Joseph oder Benedikt?
Eine Rezension
Christoph Fleischer
Hermann Häring. Im Namen des Herrn. Wohin der Papst die Kirche führt. Gütersloher Verlagshaus 2009 ISBN 978-3-579-06493-2, 17,95 Euro
Als Joseph Ratzinger, der als Kardinal der Kurie mitverantwortlich war für die ablehnende Haltung des Vatikans gegenüber der Befreiungstheologie, zum Papst gewählt wurde, schien er auf einmal zu mutieren. Es hieß, er wolle auf alle zugehen, im Sinn des Spruchs von Johannes Rau: „Versöhnen statt spalten“. Dies sieht nun, nach vier Jahren Amtszeit, anders aus, wie Hans Küng im Begleittext am Beispiel des Umgangs mit den Themen, die sich mit Ratzinger verbinden, zeigt. Der Autor des Buches, Hermann Häring, emeritierter Professor aus Nijmegen (NL), hat schon im Jahr 2001 ein Buch über die Theologie Joseph Ratzingers geschrieben. Interessante Beispiele seiner Argumentation finden sich auch in im Internet veröffentlichten Beiträgen der Zeitschrift Imprimatur (www.imprimatur-trier.de).
Das vorliegende Buch ist allerdings nicht nur ein Vergleich zwischen der Theologie Joseph Ratzingers und den Veröffentlichungen Benedikts XVI. vom apostolischen Stuhle aus, sondern zugleich eine Stellungnahme zur aktuellen Problematik der sich abzeichnenden Rehabilitation der Piusbruderschaft von Lefebre, die trotz der ablehnenden Haltung des Vatikans blüht und gedeiht und deren antijüdische Grundhaltung sich in der Leugnung des Holocausts durch ihren zum Katholizismus konvertierten Bischof Williamson gezeigt hat. Hierbei geht es auch um die Grundfrage, ob das 2. Vatikanische Konzil nicht in einigen Punkten zu offen auf die säkularisierte Welt zugegangen sein könnte und, aus katholischer Sicht, zu Unrecht z. B. den Gebrauch der lateinischen Messe völlig aus den Augen verloren hat. Mit dem Buch Hermann Härings jetzt ins Detail zu gehen, hieße, vieles von der interessanten Lektüre vorwegzunehmen. Sowohl die Biographie Ratzingers als auch die Grundsäulen seines Denkens werden anschaulich entfaltet. Die Aufregung über Auschwitz, die 1965 in der akademischen Jugend durch die Enthüllungen der Prozesse ausgelöst wurde, hat Ratzinger zunächst nicht verstanden. Häring zufolge sei Ratzingers Theologie voller Krisenhermeneutik, die den Glauben einfach in den Gegensatz zur (in seinem Sinne verstandenen) „Welt“ manövriert. Katholisch zu sein heißt dann: a) die Schriften der Väter interpretieren die Botschaft der Bibel, b) zu Deutungen ist allein das kirchlichen Lehramt berufen und c) die Moral erwächst ausschließlich aus dem Leben der Kirche. Von der Sicht des apostolischen Stuhles aus, die Ratzinger nun einnimmt, führen alle Wege nach Rom. Die Kirchen der Reformation und der Ökumene sind, soweit sie nicht mit Rom in Kirchengemeinschaft stehen, zu „kirchlichen Gemeinschaften“ degradiert. Doch auch innerkatholisch ist Ratzingers Denken von der Ablehnung der Befreiungstheologie geprägt. Der Begriff des „Volkes Gottes“ wird daher weitestgehend durch das Symbol des „Hauses Gottes“ ersetzt. Diese Schwerpunktsetzung verfolgt Häring von Ratzingers Dissertation (1954, „Volk und Haus Gottes“) ausgehend.
Doch bei diesem Ausflug in die Biographie Ratzingers darf Häring nicht stehen bleiben, obwohl er sich darin an Besten auskennt. Was gilt also in der Gegenwart? Dazu als Beispiel nun doch ein Zitat: „Glaube und Vernunft gehören beim Papst nur unter der Voraussetzung zusammen, die in der christlichen Offenbarung niedergelegt ist.“ Dieses exklusive Denken bestimmt auch den interreligiösen Dialog, in dem der christliche Glaube „als die definitive Korrektur und Vollendung aller Religionen“ angesehen wird. Dass Ratzinger nun als Benedikt XVI. trotzdem z. B. auf das Judentum zugeht, was auch dadurch belegt wird, dass er die vatikanisch-israelische Diplomatie schon in Zeiten des Vorgängers an maßgeblicher Stelle begleitet hat, wird vermerkt. Doch sein Wunsch nach Dialog und seine starre Position der Exklusivität blockieren sich gegenseitig. Obwohl er eigentlich den Dialog mit dem Judentum begünstigt, tritt seine Grundanschauung in die Nähe antijüdischen Denkens. Sie ist dualistisch, hellenistisch und dogmatisch. So hat der Papst, nach Ansicht Härings, den Karren in den Dreck gefahren, die Räder drehen durch. Das Schreiben des Papstes vom 11.03.2009 offenbart für Sachkundige die völlige Peinlichkeit. Häring stellt fest: „Soll es Rom … bei der Rehabilitierung eines notorischen Holocaustleugners belassen, ist das Ansehen von Benedikt XVI. endgültig ruiniert.“
Klar ist: Hermann Häring legt hier den Finger in die Wunde. Dieses Buch gehört auf den Index der heiligen Inquisition! Aus protestantischer Sicht mag man die Sache sogar mit einem lachenden Auge betrachten, ist doch seit Luther das protestantische Profil immer ein wenig durch die Abgrenzung von der aktuellen Dogmatik der katholischen Kirche abhängig. Doch soll jetzt die Ökumene traurig zu Grabe getragen werden, oder soll sie nicht gerade von unten neu wachsen? Häring lässt solches alles offen. Sobald sein Exkurs die historische Linie zu verlassen droht, verbietet er sich das Wort. In diesem Buch wird klug und konsequent A, aber nicht B gesagt. Und damit bleibt die entscheidende Frage offen: Ob durch das 2. Vatikanum und die Politik der folgenden Päpste die Frage, die das Konzil aufgeworfen hat, eine Antwort auf die säkulare Welt zu finden, wirklich schon beantwortet ist? Wie finden heute die einzelnen Religionen den Weg zwischen Selbstbehauptung und Dialog? Sollten sie nicht wenigstens das Gespräch und das gemeinsame Gebet auch angesichts der Opfer der Globalisierung, der weltweiten Kriege und der drohenden Klimakatastrophe suchen? Wenn schon Rehabilitation und Versöhnung, warum dann nicht auch mit wiederverheirateten Geschiedenen, Homosexuellen, verheirateten Priestern, politisierten Mönchen und Nonnen und nicht zuletzt mit Protestanten?
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