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Videoclips XXXIDie ewige Wiederkehr oder eine Echternacher SpringprozessionAndreas Mertin Lana del Rey: Born to dieEs gibt einen popkulturellen Positivismus, der sagt, egal ob ein Lied Kitsch oder Avantgarde ist, Hauptsache es ist erfolgreich. Was immer Kritiker sagen und schreiben, es reicht der Hinweis darauf, dass das aktuelle Album unter den Top Ten ist, um alle Kritik zum Schweigen zu bringen. Das ist aber so, als würde man die totalitäre Bewegung der ungarischen Regierung damit rechtfertigen zu suchen, dass die Mehrheit des Volkes sie gewollt habe. Quantität schlägt nicht automatisch ab einem bestimmten Prozentsatz oder ab einer bestimmten Platzierung in Qualität um. Ein Beispiel, an dem man das gut studieren kann, ist der gegenwärtige Hype um Lana del Rey. Schwer erträglich ist diese Performance, an der aber auch nichts stimmt - außer dem unbedingten Willen zur Regression.
Die Story des Clips ist einfach, ein Roadmovie eines jungen Paares, das sich trifft, mit einem Auto eine Reise unternimmt und schließlich in einen Autounfall verwickelt wird, bei dem die Frau stirbt. Konterkariert ist diese Geschichte von einem Setting in fürstlichen Gemächern und einer Kapelle.
Der Clip hat insgesamt sechs Bildebenen, (1) das Paar vor der Flagge (Prolog/Epilog), (2) die Sängerin in der Kapelle, (3) das Paar beim/im Auto, (4) das Paar in einem der Schlafzimmer von Fontainebleau, (5) die Sängerin in den Räumen von Fontainebleau und schließlich (6) das Paar nach dem Autounfall als invertiertes Vesperbild. Die Bildebenen 1, 3 und 6 verbinden sich mit den anderen Bildebenen über die Bildebene 4, der gemeinsamen Nacht in den Schlafräumen von Fontainebleau. Abgesehen von der etwas schwarz-romantischen Grundstimmung fehlt eigentlich jede weitere Aussage. Es ist alles bloß Staffage. Madonna: Give me all your Luvin'
Und ja, Madonna macht sich im Video zu "Give me all your luvin'" jünger als sie ist, aber sie thematisiert das im Video auch. Wenn Nicki Minaj und M.I.A. im Video erstmalig den Madonna-Schlachtruf intonieren, kommt Madonna mit Kinderwagen durch die Haustür gefahren und kurze Zeit später brechen alle Barrieren, die sich ihr in den Weg stellen weg. Es ist, als ob sie sich über alle lustig machte, die ihr "Kinder, Kabbala und Karriere" unter der Discokugel vorwerfen würden und sich doch nur fragen, wie sie das macht. Und dass Madonna im Videoclip zusammen mit M.I.A. und Nicki Minaj alle amerikanischen Footballspieler zu frauenvergötternden Deppen erklärt und zugleich damit beim Super-Bowl auftritt, das hat schon etwas. Musikalisch ist "Give me all your luvin'" keine Entwicklung, das ist aber vermutlich auch nicht intendiert. Es ist ein Retro-Stück, mit Anspielungen auf das Gesamtwerk von Madonna. Vor allem aber zielt dieses Lied und seine Inszenierung auf das einmalige Ereignis des Auftritts von Madonna beim amerikanischen Super-Bowl. Was ich jedoch interessant finde, ist, dass im Lied sehr bewusst und anspielungsreich die Stile der Mitsängerinnen integriert werden. Sie sind keinesfalls nur Staffage im Rahmen eines Madonna-Auftritts. Und in der sprachlichen wie körperlichen Dynamik gehen die beiden an einigen Stellen klar über Madonna hinaus und zeigen, wie sich der Stil weiterentwickelt hat. Insofern ist Madonna in einem gewissen Sinne zu einer Integrationsfigur der weltweiten Popmusik geworden. Das ist nichts Negatives und schon gar kein Grund zur Häme. 1000 Robota: Er sagt
