Intimität |
Innen RäumeReflexionen von Giotto di Bondone, Günter Fruhtrunk und Mark MandersKarin Wendt „Als Innenraum bezeichnet man in der Architektur einen Raum, der vor Witterungseinflüssen geschützt ist. Er ist zu großen Teilen von Wänden und Dachflächen umgeben. Allerdings bezeichnet man auch solche Räume als Innenräume, deren Umgrenzungsfläche(n) nicht völlig geschlossen sind beispielsweise das Innere eines Zeltes oder Höhlen. Ein innenliegender Raum ist dagegen ein Raum, der an keine Außenwand grenzt und keine Fenster hat (evtl. Oberlichter).“ (Wikipedia) Von Innenräumen sprechen wir also, wenn der Raum um uns mindestens teilweise umgrenzt ist. Bestimmte Innenräume nehmen wir dabei als vertrauter, näher, vielleicht intimer wahr. Welcher Art ist eine solche Vertrautheit bzw. woher rührt sie? Ein Raum kommt uns bekannt vor. Wir haben den Raum selbst geschaffen oder ausgestaltet. Oder in dem Raum findet etwas besonders Vertrautes statt, wird etwas für uns persönlich Bedeutsames verhandelt. Welcher Art sind aber die Grenzen, wenn wir von Räumen oder dem Raum unseres Inneren sprechen? Was begegnet uns in dem Raum, den unsere innere Vorstellungswelt ausmacht? In welcher Hinsicht erscheint er intim? Aus soziologischer Perspektive setzt die gesellschaftliche Aufteilung in eine innere und eine äußere Sphäre menschheitsgeschichtlich vergleichsweise früh ein, wie Marcus Termeer in seiner Soziologie des Waldes schreibt: „Die Kategorien von Innen und Außen in den gesellschaftlichen Naturverhältnissen bezeichnen einander überlagernde, sich ebenso wechselseitig bedingende Dimensionen, wobei desgleichen Diskontinuitäten zu beobachten sind. Zum einen geht es um die Endo- und Exosphäre der Gesellschaft. Diese Aufteilung in Sphären von Innen (Haus, Dorf) die Orte, an die Frauen verwiesen werden, in denen Männer aber die dominante soziale Position besitzen und Außen (Wald, fremde Territorien) Orte, die weitgehend exklusiv von Männern aufgesucht werden entstehen historisch schon sehr früh, grundsätzlich in sesshaften, agrarischen Gesellschaften.[1] Eine strikte Unterscheidung zwischen dem bekannten und daher beherrschbaren „Innen“ und dem noch fremden, aber zu integrierenden „Außen“ erfolgt jedoch erst in der Frühzeit der Moderne, und sie ist sicher nicht nur als Errungenschaft sondern auch als Behauptungswille zu werten, denn sie löst die Vorstellung von nebeneinander liegenden Bedeutungs-Räumen zugunsten des einen Raums ab und muss so alles jenseits davon Liegende zwangsläufig tabuisierend abspalten, wie Termeer weiter ausführt: Zum anderen, aber damit verbunden, geht es also um das Innen als einem beherrschten, sich ausdehnenden Raum und das Außen als einem unbeherrschten Raum. Dass die Aufspaltung in Innen und Außen und damit zugleich die wechselseitige Bedingung von Innen und Außen im heutigen Sinn in der frühen Neuzeit entstanden ist, ist häufig gezeigt worden. Geht man von aggregativen Strukturen zuvor aus, lässt sich das weiter stützen, da dort offenbar eher von Nebeneinander, als von Innen und Außen gesprochen werden kann. Die Landschaft als ästhetisch erfahrbarer und gestaltbarer Ort, als Raum draußen, in dem möglicherweise positiv konnotierte Gegenwelten vermutet werden können, entsteht frühneuzeitlich erst mit der Genese des städtischen bürgerlichen Subjekts. Der Positivismus, ihr letztes Produkt, ist nichts anderes als ein gleichsam universelles Tabu. Es darf überhaupt nichts mehr draußen sein, weil die bloße Vorstellung des Draußen die eigentliche Quelle der Angst ist. Das berühmte Diktum von Horkheimer/Adorno, das sich kurz in ‚was außen ist, soll innen werden’, ausdrücken lässt, bezeichnet allerdings keine Einbahnstraße. Die soziale Inkorporation des Außen, die Vergesellschaftung der äußeren Natur kann nur nach den Bedingtheiten des Innen, der inneren Natur erfolgen.