Kitsch - Kopie - Nostalgie |
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Altar Tisch KitschZum Schicksal eines religiösen GegenstandesAndreas Mertin Der Altarbereich einer Kirche wird in der Mehrzahl christlicher Kirchen als besondere räumliche Verdichtung verstanden. Jede Bewegung innerhalb eines Kirchenraums scheint sich an diesem Bereich zu orientieren. Wie wichtig der Altar für die Raumgestalt und die Raumerfahrung für viele Menschen grundsätzlich ist, hat der Psychoanalytiker Alfred Lorenzer in seiner Auseinandersetzung mit dem II. Vaticanum hervorgehoben: „Die herausragende Bedeutung des Altars ist nicht nur eine theologische. Tatsächlich zeigt schon ein flüchtiger Überblick über die Geschichte des Kirchenbaus, dass der Altar stets das Gestaltungszentrum, das gestaltbildende Zentrum der christlichen Sakralbauten war. Der Altar ist als Schwerpunkt des 'Sinngefüges Kirche' notwendig 'räumlicher Schwerpunkt’, das heißt, sein Platz und seine Gestalt sind konstitutiv für die Raumstruktur".[1] Das wird vor allem auffällig, wenn Altäre im Raum versetzt werden, wie es der Katholizismus seit dem II. Vatikanum weltweit gemacht hat. Im Protestantismus kommt es weniger auf die symbolische Ausgestaltung des Ortes an, als vielmehr auf die rechte Verkündigung des Wortes Gottes. Nichtsdestoweniger bleibt auch in einer protestantischen Kirche die Bedeutung des Altars bzw. Altartischs als sinnlich-raumstrukturierendes Element erhalten. Vielleicht kann sogar erst hier der Altar seine über das Dingmagische hinaus gehende ästhetischen Qualitäten entfalten. Denn nicht erst die symbolische Fülle garantiert ästhetische oder religiöse Sinnlichkeit. Wenige Gegenstände haben im Rahmen des religiösen Kults derartige Wandlungen mitgemacht wie gerade der Altar. Von der archaischen Funktion des Brandopfer- oder Schlachtopferaltars bis hin zum mit Blumen, Kerzen, Bibeln und Kreuzen geschmückten und mit bestickten Tüchern behängten Altartisch ist es ein weiter Weg. Allgemein kann diese Tendenz als die von der Leere zur Fülle bezeichnet werden und ist vermutlich deutbar als Reaktion auf den Horror Vacui des Objekts, das da vor einem steht. Es ist, als wolle man verhindern, dass noch einmal Blut von der Altarplatte herunter rinnt, so sorgfältig wird heutzutage der Altar mit Accessoires überlagert. Nur selten ist der Blick auf den Altartisch oder den Altarblock ganz frei, in aller Regel ist der Altar gut gefüllt. So findet man zunächst die aufgeschlagene Bibel, häufig auch noch ein Kreuz direkt dahinter (sofern nicht ein Kruzifix unmittelbar hinter dem Altar steht). Unverzichtbar sind inzwischen die Kerzen auf dem Altar und fast ebenso wichtig ein mehr oder minder großer Strauß Blumen. Und natürlich dient der Altar als Ablageort für die Agenda des Pfarrers. Wenn dann Abendmahl sein soll, muss das Ganze ein wenig zusammengerückt werden, damit die dazu notwendigen Utensilien (für deren Platzierung der Altartisch zumindest in christlicher Perspektive ja einmal gedacht war) auch noch Platz finden. Zwischen Altarplatte bzw. stein und Accessoires gehört noch ein Altartuch und vor den Altar ein Antependium. Damit haben wir unseren populären Altar beisammen. Selbstverständlich hat jedes dieser Accessoires, welches nun den Altartisch füllt, seinen (guten?) Grund in einer längeren Tradition der christlichen Liturgie, aber es ist doch interessant, was am Ende dieses langen religionsgeschichtlichen Weges herausgekommen ist.
