Wer Schmetterlinge lachen hört

Eine Recherche zur Poetik eines religiösen Sprachbildes

Andreas Mertin

Entstanden ist dieser Text aufgrund einer nachmittäglichen Diskussion im schönen schweizerischen Luzern. Monika Jakobs referierte über das Thema „Was lernen Erstkommunionkinder über Eucharistie?“ und sie hatte gezeigt, wie oftmals aus der Verlegenheit, Kindern und Jugendlichen die Wandlung verständlich zu machen, die merkwürdigsten Vergleichsmetaphern herangezogen werden. Im Bemühen, den Kinder irgendwie das Geschehen plausibel zu machen, werden dann scheinanaloge Naturphänomene, aber auch ganz andere Metaphern herangezogen, die es den Kindern leichter machen sollen, sich dem Ganzen zu nähern. Man sucht also eine Metapher mit einer Metapher zu erläutern. Ein durchaus problematisches Unterfangen. Und Monika Jakobs zeigte in diesem Zusammenhang, wie zum Beispiel das Bild des Schmetterlings herangezogen wird, um die Eucharistie zu erläutern. Und tatsächlich kann man sich zum Beispiel hier[1], hier und hier davon überzeugen, wie diese Form der Über-Setzung angewendet wird und was man sich darunter vorzustellen hat. Monika Jakobs jedenfalls empfahl, angesichts der offenkundigen und ja auch unbestreitbaren Problematik des herangezogenen Bildes, fünf Jahre lang die Schmetterlinge schweigen zu lassen, das heißt Askese im Umgang mit dieser Art von Plausibilisierungsstrategien zu üben.

Nun bin ich weiß Gott kein Experte in Sachen Didaktik der Eucharistie und als Evangelischer möchte ich mir auch nicht anmaßen, auf diesem Gebiet Ratschläge zu geben. Kindern in diesem Alter etwas von dem Geschehen visuell-argumentativ zu vermitteln, an dem sich seit Jahrhunderten die Theologen und Künstler abarbeiten, stelle ich mir außerordentlich schwierig vor. Schließlich entzieht es sich so sehr der unmittelbaren Einsicht, dass die reformierte Tradition eine grundsätzlich andere Plausibilisierungslösung gewählt hat.

Eine Reminiszenz

Vielleicht war es eher eine dunkle Erinnerung an frühere Zeiten, die mich dennoch protestieren ließ. Als Jugendlicher konnte ich viele Gedichte des frühromantischen Schriftstellers Novalis auswendig („Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren sind Schlüssel aller Kreaturen“), nicht zuletzt aufgrund der gleichnamigen Band, die seine Texte vertont und melodramatisch umgesetzt hat und zudem einige Texte im Stil von Novalis selbst geschrieben hatte. Und einer dieser von mir seinerzeit memorierten Texte, geschrieben von dem Bandmitglied und Gitarristen Carlo Karges (1951-2002) lautete folgendermaßen:

Wer Schmetterlinge lachen hört,
der weiß wie Wolken schmecken,
der wird im Mondschein ungestört,
von Furcht die Welt entdecken.

Der wird zur Pflanze, wenn er will,
zum Tier, zum Narr, zum Weisen,
und kann in einer Stunde
durchs ganze Weltall reisen.

Er weiß, dass er nichts weiß,
wie alle andern auch nichts wissen,
nur weiß er was die andern,
und er noch lernen müssen. […]

Abwärts zu den Gipfeln
seiner selbst blickt er hinauf
den Kampf mit seiner Unterwelt
nimmt er gelassen auf. […]

Der mit sich selbst im Frieden lebt,
der wird genauso sterben,
und ist selbst dann lebendiger,
als alle seine Erben.

Soweit das von mir erinnerte Lied aus dem Jahr 1977. Tatsächlich ist es noch etwas umfangreicher, aber ich hatte nach mehr als 30 Jahren nicht mehr alles im Gedächtnis.[2] Carlo Karges gelingt es jedenfalls durchaus, das Frühromantische in Worte zu fassen.