“[2] Auf der anderen Seite werden wir erst und gerade durch die Grenzziehungen nach innen und außen unserer und der Freiheit des anderen überhaupt gewahr. Intimität kann dann dort entstehen, wo wir uns dem anderen aus Freiheit und in Anerkennung seiner Freiheit nähern wollen. Intime Beziehungen wird es daher wohl immer nur gebrochen geben. Intim wären Räume dann, so könnte man in einer ersten Annäherung folgern, wenn sich in ihnen Inneres mit Äußerem in Freiheit verbindet. Die Komplexität räumlicher Fragegestellungen spiegelt unser ambivalentes Verhältnis zum Raum zwischen Herrschaftsanspruch und Freiheitskultur. Es sind vor allem Künstler, die von je her ein besonderes Gespür für diese Ambivalenz haben und deren Potenzial so zu erschließen vermögen, dass wir für Momente innehalten und uns der Wirklichkeit stellen. Der künstlerische Blick ist ein öffentlicher Blick, weil er die Dinge zeigt und kommuniziert, aber er ist zugleich ein intimer Blick, weil er die Dinge und Verhältnisse an sich selbst zeigt und uns zur Introspektion gleichsam zwingt. Ich möchte im folgenden drei künstlerischen Argumentationen nachgehen, die zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Medien reflektieren, auf welche Weise das, was wir innen wahrnehmen, mit der Welt und uns selbst zusammenhängen könnte. Es geht im folgenden um die raumbildnerischen Innovationen von Giotto di Bondone (ca. 1267-1337), um den Versuch der Konkretion räumlicher Wahrnehmung in den Bildern des deutschen Malers Günter Fruhtrunk (1923-1982) und um eine Kritik des Innen in den Installationen des niederländischen Künstlers Mark Manders (*1968). Beziehungen„Produktive Beziehungen lassen sich nur zwischen distinkten Einheiten herstellen; so verwundert es nicht, wenn die Erzählräume der nachmittelalterlichen Zeit die Grundunterscheidung von Innen und Außen aufbauen und ihre Überwindung zum Gegenstand der Erzählung machen. In der Kunst des Mittelalters gibt es eine derartige Differenzierung mit bildkünstlerischen Mitteln nicht. Szenen, die man in einem Innenraum erwarten würde, werden genauso wie Geschehnisse, die einem Außenraum zuzuordnen sind, vor neutralen Hintergründen oder vor Architekturfolien abgewickelt, die als Abbreviaturen von Stadt, Haus, Kirche usw. über ihre auszeichnende Wirkung hinaus auf die Erzählung des Geschehens nicht einwirken.“[3] Was Wolfgang Kemp hier beschreibt, wird gemeinhin als der Übergang von der aperspektivischen oder mit Bezug auf die Darstellung von Menschen bedeutungsperspektivischen Darstellungsweise des Mittelalters hin zur perspektivischen Erschließung des Bildtiefenraumes in der neuzeitlichen Malerei gewertet. Die Kunst von Giotto di Bondone ist auf diesem Weg eine der wichtigsten Stationen und sie bildet eines der wichtigsten Verbindungsglieder. Zu Giottos bedeutendsten Arbeiten zählt der Freskenzyklus in der Capella degli Scrovegni all’Arena (Arena-Kapelle) in Padua, entstanden in den Jahren 1304 bis 1306. Die einschiffige Kapelle im Außenbezirk der Stadt war Teil einer heute