Paradigmen theologischen Denkens II


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Spiegelungen

Besprechungen ausgewählter Videoclips XXXVIII

Andreas Mertin

Small Feet – Rivers (2013)

Die schwedischen Musiker Simon Stålhamrhe, Jacob Snavely und Christopher Cantillo alias Small Feet hab mit diesem Video unter der Regie von Oskar Wrango eine interessante Bildmetapher vorgelegt. Am Anfang blickt die Kamera in abendlicher Dunkelheit steil von oben in einen See, in dem sich etwas nebel- oder wolkenartig Graues bewegt. Wenn sich die Kamera dann zurückzieht merkt man, dass der ganze Film rückwärts abläuft, denn die Wellen im Wasser bilden sich zurück bis sich schließlich der Eintrittspunkt eines Objektes wahrnehmen lässt.

In der Spiegelung des Sees erkennen wir, dass ein in Flammen getauchter Mensch sich vom felsigen Ufer in dem See gestürzt hat. Wer nun eine rasche Aufklärung darüber erwartet hatte, warum dieser Mensch in Flammen steht und warum er gerade an diesem Ort auf der Welt ist, wird enttäuscht. Stattdessen verfolgt die Kamera im Rückblick den Lauf des Menschen durch den Wald. Dabei wechselt sie mehrfach die Perspektive: mal beobachtet sie das Geschehen von der Seite, mal „verfolgt“ sie die brennende Figur. Es ist aber keine Verfolgungsjagd, die Figur dreht sich nicht um, es ist ein fast sportlicher Eindruck. Nach etwa 2 Minuten erreicht die Figur offenkundig ihren Ausgangspunkt, einen anderen See. An dessen Ufer endet / beginnt die Story. Die Figur – wir können sie jetzt als Mann erkennen – könnte aus dem Wasser gekommen und dabei von etwas Unbenennbaren, was wir gerade noch davonfliegen sehen, entzündet worden zu sein. In diesem Moment, in dem wir Aufklärung über das Geschehen zu bekommen scheinen, bricht das Bild ab.


Pete Van Leeuwen - Elk Grass (2013)

Vergleichen würde ich den hier vorgestellten Videoclip von Pete van Leeuwen mit dem in Ausgabe 10 vorgestellten Clip „Right here, right now“ von Fatboy Slim. Nur dass „Right here, right now“ eine klar rekonstruierbare Bild-Botschaft zur Evolution und zur Stellung des Menschen darin hat, während im Clip zu „Elk Grass“ alles in einer poetischen, geradezu pantheistischen Schwebe bleibt. Mit den Worten „Long gone are my old cowboy dreams ...” eröffnet Pete van Leeuwen seinen Song und wir sehen zunächst einen kosmischen Sternenhimmel, dann einen gelbe-glühenden Stern mit roter Korona, der sich dann als Augapfel eines Wesens entpuppt, das mit den Wimpern zuckt. Im nächsten Moment ist der Sternenkern das Zentrum eines Spinnennetzes, wieder einen Lidschlag später, ein See in einem grünen Grasfeld mit Fischen im Teich und Rebhühnern im Gras. Dann figuriert sich die Szene im Zurückfahren der Kamera zu so etwas wie einem Alligatorkopf, bevor es schließlich zu einem Elchkopf wird. Metamorphosen wohin man nur schaut. Der Elchkopf ist aber auch nur eine Tiermetapher im kosmischen Geschehen, so wie wir Sterne zu Tierkreiszeichen verbinden. Ein Clip, der deutungsbedürftig und deutungsfähig ist.