Novalis gilt als der Dichter der Poetisierung der Welt. Nahezu alles verwandelt sich ihm zur Metapher. „An die Geschichte der Natur wird erinnert, und die gegenwärtige ist nicht die wirkliche Natur. Sie wird es erst durch ihre ‚Moralisierung’. Ihr Wesen ist Werden, Entwicklung und Verwandlung. Nicht in ihrem Sosein, sondern in den Möglichkeiten ihrer Verwandlung wird sie für Novalis zum dichterischen Motiv.“[3]

Und das war (und ist) nun auch im Blick auf die Nutzung der Metapher des Schmetterlings bei der Didaktik der Eucharistie meine Frage: Trifft es nicht zu, dass nur, wer Schmetterlinge lachen hört, auch der Poesie des Abendmahls[4] folgen kann? Ließe sich also der Gebrauch der Metapher von der Raupe und dem Schmetterling im Kontext der Eucharistie retten? Ja, muss nicht angesichts der unterstellten Unvergleichlichkeit des Geschehens notwendig auf anreichernde und erschließende Metaphern zurückgegriffen werden? Könnte daher der Rekurs auf Schmetterling und Raupe nicht nur eine Not, sondern sogar eine Tugend sein?

Das Motiv im Bild

Meine zweite Überlegung war die, ob nicht in der barocken gegenreformatorischen Kunst, etwa bei den Stillleben, und hier insbesondere bei den religiösen Frucht- und Blumenstücken, schon längst die Raupe und der Schmetterling eine entsprechende Rolle gespielt haben könnten. Und sollte, was dem gegenreformatorischen Barock recht war, den katholischen Katecheten der Gegenwart nicht billig sein?

Jedenfalls lässt sich in der einschlägigen Literatur zum Stilleben[5] nachlesen, dass bei der Ausgestaltung dieses Genres gleich von mehreren Künstlern insbesondere eucharistische Motive bevorzugt wurden. „Mit Vorliebe entwarfen sie Arrangements von Girlanden um eine ebenfalls in braunen Farbtönen gemalte Mauernische, in die ein Abendmahlskelch mit darüber schwebender Hostie gestellt ist, deren geheimnisvolles Leuchten den Vorgang der Transsubstantiation anzeigen soll. Dieses Motiv findet sich häufig bei Jan Davidsz. De Heem“.[6]

Natürlich sind diese religiösen Frucht- und Blumenstücke eine „Antwort und Reaktion auf die protestantische Lehre der Symbolik von Brot und Wein.“[7] Gegen die rationalistische protestantische Deutung des Abendmahls wird bei diesen Bildern gerade das Geheimnisvolle (bis hin zum Magischen) hervorgehoben. Es geht bei den „Früchten um ein Weinglas in einer Kartusche“ (s.u.) nicht um eine bloße Ausschmückung eines zentralen eucharistischen Geschehens, sondern um eine metaphorische Bezugnahme, die helfen soll, das Geschehen noch dichter zu erschließen.


Jan Davidsz. de Heem, Früchte um ein Weinglas in einer Kartusche, 1651

Auf den ersten Blick ist Jan Davidsz. de Heems Bild „Früchte um ein Weinglas in einer Kartusche“ aus dem Jahr 1651 vor allem von Früchten, Blumen und Getreide dominiert und es wäre auch hier schon spannend, den symbolischen Verweisen nachzugehen. In der Ausstellung „Sinn und Sinnlichkeit. Das Flämische Stillleben 1550-1680“ heißt es zu diesem Bild:

„Drei optische Ebenen sowie die symmetrische Zentrierung der Komposition bestimmen die Trompe-l'œil-Wirkung dieses virtuos durchgearbeiteten Wandstilllebens: das mit Reflexen aufblinkende Weinglas in der Nische, die rahmende Steinkartusche und die im Licht plastisch hervortretenden, buntfarbigen Blumen- und Früchtegehänge. Ähren und Weintrauben - wie der Wein im Römerglas - repräsentieren als eucharistische Symbole Leib und Blut Christi. Einerseits ein Bild der Augenlust und der sinnlichen Erschließung der Schöpfung Gottes, andererseits ein geistliches Andachtsbild zur Meditation und theologischen Reflexion - Sinn und Sinnlichkeit zeigen sich zu betörender Schönheit verbunden.“[8]

Eine genauere Betrachtung zeigt darüber hinaus, dass das Bild voll von Raupen ist. Nun könnte das aber durchaus unterschiedliche Bedeutung haben und damit verschiedene Lesarten bewirken, denn die Raupe kann ja auch ein Schädling, ja eben auch ein den Wein gefährdendes Tier sein (wie die Mitteilungen des Vereins zur Beförderung des Gartenbaues in den königlich preussischen Staaten über eine dem Wein schädliche Raupe aus dem Jahr 1832 anschaulich belegen). Mit dem Verweis auf die Raupe ist also noch nicht gewonnen. Es bedarf daher des Schmetterlings als Gegenstück.

