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DummschwätzerDie Süddeutsche auf AbwegenAndreas Mertin Dieser Text ist ein Skandal, er strotzt nur so vor Dummheit und Ressentiment. Aktuell wird in Deutschland viel über den fortdauernden Antisemitismus räsoniert, wo er beginnt und wie man ihm begegnen kann. Wenn man aber wissen will, wie tief der Antisemitismus in Form des weiterwirkenden Antijudaismus in den Köpfen der Leute und nicht nur denen an den rechten Stammtischen steckt, dann muss man dieses Elaborat von Andrian Kreye lesen. Der Autor ist nicht irgendwer, er ist einer der Kulturchefs der Süddeutschen Zeitung, er hat einen Preis für Journalismus bekommen und kann auf eine lange journalistische Karriere verweisen. Um so schlimmer, dass seiner Feder Sätze entstammen, für die sich eine renommierte Zeitung wie die Süddeutsche schämen sollte. In seinem Text setzt sich Kreye mit der Bibellesungs-Tournee des Schauspielers Ben Becker auseinander. Zu dessen Auftritt kann man unterschiedliche Ansichten entwickeln. Anne Gidion kommt in ihrer Besprechung in dieser Zeitschrift zu einer gemäßigt positiven Würdigung, die Kulturbeauftragte der EKD, Petra Bahr, hatte im letzten Jahr kritische Worte gefunden. Das ist bei kulturellen Tatbeständen so, dass sie ab und an unterschiedlich bewertet werden. Kreye aber macht etwas völlig anderes. Er bedient sich der alten antijudaistischen Klischees aus der christlichen Theologie, um Becker die Leviten zu lesen. Beckers Darstellung der Bibel gefällt ihm nicht, weil Becker Jesus in der Performance betont männlich, also als Macho darstelle. Das kann man kritisieren, ist aber nichts Besonderes, denn natürlich ist die Tradition unterschiedlicher Jesus-Darstellungen unendlich lang vom Frauenversteher bis zum Arier. Wofür aber steht das mehrfach verwendete Etikett „Macho“ bei Kreye? Einerseits für primitiv, laut, Gossensprache, direkt, usw. Andererseits aber auch für „jüdisch“. Das wird dem Leser vielleicht nicht sofort auffallen, aber da es Kreye wieder und wieder niederschreibt, kann es sich nicht um einen Irrtum handeln. Es gibt in seiner Perspektive nämlich neben dem liebesorientierten neuen Teil der Bibel noch einen rache- und gewaltorientierten alten Teil. Und Ben Becker mache in seiner Performance ausgerechnet diesen Aspekt stark. Das ist die alte antijudaistische Tradition der christlichen Lehre, dass immer da, wo von Liebe, Güte und Vergebung gesprochen werde, die vox ipsissima des Herrn zum Ausdruck komme, während an allen anderen Stellen eben kein neutestamentliches Spezifikum vorliege. Gesetz und Evangelium nannte man das. Und weil seit Jahrhunderten Pfarrer und christliche Lehrer dieses antijudaistische Klischee in die Köpfe der Menschen gepredigt und gelehrt haben, wird es bis in die heutige Zeit wieder und wieder repetiert heute verschärft wieder antisemitisch. Man braucht zur Zeit nur einmal in Foren zum Thema Gaza-Konflikt blicken, um das studieren zu können. Kreye macht also nichts anderes, als was ihm die christliche Theologie über lange Zeit vorgemacht hat. Vier Mal taucht in seinem Text die antijudaistische Floskel vom „Alttestamentarischen“ auf. Das stammt wie man leicht zeigen kann aus der Sprache der spätromantischen, bereits vom Antisemitismus gekennzeichneten Reaktion, die dann im Faschismus endete. Was charakterisiert das „Alttestamentarische“ nach Kreye? Schauen wir uns seine Ausführungen an:
Es gibt also den gütigen Jesus einerseits (das ist der im Neuen Testament) und einen von Ben Becker dargestellten „Supermacho von alttestamentarischen Format“. Wenn Jesus zum Macho wird, kann das, so muss man folgern, offenbar nur am jüdischen Anteil liegen. Denn die „alttestamentarischen Machos“ kennt man ja: Mose, David, Simson, …
Diese Infamie muss man sich genauer anschauen. Schon die Redewendung vom effeminierten Glauben ist mehr als peinlich, aber dann wird es wirklich haarsträubend. Wenn die mittelalterlichen Strafpredigten so schrecklich sind, dann liegt es an welchen Vorbilder? Den …. Na, wer hätte das gedacht. Das ist so unsäglich, auch in gedanklicher und sprachlicher Hinsicht, dass es einen schaudert. Und auf so eine die Realitäten verkehrende Formulierung voller Stereotypen muss man erst einmal kommen. Die „alttestamentarische Inbrunst mittelalterlicher Strafpredigten“. Hier wird ein Konnex hergestellt zwischen der Hebräischen Bibel samt ihren Lehren und mittelalterlichen Strafpredigten. Wenn man bedenkt, dass ein gewisser Anteil dieser Strafpredigten in Judenpogromen endeten, dann kann man das nur als durch und durch böse bezeichnen. Oder als dumm.
