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Das Ja des Glaubens trotz der Angst des NeinSinn und Sein von Glaubensstrukturen in Prozessen posttraditionalen DenkensMatthias Giesel Bei Fragen nach der Bedeutung von Glaubensstrukturen in unserer heutigen posttraditionalen Gesellschaft, welche die sogenannte Postmoderne überwunden zu haben glaubt, wird bei aller Bemühung um Offenheit und Vielheit der Wunsch nach intersubjektiven Verbindlichkeiten deutlich erkennbar, die auch über die Individualethik einer als notwendig gedachten Interessengemeinschaft hinaus einem Bedürfnis tragenden Haltes zu entsprechen vermögen. Profan ausgedrückt vollzieht sich hierbei eine Suche nach Strukturen, die ebenso fernab jeglicher Theorie trösten, tragen und halten: auch dann, wenn beispielsweise Beziehungsgeflechte, Arbeits- und Beschäftigungsgefüge zerbrechen, der tragende sinngebende Rahmen eines als ideal vorgestellten intersubjektiven Miteinanders in Freundschaft und Beruf innerhalb urbaner Großstadtstrukturen praktisch nicht mehr umgesetzt werden kann, die Angst vor der Verneinung des Lebens allgegenwärtige Dunkelheit zu verbreiten scheint, und Kommunikation oftmals nur noch im ´inneren Dialog´ oder vermittelt durch neue Computermedien aufrecht zu erhalten ist. Durch differenzierte wissenschaftliche Forschungen für mein Buch „Call me - Interferenzen von Glaube und Kommunikationstechnologien am Beispiel Handy“[1] eröffneten sich mir dennoch eine Vielzahl theologischer Dimensionen und Schätze religionspädagogischer ´Wert´-Arbeit, die durch folgende Elemente wichtige Blickrichtungen erfuhren: Besondere Strukturen christlichen Glaubens leuchteten dabei gleichsam über jegliche profane Interaktion hinweg und wieder in sie hinein, sozusagen als Einleuchten von Erkenntniszusammenhängen elementarer Blickrichtungen, die in M. Luthers getrostem Verzweifeln an sich und seinen Werken und gleichzeitig im ungetrübten und vertrauensvollen Blick auf die Gnade Christi liegen. Wie im bekannten Kirchenlied von Paul Gerhard so unnachahmlich einfach und zugleich treffend ausgedrückt, strahlt diese in unser endliches Leben hinein[2], und wenn sie als „unbedingtes, <d.h. unmittelbar ergreifendes>Anliegen“, als das, „was als letztgültig erfahren <wurde>“[3], vom Menschen angenommen wird, erweist sie sich als diejenige verdienstlose Gnadengabe[4], welche im Entgegenkommen und Ergriffenwerden durch das Unbedingte in der Gerechtigkeit Christi als Gottes Ja zum Sein die Rechtfertigung des menschlichen Lebens beinhaltet. Profan ausgedrückt möchte sie auf diese Weise Frieden, Weitsicht, Gelassenheit und Trost vermitteln, die höher sind als alle Vernunft (Philipper 4.7), höher als unser mit dem Etikett ´vernünftig´ ausgewiesener zwischenmenschlicher Umgang, weit über jegliche oftmals misslingende Interaktionen hinausgehend, das einzelne wertvolle Individuum unmittelbar ansprechend, unabhängig von der eigenen (Darstellungs-) Fähigkeit oder momentanen Verfasstheit. Sie wird dabei als etwas Höheres empfunden, an das man sich klammern kann, wenn kein Halt mehr zu spüren ist, nach B. Beuscher gleich einer ´Leitplanke´, die vor dem Schleudern bewahrt oder Spuren im Sand, denen man nachzugehen in der Lage ist. Von Bedeutung wäre in diesem Zusammenhang aber auch die Frage danach, wie genau denn dieses Ergriffenwerden, das als mögliche Basis erkannt wurde, vor sich gehe. Es genügt nicht, ein etwaiges numinoses, schon immer universal vorhanden gedachtes allgemeines Ergriffensein zu implizieren, das gewissermaßen automatisch jedem Menschen zuteil werde. Denn Gnade und ´Erlösungswerk´[5] Christi leben im Grunde nur von denjenigen relevanten Glaubensstrukturen, die eine persönliche Annahme implizieren, innerhalb welcher das Unbedingte im Bedingten Raum finden will. Das bedeutet, dem o.g., universal gültigen, lebensbejahenden Ergreifen Gottes muss auch eine aktive freiheitliche Entscheidung menschlich-annehmender Zustimmung folgen, wie es im Evangelium nach Markus