Den Schmetterling findet man aber nur einmal auf dem Bild von Jan Davidsz. de Heem, im oberen rechten Bilddrittel ist er relativ gut erkennbar. Vermutlich ist es ein Distelfalter, jedenfalls würde ich ihn mit meinen mangelhaften entomologischen Kenntnissen so zuordnen, lasse mich aber gerne korrigieren.

Auf dem Bild selbst wird keine Beziehung zwischen den Raupen und dem Schmetterling hergestellt, wohl aber im Blick auf die Wahrnehmung des Betrachters vorausgesetzt. Wenn also ein Maler wie Jan Davidsz. de Heem für seine eucharistischen Bilder zur Verstärkung der Bildwirkung neben anderen Motiven auf Raupe und Schmetterling als Sinnbild zurückgreift, wäre es dann nicht plausibel, das auch heute noch für die Didaktik der Eucharistie zu tun?

Und wenn es dann noch eine geistliche Literatur gibt, die diese gegenreformatorischen Impulse auf den Bildern aufgreift und „fruchtbar“ macht, gibt es dann nicht auch Argumente, diesen Versuch auch heute noch einmal zu unternehmen?

VErändrung läßt es ja so einem Wurm gelingen /
Daß er mit Flügeln sich kann in die Höhe schwingen:
Daß er sich gantz erneut und wird gantz anders auch /
Daß er nicht wie vorhin mehr kriechet auff dem Bauch.
Geschieht das einem Wurm / auff / ihr meine Sinnen /
Ich muß ein ander Mensch zu werden auch beginnen!
Nun GOtt erneure mich / der alle Ding’ erneut /
Sonst kleb’ ich als ein Wurm noch an der Eitelkeit.[9]

Interessant in diesen Versen ist ja, dass sie bewusst mit falschen Assoziationen arbeiten, weil es ihnen auf Korrektheit im naturwissenschaftlichen Sinne gar nicht ankommt, sondern eher auf eine bestimmte Art des poetischen Flimmerns. So sind Raupen natürlich keine Würmer, wie es auch kaum einem „Wurm“ gelingt, sich mit Flügeln in die Höhe zu schwingen (nur mit Hilfe von Anglern können Würmer fliegen). Der Wurm wird aber eingeführt, weil er sich symbolisch im Blick auf den Menschen im zweiten Teil besser verknüpfen lässt. „Der arme Wurm“ ist die Verknüpfungsebene, der schöne Schmetterling das gemeinsame metaphorische Ziel. Nur nicht ungewandelt bleiben ist die Botschaft.[10]

Einsprüche - Nicht alle Wege führen nach Rom

Ich bin mir nun gar nicht sicher, ob heute das Bild vom Schmetterling und der Raupe tatsächlich noch eine derart dichte Metapher im Blick auf religiöse Fragen ist, möchte aber wenigstens der Frage einmal nachgehen. Tatsächlich zeigt das korpuslinguistische Wörterbuch der Universität Leipzig, dass die vorrangige Assoziation von Schmetterling heutzutage der Schwimmsport ist. Eine andere assoziative Verknüpfung taucht nicht einmal auf.

Aber vielleicht ist es ja wenigstens (literatur-)historisch so, dass der Schmetterling einen genuinen religiösen Subtext hat, der auf das Motiv der Wandlung hinweist. Die religiösen Stillleben und das schon erwähnte Gedicht lassen das ja vermuten.

