![]() Kitsch - Kopie - Nostalgie |
Andreas Mertin
Auch hier wird - insbesondere in der evangelischen Kirche seit längerem Zeitgenossenschaft argwöhnisch verfolgt und gegen „Stimmigkeit“ ausgetauscht. Das hat etwas mit der Umwandlung der Kirche nach den Prinzipien der Ökonomie zu tun, die dann auch so etwas wie Corporate Identity erzwingen. Es hat aber auch etwas damit zu tun, dass man sich wieder Zeiten herbeiwünscht, in denen die Situation noch nicht so unübersichtlich war und die Kirche ihren festen und vor allem zentralen Platz in der Polis hatte. Da aber „Geschichte“ in Form von Originalen nur begrenzt zur Verfügung steht, arbeitet man statt dessen mit Faksimiles oder schlichter Nachahmung. Und selbst die „Originale“, die in aller Regel aus dem Fundus irgendeines Museums besorgt werden, sind im neuen Kontext wie man leicht beobachten kann keine Kultobjekte, sondern Ausstellungsobjekte, sie tragen zur fortschreitenden Musealisierung des kirchlichen Raumes bei. Denn in vielen Kirchen ist eine bestimmte Form des konventionalisierten und schon lange nicht mehr subversiven Crossover zwischen ästhetischer und religiöser Erfahrung zum Regelfall geworden. In der Mehrzahl der älteren Kirchen begegnen wir religiösen Objekten ganz selbstverständlich nicht mehr im Rahmen einer religiösen Funktion, sondern im Rahmen ihrer Funktion als Ausstellungsstücke für den kulturinteressierten Baedeker-Christen. Und den Kirchen ist heute oftmals dieser Ausstellungswert wichtiger als der Kultwert, man könnte auch sagen: die Fassade und das Faksimile triumphieren über die Botschaft (und werden damit zur historistischen Botschaft). Das Beispiel, an dem ich das Gemeinte verdeutlichen will, ist die Abdinghofkirche in Paderborn. Ich stieß vor einiger Zeit beim Surfen im Internet zufällig auf den Gemeindebrief der Kirche aus dem Sommer und Herbst 2008 und wollte mich informieren, was dort so passiert. Die Abdinghofkirche ist die zentrale Kirche der Protestanten im „schwarzen“ Paderborn, eine Kirche zudem mit einer überaus interessanten und wechselvollen Geschichte. Sie gehört mit ihren Vorgängerbauten in geschichtsträchtige Zusammenhänge. Sie war zunächst und vor allem Klosterkirche, später preußische Kaserne, Pferdestallung und schließlich evangelische Kirche. Sie hat unter dem 2. Weltkrieg schwer gelitten und wurde in den 50er Jahren in ihren jetzigen Zustand gebracht. Ich hatte 1999 und 2000 selbst mit dieser Kirche im Kontext von Kunstprojekten zu tun, einmal mit Madeleine Dietz, die die gesamte Kirche mit zeitgenössischer Kunst bespielte und mit Frank Schult, der seine Gemälde dort ausstellte. Im Heft 9 des Magazins für Theologie und Ästhetik gab es einen Rückblick von Jörg Mertin auf die dabei gemachten Erfahrungen. RestaurationWas ist seitdem geschehen? Offenkundig lässt sich die Programmatik inzwischen mit dem Wort Restauration beschreiben. Schon seit längerem wird darüber spekuliert, ob einer der phänomenologischen Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken, was die Raumgestaltung betrifft, der sein könnte, dass Katholiken den Raum nach den jeweiligen theologischen oder kirchlichen Erfordernissen gestalten, ohne auf eine einheitliche Raumgestaltung Rücksicht zu nehmen (exemplarisch etwa die Veränderungen nach dem II. Vatikanum). Protestanten dagegen gehe es um einen einheitlichen Raumeindruck. Wenn also Moderne angesagt ist, dann aber ganz und gar, wenn dagegen die Romanik ins Blickfeld gerät, dann wird alles dem entsprechend umgemodelt. Und in der Abdinghofkirche in Paderborn scheint man sich zwischenzeitlich mit der Romanik angefreundet zu haben. Das hat natürlich eine gewisse Plausibilität, stammt doch die Baugestalt der Klosterkirche aus romanischen Zeiten. Stück für Stück geht man nun hin und füllt die Abdinghofkirche mit romanischen Versatzstücken. 