zerstörten Palastanlage, die Enrico Scrovegni, ein Padoveser Bankier, 1300 auf den Ruinen eines verfallenen römischen Amphitheaters für seine Familie hatte errichten lassen. Für die Innengestaltung der Kapelle verpflichtete er neben Giotto auch den Bildhauer Giovanni di Pisano. Die Bilder innerhalb der Wandfresken, für die Giotto vor allem bekannt geworden ist, zeigen Szenen aus dem Leben des Heiligen Joachim, dem Leben Marias und dem Leben Jesu. In ihnen entwickelt Giotto Architekturen, die als Aufenthaltsorte plausibel erscheinen, die mehrere Räume miteinander verbinden und so beginnen, räumlich zu erzählen. Während er bei der Schilderung öffentlichen Geschehens in Teilen noch alten Darstellungskonventionen von hinter- oder übereinandergelagerten Kulissen verhaftet bleibt, zeigen gerade die häuslichen Bilder mit intimen, wir würden heute sagen privaten Ereignissen wie Hochzeit, Geburt, aber auch Verkündigung oder Berufung das Äußere und das Innere des Hauses inszeniert nach dem „Typus der Puppenhäuser“, wie z.B. die Szene der Hochzeit in Kanaan.[4] „Diese Koexistenz von Außenraum und Innenraum“, betont Kemp, „hat ihr eigenes formgeschichtliches Gewicht; sie darf nicht als Zwischenlösung auf einer Entwicklungsachse verstanden werden, die dem Entweder/Oder zustrebt. Der Innenraum wird eben nicht nur an sich definiert; seine Qualifikation als Um- und Handlungsraum erwächst, [...] aus seiner Verhältnisbestimmung zum Außenraum. Es geht nicht um Dichotomie, sondern um die Gegenüberstellung und den Austausch zweier Welten.“[5] Und er macht noch eine weitere Beobachtung: „Mit der Eroberung dieser Sphäre des Hauses vollzieht die christliche Kunst sehr spät nach, was eigentlich am Anfang der christlichen Umwertung (fast) aller Werte steht: Die Akzentverschiebung von den Foren und den Werten der res publica zu den Qualitäten des Intimen, Privaten, Familiären, Alltäglichen.“[6] Kemp stellt also heraus, dass die innovative Leistung von Giotto einmal in der formalen Verbindung von Innen- und Außenraum und mithin in einer wechselseitigen Öffnung nebeneinander existierender Bereiche zu sehen ist, und zum anderen in der Aufwertung, fast könnte man sagen Nobilitierung einer inneren Sphäre, für die das Haus stellvertretend steht. Ich möchte beide Beobachtungen aufgreifend noch einmal den Scharniercharakter der künstlerischen Position Giottos akzentuieren. So zeigt sich die Verbindung von Innen- und Außenraum auch noch einmal in der Makroperspektive der gesamtbildnerischen Anlage. Während die Binnengliederung der rechteckigen Bildfelder die Idee des Tafelbildes vorwegnimmt bzw. historisch einleitet, bilden die Fresken untereinander eine parataktische Ordnung aus, die sich ihrerseits zu einer alles bedeckenden Wandmalerei zusammenschließt. Über dem Eingangsportal der Kapelle finden sich Darstellungen des Jüngsten Gerichts. Unterhalb der Szenen zum Leben Jesu reihen sich Personifikationen der sieben Tugenden und sieben Todsünden. Gemalte Architekturelemente täuschen Nischen vor, in denen Figuren stehen. Über dem Eingang zum Altarraum, dem Triumphbogen, thront Gottvater, der den Erzengel Gabriel beauftragt, Maria die Empfängnis Jesu zu verkündigen. Darunter stellen zwei Bilder die Verkündigung selbst dar.