Hier kommt nun eine neue Wortkombination vor, die ich schon vorab zum Unwort des Jahres erkläre: „alttestamentarische Christenmacker“. Wenn jemand schreit, pöbelt, markiert, ostentativ auftritt oder sich übertrieben als männlich darstellt, also ein Macker ist, dann ist das? Ja natürlich: „alttestamentarisch“. Da wird mir speiübel ob solcher Dummschwätzerei. Und was immer mit der „politische Inkorrektheit vorökumenischer Zeiten“ vom Verfasser gemeint ist, im Neuen Testament jedenfalls bezeichnet Ökumene die gesamte bewohnte Welt, bei den Kirchenvätern in theologischer Terminologie alle Christen. Was ist dann die „politische Inkorrektheit vorökumenischer Zeiten“ zu der Ben Becker zurückkehren will? Vermutlich ist es auch das nur eine Wortblase von Kreye.
Der „strenge Sohn des alttestamentarischen Gottes“ irgendwie kann man diesen Schwachsinn aus dem Raunen des 19. Jahrhunderts nicht mehr hören, in dem der angeblich überlegene Moralismus der christlichen Religion dem unterlegenen, an Rache und Zorn orientierten Judentum gegenübergestellt wird. Wenn Jesus mal deutlich wird, dann ist er natürlich nicht Teil der Trinität, sondern bloß der Sohn des „alttestamentarischen Rachegottes“. Damit wird das Bild deutlich, mit dem Andrian Kreye arbeitet: Eigentlich, so meint er, gibt es einen gütigen, liebevollen Jesus, der sich den Menschen zuwendet. Und davon losgelöst gibt es einen „alttestamentarischen“ chauvinistischen Rachegott. Und wenn man Jesus als Macho darstellt, dann ist man zu kritisieren, denn man unterschiebt Jesus ein „alttestamentarisches Format“. Solange in Deutschland noch derartig argumentiert werden kann, ohne auf entschiedenen Protest zu stoßen, so lange darf man sich über den latenten wie den manifesten Antisemitismus nicht wundern. Aber man darf erschrecken, dass Derartiges im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung abgedruckt wird. Nachzutragen ist, dass Kreye noch ein anderes Klischee bedient, bei dem man auch nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll: das Klischee des archaischen Calvinismus. Nun ist dieses Klischee sowohl aus dem Feuilleton wie aus popkulturellen Produkten bekannt (Lars van Triers „Breaking the waves“ basiert auf ähnlichen Stereotypisierungen), aber Kreye schafft es, das Ganze noch zu toppen: Er vergleicht Benn Beckers Inszenierung mit einem amerikanischen Prediger namens Driscoll
So lernen wir also im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung auch noch etwas über den „archaischen Calvinismus“, eine Konfession, die doch tatsächlich den Menschen als Sünder betrachtet und die Zuhörer ganz typisch calvinistisch zum Lachen über Obszönitäten bringt. Dümmer geht’s nimmer. Driscoll ist übrigens ein konvertierter Katholik aus der katholischen charismatischen Bewegung, der dann in der reformierten charismatischen Bewegung eine neue Wirkungsstätte gefunden hat. Man wird allerdings mit der politischen Etikette „extremer Konservatismus“ eine präzisere Verortung von Driscoll erlangen, er ist einfach reaktionär und unterfüttert dies religiös. Mit dem, was Ben Becker macht, hat das Ganze aber auch gar nichts zu tun. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/57/am274.htm
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