Mein erster Schritt zur Beantwortung der Frage war das Durchsuchen der deutschen Literatur von Luther bis Tucholsky nach dem Motiv des Schmetterlings und der Raupe.[11] Die erste Fundstelle will ich den Lesern nicht verschweigen, zeigt sie doch, wie gewagt mein spontanes Insistieren auf der didaktischen Eignung der Metapher war. Bei Aloys Blumauer (1755-1798) gibt es unter seinen Epigrammen ein Gedicht, das „Die Verwandlung“ (nicht – „Die Wandlung) heißt:

Es wundert dich, daß ein so garstig Ding,
Als eine Raupe ist, zum schönsten Schmetterling
In wenig Wochen wird: – mich wundert's nicht;
Denn wiss', auch manche Schöne kriecht
Als Raupe Morgens aus dem Bette,
Und kömmt als Schmetterling von der Toilette.

Nun, das war nicht sehr ermutigend, zumindest nicht in Sachen Didaktik der Eucharistie. Überhaupt wird in der deutschen Literatur beim Stichwort „Schmetterling“ nicht selten beschrieben, wie Jugendliche begeistert Schmetterlinge jagen, um sie dann durch Aufspießen ihrer Sammlung einzuverleiben. Und spontan fällt mir ein, dass ich auch als Kind ein derartiges, aus echten brasilianischen Schmetterlingsflügeln gestaltetes Bild in meinem Zimmer hängen hatte, das zudem erst vor wenigen Jahren von mir schamvoll entfernt wurde. Dieser Sport und diese „Naturästhetik“ dürfte inzwischen aus ethischer Einsicht seltener gepflegt werden, weshalb der Verwendung der Metapher nichts mehr im Wege steht, aber es zeigt dennoch, wie schwierig so eine unbekümmerte assoziative Verwendung sein kann.

Nur in der direkten Kombination von „Raupe“ und „Schmetterling“ gibt es in der deutschen Literatur einigermaßen sinnvolle Treffer. So heißt es in den Fabeln von Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) unter dem Titel „Der Schmetterling und die Raupe“:

Eine kleine Raupe lag,
In ihr Leichentuch gesponnen,
Tot im Angesicht der Sonnen,
Und es war der schönste Tag.

Und ein schöner Schmetterling
Kam geflogen, setzte sich
Still daneben, sagte: Dich,
Kleine Raupe, wird nun bald
Die allmächtige Gewalt,
Die dort oben strahlt, erheben,
Und noch schöner an Gestalt,
Als du starbest, wirst du leben!
Toter! ich will Achtung geben,
Wie du zu dem zweiten Leben
Wirst hervor gehn!

Plötzlich warf
Sie die Schal' ab, ließ sie liegen,
Und der schöne Schmetterling
Sah den neuen Engel fliegen,
Wenn ich ihn so nennen darf.

Das ist die vorherrschende metaphorisch-literarische Ingebrauchnahme des Bildes von der Raupe und dem Schmetterling: das Motiv der Wandlung vom scheinbaren Tod ins blühende Leben.

Auch wenn man auf das Grimmsche Wörterbuch[12] zur deutschen Sprache zugreift, wird der Befund nicht anders, sondern eher noch verstärkt. Dementsprechend heißt es bei Barthold Heinrich Brockes (1680-1747):

vom schönen schmetterling läszt, nach dem augenschein,
die raupe nur der embryon zu sein.
mich deucht, dasz ich darinn entdecke,
wie ein geheimnisvolles bild,
mit reichem trost für uns erfüllt,
in ihrer änderung verborgnen ordnung, stecke

Allgemein gibt Brockes das treibende Motiv der Dichter dieser Zeit gut wieder. In seinem neunbändigen Hauptwerk „Irdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten“, veröffentlicht zwischen 1721 und 1748, wendet er ein Prinzip an, das sich wie folgt beschreiben lässt:

„In nahezu allen Texten findet sich durchgehend das Motiv der betrachteten Schöpfung, die in ihrer analytischen Erfassung durch den Menschen ihre Wertschätzung erhält. Nicht die Gesamtschau ist hierbei tragend, sondern die Einzelbetrachtung, die die Schönheit in der Nützlichkeit findet und in der Nützlichkeit für den Menschen wiederum die rechte Ordnung der Schöpfung als einer Schöpfung Gottes bestätigt sieht.