Zunächst einmal steht am Anfang der Geschichte der herausgehobene heilige Platz (altaria = Erhöhtes) für die Opfergaben. Das reicht von ganz einfachen, noch unbearbeiteten Steinen bis zu großen, explizit angefertigten Bauwerken. In der hebräischen Bibel „dient der Altar den verschiedenen Arten des Opfers, wenngleich sein Name wörtlich nur die Schlachtstätte bezeichnet. Sein Ort ist der heilige Platz, sei es die Kulthöhe, sei es der Tempel; es gibt auch Altäre in Privathäusern … Es hat mannigfache Formen des Altars gegeben. Die erste und aufschlussreichste Regelung trifft das Altargesetz im Bundesbuch (Ex 20,2426); es gebietet die Herstellung des Erdaltars und verbietet beim Steinhaufenaltar das Behauen der Steine.“[2]
Dabei muss man aber zwischen den protestantischen Gruppierungen noch einmal differenzieren, wie Alfred Rauhaus zu Recht hervorhebt: „In lutherischen und unierten Kirchen in Deutschland findet man heute Kerzen auf dem Altar, dazu rechts und links Blumen und in der Mitte ein Kreuz; in lutherischen Kirchen oft ein Kreuz mit Corpus, ein Kruzifix, in unierten Kirchen nur das Kreuz. Auf dem kleinen Pult zwischen den Kerzen, vor dem Kreuz, liegt aber nicht etwa die Bibel, sondern die Agende. Die Bibel liegt auf dem Lesepult, das heute in der Regel an der rechten Seite, vom Altar aus gesehen, auf der Grenze zwischen Altarraum und Gemeinderaum steht, genau an der Stelle, wo sich im mittelalterlichen Kirchen der Lettner befand. Diese Anordnung und auch die Ausrüstung des Altars mit Kerzen, Kreuz und Blumen ist jedoch relativ jung: sie stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Man nennt sie den ‚preußischen Altar’.“[5] Der so bestimmte „preußische Altar“ ist immer noch ebenso Gegenstand gemeindlicher Verehrung wie Auseinandersetzung, weil er heute als quasi normaler und naturwüchsiger Zustand des Altartisches begriffen wird. Wer hier und sei es auch nur temporär Änderungen vornimmt oder der Gemeinde ansinnt, muss mit entschiedenem Protest rechnen. So sind die Blumen zur Ausschmückung des Altars nach Auskunft verschiedener Lexika erst sehr spät auf den Altar gekommen. Gehen wir davon aus, dass spätestens im 19. Jahrhundert Blumen ihren Platz auf evangelischen Altären fanden. Vielleicht hat es mit der sich im 19. Jahrhundert vollziehenden Aneignung des kirchlichen Raumes durch das Bürgertum zu tun. Oder in den Worten von Rainer Volp: „Bei genauerem Hinsehen wird deutlich: man sucht nicht den großen oder den kleinen Raum, sondern man sehnt sich nach einem Raum mit Wiedererkennungswert … Viele evangelische Kirchenbauten in der Geschichte waren durch ihre Spannung zwischen ortsöffentlicher und wohnstubenartiger Festlichkeit geprägt.“[6] Die Orientierung an der wohnstubenartigen Festlichkeit hat sich dabei optisch durchgesetzt. All überall sind die Altäre mit Kerzen und Blumen geschmückt. Man könnte dies als besondere Form der Wertschätzung deuten, als Versuch den Altartisch persönlicher zu gestalten. Das könnte man durchaus verstehen, wenn nicht parallel damit eine in der Sache nicht begründete Heiligung des Altars einherginge. Dieselben Leute, die Sonntag für Sonntag die Blumen auf den Altar stellen, verteidigen den Altar gegen jede Zumutung der Profanisierung. Insofern wird man nicht ganz falsch liegen, wenn man vermutet, dass der Blumenstrauß als Opfergabe deutbar ist und die Kerzen als Ausdruck und Akklamation des Heiligen. Nicht die Blumen an sich, nicht die Kerzen auf oder neben dem Altar machen aus derartigen Ensembles schon Kitsch. Das geschieht vielmehr durch die Stillosigkeit und Besinnungslosigkeit, mit der diese Ensembles zusammengestellt werden. Selbst dort, wo Blumen nun nicht mehr hinpassen, weil sie wie Friedhofblumen wirken würden, werden sie noch schnell auf den Altar geschmuggelt. Selbst dort, wo äußerste Reduktion und optische Stille angesagt wäre, müssen Blumen drapiert werden. Eigentlich so scheinen manche zu meinen kann es nicht genug Blumen und Kerzen geben. Da kann dann schon mal der Herr im Blumenmeer untergehen.[7] Das ist eigentlich das (fast) perfekte Bild. Da ist weder eine Erinnerung an die ursprüngliche religionsgeschichtliche Funktion des Altars wie an die frühchristliche des Altartisches mehr möglich. Alles wird überstülpt von der Wohlfühlinszenierung. Hauptsache Blumen und Kerzen. Auf Jesus könnte man da schon beinahe verzichten, oder? Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/57/am271.htm
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