[7] Besonders eindrucksvoll ist die Gestaltung des Gewölbes, das wohl in Anlehnung an die Galla Placidia in Ravenna mit einem blauen Sternenhimmel ausgemalt ist. Tondis innerhalb des Himmelsgewölbes zeigen Porträts von Jesus, der Jungfrau Maria mit Kind und den Propheten des Alten Testaments. Die Außen- und Innenräume, die in den Bildfeldern auftauchen, dienen so als szenische Teileinheiten einer symbolischen Verdichtung des Außen im Inneren einer Kapelle, welche ihrerseits ein kirchlicher Innenraum par excellence ist. Die Bezeichnung „Kapelle“ (lat. capella: kleiner Mantel) entstand als Bezeichnung für den Aufbewahrungsort der Stoffreliquie des heiligen Martin von Tours und ging in der Folge auf kleine Bet- oder Gottesdiensträume innerhalb von größeren Sakralbauten oder profanen Gebäuden über, aber auch auf freistehende Bauten wie Taufkapellen, Weg- und Wallfahrtskapellen oder Schlosskapellen. Indem Giotto erzählerische, schmückende und illusionierende Elemente verbindet, inszeniert er den Innenraum des Kirchenraums als programmatisches Bild vom Inneren der Welt. Der Innenraum wird dabei in zweifacher Weise thematisch: Als atmosphärische Verdichtung und als mediale Erweiterung. Ornamentaler Schmuck auf der einen und Wände, die als Projektionsflächen einer umfassenden Erzählwelt genutzt werden. Diese Verbindung stellt nicht zuletzt eine eigenständige Lösung zwischen einer flächenbewahrenden, rein ornamentalen Wandgestaltung auf der einen und einer auf dreidimensionale Illusion strebendenden Malerei auf der anderen Seite dar. Ein Detail aus dem Gewölbe illustriert sehr schön, wie Giotto diese Doppelung noch einmal „weiterschraubt“, indem er das Innere der Kapelle wiederum als Projektionsfläche des Außen, nämlich als Blick in den Himmel nutzt, um auch diese scheinbare Grenze wiederum nach innen in einen fiktiven jenseitigen Raum zu öffnen. Zu sehen ist einer von mehreren Himmelswächtern, wie er das Firmament zur Seite rollt, so dass dahinter die mit Edelsteinen besetzten Mauern des Himmlischen Jerusalems erscheinen. Im Text der Offenbarung des Johannes[8] wird die Entstehung und das Aussehen der verheißenen Stadt in prächtigen Bildern unendlich detailliert beschrieben: Kap. 21, 1 Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde. Denn der erste Himmel und die erste Erde vergingen. Das Meer ist nicht mehr. 2 Die heilige Stadt *Jerusalem, die neue, sah ich aus dem Himmel herabsteigen, von Gott bereitet wie eine Braut, geschmückt für ihren Mann. [...] 22, 9 Einer der sieben Boten [...] kam und sagte zu mir: »Komm, ich werde dir die Braut zeigen, die Frau des Lamms!« 10 Er führte mich in Geistkraft weg, auf einen großen, hohen Berg, und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem: aus dem Himmel, von Gott, herabsteigend 11 mit dem Glanz Gottes, ihr Strahlen dem kostbarsten Edelstein gleich, einem Jaspisstein etwa, kristallglänzend. 12 Sie hatte eine große und hohe Mauer, sie hatte zwölf Tore [...] 13 Von Osten drei Tore, von Norden drei Tore, von Süden drei Tore, von Westen drei Tore. 14 Die Stadtmauer hat zwölf Grundsteine und auf ihnen zwölf Namen der zwölf Apostel des Lamms. 15 Der, der mit mir redete, hatte ein goldenes Maßrohr, um die Stadt, ihre Tore und ihre Mauer zu messen. 16 Die Stadt liegt viereckig da. Ihre Länge ist so groß wie ihre Breite. Und er maß die Stadt mit dem Rohr aus: 12 000 Stadien, ihre Länge, Breite und Höhe sind gleich. 17 Er maß ihre Mauer aus: 144 Ellen Menschenmaß, also Botenmaß. 