Krankheit und Gesundheit |
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Last Day AngelZur aktuellen Ikonographie des Religiösen VAndreas Mertin The DayIm Mai 2011 erschien der Videoclip zu der aus dem Album Destroyed ausgekoppelten Single The Day von Moby. Der Clip ist 3:21 Minuten lang. Die Regie zum Clip führte Evan Bernard, der schon vorher für Moby einige Clips realisiert hatte.[1] Moby sagt zur Genese des Musikstücks: "'The Day' was written in a hotel room in Spain at dawn when I hadn’t slept. It was a beautiful hotel room, a beautiful perfect hotel room and it was six or seven in the morning. I wrote it on an acoustic guitar and recorded it on my phone, brought it home and re-recorded it with old broken down electronics that I have in my studio".[2] Der Liedtext
Zum Inhalt des Clips:Der Clip eröffnet mit dem Blick in den nächtlichen Flur eines Krankenhauses, in dem zwei junge Menschen stehen. Es ist die üblich sterile Atmosphäre. Danach wechselt die Szene zu einem Raumpfleger, der scheinbar einen Operationssaal reinigt (Scheinbar deshalb, weil ein Operationssaal sicher nicht mit normalen Raumpflege-Utensilien gereinigt wird). Es ist nachts um halb vier. Drittes Bild ist ein auf einer Bahre liegender alter Mann in einem Quarantäne-Raum. An der Wand ein Bild mit einer relativ kitschigen Szene: eine Rundbogen-Maueröffnung, durch die sich ein Garten und eine hell gekleidete Frau mit Tieren erkennen lässt. Neben dem Bild eröffnet sich am rechten Bildrand durch ein Fenster der Blick auf eine Frau, die per Telefon zu dem Mann im Quarantäneraum zu sprechen scheint. Die Kamera fährt dann nah an eine weitere Person heran, die in einem Krankenhausbett liegt, und bei der man nicht sofort entscheiden kann, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt. Es folgen Einblendungen medizinischer Apparate, Kontrollkurven des Herzrhythmus, Schalterleisten für die Veränderung des Bettes, ein Tropf usw. Dann wird zum ersten Mal Moby eingeblendet, der das Lied singt. Es ist zunächst eine Porträtaufnahme, aber als die Kamera zurückfährt, erkennt man, dass Moby sozusagen an der Decke des Krankenhausraumes klebt, denn bei der von der Kamera anschließend vollzogenen Perspektivumkehr blickt er von oben auf die nun als Frau erkennbare Person im Bett. Nicht nur Moby klebt an der Decke, sondern zahlreiche weitere Menschen, in einer Haltung, die einer Spiegelung der Haltung der Frau im Bett entspricht. Klar wird jetzt, dass wir vorher den Blickwinkel der auf dem Krankenhausbett liegenden Frau geteilt haben. Nun tritt eine Krankenschwester (dargestellt von der Schauspielerin Heather Graham) an das Bett und stülpt aus der Perspektive der Patientin gesehen eine Sauerstoffmaske über die Bettlägerige. Deren Augen schließen sich und es eröffnet sich eine veränderte Perspektive auf einige eher als mirakulös zu bezeichnenden Geschehnisse:
Die Kamera fährt zurück (sie zieht sich aus dem Auge der bettlägerigen Frau zurück) und der Betrachter erkennt so, dass sich das alles im Kopf der Frau im Bett abgespielt hat. Sie blickt nun abschließend hoch zur Decke, die sich plötzlich auflöst und in eine weltallähnliche Struktur übergeht. Ende des Clips. IkonographieDer Clip gehört offenkundig zu jenen, die ausgehend von einzelnen Impulsen des Liedtextes weitgehende Ausflüge in der Gestaltung unternehmen. Ähnlich wie bei Metallicas Until it sleeps, bei dem ja auch nur von der Panik und dem Schmerz eines Einzelnen gesungen wird, der Videoclip dann aber weit reichende Exkursionen in die christliche Heilstypologie unternimmt, so wird auch beim Videoclip zu The Day der Liedtext nur als assoziativer Aufhänger genutzt. Konzentriert man sich auf den Liedtext, ergibt sich hier eine atmosphärisch dichte Situation