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„Performance“ des Evangeliums![]() Bericht über zwei aktuelle Bearbeitungen des Themas „Homiletik“Christoph Fleischer Albrecht Grözinger. Homiletik. Gütersloh 2008. ISBN 978-3-579-05403-2, 22,95 Euro
„Das Wort auf der Kanzel hat seine eigene Schnelligkeit oder sagen wir besser: Langsamkeit. Das Wort auf der Kanzel hat hoffentlich seine eigene Nachdenklichkeit, die anderen Nachdenklichkeiten innerhalb und außerhalb der Kirche entgegentreten kann. Das Wort auf der Kanzel hat und dies vor allem! - inmitten eines liturgischen Geschehens seine eigene Atmosphäre und Würde. Der Blick auf die Mediengesellschaft sollte uns nicht dazu verleiten, unsere Erwartungen an das Medium Predigt zu minimieren, sondern das Medium selbst zu profilieren. Ihr mediales Profil in der Mediengesellschaft wird die Predigt dadurch gewinnen, dass sie einen Raum der Nachdenklichkeit und der Freiheit eröffnet.“ (S. 273) Dieses Zitat erklärt vielleicht schon ein wenig, wieso die Frage danach, wie denn eine Predigt im Stile Grözingers nun konkret auszusehen hat, m. E. offen bleibt und offen bleiben muss. Dennoch und vielleicht sogar deshalb ist hier viel Handwerk geboten worden. Praktisch sind die kleinen Tabellen im Seminarstil, die das Buch durchziehen: Das homiletische Grundschema (S. 83), Es ist klar erkenntlich, dass hier nicht in erster Linie innertheologische Diskurse, von der Geschichte der Predigtlehre abgesehen, sondern der Bezug zu aktueller philosophisch, literarisch und ästhetischer Wissenschaft eine Rolle spielt. Die Aufzählung der Namen ruft eine Reihe von Assoziationen ab: Barthes, Beck, Bloch, Blumenberg, Derrida, Eco, Habermas, Gadamer, Iser, Jens, Lyotard, Marx, Nietzsche, Ricoeur, Searle, Sennett, Taylor, Thomä, Turner, Vattimo, Warning und Wittgenstein. Dazu stellt das Buch eine ausführliche Literaturliste und ein Namens-, leider aber kein Stichwortregister. Im guten Sinn des Wortes Homiletik ist hier von einer Kunst die Rede, und nicht von einer streng vorgeschriebenen Handlung: „Im Licht einer solchen ars praedicandi als Kunst des Lebens und Kunst für das Leben erscheint die Forderung nach einer guten Predigt ... nicht nur als Postulat, sondern als Verlockung zu jener Anstrengung, die in sich die Freude am Entdecken und Gestalten eines kleinen Stückchens Sprache, genannt Predigt, birgt.“ (S. 327) Obwohl die Predigt mit Rückgriff auf die Sprechakttheorie als Handlung verstanden werden soll, wird nicht deutlich, ob sich diese Predigt wirklich in freier Rede vollzieht, oder doch eher in wohl kunstfertiger Darstellung eines fertigen Manuskripts. Wenn Grözinger in dieser Hinsicht Fragen offen lässt, dann aber nur, um zur Vertiefung und Weiterarbeit anzuregen, was sicherlich im Sinne dieses sehr umfassenden und ausdifferenzierten Lehrbuchs sein wird.
Dennoch oder gerade deshalb lohnt sich dieses Buch, in dem homiletische Fragen manchmal einfach ganz praktisch beantwortet werden. Hierzu nenne ich einige Notizen der Lektüre: Die Predigt des Evangeliums will den Respekt vor Gott mit der Wertschätzung der Subjektivität verbinden (S. 117). Diese angerissenen Lesefrüchte machen wohl deutlich, dass sich dieses Buch ebenfalls als Predigtlehre, und damit als Kunstlehre von der Predigt versteht. Im Blick auf den möglichen Adressaten gewinnt diese Predigt ihre konkrete Gestalt und sich ist ebenfalls eher Kunst als Handwerk: "Die Kunst der Predigt besteht genau darin, dass sie mitten hin in die Geschichten, in die Menschen gerade verwickelt sind, andere Geschichten erzählt, und zwar so, dass die jetzige Lebensgeschichte befreit wird und vertrauensvoll weitergehen kann." (S. 72). Hinsichtlich der Frage nach der Darstellung der Predigt als freie Rede ist dieser Homiletikband deutlicher als Grözingers, indem er die Predigtlehre des katholischen Theologen Rolf Zerfaß einbezieht, der die Methode des Sprechdenkens als Vorbereitung auf eine freie Rede vorschlägt. Hierbei dominiert schon in der Vorbereitung der mündliche Anteil vor dem schriftlichen (nähere Informationen auch bei Vera Birkenbihl. Rhetorik - Redetraining für jeden Anlass. München 3. Auflage im Taschenbuch 2004). Ich glaube, dass zu dieser Kunst die beiden vorgelegten Lehrbücher der Homiletik verhelfen werden. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/54/cf9.htm
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