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Für jedermann: Transzendenz und ÖffentlichkeitStichworte zu HAP Grieshabers Totentanz von BaselBarbara Wucherer-Staar In Deutschland, Ost und West zusammen, könne er leben und arbeiten. Der, der das sagte, HAP Grieshaber (1909-1981), zählt zu den wenigen Künstlern, die während der Hochzeit des Kalten Krieges auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs ebenso umstritten wie hoch geschätzt waren und zu ihrer Zeit so wichtig und berühmt waren wie später Joseph Beuys. Mit der Erneuerung des traditionellen Holzschnitts, verbunden mit einer modernen, figurativ-abstrakten Bildsprache wurde er zum wichtigsten Holzschneider nach 1945; seine großflächigen, leuchtenden Farbholzschnitte und Plakate wirken bis heute stilbildend. Aus der eigenen Sammlung stellen Museum Folkwang und Deutsches Plakatmuseum im Museum Folkwang erstmals in einer Ausstellung rund 30 seiner gedruckten Plakate und 90 grafische Blätter gegenüber. Sie zeigen, wie der „Holzschneider von der Achalm“ bei Reutlingen mit seiner Kunst aktiv ins politische, gesellschaftliche und religiöse-sakrale Leben eingriff. Die Serien, entstanden zwischen 1959-1969, sind eine Zeitreise in die 1960er Jahre, illustrieren musikalische Werke („Carmina Burana“ und „Der Feuervogel“) und greifen religiöse, politische und gesellschaftliche Themen auf („Polnischer Kreuzweg“ , „Kreuzweg der Versöhnung“ u .a.), die sich zum Teil in den oft ungewöhnlich farbenfrohen Plakaten wieder finden. Zentrale Bildfolge ist der „Basler Totentanz“ (1966), der lange vor der Wiedervereinigung in der DDR gedruckt, in Ost- und West ausgestellt und auch als Buch herausgegeben wurde. Wie eng Grieshabers vehementes Engagement mit seiner Arbeit verbunden ist zeigt sich in seiner Haltung „im Mitleben, aus dem etwas geschieht“. Oft verwendete er dieselben Druckstöcke für verschiedene Themen, etwa stellte er ein Motiv aus der Kreuzweg-Serie der politischen Organisation „Amnesty International“ für ein Plakat zur Verfügung. Mit jenen 40 großartigen Blätter mit Figuren und den dazu gehörenden Dialogen, in denen der Sensenmann persönlich Bürger - gleich welchen Standes -einreiht in den Reigen des „Totentanz von Basel sollte er Weltruhm erlangen. Zu Beginn dieser umfangreichsten grafische Folge notiert der Holzschneider 1965: „In Basel fand ich den „Totentanz der Stadt Basel“ vom Papst bis zum Maler ein guter Querschnitt, der ins Fleisch (Holz) schneidet“. Angeregt von einer Buchausgabe des „Totentanzes von Basel“ (19. Jhd.) greift er diese Idee des mittelalterlichen, vermutlich von Konrad Witz um 1470 gemalten monumentalen Freskenzyklus an der Friedhofsmauer des Basler Dominikanerklosters auf, der 1805 zerstört wurde. Das Bildrepertoire und die dazu gehörigen Dialoge zwischen Mensch und Tod ist - oft mehrsprachig - in Kupferstichbüchern überliefert, zahlreiche andere Künstler stellen es nach Kriegs- und in Krisenzeiten besonders häufig dar (Dix, Barlach, Kollwitz u.a.). Den „Todten Tantz Wie derselbe in der Weitberümbten Statt Basel als ein Spiegel Menschlicher beschaffenheit gantz Künstlich mit Lebendigen Farben Gemahlet, nicht ohne nutzliche Verwunderung zusehen ist“ sticht bereits Matthäus Merian 1621. „Der Tod“, so Kurator Renée Grohnert, „ist zu allen Zeiten aktuell. Und es gibt Unterschiede: es gibt den gnädigen, freundlichen oder den grausamen Tod“. Grieshabers Antwort 20 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges und Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki: er transponiert das spätmittelalterliche Motiv in die Gegenwart des Wirtschaftsbooms und Vietnamkrieges. Grieshaber, der bereits in den 1930er Jahren die Gotik als stilbildendes Element entdeckte und den Holzschnitt als Medium für eine breite Öffentlichkeit entdeckte, wird nicht nur das existentielle Moment - Kriege führen oder Geld raffen lohnen nicht, vor dem Tod sind alle gleich interessiert haben, sondern ebenso die burleske, groteske Gestalt des Knochenmannes und die vitale Farbigkeit der Vorlage, die „Polarität von Leben und Tod“ Als Modell diente ihm ein Modellskelett „Karlchen“ - aus dem Biologieunterricht. Unterschiedlich kostümiert und in differenzierten Umgangsformen holt der Knochenmann Jedermann seinem Lebenslauf und gesellschaftlicher Stellung entsprechend - zum Hinübertanzen ins Jenseits persönlich ab. In der Blattfolge folgt er genau der Vorlage, setzt die szenische Darstellung jedoch in einen freien, zeitgenössischen Kontext. Mit einer Mitra bekleidet lädt er den knieenden Papst ein, spiegelt den Ritter in seiner Rüstung, holt, Kaiser, König, den geschäftigen Manager, reiche Ehefrauen ab. Der Tod nähert sich behutsam dem Blinden, geleitet ihn anstelle des Blindenhundes hinüber ins Jenseits oder erlöst den hart arbeitenden Bauern. Ironisch wird es, wenn anstelle des wartenden Taxis der grinsende, elegante Sensemann mit Zylinder den Ratsherrn abholt. Die abstrakte Szenerie gerät zur massiven Kritik an Krieg und Holocaust, wenn er einen ausgemergelten, gefesselten Juden mit Judenstern von zwei Skeletten abholen lässt oder einen Krüppel in Soldatenuniform auf einen Schädelhaufen stellt. Einen wesentlichen Unterschied zwischen Mittelalter und Gegenwart stellt der französische Philosoph in seiner Geschichte des Todes fest: Das Mittelalter fand einen Weg, das Unheimliche zu bannen, der „schöne“ Tod kündigte sich an. Der Sterbende fühlte, dass seine Zeit gekommen sei und fügte sich ins Unvermeidliche. Es blieb ihm wie bei der Einladung zum Hinübertanzen - noch Zeit, seine Dinge zu regeln und Abschied zu nehmen. Ein unerwarteter, plötzlicher Tod galt als „hässlich“, oft wurde diesen etwa durch einen Unfall - Verunglückten die Begräbniszeremonie verweigert. Ein weiteres Mittel, dem Unheimlichen Herr zu werden, lag in der Öffentlichkeit des Todes innerhalb der vertrauten Umgebung. Nach 1945 so Ariés - wird der Tod tabuisiert, unheimlich: er wird „medikalisiert“. Auf dieses „anonyme Sterben“, das nicht gesellschaftsfähig ist und in einem Krankenhaus verborgen wird, scheint Grieshaber mit dem Tod, der vor dem Arzt auf dem OP-Tisch liegt, hinzuweisen. Für Grieshaber stellt sich die Frage, ob er sich noch „… in unserem entmythologisierten Atomzeitalter auf uns beziehen …“ lässt? Auf dem letzten Blatt - einer Allegorie der künstlerischen Existenz - trifft der Tod den Maler, als den Grieshaber sich selbst versteht. Während der intensiven, zehrenden Arbeit an der Grafikfolge notierte er im Frühjahr 1966: „es wird immer schwerer, jede Woche einen Tod zu überwinden.“ Museum Folkwang Essen, HAP Grieshaber, Serien und Plakate, 29. 1. - 3.4.2011, der Katalog mit den ausgestellten Werken enthält als Besonderheit die Totentanz-Folge mit den deutschsprachigen mittelalterlichen Texten. Weitere Informationen sowie Abbildungen zur Ausstellung unter: www.museum-folkwang.de Literatur:
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/70/bws1.htm
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