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Communicare – Kunst und Kirche in Warburg

Harald Schroeter-Wittke

Seit 1995 gibt es in der Ev. Kirche „Maria im Weinberg“ (St. Maria in Vinea) in Warburg alle zwei Jahre eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst, die sich mit diesem ungewöhnlichen Kirchenbau aus dem 12. Jahrhundert auseinander setzt. In Zusammenarbeit mit dem örtlichen Kulturforum sucht das Presbyterium eine Künstlerin oder einen Künstler, die sich auf diesen Raum einlassen und mindestens ein Objekt für diesen Raum erschaffen und dort im Sommer in der Zeit zwischen Konfirmation und Schulbeginn ausstellen. „Communicare – Kunst und Kirche“ - unter diesem programmatischen Titel finden alle diese Ausstellungen statt. Pfarrer Karl-Heinz Bartsch hatte von Anfang an darauf gesetzt, dass die Gemeinde in alle Entscheidungen zu diesem Projekt mit einbezogen wird. Nur so entsteht die Kommunikation, die eine evangelische Kirche braucht, wenn sie Kunst in ihre Räume einlädt und sich auf Kunst einlässt.

Geschichte

Die Kirche „Maria im Weinberg“ hat eine bewegte Geschichte, die bislang nur zu einem geringen Teil rekonstruiert ist, da schriftliche Quellen über sie erst mit der Übergabe der Kirche an die evangelische Kirchengemeinde im Jahr 1826 existieren; Quellen zur ihrer katholischen Zeit sind bislang noch nicht aufgefunden worden.

So viel jedoch ist klar: St. Maria in Vinea ist die älteste Kirche Warburgs. Sie wurde im 12. Jahrhundert als Kirche der Altstadt im Diemeltal erbaut und sukzessive immer wieder erweitert. Zunächst entstand ein neues Südschiff im romanischen Stil. Mit Gründung der Neustadt oberhalb des Diemeltals durch den Bischof von Paderborn in 1228/30 wurde dort auch eine neue Kirche erbaut, die zunächst den beiden Städten dienen sollte; doch bereits im Jahr 1287 wurde – nach vorausgegangener heftiger Gegenwehr, die fast zum Kirchenkampf mit Androhung der Exkommunikation führte – eine neue Pfarrkirche in der Altstadt gebaut, da eine geplante Vereinigung beider Städte zu scheitern drohte. Erst im Jahr 1436 wurden durch die Verfassungsurkunde „De Grote Breff“ die beiden Teile Warburgs formal zusammengeschlossen.

Im Jahr 1281 wurden Dominikanermönche zur Gründung eines Klosters nach Warburg berufen. Die vormalige Kirche der Altstadt St. Maria in Vinea wurde Klosterkirche des Dominikanerklosters, einem sechsstöckigen Gebäude, das in den Südhang Warburgs ins Tal hinein erbaut wurde und heute noch das Gymnasium Marianum beheimatet. In der Klosterkirche wurde an Mittel- und Südschiff ein gotischer Chor nach Osten hin angebaut, der deutlich höher ist als die romanische Kirche. Das Chorgestühl erinnert noch heute an diese Funktion der Kirche als Klosterkirche. – Fürstbischof Dietrich von Fürstenberg, der zu Beginn des 17. Jh. die reformatorische Bewegung in Paderborn endgültig niederschlug und mit den Jesuiten das bis heute sog. katholische Paderborn erstehen ließ, schenkte St. Maria in Vinea einen barocken Hochaltar, dessen zentrales Bild von Marias Himmelfahrt am Ende des gotischen Chores alle Blicke auf sich zieht.

Aufgrund der Säkularisation geriet die Kirche zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Besitz Preußens, welches mit Dekret des preußischen Königs die Nutzung der Kirche dann ab dem Jahr 1826 den Protestanten zugestand, die mit der Verwaltung und später der Eisenbahn Einzug ins Hochstift Paderborn und in die Stadt Warburg hielten. Die Protestanten machten diese Kirche mit Bänken und Kanzel zu einer Lehranstalt.