Robota ist eine junge Hamburger Band, die 2008 ihr erste Album herausbrachte und 2010 den Hamburger Musikpreis HANS für den Hamburger Nachwuchs des Jahres gewann. Das Video zu "Er sagt" wurde 2010 unter der Regie von Timo Schierhorn realisiert, der für seine minimalistischen Musikvideos bekannt ist. Und minimalistisch ist auch dieses Video. Wir sehen die ganze Zeit nur Schnecken über eine weiße Oberfläche kriechen, die mit Worten bedeckt ist. Erst in der Schlussszene wird das Ganze dann als Porträtbüste erkennbar. Das Wortcluster, das man sieht, enthält unter anderem die Worte KALKULATION - SPRACHE - ORDNUNG - FARBE - GEWICHT - GRÖSSE - FLÜSSIGKEIT - NACHAHMUNG - GLAUBE - ZEIT - FROHSINN - INDIVIDUALITÄT - TATSACHE - ORTSINN - ZEITSINN - VERGLEICHUNG - ERWERB - AUSFÜHRUNGSKRAFT - VERHEIMLICHUNG - GESCHLECHTSINN - LEBENSSINN - MUT - EHELEBEN - SORGLICHKEIT - FREUNDSCHAFT - KINDERLIEBE - FREUNDSCHAFT - ERHABENHEIT - HÄUSLICHKEIT - BESTÄNDIGKEIT - KONSTRUKTION - IDEAL - WOHLWOLLEN - VEREHRUNG - MENSCHLICHE NATUR - WILLENSKRAFT - GEWISSEN - TONSINN - NAHRUNG - SCHLUSSVERMÖGEN - BEIFALLSLIEBE - GEWISSENHAFTIGKEIT - SELBSTVERTRAUEN - HOFFNUNG -
Enigmatisch könnte man den Liedtext (wie die visuelle Umsetzung) nennen - und das ist wohl auch so intendiert. Der Kontrast bzw. das Zusammenspiel von Text und Bild ist aber doch sehr erkenntnisproduktiv. St. Vincent: CheerleaderSage einer, es gäbe keine und guten Videoclips mehr. Der Regisseur Hiro Murai erzählt in seinem Video zum Clip Cheerleader von St. Vincent seine Variante des weiblichen Golem. Zu Beginn fährt die Kamera an hochhackigen Schuhen und ausgestreckten Fingern entlang, um sich dann auf das Gesicht einer liegenden Frau zu fokussieren. Als die Kamera zurück fährt, erkennt man, das wir auf eine Art weiblichen Goliath im Land der Liliputaner-Museumsbesucher geblickt haben. Verstört und fasziniert schauen die Besucher und Beobachter auf das überdimensionierte (lebendige) Objekt. In der Situation erfährt der Kunstinteressierte ein Déjà-vu, denn die Installation und das Settiung erinnern unmittelbar an Installationen des australischen Bildhauers Ron Mueck, z.B. an seine Mixed Media Installation "In Bed" aus dem Jahr 2005. Die liegende Frau wird nun von Museumsmitarbeitern aufgerichtet, wobei das Ganze einen unstabilen Eindruck macht. Die Figur löst sich von der Hängevorrichtung, richtet sich langsam auf und begibt sich vom Podest in den Raum hinein. Aber schon beim ersten Kontakt mit der Museumswand bricht ihr der Arm ab und fällt auf den Boden. Die nächste Bewegung lässt die Figur nach vorne kippen und spektakulär in Einzelteile zerbrechen. Am Ende liegt sie fast halbiert auf dem Boden in einer Position, die sie auch schon am Beginn des Clips eingenommen hatte.
St. Vincent, das ist noch nachzutragen, ist der Künstlername von Annie Clark, die mit dieser Singleauskopplung von "Cheerleader" aus ihrem Album "Strange Mercy" sehr beeindruckt. Dabei ist die Inszenierung durch Regisseur Hiro Murai eher zurückhaltend, wir sehen vor allem den Kontrast zwischen dem Schicksal der überdimensionierten weiblichen Figur und dem Staunen und Entsetzen der Zuschauer. Textlich spielt das Lied mit der Begriff des Cheerleaders als Metapher, genauer mit dem Unwillen, künftig weiter als Cheerleader aufzutreten: |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/76/am383.htm
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