2007 bekommt die Kirche eine „wunderschöne Kanzel aus dem Fundus von Kloster Dalheim“ und erhält so eine Orientierungsgröße für weitere Ausstattungen. Wenn man dem Gemeindebrief glauben darf, dann ist diese „wunderschöne Kanzel“ „fast 100 Jahre alt“. Da sieht man, wie nah uns die Romanik ist. Also wird es sich wohl um ein neoromanisches Stück handeln, was das ganze noch viel interessanter macht: „Umgekehrt zum historischen Auftreten folgte die Neuromanik der Neugotik, denn im nationalistisch geprägten Deutschland des Zweiten Kaiserreiches wurde bewusst, dass die favorisierte Gotik letztlich aus Frankreich stammt. Den gesuchten deutschen Stil glaubte man nun in der Romanik zu finden.“ [wikipedia] Neoromanik steht also im Bewusstsein seiner Betreiber für den „deutschen Stil“ anders als etwa der zeitgleiche Jugendstil, der zum internationalen Stil gehört. Das macht es eben nicht so leicht, schnell mal ein wenig „Neo-Romanik“ in die Kirche zu reintegrieren. Ästhetischer Stil ist immer auch ein Teil der politischen Programmatik, man kann das eine nicht fein säuberlich vom anderen trennen. Ich kann nicht erkennen wie jemand, der sich in seiner Kirche zur Neo-Romanik bekennt, die religionspolitische Programmatik davon lösen kann.
2008 folgt dann der Ambo als bisher letztes Stück in der restaurativen Phase der Abdinghofkirche. Das Lesepult ist aus Holz gefertigt, durch die Art der Bemalung erhält es jedoch eine Sandsteinoptik. Der Adler wurde, wie es heißt, aus Kunstharz mit Edelstahlverstärkung gegossen und anschließend vergoldet. Der ausführende Künstler hat nun sowohl die Motive auf der rückwärtigen Seite des großen Kreuzes über dem Altar gefertigt, wie die abschließenden Arbeiten an der Kanzel und das eben erwähnte Scheibenkreuz in der Krypta. Wir haben also ein komplettes Programm vor uns, wie wir es bei manchen mittelalterlichen Kirchen finden. Nur stammt dieses „Programm“ nicht aus dem Mittelalter, nicht einmal aus der Neo-Romanik des ausgehenden 19. Jahrhunderts, sondern aus der Neo-Neo-Romanik des beginnenden 21. Jahrhunderts.
Das Gesamtergebnis ist jedenfalls durch und durch künstlich und keinesfalls authentisch, geschweige denn künstlerisch. Es ist die Kirche als Jurassic Park. Man liquidiert alles, was mit Gegenwart, Zeitgenossenschaft und der Theologie des 20. und 21. Jahrhunderts zu tun hat und flüchtet in eine visuelle Gestaltung, die mit lebendiger Religion so viel zu tun hat wie die Produkte von ars mundi mit Kunst.
Dass beim Foto im Gemeindebrief ein Faksimile der Lutherbibel von 1534 aus dem Verlag Taschen auf dem Ambo liegt, ist ganz sicher kein Zufall. Es verrät den Geist des Ganzen. Wenn aber Rückkehr zum Geist der Romanik, dann bitte schön, aber auch voll und ganz: also keine deutsche Übersetzung von 1534, sondern die lateinische Messe mit Hokuspokus und allem anderen. Das wollen sie wahrscheinlich nicht ich bin mir da aber nicht mehr ganz so sicher. Wenn sie es nicht wollen, warum dann die eklektizistische Fokussierung auf die Symbolsprache der vorreformatorischen Zeit? Weil es im Kern um durch Kopien vermittelten Kitsch und Nostalgie geht. Jetzt ist es wieder eine „echt antike“ romanische Kirche, mit so einer schönen Kanzel und einem so schönen Ambo und einem so schönen Scheibenkreuz.
Die vermutlich von der reformierten Theologie beeinflussten Ratsherren der Bremer Bürgerschaft haben an ihrem Rathaus mit einem drastischen und ganz und gar symbolischen Bild, das man heute dort immer noch finden kann, gezeigt, wohin man sich derartiges stecken kann. Und mehr habe ich dazu auch nicht zu sagen. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/57/am272.htm
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