Wer also jederzeit mit fröhlichem Gemüt
In allen Dingen Gott als gegenwärtig sieht,
Wird sich, wenn Seel und Leib sich durch die Sinne freuen,
Dem großen Geber ja zu widerstreben scheuen.

Der reziprok rückverweisliche Zusammenhang zwischen der Gabe des Menschen, die Schöpfung sinnlich zu erfassen und der Wohlordnung der Dinge, kulminiert dann in jener Bestätigung des Schöpfers, die man teleologischen Gottesbeweis nannte, worin … naive Frömmigkeit und aufgeklärte Geste in eins aufzugehen scheinen. Herangezogen zu diesem Beleg werden dabei vornehmlich die kleineren, alltäglichen, unscheinbaren oder als selbstverständlich erachteten Lebewesen und Landschaften, Dinge und Begebenheiten“.[13]

Was wir also bei Brockes finden können, ist eine Naturbeobachtung, die diese als gleichnisfähig für religiöse Einsichten begreift. Und dabei kann nahezu jeder Gegenstand und jedes Motiv als Gleichnis dienen.

Viel mehr, so muss ich gestehen, lässt sich nicht finden.

Schmetterling und Raupe in der christlichen Ikonographie

Bleibt ein letzter Versuch, nämlich der Rekurs auf die christliche Ikonographie. Das Lexikon der christlichen Ikonographie eröffnet seinen Artikel zum Stichwort „Schmetterling“ lapidar mit dem Satz: Die antike Symbolik des Schmetterlings wurde vom Christentum als Auferstehungssymbol übernommen“.[14] Um dann aber fortzufahren: „Die früheste Darstellung des Schmetterlings in der christlichen Kunst … findet sich auf dem Kelch von Antiochien, Ende 4. / Anfang 5. Jahrhundert, allerdings ohne gesicherte symbolische Bedeutung.“[15]

Lange Zeit hat man in diesem Kelch wirklich einen Abendmahlskelch gesehen und in der populären Mythologie sogar mit dem so genannten Heiligen Gral in Verbindung gebracht. Wäre es so, wäre der Schmetterling als Motiv tatsächlich in einen eucharistischen Kontext einzuordnen.

Nur ist diese Deutung inzwischen widerlegt. Weder stimmt die zeitliche Einordnung noch die funktionale Zuordnung. Heute wird das Objekt in die 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts datiert mit der Funktion einer Standleuchte. Bezugspunkt sind vermutlich Jesu Worte „Ich bin das Licht der Welt“.[16] Auch in einen eschatologischen Kontext ließe sich das Objekt wegen der abgebildeten Figuren gut einordnen. Ganz nach Lessing: „Wer weiß nicht, dass der Schmetterling das Bild der Seele, und besonders der von dem Leibe geschiedenen Seele, vorstellet?“[17]

Der Kelch von Antiochien, 1. Hälfte 6. Jh., Silber, 19 x 15 cm, Cloisters Collection, 1950

Weitere auf die Eucharistie hinweisende Verwendungen lassen sich für das Motiv des Schmetterlings nicht finden. Wohl aber zahlreiche Hinweise im Sinne des Auferstehungssymbols.

Conclusio

Faktisch zeigt der Durchgang durch die verschiedenen kulturellen Bereiche, dass Monika Jakobs mit ihrem Einwand recht hatte: Schmetterling und Raupe gehören nicht in den Kontext der Didaktik der Eucharistie. Und zwar nicht deshalb, weil sie Natursymbole sind, die zu Missverständnissen führen, sondern weil sie in einen anderen, historisch klar determinierten Kontext gehören: in den Kontext der Symbolisierung der Auferstehung(shoffnung). Hier haben sie ihren klaren und auch auf der Ebene der Metapher für Kinder nachvollziehbaren Ort (sofern man dabei überhaupt von Nachvollziehbarkeit sprechen kann). Hier jedenfalls vermögen sie ihre Poesie zu entfalten, vermögen sie die Phantasie anzuregen, uns „etwas Fernes nahe zu bringen“. Und an dieser Stelle sind sie im wahrsten Sinn des Wortes „notwendig“. Sie wenden die Not einer am Alltag und an der Tautologie sich orientierenden Sprache, die nur wieder-holt, was evident ist und deshalb nicht einzusehen vermag, was über den Alltag hinaus weist.


