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Religion und MedienRezensionenAndreas Mertin Bevor ich mit der Rezension der später noch vorzustellenden beiden Bücher begann, habe ich noch einmal in meiner alten Studienliteratur gekramt, um festzustellen, was dort zum Thema "Religion und Medien" zu finden war. Und ich fand drei Bücher, zwei, die nun etwa 40 Jahre alt sind und eines, das als Aufsatzsammlung eines Autors vor etwa 20 Jahren erschien.
*** Nun aber zu den beiden Büchern über das Thema Religion und Medien, die im Jahr 2011 erschienen sind.
Die Dissertation von Carmen Koch untersucht, wie Medien in der Schweiz das Thema Religion behandeln. Um es vorweg zu sagen: Ich betrachte die Arbeit von Carmen Koch als außerordentlich gewinnbringend. Sie stellt nicht nur das wissenschaftliche Instrumentarium und die bisherige Forschung zum Thema vor, sondern ermöglicht viele erhellende Einsichten in die Nachrichtenproduktion in Sachen Religion. Der Aufbau des Buches: Nach der Einleitung kommt zunächst die Bestimmung dessen, was unter "Religion" gefasst werden soll, dann die Vorstellung verschiedener Theorien zu Medieninhalten und schließlich ein Überblick über den Forschungsstand zum Thema "Religion und Medien". Das fünfte Kapitel formuliert noch einmal die forschungsleitende Fragestellung und die dazugehörigen Hypothesen. Das anschließende Kapitel 6 beschreibt das methodische Vorgehen. Das siebte Kapitel bildet den Kern der Darstellung und stellt die Ergebnisse der Forschung vor, während das achte Kapitel als Schlussbetrachtung die Ergebnisse noch einmal zusammenfasst. Die Forschungsergebnisse sind nicht nur in konfessioneller Perspektive interessant, sondern geben auch Einblick in das Zustandekommen von Nachrichten und Berichten über Religion. Dass der Anteil der Berichterstattung über den Islam zwischen 1998 und 2008 dramatisch steigt, hätte man vermutlich auch so vermutet. Dass aber in einem Land, in dem der Katholizismus etwa 42% und die reformierte Kirche etwa 33% Bevölkerungsanteil hat, der prozentuale Anteil des Vorkommens des Christentums unter den Religionen in den Medien etwa 44% ist schon bemerkenswert. Und dass dann konfessionsspezifisch der Katholizismus mit 23% und der Protestantismus mit 7% vorkommt, ist sehr aufschlussreich. "Nicht vergessen werden darf allerdings, dass es sich beim Christentum in den Medien vor allem um den Katholizismus, allenfalls noch um das Christentum allgemein (ohne dass eine Konfession genannt wird) handelt. Der Protestantismus erhält im Vergleich dazu nur wenig Raum, obwohl ihm immerhin ein Drittel der Schweizer Bevölkerung angehört. Dies relativiert zwar nicht gerade das Argument, dass die Mehrheitsreligion eine wichtige Einflussgrösse ist. Es zeigt aber, dass sie nicht alleine ausschlaggebend dafür sein kann, ob es eine Religionsgemeinschaft in die Medien schafft oder nicht." (179) Zu den Ursachen dieser Ungleichgewichtung schreibt Koch: "Durch die hierarchische Struktur beim Katholizismus sind deren hohe Vertreter oft stark sichtbar und gelten als prominente, einflussreiche Persönlichkeiten. Damit sind sie für die Medien interessant. So ist der Papst ein sehr häufig in den Medien präsenter Akteur ... und auch Bischöfe geniessen einen gewissen Prominentenstatus. Die Protestanten können keine entsprechend prominenten Persönlichkeiten aufweisen, was ihre Chancen minimiert in den Medien Beachtung zu erhalten. Ein weiterer Grund für das häufigere Vorkommen der katholischen Kirche könnte ihre polarisierende Art sein." (180) Bei den Themen dominiert natürlich die Religion im engeren Sinne, gefolgt von der Politrik und (infolge des Skandals des Kindesmissbrauchs) die Kriminalität. Nicht unerwartet spielt auch bei der Kunst und Kultur die christliche Religion eine gewisse Rolle. Überraschend fand ich den geringen Anteil bei Fragen der Moral (4%). Wenn ich es recht sehe, ist im Kontext der Berichterstattung über Kunst und Kultur der Anteil der Thematisierung des Christentums zwischen 1998 und 2008 von 12% auf 6,6% zurückgegangen (203f.). Das "Religiöse" als solches spielt in den Medienbeiträgen eine überraschend geringe Rolle: "Obwohl Beiträge untersucht wurden, in welchen Religion oder religiöse Hauptakteure eine zentrale Rolle spielen, geht es nur selten wirklich um Religion" (218). Das war, so schreibt Koch, zu erwarten, denn schon in anderen Studien "liessen die Journalisten verlauten, dass der Glaube selber, die individuelle, spirituelle Dimension nicht relevant für die Medien sei" (219). Statt dessen tritt Religion da in den Blick, wo es um Konflikte und Macht geht. Das aber hat Folgen für die Religionswahrnehmung: "Wird Religion nur noch mit seiner institutionalisierten und politisierten Seite in die Medien gebracht, verlieren die Menschen, die selber nicht aktiv eine Religion ausüben, die Konnotation zu der spirituellen, rituellen, sinnstiftenden Funktion von Religion bzw. entsprechender Religionsgemeinschaften. Religion wird nur noch einseitig kommuniziert" (220f.). Was die religiösen Akteure betrifft, so bestätigen sich auch hier die Hypothesen. Herausragend ist der Papst im Blick auf das Christentum und der Dalai Lama für den Buddhismus. Darüber hinaus gilt: "Bei