18 Der Unterbau ihrer Mauer: Jaspis. Die Stadt: *rein golden, wie reines Glas. 19 Die Grundsteine der Mauer der Stadt sind mit allen wertvollen Steinen geschmückt: der erste Grundstein Jaspis, der zweite Saphir, der dritte Chalkedon, der vierte Smaragd, 20 der fünfte Sardonyx, der sechste Karneol, der siebente Chrysolith, der achte Beryll, der neunte Topas, der zehnte Chrysopras, der elfte Hyazinth, der zwölfte Amethyst. Obwohl Giotto nur einen kleinen Ausschnitt der Stadtmauer des neuen Jerusalem offenbart, schafft er es, ihr durch seine Bilderfindung die Ausmaße des ganzen Himmels zu verleihen. So visualisiert er nicht nur die Vorstellung von miteinander verbundenen Räumen sondern auch von miteinander kommunizierenden Erkenntnisweisen: der Blick in den Himmel und das Hören auf die schriftlich tradierten Visionen des Johannes. Die Erweiterung von Grenzen versteht Giotto wohl auch qualitativ als Erweiterung des Verstehenshorizontes. Über zweihundert Jahre später greift Francesco de’ Medici (1541-1587), Großherzog der Toskana, in Form und Dekoration auf die intime Anmutung einer einschiffigen Kapelle wie der Capella Scrovegnis zurück, als er im Palazzo dei Priori, dem sogenannten Palazzo Vecchio, sein privates Studierzimmer einrichtete.
Der Raumtypus des Studiolo entstand in der Renaissance. Typisch ist die Dekoration der Wände mit Porträts von Gelehrten, gemalten Intarsien oder Allegorien. Die Zimmer waren meist mit Kunstwerken, Studienobjekten und Büchern ausgestattet und dienten dem Studium und der Reflexion. Francescos Studiolo entsteht in den Jahren 1570 bis 1572. Es war nur über eine versteckte Wendeltreppe erreichbar. Die zwei einzigen Fenster waren durch gemalte Türen verdeckt, so dass kein natürliches Licht in den Raum fallen konnte, während der Fürst bei Kerzenschein arbeitete. Der kleine Raum war Büro, Laboratorium, privates Versteck und Kuriositätenkabinett in einem. An den Wänden hingen 34 kleinformatige Ölgemälde, die dahinterliegende Schränke verdeckten, in denen Francescos Bücher, Proben und Instrumente lagerten. Das spätmanieristische Bildprogramm wurde von Giorgio Vasari, der es unter Mitwirkung eines großen Teams von Künstlern umsetzte. Die Bilder bilden einen komplexen Kosmos aus mythologischen, religiösen und genreartigen Themen, die die philosophischen, geologischen, mineralogischen und alchemistischen Interessen des Bauherrn spiegeln. Man muss zugeben, dass Vasari für das Projekt zwar die besten Künstler ihrer Zeit zusammenrief, aber nicht unbedingt deren beste Arbeiten vereinigen konnte, was wohl auch dem kleinen Format der Bilder geschuldet war. Bereits kurz nach dem Tod des Großherzogs verlor der Raum an Bedeutung und wurde 1590 ganz geräumt. Heute existiert lediglich noch eine im 20. Jahrhundert in Teilen rekonstruierte Ausstattung. Das Studiolo Francesco I. säkularisiert die Idee der Kapelle in zweifacher Weise: der religiöse Binnenraum wird zum nun dezidiert privaten Innenraum. Während Giotto mit verschiedenen Erzählsträngen noch den Bogen der einen christlichen Heilsgeschichte spannt, illustriert Vasari das Bildungsprogramm der florentinischen Elite seiner Zeit, die Ideen eines kulturell gedeuteten Neuplatonismus. Während Giotto den Raum als Beziehungsgefüge einer religiös fundierten Wirklichkeit entfaltet, bespielt Vasari den Raum als Bühne eines kulturell bewanderten und an Kunst und Wissenschaft interessierten Herrschers. Räumliches denkenIn den Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum hängt ein Bild des Malers Günter Fruhtrunk, das den Titel „Innenraum“ trägt. Farbbahnen sind in diagonalem Verlauf auf das hochformatige Bildfeld aufgetragen, so dass die rechte obere und die linke untere Ecke in Rot gefärbt sind, während mittig ein breiter gelber Bereich an einen etwas schmaleren violetten Bereich grenzt. Zwei schwarze schmale Bänder durchziehen in dem gleichen diagonalen Verlauf das Bild, indem sie die rechte obere und die linke untere Ecke scheinbar schneiden. Ein nicht deckend gezogenes, etwas breiteres weißes Band zieht sich ebenfalls als Diagonale nahezu mittig durch das Bild. Dieter Honisch, ein Freund von Fruhtrunk und Sammler seiner Kunst, beschrieb seinen Eindruck vom Bild 1981 so: „Die Farbe erscheint ‚ungenau’ auf die Bildfläche aufgetragen. Während das obere rote Dreieck gleichschenklig ist und sich auf eine quadratische Begrenzung einrichtet, reagiert das kleinere untere rote Dreieck mit dem längeren aufrechten Schenkel auf das Hochformat des Bildes. Dadurch können die Farbgrenzen keine parallele Struktur mehr bilden, obwohl dies dem Auge verborgen wird. Tatsächlich verjüngt sich das breite gelbe Farbband nach oben, die Ränder scheinen perspektivisch auf einen Fluchtpunkt zuzulaufen, wodurch in der Tat der Eindruck eines Innenraumes entsteht, ein Eindruck, den die roten Eckfassungen noch verstärken. Durch das Aufbrechen der bildunabhängigen Struktur, die über das Bild hinaus fortsetzbar zu denken ist, wendet sich die Farbe nach innen und damit dem Bild zu.“[9] Die minimale ‚Schieflage’ der Gliederung in Bezug auf die Bildachsen, die freihändig gezogenen Bahnen und die ‚Brüchigkeit’ der malerischen Textur verleihen dem Bild den Charakter einer farbig gefassten Vorzeichnung. Es ist visuell offen, ob das über die violette Bahn gelegte nicht-deckende Weiß nicht doch vom durchschimmernden Grund herrührt. Das Auge erprobt so seinerseits eine Übermalung des Weiß mit Violett, beginnt also das Bild zu ‚komplettieren’. In ähnlicher Weise bleibt die flächige Lokalisierung der schwarzen Linien ambivalent. Auch hier changiert der Eindruck zwischen trennenden Linien und sich öffnenden Zwischenräumen. Alle Räume, die sich scheinbar öffnen, bleiben wesentlich flach. Sie lassen das Sehen zwischen sich minimal verdichtenden und wieder auflösenden Farbflächen oszillieren, die sämtlich dem ‚Innenraum’ des Bildes angehören, d.h. seiner flächigen Erscheinung. In diesem Sinne kommt es nicht mehr zum traditionellen Eindruck eines sich räumlich vertiefenden Bildgrundes, sondern umgekehrt zum Eindruck eines „hervorkommenden Grundes“, genaugenommen einer „Illusion vom Grund“, so die Titel von zwei anderen Bildern von Fruhtrunk aus dem selben Zeitraum. Diese flächige Zusammenziehung der farbräumlichen Impulse verdankt sich in großem Maße der Farbgebung. Zwischen den beiden tonal eindeutig gegebenen Primärfarben Rot und Gelb bildet Violett eine ‚labile’ Mitte. Weder in ihrem Buntwert noch in ihrem Helligkeitsgrad verbindet sich diese mit den angrenzenden Bereichen zu einer Ebene. Als aufgehellte Abmischung des Rot erscheint sie vielmehr als dessen vorläufige Grundierung. So entsteht vor allem farbrelational der Eindruck des ‚Unfertigen’. Diesen Eindruck verstärken noch die unsaubere Grenze zwischen Rot und Violett und die brüchig gezogene weiße Bahn, welche sich im Vergleich zu den klar gezogenen schwarzen Markierungslinien so scheinbar einem früheren Stadium des Malprozesses verdankt. So wird die Farbgebung als teilweise Anomalie wahrgenommen, die