Tafel Schmetterlinge, Meyers Grosses Konversationslexikon von 1905

Nur „wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß wie Wolken schmecken, der wird im Mondschein ungestört, von Furcht die Welt entdecken. Der wird zur Pflanze, wenn er will, zum Tier, zum Narr, zum Weisen, und kann in einer Stunde durchs ganze Weltall reisen.“ Das aber ist eine einzuübende Kompetenz, eine kritische Kompetenz zumal, weil sie die Sprache nicht in der Instrumentalität belässt, sondern medial erweitert. Poesie gehört – wie die Kunst allgemein – unmittelbar zur Religion hinzu – auch in Zeiten ihrer längst errungenen Autonomie. Das Schlimmste, was der Religion passieren kann, wäre, selbst Teil und Ausdruck der Rationalisierung der Lebenswelten zu sein, sich nur auf das Vernünftige und das Verstandesmäßig zu begreifende zu reduzieren. Es geht nicht um das Magische, um Obskurantismus, um die Begrenzung der Vernunft, sondern um Bereicherung und Erweiterung, schlicht um Poesie.


Supplement I: Sprache und Verwandlung

Der Schweizer Germanist und Literaturwissenschaftler Johannes Anderegg hat sich 1985 in seinem Buch „Sprache und Verwandlung“ intensiv mit dem Verhältnis von religiöser Sprache und Alltagssprache auseinandergesetzt und die religiöse Sprache als mediale Sprache bestimmt. Er schreibt:

„Die Grenzen der Alltagssprache werden schon sichtbar, wenn es um Geschichte, um Lebendigkeit, um eigene Identität geht. Wie also sollte sich alltagssprachlich sagen lassen, was das Evangelium meint? Die Alltagssprache nimmt in ihrer Instrumentalität auf Konventionen Bezug, und das, wovon sie spricht, läßt sie als ein Selbstverständliches erscheinen. Wie also sollte sich alltagssprachlich einholen lassen, was Ziel einer Sprache eines Glaubens ist? Alltagssprache bezieht sich auf das schon Begriffene. Aber nach einer Sprache des Glaubens sucht man, weil man sich auf schon Begriffenes nicht beziehen kann. In immer schon erschlossenen und vertrauten Welten bewegen wir uns mit der instrumentellen Sprache des Alltags; die Sprache des Glaubens dagegen hat es allenfalls mit Vertrauen zu tun, und sie zielt darauf, eine Welt allererst zu erschließen, die ihrem Wesen nach weder konventionell noch selbstverständlich oder vertraut sein kann. Alltagssprache befaßt sich mit dem Naheliegenden; Überbrückung von Ferne ist dagegen das, was wir uns von der Sprache des Glaubens erhoffen. Ihre Aufgabe ist es, Fernes nahe zu bringen, oder uns dem Fernen nahe zu bringen, und von ihr erwatten wir, daß sie uns nahegeht. Eben dies vermag die Alltagssprache nicht zu leisten, weil sie als eine selbstverständliche mit Selbstverständlichem, mit ohnehin schon Begriffenen zu tun hat ...

Als Medium des Begreifens ist der mediale Sprachgebrauch eine Sprache des Noch-nicht, er ist stets nur Annäherung an das Gemeinte, ist nur Bild, und er ist, so gesehen, stets unfertig, geht gerade nicht und nie restlos auf. Der mediale Sprachgebrauch ist und bleibt frag-würdig, und er verschweigt seine Fragwürdigkeit nicht. Indes, gerade wegen seiner Fragwürdigkeit kann der mediale Sprachgebrauch eine Sprache des Glaubens ermöglichen ... An der Differenz zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten setzt das Interpretieren ein, das aber stets weniger zutage fördert, als die Sprache meint.“[18]

Und Anderegg präzisiert noch einmal die Rede von der medialen Sprache:

