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Die Frau am FensterZur Ikonographie des Religiösen IVAndreas Mertin
Die Bildersuche bei Google zum Stichwort „Vikarin Predigt“ bietet einem eine Reihe ganz unterschiedlicher, aber zum Teil durchaus plausibler Bilder an. Da sieht man eine Vikarin auf der Kanzel vor der Gemeinde stehen oder manchmal auch nur die Kanzel im Blow Up. Für die Weihnachtszeit 2009 hat sich die ZEIT anders entschieden (und damit auch die Bildersuche bei Google beeinflusst): sie zeigt uns ein Bild, das entweder der Romantik eines Caspar David Friedrich (Die Frau vor dem Fenster) oder dem Filmschaffen eines Ingmar Bergmann (Licht im Winter) entsprungen sein könnte, auf jeden Fall aber kaum für die Gegenwart repräsentativ sein dürfte.
Überraschender Weise hat das Foto ein Breitwandformat das ist eher ungewöhnlich. Wäre es auf das zentrale Motiv die Vikarin vor dem Fenster - fokussiert, hätte es eine andere Bildwirkung. Zwar bliebe der Überbelichtungseffekt vom Gegenlicht durch das Fenster erhalten, aber die Haltung und Wahrnehmung der Frau geriete anders. Zur Bildunterschrift passte das nebenstehende Bild aber besser, denn diese lautet: „Gegen die Nervosität davor: Die junge Vikarin sammelt sich.“ Und das wäre mit diesem Bildausschnitt auch assoziativ verknüpfbar, wenngleich die Bildkonstruktion etwas bizarr bliebe.
Für die ursprüngliche von der ZEIT verwendete Bildversion böte sich dagegen an: Einsam und verlassen: Vikarin in der Sakristei. Genau das ist der visuelle Impuls, vielleicht sogar noch eher in die Richtung: Einsam und verlassen: Vikarin in der Zelle. Denn zellenartig und asketisch herb mutet das Ganze schon an. Auf jeden Fall geht es um Introspektion, im Innerlichkeit und Abgrenzung von der Außenwelt. Was aber wird gespiegelt, wenn wir in der Bildersuche bei Google nach einer Frau am Fenster suchen? Zahlreiche Treffer verweisen uns auf das bereits erwähnte berühmte kunsthistorische Beispiel von Caspar David Friedrich. Ein Treffer kann Salvador Dali und seiner Adaption des Bildes von Caspar David Friedrich zugeordnet werden. Und nicht wenige Bilder sind direkte erotische Adaptionen des Themas, wobei diese in der Regel Frauen mit offenen Haaren zeigen.
Die Differenz zwischen diesem Bild von Carl Vilhelm Holsoe (und einer Fülle weiterer aus seinem Haus) und dem Foto aus der ZEIT ist natürlich, dass letzteres eine berufstätige Frau des beginnenden dritten Jahrtausends zeigen soll. Aber spürt man dies dem Bild an? An welchen Indizien wird der kulturelle Bruch zwischen einem Bild vom Anfang des 20. Jahrhunderts und einem vom Anfang des 21. Jahrhunderts wahrnehmbar? Wie nah und wie fern sind sich die Frauendarstellungen? Ich fürchte, sie sind sich viel zu nah und das mit Absicht.
Detlef Kremer hat über das Motiv des Fensters in der Romantik geschrieben und dabei festgestellt: „Neben der Strukturierung des Raumes, einer Trennung von innen und außen, ist vor allem die selbstreflexive Thematisierung des Rahmens im Bild wichtig. Das Fenster als Binnenrahmen reflektiert die Künstlichkeit und Konstruiertheit des Bildausschnitts im Bild selber … Mindestens ebenso stark wie die Position und Perspektive des Beobachters konfigurieren die Fensterdarstellungen die Rolle des Einsamen. Der einsame Beobachter am Fenster tritt weniger mit der Außenwelt in Kommunikation, als er seiner selbst in einem melancholischen Trauerflor gewahr wird. Er nimmt sich selbst als einzelnen wahr, der von jedem Außen getrennt ist. Das Fenster als Medium des Austauschs von innen und außen verwandelt sich zur unüberwindlichen Grenze, die den Beobachter nachhaltig auf sich selbst zurückverweist. Das Fenster markiert den Ort der Distanz.“ (Detlef Kremer, Fenster; in: Jaeger/Willer (Hg.), Das Denken der Sprache und die Performanz des Literarischen um 1800, Würzburg 200, S. 213-228)
Zwar war der Dutt auch im Jahr 2009 wieder einmal in Mode, allerdings wird das durch die Bildinszenierung des Fotos in der ZEIT konterkariert. Nein, hier geht es nicht um eine junge Pfarrerin in modischer Gestalt, hier wabert ein konservativer Romantizismus durchs Bild, der zugleich als solcher, als überholter kenntlich gemacht wird. Sicher gibt es die auf dem Bild dargestellte Situation, sie ist aber ganz und gar nicht typisch. Sie ist ein Zerrbild der Wirklichkeit. Vielleicht steckt dahinter aber auch ein Traum, der von der Rückkehr der alten Zeiten, als die Bibel noch nicht gerecht und die Theologie noch nicht feministisch war. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/64/am314.htm
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