David Lynch – I’m waiting here (2013)

Als ich diesen Videoclip das erste Mal gesehen habe, habe ich mich zurückgesehnt nach dem Clip zu “My Favorite Game” von den Cardigans. Da war wenigstens auf der Straße noch etwas los. Man könnte sich aber auch kaum unterschiedlichere Roadmovies vorstellen. Lynchs Roadmovie beginnt am Straßenrand, offenkundig bei laufendem Motor im Auto sitzend. Dann geht’s los und für gefühlte zwei Stunden singt Lykke Li „I’m waiting here“. Soll sie doch. Manchmal, wenn man nachts nicht schlafen kann und den Fernseher einschaltet, läuft auf irgendeinem der dritten Programme „Die schönsten Bahnstrecken Deutschlands“. Das gehört zu den sogenannten Füllprogrammen und hat denselben einschläfernden Effekt wie dieses Video von Lynch. Wenn am Ende des Clips die Dämmerung kommt, es Nacht wird und der Wagen schließlich hält, hat man das Gefühl, man sei tatsächlich 12 Stunden unterwegs gewesen – dabei waren es doch nur knappe 6 Minuten. Also: Umdrehen und weiter schlafen. Oder einen der alten guten David-Lynch-Filme rauskramen (Blue Velvet / Wild at heart) und ganz wach werden.


Justin Timberlake - Mirrors (2013)

Einst sahen wir uns von Angesicht zu Angesicht, nun aber nur noch in den Spiegelungen unser Erinnerungen – könnte man bei diesem faszinierenden Video Justin Timberlake sagen. Eigentlich ist es eine Art bewegtes Simultanbild, so wie wir es aus der christlichen Kunstgeschichte kennen. Es erzählt eine Beziehungsgeschichte – vom Kennenlernen über die feste Bindung bis ins hohe Alter bzw. zum Tod des Partners. Aber es erzählt diese Geschichte nicht sukzessive, sondern gleichzeitig, auch wenn sich wie bei einem frühneuzeitlichen Simultanbild der Erzählpunkt direkt bestimmen lässt: der Tod des Partners und der Abschied vom Partner nach einem gemeinsam verbrachten Leben. Aber es ist kein Abschied im Sinne des „Bis dass der Tod uns scheidet“, sondern die Beziehung geht über den Tod hinaus: If you ever feel alone / And the glare makes me hard to find / Just know that I´m always parallell on the other side

Schon der Eröffnungsbildschirm zeigt uns nicht nur die weibliche Protagonistin im Vordergrund, sondern sie selbst als alte Frau im Spiegel im linken Bildhintergrund und ihren Freund – der eigentlich hinter ihr im Bett liegt – in einem anderen Spiegel. Die übernächste Szene die alte Frau beim Packen von Kleidern, während ihr Mann hinter ihr zu stehen scheint, zugleich aber in zwei Spiegeln hinter ihr durch den Raum geht und sie selbst in einem weiteren Spiegel sich umwendet. Äußerst verwirrend dieses Amalgam von Ereignissen, Erinnerungen und Spiegelungen. Dann erfolgt die Rückblende auf das Kennenlernen der beiden, im Club, beim Billardspiel. Ein harter Schnitt und wir befinden uns wieder zurück in der Anfangsszene, geschätzte 70 Jahre später. Und das setzt sich fort. In der Erinnerung sind die Zeitgrenzen aufgehoben, die Fotos, die das junge Paar mit dem Fotoautomaten herstellen lässt, zeigen das alte Paar usw. usf. Deutlich wird, dass die alte Frau noch einmal das gesamte Leben der beiden reflektiert.

Nach 5 Minuten und 43 Sekunden kommt es dann zum Cut, die alte Frau lässt ihren Ring fallen, der von Justin Timberlake in einem Spiegelkabinett aufgefangen wird. Und Timberlake wendet nun die gerade gesehene Geschichte zu einer Metapher, die er seiner Partnerin vorträgt: Gestern ist Geschichte / Morgen ist ein Geheimnis / Ich kann sehen wie du mich ansiehst / Behalte deine Augen auf mich gerichtet / Schatz, halte deine Augen auf mich gerichtet / Du bist die Liebe meines Lebens / Schatz, du bist die Inspiration für diesen kostbaren Song /
Und ich will dein Gesicht hell erleuchtet sehen bis du mich anziehst / Also sage ich jetzt auf Wiedersehen zu meinem alten Ich, es ist bereits gegangen / Ich kann es nicht erwarten erwarten erwarten erwarten erwarten dich nach Hause zu bringen / Nur um dich wissen zu lassen du bist / Mädchen du bist mein Spiegelbild, alles was ich sehe bist du

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/84/am449.htm
© Andreas Mertin, 2013