der Beobachtung einer hoffnungslosen Situation eines Menschen, der von Medikamenten abhängig und in den Aktionsmöglichkeiten beschränkt ist. Dazwischen gibt es einige Textanspielungen, die diesen Rahmen sprengen, etwa die Zeile „Slaughtered like Gods“ was man als Inversion des biblischen Textes „Slaughtered like a lamp“[3] begreifen könnte, das sich ja in christlicher Interpretation auf Gott, d.h. Jesus als Agnus Dei bezieht (Abb. von Francisco de Zurbarán, 1635-1640). Auffallend auch die Zeile „When the silver shines so hard“, die aus dem Textduktus heraus fällt. Beide Zeilen bilden zudem eine Art poetisches Alleinstellungsmerkmal des Textes, denn sie führen in der Suchmaschinenabfrage sofort zum Liedtext von Moby (was ausschließt, dass es sich um gängige Zitate handelt). Die sprachlich anzitierten Motive der Verlassenheit, Perspektivlosigkeit und Krankheit finden wir auch im Videoclip, der die Situation ins Krankenhaus verlagert und insofern die medizinische Behandlung dort mit ins Assoziationsspektrum mit aufnimmt. Der Clip erweitert die Perspektive des Liedtextes aber um eine imaginäre Ebene im Kopf des leidenden Subjekts, nämlich der symbolisch ausgeführten endzeitlichen Schlacht zwischen Engeln und Teufeln, wie wir sie bei mittelalterlichen und neuzeitlichen Weltgerichtsdarstellungen finden. Ein Beispiel dafür wäre Stephan Lochners Weltgericht aus dem Jahr 1435, das heute im Wallraf-Richartz-Museum in Köln hängt. Dort kämpfen die Engel mit den Teufeln um jede einzelne Seele wobei es durchaus auch Weltgerichtsdarstellungen gibt, bei denen Engel die bösen Seelen der Hölle zutreiben und als Strafengel tätig sind. Im vorliegenden Falle sind die Rollen in dieser Hinsicht aber klar verteilt. Das auffälligste ikonographische Element des Videoclips ist sicher der Rekurs auf jenen Engel, der der Garten- oder Paradiesdarstellung entspringt und dann angesichts des auftauchenden Teufels zum Schwert greift. Nun ist die Verbindung von Engel und Schwert eine ikonographisch durchaus vertraute Kombination. Sie kann ohne Probleme dem Erzengel Michael zugewiesen werden. Wer der alltagskulturellen Popularität dieses Motivs nachspüren will, kann in der Bildersuche von Google die Worte Angel with Sword eingeben und wird sofort von einer Fülle kitschiger Darstellungen erschlagen, die sich heute vor allem im Bereich der Fantasy-Bilder konzentrieren, aber auch darüber hinaus gehen bis hin zu kleinen Plastik-Skulpturen-Gruppen. Grundsätzlich ist das Motiv aber seit frühmittelalterlichen Zeiten in zahlreichen ikonographischen Variationen verbreitet. Wir sehen in zahlreichen klassischen Darstellungen der Kunstgeschichte wie hier auf einem Detail eines Gemäldes von Bonifacio Veronese aus dem Jahr 1530, das heute in der Basilica die Santi Giovanni e Paolo in Venedig hängt den Erzengel, oft auch mit weiblichen Zügen, über dem Teufel stehen, in der Hand ein zum Schlag erhobenes Schwert. Der schon am Boden liegende Teufel (bzw. gefallene Engel Luzifer mit seinen dunklen und zerfetzten Flügeln) versucht noch verzweifelt, seinem drohenden Schicksal zu entgehen, aber seine Niederlage in der Auseinandersetzung zeichnet sich ab. Der Erzengel Michael steht aber nicht nur für den apokalyptischen Endkampf, sondern tritt in vielen anderen erzählerischen Verbindungen auf, z.B. als Engel, der das Paradies bewacht. Dabei sind es unterschiedliche apokryphe Überlieferungen, die hier zur Geltung kommen, etwa die Moses-Apokalypse oder das Nikodemusevangelium. Exkurs: Die MichaelsgebeteMit der so identifizierten Figur des Erzengels Michael eröffnet sich zugleich eine weitere Lesart des Clips, denn durch Papst Leo XIII., der 1880 während einer Messe eine Dämonen-Vision hatte, wurde das Michaelsgebet Schlussteil jeder Heiligen Messe zumindest bis 1960. Dieses Gebet lautet:
Somit gehört das im Clip verwandte Bild zum grundsätzlichen Bilderhaushalt jedes Katholiken. Mit dem II. Vatikanum wurde das Gebet abgeschafft. Aber die Wikipedia ergänzt folgende Information:
Diese grundsätzliche Funktion hatte das Gebet zum Erzengel Michael auch schon in den Zeiten davor. Von den anderen bekannten Gebeten finde ich in unserem Kontext noch das folgende interessant, das in einem Gebetbuch aus dem Jahr 1866 verzeichnet war, und das noch einmal alle Aspekte, die dann auch im Clip eine Rolle spielen, bündelt:[6]
Ich finde es nicht unplausibel anzunehmen, dass ein Gebet wie dieses als Inspiration, wenn nicht sogar als Vorlage für die visuelle Umsetzung des Videoclips gedient hat. Jedenfalls lassen sich einige ikonographische Details gut unter Bezugnahme auf dieses Gebet erklären. Die Ikonographie im ClipIm Videoclip wird vom Motiv des Erzengels zweifach Gebrauch gemacht. Zum einem in der Verbindung mit dem Paradiesgarten (auf dem Bild an der Wand), zum anderen deutlicher und dramatischer in der finalen Auseinandersetzung mit dem Teufel. Die Verknüpfung mit dem Paradies ist nur vage erkennbar, insofern auf dem an der Wand hängenden Bild die später als Erzengel Michael auftretende Frau in einem paradiesischen Garten zu sehen ist und beim Heraustreten sich der Garten durch Mauern verschlossen wird. In der Sache ist aber der Garten als Ort des Sündenfalls in der Bitte an den Erzengel Michael vorausgesetzt: Erlange mir alle jene Gnaden, die mir zum Heil des Leibes und der Seele nothwendig sind. *** Bedeutsamer ist im Clip aber die apokalyptisch-eschatologische Tönung der Anspielung auf den Erzengel Michael. Dabei sind die Bildsequenzen sorgsam durchkomponiert. Hier macht der Regisseur Evan Bernard in Komposition und Bildaufbau Anleihen bei bekannten Werken der Kunstgeschichte. So lassen sich durchaus Anklänge an das Motiv der Beweinung Christi z.B. in der Darstellung Anthonis van Dycks feststellen. Denkbar wären aber auch ähnliche Inszenierungen von Basaiti, Bassano, Bramantino, Rubens (Version von 1609) und vielleicht noch Turchi. In Frage käme als denkbare ikonographische Inspiration aber auch das Motiv der Auferweckung des Lazarus, das dann freilich in der Sache verändert werden müsste, weil Jesus durch Michael ersetzt werden müsste bzw. entsprechend dem Glauben der Zeugen Jehovas[7] mit ihm identisch wäre. Aber das ist nur eine Spekulation. **** Im Vordergrund des Clips steht die Inszenierung des Motivs des Erzengels, der den Teufel bekämpft und besiegt. Der Teufel materialisiert sich im Clip erst nach dem Erscheinen des Engels, aber in einem anderen Raum der Klinik, nämlich am Bett der Frau, die Moby besingt. Der Teufel hat eine vielgliedrige Gestalt und ist mehr Schemen als real.
FazitMobys Videoclip zum „The Day“ greift offenkundig frei floatierende Bildelemente der katholischen Tradition auf und bindet sie an die letzten Momente im Leben eines Menschen. Der Liedtext verbindet das noch einmal mit der Perspektive der Angehörigen bzw. des Beobachters. „Die Krankheit zum Tode“[8] bekommt so noch einmal ein videodramatisches Gesicht. Ist Mobys Clip ein religiöser Clip? Im engeren Sinne einer kirchlichen Lehre sicher nicht. Für den Betrachtenden steht die Kliniksituation im Vordergrund, die Situation der Verlassenheit und der Bindung ans Leid. Insofern Moby bzw. Evan Bernard dem aber ein traditionelles christliches Deutungsmuster diesmal konsequent ins Subjekt verschoben zu Grunde legt, öffnet er den Blickwinkel, unter dem der Clip und die in ihm dargestellte Situation wahrgenommen werden kann. Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/72/am359.htm
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