„In ihrer Bildhaftigkeit ist sie Medium des Begreifens. Über oder durch das Bild zielt die Sprache auf das, was sie meint. Und weil medial gebrauchte Sprache sich nicht auf schon Begriffenes bezieht, sondern Medium des Begreifens ist, kann man von ihrer Sache nicht so sprechen, als habe man sie, als sei sie vor und jenseits der Sprache immer schon begriffen und verfügbar ... Als Medium des Begreifens ist der mediale Sprachgebrauch eine Sprache des Noch-nicht, er ist stets nur Annäherung an das Gemeinte, ist nur Bild, und er ist, so gesehen, stets unfertig, geht gerade nicht und nie restlos auf. Der mediale Sprachgebrauch ist und bleibt frag-würdig, und er verschweigt seine Fragwürdigkeit nicht. Indes, gerade seiner Fragwürdigkeit wegen kann der mediale Sprachgebrauch eine Sprache des Glaubens ermöglichen.“ [19]


Supplement II: … so zeigt uns die Natur …

Wie man sich das vorstellen kann, soll mit einem längeren Text von Johann Gottfried Herder (1744-1803) zur Metaphorik von Raupe und Schmetterling gezeigt werden. Er schreibt in seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“:

„Die Blume erscheint unserm Auge als ein Samensprößchen, sodenn als Keim; der Keim wird Knospe, und nun erst gehet das Blumengewächs hervor, das seine Lebensalter in dieser Ökonomie der Erde anfängt. Ähnliche Auswirkungen und Verwandlungen gibt es bei mehrern Geschöpfen, unter denen der Schmetterling ein bekanntes Sinnbild geworden. Siehe, da kriecht die häßliche, einem groben Nahrungstriebe dienende Raupe; ihre Stunde kommt, und Mattigkeit des Todes befällt sie; sie stemmet sich an, sie windet sich ein; sie hat das Gespinst zu ihrem Totengewande sowie zum Teil die Organe ihres neuen Daseins schon in sich. Nun arbeiten die Ringe, nun streben die inwendigen organischen Kräfte. Langsam geht die Verwandlung zuerst und scheint Zerstörung: zehn Füße bleiben an der abgestreiften Haut, und das neue Geschöpf ist noch unförmlich in seinen Gliedern. Allmählich bilden sich diese und treten in Ordnung; das Geschöpf aber erwacht nicht eher, bis es ganz da ist: nun dränget es sich ans Licht, und schnell geschiehet die letzte Ausbildung. Wenige Minuten, und die zarten Flügel werden fünfmal größer, als sie noch eben unter der Todeshülle waren; sie sind mit elastischer Kraft und mit allem Glanz der Strahlen begabt, der unter dieser Sonne nur stattfand, zahlreich und groß, um das Geschöpf wie auf Schwingen des Zephyrs zu tragen. Sein ganzer Bau ist verändert: statt der groben Blätter, zu denen es vorhin gebildet war, genießt es jetzt Nektartau vom goldnen Kelch der Blumen. Seine Bestimmung ist verändert: statt des groben Nahrungstriebes dient es einem feinern, der Liebe. Wer würde in der Raupengestalt den künftigen Schmetterling ahnen? Wer würde in beiden ein und dasselbe Geschöpf erkennen, wenn es uns die Erfahrung nicht zeigte? Und beide Existenzen sind nur Lebensalter eines und desselben Wesens auf einer und derselben Erde, wo der organische Kreis gleichartig wieder anfängt: Wie schöne Ausbildungen müssen im Schoß der Natur ruhn, wo ihr organischer Zirkel weiter ist und die Lebensalter, die sie ausbildet, mehr als eine Welt umfassen. Hoffe also, o Mensch, und weissage nicht: der Preis ist dir vorgesteckt, um den kämpfe. Wirf ab, was unmenschlich ist: strebe nach Wahrheit, Güte und gottähnlicher Schönheit, so kannst du deines Ziels nicht verfehlen.

Und so zeigt uns die Natur auch in diesen Analogien werdender, d.i. übergehender Geschöpfe, warum sie den Todesschlummer in ihr Reich der Gestalten einwebte. Er ist die wohltätige Betäubung, die ein Wesen umhüllet, in dem jetzt die organischen Kräfte zur neuen Ausbildung streben. Das Geschöpf selbst mit seinem wenigern oder mehrern Bewußtsein ist nicht stark gnug, ihren Kampf zu übersehn oder zu regieren; es entschlummert also und erwacht nur, wenn es ausgebildet da ist. Auch der Todesschlaf ist also eine väterliche milde Schonung; er ist ein heilsames Opium, unter dessen Wirkung die Natur ihre Kräfte sammlet und der entschlummerte Kranke geneset.“[20]