Erst Ende des 20. Jahrhunderts wurde die Kirche gründlich renoviert und erhielt eine neue Innengestaltung, die versuchte, alle wichtigen Elemente ihrer Geschichte zu ihrem Recht kommen zu lassen. Eine flexible Bestuhlung, ein neuer Gottesdiensttisch in der Mitte der Kirche, eine äußerst reduzierte Kanzel, ein neues Taufbecken in tiefem Blau, welches das Nordschiff neu zur Geltung kommen lässt, sowie die Umsetzung der Orgel an ihren alten Platz machen diese Kirche zu einem der interessantesten Kulturräume Westfalens. Versuche, dem barocken Hochaltar durch eine Stahlwand protestantisch beizukommen, konnten erfolgreich verhindert werden.

Barbara Lorenz-Höfer

Für 2008 konnte die 1958 in Jork geborene und in Buxtehude lebende und arbeitende Künstlerin Barbara Lorenz-Höfer gewonnen werden. Sie versteht sich als „sculptress“, als Bildhauerin. Dabei sind ihre zum Teil riesigen Skulpturen aus leichten Materialien, oft aus Papier und Holz. Ihre Skelettskultpuren verbindet sie zumeist mit papierenen Häuten.

Für Maria im Weinberg hat sie zwei Originale geschaffen, die beide im gotischen Chor hängen und sich zum einen mit Maria und zum anderen mit den Zwischenräumen und -zeiten auseinander setzen, die sich in der Kirche materialisiert haben. Mitten im gotischen Chor hängt nun zwischen dem Chorgestühl ein reisengroßes papierweißes Skelett ohne Haut. Kommt man in die Kirche hinein, so sieht man zunächst ein weißes Oval. Es könnte ein Wurfgeschoss sein auf dem Weg ins Herz des ungeliebten Marienaltars. Erst beim Näherkommen oder beim Verlassen des geraden Weges stellt sich diese Gebilde als luftiges Skelett mit großen Zwischenräumen heraus. Das Gebilde erinnert an einen Wal, es könnte aber auch ein liegender, vielleicht auch aufgebahrter weiblicher Körper sein. Wer sich schließlich in die Skulptur hinein begibt, gewinnt noch einmal neue Perspektiven auf Maria im Weinberg. Maria ist jedoch nicht mehr auf Anhieb zu erkennen. Sie ist verhangen von zerschnittenen Papierbahnen, auf denen das lateinische Magnificat entziffert werden kann. Nur wer bis ganz an den heiligen Ort heran tritt, kann einen Blick hinter das Verhängnis ergattern.

Im romanischen Kirchenteil sind weitere Werke Lorenz-Höfers zu sehen, die sich auf unterschiedliche Weise mit Maria auseinander setzen, z.B. mit der Marienfarbe Blau bei dem geöffneten schneidenden Koffer, der den Titel Patagonien trägt. Da hängen im Südschiff zwei Skulpturen mit dem Titel Magnificat. Da hängt im Nordschiff eine Skulptur im Weg, die den Titel trägt: „Und decken alles mit dem Mantel der Liebe zu“. Da befindet sich auf dem Altar der Seitenkapelle ein Triptychon mit dem Titel: „Cassandra: ich aber singe von Göttinnen“. In einer Nische, die man aufgrund ihrer Höhe kaum einsehen kann, steht ein Gebetsbuch. In anderen Nischen befinden sich Vogelhäuschen mit bunten vertikal installierten Teelichtern, die nicht angezündet werden können. Und da ist schließlich die Installation „Es bleibt Winter“: Ein Gewimmel von unordentlich durcheinander stehenden Skulpturen, die irgendwie undefinierbar sind. Sind es Samenschiffchen oder Schiffe von Samen? Wieder sind viele Skelette zu sehen, umspannt von einer beigen Haut, eklig und zugleich irden, zusammengehalten durch eine Fellnaht. Hier überwintert etwas, nicht definierbar. Es befindet sich in statu nascendi.

Mit ihren Originalskulpturen für St. Maria in Vinea hat Barbara Lorenz-Höfer einen Abschnitt ihres Schaffens abgeschlossen. Deshalb wird sie diese Skulpturen auf der Finissage am 17.8.08 um 15h auch zerstören.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/54/hsw9.htm
© Harald Schroeter-Wittke, 2008