man innerlich zu korrigieren versucht, indem man die Farben ‚abschwächt oder getrennt voneinander erfasst. In dem Moment, in dem man diese Ambivalenzen farbräumlichen Sehens gewahr wird, wird so etwas wie der Innenraum des Bildes. Dieser verweigert sich einer tiefenräumlichen Lesart und fordert unsere differenzierende Wahrnehmung heraus. Er richtet sich gegen die Idee eines Bildtiefenraumes, dessen Genese in fataler Weise mit der Geschichte von Eroberungen zusammenging. Kritik des InnenDer niederländische Künstler Mark Manders arbeitet mit dem Inventar sozialer Orte. Seine Kunst zeigt präzise und schonungslos, wie „die Zurichtungen der inneren Natur des Menschen den Umgang mit äußerer Natur prägen“. Seine beklemmenden Szenerien rühren, so scheint es, an ein Tabu, denn sie machen vor der Gewalt in uns und vor dem, was sie anrichtet, nicht halt. Seit Ende der 80er Jahre entwickelt Manders installativ-skulpturale Arbeiten, die er als Fragmente eines Selbstporträts in Form imaginärer Räume anlegt. Im Pressetext des Kunstvereins Hannover zur bislang umfassendsten Ausstellung des Künstlers in Deutschland findet sich eine erhellende Beschreibung seiner Arbeit. „Ausgehend von der bereits 1986 entstandenen, modellhaft-paradigmatischen Arbeit ‚Self-Portrait as a Building’, ist sein gesamtes Werk als groß angelegter Versuch zu begreifen, die eigene Existenz, die eigene biografische Entwicklung in wortlose, assoziative Erinnerungsräume zu übersetzen. Der Entwurf des Ichs als Architektur, als Gebäude führt zu einer künstlerischen Praxis, die Skulptur als räumliche Materialisierung abstrakter und ganz persönlicher Gedanken, Empfindungen und Emotionen begreift. Wie surreale dreidimensionale Bilder gruppieren sich Schornsteine, gemauerte Wände, übergroße modellierte Ratten, Tische, Stühle, Zeitungen und eine Fülle kleiner persönlicher Gegenstände zu zeitenthobenen ‚Stillleben mit gebrochenen Momenten’. Das Wagnis und zugleich die Qualität dieser Arbeit besteht in dem Verzicht auf jegliche Anbindung an die Grammatik autonomer Plastik der Moderne bis hin zum Minimalismus. Manders´ Werk sucht den skulpturalen Punkt, an dem das radikal Persönliche seines nahezu immer handgefertigten Dinginventars gleichzeitig ganz zu sich kommt und andererseits als radikales Selbstporträt auch eine allgemeine Bedeutung gewinnt.“ (Hannover 2007) Ich bin Arbeiten von Mark Manders zum ersten Mal 2002 im Rahmen der Documenta 11 begegnet. Damals versuchte ich seine Installation in der Binding-Brauerei so zu verstehen: „Die Utopie vom Sozialen entsteht erst angesichts der radikalen Erfahrung eines Außen-Raums, wie Mark Manders seine Anfangsidee beschreibt: ‚Ich befand mich in einer Welt, die ich nicht selbst bestimmt hatte. Ich beschloss, ein Gebäude neben dieser Welt zu bauen, oder vielmehr in dieser Welt: Ein Selbstporträt, worin ein sich verändernder Stillstand herrscht, worin und wodurch ich ständig mit meiner Auswahl, der ausgedachten von Mark Manders, konfrontiert wäre.’ Im Gang durch diese von innen geformte Welt begegnen wir uns selbst vergegenständlicht, und wir erfahren uns als diejenigen, die diese Gegenstände erschaffen haben. In dem Maße, wie wir versuchen, uns in diese entäußerte Welt wiederum einzufühlen und einzuloggen, spiegelt sie unsere Gewalt: wir korrigieren, begrenzen, zerschneiden. So wird für mich in Manders Arbeit die subtile Brutalität spürbar, die sich in der Forderung nach ‚Schnittstellen’ zwischen dem öffentlichen Raum und dem Einzelnen [...] versteckt. Seine negative Konstruktion schafft Aufklärung.