffens, gewagten Liebens singen und hören? Sollen wir diese Musik nur noch, ob des freudigen Pathos peinlich berührt hüstelnd, kulturbeflissen als konzertant beeindruckend beklatschen? Warum soll Bezogenheit auf das Andere und die Anderen das Ende von Eigenständigkeit darstellen? Das will mir nicht in den christlich verdorbenen Kopf. Ja, vielleicht ist das der Unterschied: Es geht nicht um den "Beifall der Mitwelt" (S. 173, zur Ringparabel), sondern um die Freude am Anderen. Nein, auf die Screenshots hienieden möglicher Versöhnung möchte ich nicht verzichten. Ganz sicher dürften durch Sloterdijks Buch künftige Debatten mit Drive angestoßen sein: Wofür stehen das altorientalische "Ägypten" und "Babylon"? Als Chiffren für prophetisches Durchschauen und Benennen von menschenverachtenden Unrechtssystemen, kombiniert mit einem unsinnigen Beharren darauf, dass es doch mehr geben können darf, als dies? Oder als Matrizen für ein kulturell heiteres, entspanntes, humanes, zwar parteihaft-pluriformes, aber doch unparteilich-neutrales, tolerantes, evolutiv-konstruktives Leben im Hier und Jetzt? Oder als Paradigmen für ... -? Viele meiner Schüler würden antworten: „Herr Sloterdijk, das muss jeder für sich selbst entscheiden.“ Mit diesem Credo postmoderner Selbst-Genügsamkeit und Selbst-Immunisierung dürfte sich auch ein geistreicher Kulturphilosoph nicht abfinden. Eine dritte Bedeutung von ntf, neben prophezeien oder geifern, lautet: sabbern. Möge Sloterdijks reizvolles Denken coram publico künftig nicht in Altherren-Logorrhoe abdriften. Echte Propheten kannten Schweigephasen. Möglicherweise profitieren von dieser Übung auch bissige Philosophen auf ihren irenischen Pfaden. Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/51/MaM1.htm |