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Was die Sphinx erzähltNotizen zur dOCUMENTA(13)Andreas Mertin
Die aktuelle Documenta dagegen ist ruhig, zu ruhig nach meinem Gefühl, wenn es denn Aufgabe der Kunst ist, Chaos in die Ordnung zu bringen und die Gedanken zu verstören, damit sie sich neu ordnen können. Es ist dabei beileibe nicht so, dass diese Documenta gefällig oder anbiedernd wäre. Ganz im Gegenteil, sie ist erfrischend politisch, historisch vergegenwärtigend, globale Konflikte und Themen bearbeitend. Man könnte aber auch sagen: sie ist langweilig korrekt. Ja, sie ist ökologisch, feministisch, esoterisch, kosmopolitisch, vor allem aber: engagiert. So wie ein ganz normaler Deutscher Evangelischer Kirchentag aus den letzten 20 Jahren. Aber von Kunst erwarte ich mir mehr (oder zumindest etwas ganz Anderes) als von einem Kirchentag oder einem Parteitag der Grünen. Ich erwarte man möge mir das Pathos verzeihen eigentlich etwas Ungesehenes, Unerwartetes, meinen Denk- und Wahrnehmungskonventionen Zuwiderlaufendes. In dieser Hinsicht bin ich doch enttäuscht. Sicher, das provozierend vorgetragene Statement der documenta-Leiterin über die Wahlfähigkeit von Erdbeeren und die Kreativität von Tomaten und Hunden mag auf den ersten Blick überraschen. Aber eigentlich war derartiges schon vor 200 Jahren in den Salons der Frühromantiker ein Thema: Wer Schmetterlinge lachen hört, der weiß wie Wolken schmecken ... Und tatsächlich kann und sollte uns die Kunst auf eine Welt aufmerksam machen, die nicht mehr der anthropozentrischen Perspektive unterworfen wäre. Aber damit ist man, wie wir alle wissen, der Anthropozentrik ja noch nicht entkommen. Der gescheiterte Versuch der documenta, auch Hunden Zutritt zum Fridericianum, zur Neuen Galerie oder zur documenta-Halle zu gewähren (gegen Eintrittsgeld natürlich), zeigt doch deutlich, wie begrenzt die Reichweite derartiger Spielereien ist. Sie reicht exakt bis zur Entleerung der Blase des Schoßhündchens, die dann doch die plötzlich wieder substanziell und nicht mehr prozessual aufgefasste Kunst beschädigen könnte. Nein, wir machen nicht-anthropozentrische Kunst nicht für Schmetterlinge, Erdbeeren, Tomaten oder Hunde, sondern allein für uns Menschen. Und auch hier nicht einmal für alle, sondern nur für jene, die der Idee der Konzeptkunst folgen können und wollen. Vermutlich hat Christoph Menke mit seiner Stellungnahme in der ZEIT Recht, dass es bei einer heutigen Documenta nicht mehr darum gehen kann, neueste Kunst zu präsentieren: „Der emphatische Gegenwartsbezug einer jeden Documenta liegt nicht darin, dass sie aktuelle Kunst zeigt oder ein dringliches Thema inszeniert. Eine Documenta ist nicht gegenwärtig durch ihre Objekte und ihre Themen, sondern weil sie die Frage nach dem gegenwärtigen Begriff der Kunst stellt. Deshalb verwandelt jede Documenta die Frage nach der derzeitigen Lage der Kunst in die Frage nach der Kunst in unserer derzeitigen Lage.“[1] In dieser Pauschalität würde ich das zwar nicht so vertreten. Die 7000 Eichen von Beuys, der Erdkilometer von Walter de Maria, der Man walking to the sky von Jonathan Borofsky und andere Kunstwerke mehr, waren durchaus objekthafte und thematische Artikulationen, die nicht nur nach der Kunst in unserer derzeitigen Lage fragten. Aber wenn man Menkes Beschreibung dennoch einmal aufgreift, was sind die Antworten der documenta13 auf die Frage nach der „Kunst in unserer derzeitigen Lage“? Dass sich die Kunst zur Ausstellungskunst verwandelt hat, dass sie nur wieder-holt, was auf verschiedene Weisen immer schon von der Kunst der Moderne reflektiert wurde? So dass es also gleich gültig schien, ob ein Werk aus dem Jahr 2012 oder 1942 stammt? Und dass sich damit die Idee der Documenta auflöst? Zum ersten Mal hatte man bei dieser dOCUMENTA(13) das Gefühl, ‚nur’ auf einer Ausstellung und nicht auf einer Documenta zu sein. Unbestritten hat diese Documenta ihre Highlights, aber Kunstkonstellationen, für die man nun explizit den Weg nach Kassel unternehmen würde, um sie zu betrachten und zu erschließen, weil sie über die Kunst in unserer Lage Auskunft geben würden, waren rar gesät. Sicher: William Kentridge, der Meister der Gegenwartskunst hat uns mit einer furiosen Arbeit beschenkt, die ich gleich mehrmals angeschaut habe.[2] Aber: das habe ich von ihm auch erwartet. Ich hatte es erwartet, weil ich seine Arbeiten auf den vorherigen documenta-Ausstellungen 1997 und 2002 und auf der Biennale 2005 gesehen hatte, sein Werk seit längerem aufmerksam verfolge und überall, wo ich Arbeiten von ihm sehen kann, sie mir auch konzentriert anschaue. Und in dieser Hinsicht hat Kentridge die Besucher nicht enttäuscht. Sein Werk zeigt, wie in einem spezifischen Kontext Kunst in unserer Lage aussehen kann. Aber es ist keine spezifische Leistung dieser Documenta, uns Kentridge eindringlich vor Augen geführt zu haben. Auch Guiseppe Penones Arbeiten auf dieser documenta (im Fridericianum wie in der Karlsaue) vermögen in ihrer Schlichtheit und Ausdruckskraft zu überzeugen. Penone war allerdings auch schon 1972, 1982 und 1987 Teilnehmer der documenta und die Position der Arte Povera ist insofern keine Überraschung. Dass die Reduktion auf das Wesentliche, auf Materialien der Natur und ihnen scheinbar ähnliche künstliche Elemente erkenntnisproduktiv sein kann, ist ein common sense der Kunst seit mindestens 40 Jahren. Sicher gab es auch Arbeiten von Künstlern, die ich bisher nicht kannte und die mich beeindruckt haben. Nicht nur als Theologe bin ich natürlich vom grandiosen Coup der Arbeit von Ryan Gander schwer beeindruckt. Diese Geste des souveränen Umgangs mit den zentralen Räumen des Fridericianums, die Carolyn Christov-Barkagiev ermöglicht hat, ist fantastisch. Die Verstörung im wahrsten Sinn des Wortes, die der Entzug der Luft und der dadurch bewirkte Wind auslöst, ist elementar und man braucht etwas Zeit, um sie wirklich zu begreifen. Auch die raumfüllende Video-Installation von Nalini Malani „In search of vanished blood“ in der documenta-Halle gehört sicher zu den Arbeiten, die man dauerhaft im Gedächtnis behalten wird, sie erreicht eine Intensität, die vielleicht nur der Video-Installation von Amar Kanwar auf der documenta 12 vergleichbar ist. Malanis auch literarisch ambitionierte Auseinandersetzung mit dem Fluch der Sehergabe und menschlicher Kommunikation ist großartig.
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/78/am398.htm
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