heißt, „Diese aber sind´s, bei denen auf gutes Land gesät ist: die das Wort hören und nehmen´s an (…)“[6]. In einer metaphorischen Darstellung wird im Buch der Offenbarung diese Annahme Gottes mit dem bewussten Öffnen einer Türe verglichen, die demzufolge verschlossen gehalten wird: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen (…)“[7] und somit eine bewusste Entscheidung des Menschen nachdrücklich betont. Dabei klopft Gott der Herrscher der Welt in Jesus höflich an und bittet sein eigenes Geschöpf um Einlass. Wieviel Profanität und Erniedrigung kann man denn noch erwarten? Mehr Hochachtung, Wertschätzung und Gnade kann ein Schöpfer seinem Geschöpf wirklich nicht entgegenbringen.- Durch tragfähige Prozesse ´über-´aktionistischer Glaubensstrukturen könnten auf Basis der Gnade Christi auch in unseren alltäglichen Interaktionen diejenigen Grundzüge (wieder-) entdeckt werden, die das Prädikat ´menschlich´ rechtfertigen und Antworten auf Fragen danach, welche genauen Umstände Menschen in einer immer kälter werdenden Gesellschaft eigentlich menschlich erscheinen lassen, wieder Bedeutung erlangen: weil doch „gerade in der Unmenschlichkeit des Menschlichen im Menschen, das Menschliche als das Befremdliche zu erfahren (…) die Nötigung der Selbstreflexion <liegt>“[8], und es elementar wichtig erscheint, die Bereitschaft zu entwickeln, das o.g. Erlösungswerk Christi durch immer neue praktische gegenseitige Vergebung und Annahme unserer Nächsten auch wertschätzen zu wollen, welches ebenso den Würdigungsprozessen einer „profan-theonomen“[9] Religionspädagogik entspräche. Solche theonomen, d.h. göttlich bestimmten Glaubensprozesse wirken sich auf alle Lebensbereiche aus, nämlich erstens durch das Prinzip Mitmenschlichkeit und zweitens durch eine daraus resultierende Mitverantwortung und könnten damit auch in Zeiten posttraditionalen Denkens dazu anhalten, von Gott gedachten Sinn und Sein menschlichen Lebens völlig neu zu erfahren: Die Erfüllung geschuldeter Mitmenschlichkeit vollzieht sich zuerst auf Basis eines nach innen gerichteten menschenwürdigen Umgangs mit sich selbst, welcher eine angemessene Selbstannahme voraussetzt („lieben, wie dich selbst“[10]) und sollte dann nach außen gerichtet sein als von Gott mit Vernunft ausgestattete, gemeinschaftlich füreinander einstehende und verantwortungsbewusst handelnde Intersubjekte, die den Willen in sich tragen, diese ebenso gegenüber ihren Nächsten umzusetzen: „(…) in Demut achte einer den andern höher als sich selbst (…)“[11], wobei „der (…) erhobene Anspruch, vernunftbegabt zu sein, (…) von jedermann (…) durch unbedingte Verpflichtung in Bezug auf sich selbst und auf die Gemeinschaft mit anderen einzulösen (…) ist“[12], mit dem Ziel, eine praktische Umsetzung folgen zu lassen. Daraus ergibt sich zweitens eine unbedingte Verpflichtung des Menschen, sein Leben i.S. einer Mitverantwortung gegenüber seinen Nächsten verantwortungsvoll zu leben, diese „einzulösen, d.h. (…) rational-moralisch qualifiziert zu gestalten“[13] und sich durch die Vorsilbe ´mit´ in ´Mitverantwortung´ ausgedrückt „in ein Vergleichsverhältnis zu bringen, ob <er evtl.> hinter dem zurückbleibt, was <er> als Selbstverständnis beansprucht."[14] Das aktive Verb ´ver-antworten´ stellt etymologisch gesehen eine Mischbildung aus den Wörtern ´ver-treten´ im Sinne von ´rechtfertigen´ und ´antworten´ dar, d.h. ´einem Gericht oder einer Versammlung Rechenschaft schuldend´[15]. Das Prinzip Mitverantwortung, in der heutigen Zeit vielfach leichtfertig als moralische Überhöhung abgewertet, sollte daher -profan gedacht- auf alle Bereiche eines verantwortbaren Lebens bezogen werden dürfen: sowohl als menschwürdiger Umgang, welcher mit Barmherzigkeit und Güte und einem Bewusstsein für den Wert des einzelnen unveräußerlichen Intersubjektes der Kälte, Ignoranz und Unbarmherzigkeit der heutigen Zeit entgegenzuwirken hat, als auch beispielsweise im wissenschaftlichen Bereich: Hier sollte ein Bewusstsein darüber ausgebildet