Anmerkungen

[1] So heißt es z.B.: „… wir haben 2003 das Thema "Von der Raupe zum Schmetterling" als unser Kommunionsmotto gewählt. Die Raupen und Schmetterlinge haben wir mit Window-Color auf Windradfolie gemalt. Die Raupen wurden vor eine Große Vase mit Zweigen platziert. Die Schmetterlinge wurden auf Stäbchen gespießt, damit jedes Kind seinen Schmetterling nach der Verlesung seiner Fürbitte zwischen die Zwecke stecken konnte. Die Fürbitten haben wir, damit die Kinder es einfacher hatten, an den Schmetterling geheftet. An der Seite hatten wir einen alten Tisch mit Moos ausgelegt, darauf für jedes Kind ein Usambaraveilchen gestellt. Einige Raupen und Schmetterlinge wurden auch über diese Fläche verteilt.“
http://baseportal.de/cgi-bin/baseportal.pl?htx=/kiki/forum&wcheck=1&Pos=195.5

[2] http://www.deanita.de/schm01.htm

[3] Art. Novalis. Die Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 4, S. 1538)

[4] Hörisch, Jochen (2005): Brot und Wein. Die Poesie des Abendmahls: Suhrkamp (Edition Suhrkamp).

[5] Vgl. Schneider, Norbert (2009): Stilleben. Realität und Symbolik der Dinge ; die Stillebenmalerei der frühen Neuzeit. Köln: TASCHEN

[6] Schneider, Norbert (2009): Stilleben, a.a.O., S. 152.

[7] Ebenda.

[8] Ausstellung „Sinn und Sinnlichkeit. Das Flämische Stillleben 1550-1680“
unter http://www.ruhr-uni-bochum.de/kgi/stillleben/index.htm

[9] Gefunden im Lehrermaterial zur Ausstellung „Sinn und Sinnlichkeit“.
Online abrufbar unter http://www.ruhr-uni-bochum.de/kgi/stillleben/data/lehrermat.pdf

[10] An dieser Stelle wird aber schon deutlich, dass Raupe und Schmetterling als Metaphern für die Eucharistie ungeeignet sind, weil mit dem Begriff der Raupe notwendig eine Abwertung verbunden ist, die in der Metaphorik des Abendmahls aber gar nicht vorkommt. Brot und Wein sind eben metaphorisch keine depravierten Elemente die nun der verklärenden Wandlung bedürften. Hier wird deutlich, warum – wie später noch zu zeigen sein wird – der Einwand gegen diese Metaphern bei der Eucharistie berechtigt ist.

[11] Mein Recherchemittel ist die DVD „Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky“ aus der Digitalen Bibliothek, Berlin, Band 125, die etwa 600.000 Seiten deutscher Literaturenthält.

[12] Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm; Bartz, Hans-Werner; Weinmann, Martin (2004): Deutsches Wörterbuch. Der Digitale Grimm. Elektronische Ausgabe der Erstbearbeitung für PC. Elektronische Ausg. der Erstbearb., Originalausg.,. Frankfurt am Main: ZWEITAUSENDEINS.

[13] Wikipedia, Art. Irdisches Vergnügen in Gott; http://de.wikipedia.org/wiki/Irdisches_Vergn%C3%BCgen_in_Gott

[14] Kirschbaum, Engelbert (Hg.) (1994): Lexikon der christlichen Ikonographie. Unter Mitarbeit von Günter Bandmann. Sonderausg. 8 Bände. Rom: Herder.

[15] Ebenda.

[16] http://www.metmuseum.org/toah/works-of-art/50.4

[17] Gotthold Ephraim Lessing: Wie die Alten den Tod gebildet, Werke. Band 6, München 1970 ff.

[18] Anderegg, Johannes (1985): Sprache und Verwandlung. Zur literarischen Ästhetik. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 83ff.

[19 Ebenda, S. 87 u. 90.

[20] Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit; in: Deutsche Literatur von Luther bis Tucholsky, S. 255106; vgl. Herder-Ideen Bd. 1, S. 189 ff.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/68/am333.htm
© Andreas Mertin, 2010