Fragen zur Bibel

Eine Rezension

Andreas Mertin

Die Differenz zwischen dem, was wir wissenschaftlich über die Bibel wissen, und dem, was die Menschen von der Bibel wissen oder zu wissen glauben, ist seit der Zeit der Aufklärung immer größer geworden. Und auch das fröhlich-ostentative Nichtwissen um religiöse Zusammenhänge nimmt zu. Kürzlich las ich einen Diskussionsbeitrag bei SPIEGEL ONLINE, in dem sich einer über das „frühe alttestamentarische Christentum (Moses etc.)“ beschwerte. Aber selbst gebildetere Stellungnahmen wissen oftmals nicht zwischen den historischen Fakten und ihrer biblischen Perspektivierung zu unterscheiden. Das führt aber langfristig dazu, dass die Menschen sich von der Bibel abwenden, weil sie diese an Maßstäben messen, die ihr nicht adäquat sind und deshalb zu negativen Urteilen kommen.

Dabei lässt sich gut zeigen, dass gerade die Berücksichtigung der bibelwissenschaftlichen Erkenntnisse die Beschäftigung mit der Bibel so spannend und interessant, aber auch so lehrreich macht, wie man es kaum vermutet. Genau das versucht Bernhard Lang zu zeigen, der in einem kleinen Bändchen der Beck’schen Reihe Aufklärung über die Bibel anhand von 101 Fragen verspricht:

Lang, Bernhard (2013): Die Bibel. Die 101 wichtigsten Fragen. München: Beck (Beck'sche Reihe, 7039).

Das Buch, so schreibt Lang, „will Bibelwissen in kompakter und gut lesbarer Form vermitteln“ (13). Und genau das tut es auch. Verwandt in der Art mit dem Heidelberger Katechismus, nur eben dem 21. Jahrhundert entspringend, legt Lang dar, was nach Vernunft und wissenschaftlicher Bildung von der Bibel zu sagen ist. Und das macht er so überzeugend, dass man dieses kleine Bändchen jedem Katecheten, aber auch jedem anderen religiös Interessierten nur empfehlen kann. Lang geht all den Fragen nach, die im Laufe einer Biographie gegenüber der Bibel entstehen und es macht die Stärke des Buches aus, dass seine Antworten gerade n den kritischen Positionen keine Ausflüchte sind. Es gibt eine verbreitete Klage darüber, dass in den Gottesdiensten nicht das gepredigt würde, was seit über 100 Jahren Erkenntnisstand der Bibelwissenschaft ist. Und daran ist etwas Wahres. Meist ist es die Furcht, als zeitgeistorientiert, nicht wirklich gläubig usw. bezeichnet zu werden, die religiöse Vermittler davon abhält, dass zu predigen, was sie wissen. Lang zeigt nun, wie man durchaus heutige exegetische Erkenntnisse mit christlicher Verkündigung verbinden kann.

Das Buch gliedert sich neben den 101 Fragen in zehn plus einen Abschnitt und setzt sich unter anderem mit „Männern wie Mose“ – „Frauen wie Eva“ – „Bücher das Alten Testaments“ – „Bücher des Neuen Testaments“ – „Wie soll ich leben? – „Was kann ich glauben?“ – „Gelöste und ungelöste Rätsel“ und natürlich „Die letzte Frage“ auseinander. Und das macht es ohne konfessionelle Grenzziehungen, mit Sinn für die zentralen Aspekte und einer eingängigen Sprache.

Ganz voraussetzungslos, wie es im Vorwort heißt, ist die Lektüre nicht. Denn eigentlich werden mit den Fragen die Zweifel aufgegriffen, die bei der Lektüre der Bibel oder auch im Gottesdienst oder Religionsunterricht entstehen können. In einem gewissen Sinne ist daher Langs Fibel ein apologetisches Werk: es zeigt den bildungswilligen unter den Zweiflern an der christlichen Religion, dass man als aufgeklärter Mensch des 21. Jahrhunderts mit erklecklichem Gewinn die Bibel studieren kann (und sollte!).

Im Grunde wünsche ich mir eine Fortschreibung des Buches, denn die Bibel ist zu umfassend, um sie mit 101 Fragen bewältigen zu können. Für die biblische Figur des Simson hätte ich mir noch etwas mehr Raum gewünscht, ebenso für die Frage des Leibes als Tempel Christi. Die außerkanonische urchristliche Literatur, die doch in den letzten Jahren verstärkt in den Blick geraten ist und die gerade im Blick auf die christliche Kunstgeschichte wirksam wurden, wäre auch ein interessantes Thema. Und weil ich es gerade heute wieder in der Zeitung lese: die Hölle scheint die Menschen auch noch zu interessieren. Also: Fortsetzung erwünscht!

Das Einzige, was mich an diesem Buch wirklich stört, für das aber sein Verfasser nichts kann, ist der Superlativ im Reihentitel. Es scheint eine unvermeidbare Marotte der Gegenwart zu sein, alles als „wichtigste“ oder „wirklich wichtige“ Frage zu etikettieren. Es ist wie auf dem Wochenmarkt, auf dem die Kaufleute durch laute Rufe und weniger durch Beschreibung und Präsentation ihrer Waren die Kunden zu überzeugen suchen. In einer Buchhandlung wäre ich vielleicht allein schon deshalb an dem Band vorbeigegangen – und das wäre schade gewesen.

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/85/am456.htm
© Andreas Mertin, 2013