Katholiken und Protestanten sind die Akteure mehrheitlich Geistliche, wenn nur das Christentum allgemein vorkommt, ohne die Konfession zu spezifizieren, dann sind es vor allem Mitglieder / Anhänger / Gläubige" (287). Ich lasse die Kapitel über Framebildung, Nachrichtenfaktoren und narrative Muster in der Religionsberichterstattung an dieser Stelle aus, da sie fachspezifisch sind und nur mit entsprechendem Hintergrundwissen rezipiert werden können. Sie sind aber natürlich dem interessierten Leser zur Lektüre empfohlen, weil sie tragend für die weiteren Schlussfolgerungen sind. In der Zusammenfassung wird noch einmal deutlich, wie vor allem im Blick auf den Islam die Berichterstattung in den Medien von Stereotypen geprägt ist. Vor allem aber ist die Konnotation eine negative. "So ist alles in allem ein eher düsteres, negativ besetztes Bild des Islams in den Schweizer Medien vorhanden" (319). Das Fazit der Verfasserin über die Religionsberichterstattung in den Medien der Schweiz ist vor allem im Blick auf die Darstellung der religiösen Gehalte äußerst kritisch: "Gründe für die Nicht-Thematisierung von Religion, Religiosität können ... auf die Prozesse der Privatisierung, Individualisierung und Dualisierung zurückgeführt werden. Religion wird von den Journalisten als heikles Thema betrachtet, weil man dabei in die Privatsphäre der Menschen eindringt und persönliche Gefühle und Werte verletzten kann. Sie steht nicht so zur öffentlichen Debatte wie etwa Politik. Religion ist Glaubenssache. Religionsgemeinschaften schaffen es also vor allem mit Konflikten und negativ konnotierten Ereignissen in die Medien. Die positiven Seiten fehlen. Sind die guten, friedlichen, unpolitischen Seiten von Religion einfach für Medien nicht interessant, nicht »newsworthy« genug? Würde dies zutreffen, dann hätten Religionsgemeinschaften kaum eine Chance, mit positiven, religiösen Themen in die Medien zu kommen" (322). Ich finde die Arbeit von Carmen Koch, wie bereits einleitend erwähnt, außerordentlich gewinnbringend. Ihre Studie bringt mehrere Dilemmata auf den Punkt: der Konflikt zwischen Medieninteresse einerseits und der Privatisierung von Religion andererseits. Aber auch der Umstand, dass manche Journalisten meinen, um ihrer Neutralität willen bräuchten sie nicht allzu viele Vorkenntnisse in Sachen Religion, wenn sie darüber berichten (sozusagen eine produktive Naivität) ist interessant. Wie die Autorin zu Recht anmerkt, würde man sich das im Bereich etwa der Kunst- oder Musikberichterstattung, aber selbstverständlich auch im Bereich der Wirtschaftsberichterstattung nicht erlauben. Wissenschaftlich setzt die Studie sicher die Standards, an denen künftige Arbeiten dann anknüpfen müssen. In den Kontext des selben Schweizerischen Forschungsprogramms gehört noch eine andere Publikation, die es noch kurz vorzustellen gilt: Jecker, Constanze (2011): Religionen im Fernsehen. Analysen und Perspektiven. Konstanz: UVK-Verl.-Ges (Kommunikationswissenschaft).
Der Reiz dieses Buches liegt vor allem in der Konstellation von Präsentation einer Forschungsstudie mit sich anschließender Reaktion derer, um die es geht, sei es, dass sie die Sendungen produzieren, sei es, dass sie Repräsentanten der Religionen sind. Das lässt hoffen, dass die vorgestellte Studie nicht folgenlos bleibt. FazitVergleicht man die eingangs erwähnten Studien aus den 70er Jahren mit denen aus dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, dann kann man gut den Fortschritt in der wissenschaftlichen Erschließung und Analyse beobachten. Dominierte früher vor allem eine durch das Subjekt des Forschenden geprägte texthermeneutische Erschließung (mit einigen kommunikationswissenschaftlichen Einsprengseln), so ist heute wirklich eine empirische Kehre eingetreten. Das macht zwar den unmittelbaren Nachvollzug der Erkenntnisse etwas schwieriger, weil viele fachliche Voraussetzungen nachvollzogen werden müssen, aber es gestattet auch, ausgehend von solide erhobenem Material Schlussfolgerungen zu ziehen. Die schlechteste Schlussfolgerung wäre freilich die, wenn kirchliche oder religiöse Medienstrategen nun die Studie zur Vorlage nehmen, um entsprechende medienkonforme Gegenstrategien zu entwickeln. Tendenzen zu solchen Überlegungen lassen sich - zumindest in Deutschland - leicht beobachten. So entwickelt der Protestantismus eine klare Strategie, die auf Personalisierung, Eventisierung und Konfliktorientierung gegenüber dem Islam hinausläuft. Diese Konsequenz wäre aber fatal. Statt dessen wäre zu fragen, wie die Inhalte von Religion stärker mediale Relevanz erhalten könnten. Hier scheint mir eine intensivierte Auseinandersetzung mit dem, was Carmen Koch zu den narrativen Mustern dargestellt hat, notwendig zu sein. Anmerkungen[1] Dörger, Hans Joachim (1973): Religion als Thema in Spiegel, Zeit und Stern. Hamburg: Furche-Verlag. [2] Albrecht, Horst (1974): Kirche im Fernsehen. Massenkommunikationsforschung am Beispiel der Sendereihe "Das Wort zum Sonntag". Hamburg: Furche-Verl. (Konkretionen). [3] Albrecht, Horst (1993): Die Religion der Massenmedien. Stuttgart: Kohlhammer. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/76/am388.htm
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