“ Heute denke ich, dass es in Manders Arbeiten eher um eine Kunst ohne Raum geht. Zwar zeigt er konkrete Dinge räumlich arrangiert, Versatzstücke aus Räumen und für Räume entwickelt, in ihrer Zusammenstellung erscheinen sie jedoch wie surreal und nicht lokalisierbar. Manders selbst spricht von der Erfahrung eines „leeren Raumes“, in dem die Dinge nackt erscheinen. Es sei eine Art Fenster, ein verzauberter Raum, der eine freie unverstellte Perspektive auf die Dinge erlaubt, eine Idee, die er mit Künstlern wie Duchamp oder Donald Judd teile. „Once you've realized on a deep level that there are empty spaces in the human world in which you can show things in their naked form, you just can't let go of that idea anymore. It's magnificent that such a phenomenon has taken shape during our evolution. It's generally accepted that this space exists within, as well as right beside, our world. In this window-like, conjuring space, you can place things or allow them to happen. Art allows us to experience things in their naked form. […] I could start talking about Duchamp or Donald Judd, who exemplify this idea of nakedness.”[10] Es ist aber auf der anderen Seite eben genau diese Innenperspektive, die uns die Welt nur wie durch einen Schleier wahrnehmen lässt. Nacht scheint über den Dingen zu liegen, wie Manders zu seiner Arbeit „Nocturnal Garden Scene“ (2003) sagt. „Yes, and I feel that all the light that falls on this nocturnal scene belongs to me.”[11] Mit seiner Kunst schafft er es, diesen Innenraum, die Nacht in uns, auszuleuchten und so die inneren Bilder in unserem Kopf zu kommunizieren. Was jeder sieht, hängt davon ab, welche Bilder die Sprache von Manders in ihm freisetzt. Bezogen auf das Problem der Vermittlung zwischen Welt und Vorstellungswelt letztlich das Problem der Selbstwahrnehmung ist es vielleicht eine dialektische Kunst. „Yes, it's a self-portrait that hangs between the viewer and me. The self-portrait consists of objects that relate to language and time in a complex way - not as simple as a five. They're images that appear clearly in the spectator's mind but are difficult to grasp hold of. The Mark Manders of the building is actually assembled by the viewer; I am not responsible for the image that the viewer has of that Mark Manders. It's an image that says just as much about the spectators themselves.“[12] Anmerkungen[1] Marcus Termeer, Verkörperungen des Waldes. Eine Körper-, Geschlechter- und Herrschaftsgeschichte, [Reihe Sozialtheorie], Transcript 2005, S. 23. [2] Ebd. [3] Wolfgang Kemp, Die Räume der Maler. Zur Bilderzählung seit Giotto, München 1996, S. 16. [4] Ebd. [5] Ebd. [6] Ebd., S. 17. [7] Das Bild direkt über dem Altar ist zerstört. Das ebenfalls von Giotto gemalte Kruzifix wird im Musei Civici aufbewahrt. [8] BigS, Gütersloher Verlagshaus: Berlin 2006 [9] Dieter Honisch: Innenraum 1980/81, In: Norbert Kunisch, Erläuterungen zur Modernen Kunst. 60 Texte von Max Imdahl, seinen Freunden und Schülern, Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum 1990, S. 74. [10] It is disappointing that we seem to observe the world as through a membrane, Mark Manders im Gespräch mit Marije Langelaar,
[11] Ebd. [12] Ebd. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/53/kw53.htm
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