werden, inwieweit Sinnen und Trachten, Reden, Schreiben und Gehalt wissenschaftlicher Texte eigentlich noch ´ver´-antwortbar sind, d.h., aus etymologischer Sicht die Möglichkeit gedacht werden müsste, sich jederzeit in der Lage zu befinden, „Antwort zu geben“, „die Verpflichtung, dafür einzutreten<zu übernehmen> und die Folgen zu tragen“[16], als „Dialog mit Gott und den Mitmenschen“[17] In dieser zentralen durch das Unbedingte gewirkten Glaubenserkenntnis und Umsetzung daraus resultierender Mitmenschlichkeit und Mitverantwortung sowie einer persönlichen Annahme als eigentlichem Kern des christozentrischen Grundprinzips liegen dann auch Freiheiten von Glaubensstrukturen begründet, vielfältigen Einschränkungen widersprüchlicher Lebensbedingungen entsprechend zu begegnen und im oftmals verwirrenden Wechselspiel alltäglicher Bedingungsgefüge ideologiebedrohter Erfassung und Unterscheidung unbedingten Glaubens von bedingtem bestehen zu können. Denn die Voraussetzung von Erkenntnisfähigkeit des Menschen ist nicht zu leugnen: Dadurch, dass „durch <Christi>Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen ist“[18], sei der Mensch laut P. Tillich „imstande, in einem unmittelbaren, personenhaften und zentralen Akt den Sinn des (…) Unbedingten (…) zu erfassen.“[19]; somit begründet unbedingter Glaube gleichzeitig auch „die ontologische Frage“ des Menschen nach Sinn des eigenen und sinngebenden Sein Gottes und schließt sie mit ein; letzteres „sagt ja trotz der Angst des Nein (…)“[20], wirkt als Vertrauenschaffendes und birgt das Gefühl eines wertgeschätzten Geschöpfes in sich. Solch wertgeschätzte Individuen könnten dann erneuerte, ´geheilte´ Interaktionen eröffnen, die dem Begriff ´Barmherzigkeit´[21], entstanden aus einer Verbindung von ´Arm und Herz´ als innere Gemütsverfassung mit Herzensbildung und gleichzeitiger positiv-aktiver ´tätlicher´[22] praktischer Umsetzung Ausdruck verleihen würden. Literaturverzeichnis
Anmerkungen[1] M. Giesel, Call me - Interferenzen von Glaube und Kommunikationstechnologien am Beispiel Handy, München 2009. [2] vgl. die 13. Strophe des Kirchenliedes von P. Gerhardt: „Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ; das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist.“, aus: evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, Würzburg, Lied 351. [3] P. Tillich, Offenbarung und Glaube, Schriften zur Theologie II, GW., Bd. VIII, Stuttgart 1970, 117f. [4] vgl. Römer 3.24f: „(…) und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung (…)“, rev. Lutherbibel, Stuttgart 1990. [5] vgl. dazu Epheser 1.7 bzw. 1.Timotheus 2.6: „der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung“, rev. Lutherbibel, a.a.O., A.d.V. [6] Rev. Lutherbibel, a.a.O., Markus 4.20. [7] ders., Offenbarung 3.20b. [8] E. Braun: Der Mensch vor seinem eigenen Anspruch. Moral als kritische Orientierungskraft im Zeitalter der posttraditionalen Gesellschaft, Würzburg 2002, 16. [9] B. Beuscher, Protestantische spirituelle Kompetenz als religionspädagogische Qualität, Duisburg 2007, aus: http://www.google.de, Internet 2009, 8. [10] Rev. Lutherbibel, a.a.O., 3.Mose 19.18b. [11] ders., Philipper 2.3b. [12] E. Braun, Der Mensch vor seinem eigenen Anspruch, a.a.O., 267. [13] ders., 267. [14] ders., 17. [15] M. Wermke (Hrsg.), Duden, a.a.O., 778. [16] ders., 779. [17] E. Braun, Der Mensch vor seinem eigenen Anspruch, a.a.O., 188. [18] Lutherbibel, Köln 1912, Römer 5.18b. [19] P. Tillich, Offenbarung und Glaube, a.a.O., 117. [20] P. Tillich, Die Frage nach dem Unbedingten. Schriften zur Religionsphilosophie, GW., Bd. V, Stuttgart 1964, 170. [21] M. Wermke (Hrsg.), Duden Etymologie, Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 7, Leipzig 1997, 64. [22] vgl. Jakobus 1.22: „Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein, wodurch ihr euch selbst betrüget.“, Lutherbibel, a.a.O. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/69/magi2.htm
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