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Beuys Eine BiographieEine kritische AuseinandersetzungMarco A. Sorace Hans Peter Riegel, Beuys. Die Biographie. Berlin: Aufbau Verlag 2013, 595 Seiten, gebunden, € 28,00, ISBN 978-3-351-02764-3. Mit großer Aufmerksamkeit seitens der Presse erschien im Frühjahr 2013 eine neue Beuys-Biographie von Hans Peter Riegel. Das schon äußerlich sehr umfangreiche Werk beansprucht einen neuen Standard der biographischen Annäherung an Joseph Beuys zu setzen, indem es die angebliche Selbstmystifikation seiner Persönlichkeit aufklären möchte. Dabei soll nicht nur bezüglich der politischen Positionierung des Künstlers Erstaunliches zu Tage gefördert, sondern auch das Bild von Beuys als „Homo religiosus“[1] in Frage gestellt werden. Allein von daher lohnt sich eine Besprechung des Buchs in dieser Zeitschrift. Tatsächlich war die Beuys-Biographie innerhalb der diesbezüglichen Forschung ein sehr problematisches Feld. Auf anfängliche Arbeiten, die sehr streng genommen eher hagiographische Züge hatten[2], folgten solche mit auffällig überzogener Polemik.[3] Vor diesem Hintergrund war eine sauber recherchierte, methodisch abgeklärte und insofern wissenschaftlich nüchterne Untersuchung von Beuys' Lebenslauf sicher ein Desiderat. Inwieweit Riegels Arbeit dies einlöst, soll im Folgenden beantwortet werden. Die Gliederung der Arbeit folgt ohne Vorwort und Einleitung einer in Bezug auf Beuys' Biographie schlüssigen Ordnung: Ein erster Teil behandelt seine Kindheit und Jugend sowie die Kriegsjahre bis 1945 (S. 9-81). Ein zweiter Teil befasst sich mit dem Kunststudium und den Krisen-Jahren bis zu Beuys' Etablierung als Kunstprofessor und Avantgarde-Künstler im Kreis der Fluxus-Bewegung (S. 83-200). Der dritte Teil knüpft an mit der für Beuys prägenden Zeit seiner Aktionskunst und Lehre bis zum sogenannten „Akademiestreit“ 1972 (S. 201-385). Schließlich beleuchtet ein vierter Teil den letzten großen Lebensabschnitt, seine internationalen Auftritte und sein Eintreten für die politische Dimension seines „erweiterten Kunstbegriffs“ bis zu seinem Tod am 23. Januar 1986 (S. 387-514). Gleich im ersten Teil offenbaren sich gleichermaßen Stärken und Schwächen des vorliegenden Werkes sehr deutlich. Unter der Überschrift „Wunde“ geht Riegel das Thema der Umstände von Joseph Beuys' Geburt am 12. Mai 1921 an (S. 9-13). Über ein akribisches Studium des zugänglichen Archivmaterials gelingt es dem Autor, die in den unterschiedlichen Lebensbeschreibungen etwas verwirrenden Angaben bezüglich seiner Geburt in Krefeld und der Übersiedlung der Familie wenige Monate später nach Kleve zu klären. Die Kapitelüberschrift bezieht sich indessen auf ein vom Künstler angefertigtes Typoskript aus dem Jahr 1964, das den Titel „Lebenslauf/Werklauf“ trägt, und in dem der Künstler assoziativ Ereignisse seines Lebens als „Ausstellungen“ also als Bestandteile seines künstlerischen Werkes deklariert. Es ist geradezu auch für das weitere Vorgehen Riegels symptomatisch, dass er Beuys den darin enthaltenen, geburtsurkundlich (in Bezug auf den Geburtsort) nicht zutreffenden Eintrag „1921 Kleve Ausstellung einer mit Heftpflastern zusammengezogenen Wunde“ als Wahrheitsverfälschung anlastet, ohne zu berücksichtigen, dass dieses Papier integraler Bestandteil eines Artefakts war. Wer einen nicht-positivistischen Umgang mit Erinnerungsdaten immer gleich als Verdunklung auffasst, kann Beuys auch an anderen Stellen (wie sicher auch bezüglich der vielfach missverstandenen Tartaren-Kriegs-Erzählung) nur missverstehen. Positiv zu erwähnen ist hingegen insbesondere im ersten Teil, wie Riegel die politisch-gesellschaftlichen Kontexte in der Zeit zwischen den Kriegen (insbesondere für den Raum Kleve) rekonstruiert. Es ist diesbezüglich legitim und ebenso aufschlussreich, wenn er dann und wann Spannungen bezüglich einer verharmlosenden Beuysschen Wahrnehmung dieser Zeit aufzeigt. Dennoch äußert sich hier bereits immer wieder auch eine sehr tendenziöse Sicht des Autors, wenn er zum Beispiel in Gegensatz zu Beuys' später oft bekundetem frühen „naturwissenschaftlichen“ Interesse meint, ihm schlechte Schulerfolge in den Fächern der Naturwissenschaften nachweisen zu müssen (S. 27). Wer Beuys' Äußerungen zu diesem Thema insgesamt anschaut, erkennt hingegen sofort, dass er verglichen mit den Inhalten eines Physik- oder Biologieunterrichts der 1930er Jahre in einem ganz anderen Sinne von einer Wissenschaft der Natur spricht.[4] Im zweiten Teil des Buches verschärft der Autor seine Kritik an Beuys. Diese bezieht sich vor allem auf die Darstellung einer durch angebliche Totalhinwendung zur Steinerschen anthroposophischen Ideologie (S. 103ff.) umgangenen Verarbeitung seiner Kriegserlebnisse und seinen Aufstieg auf dem Zug neoavantgardistischer Kunst über das Trittbrett der Aktionskunstbewegung „Fluxus“ (S. 162ff.). Für beide Thesen gibt es meines Erachtens grundlegende Literatur[5], die allerdings vom Autor nicht zitiert wird. Die von den bisherigen Rezensionen gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, diese Biographie sei hervorragend recherchiert, kann über die erwähnten Archivstudien hinaus nicht bestätigt werden sie beruht wahrscheinlich lediglich auf die Zählung von 65 Anmerkungsseiten. So hätte beispielsweise ein Zurateziehen von Peter Moritz Pickshaus' Standardliteratur zur Aachener Aktion „Kukei, akopee -Nein!“ von 1964[6] zu einer differenzierteren Darstellung des Hergangs der Ereignisse geführt. Eingegangen werden muss hier noch auf das im zweiten Teil auch dargestellte Verhältnis von Beuys zum Christentum. Riegel behauptet, einige Beuys-Interpreten würden „unter Negierung der Verbindung Beuys-Steiner“ ihm fälschlicher Weise ein christliches Anliegen andichten. Dagegen spitzt der Autor zu: „Beuys war Atheist und lehnt die Amtskirche entschieden ab“ (S. 129). Dazu ist jedoch zu sagen, dass soweit ich sehe die große Mehrheit der Interpreten der Beuysschen Christus-Impuls-Thematik sehr genau die Abkünftigkeit dieses Begriffs aus der Lehre Rudolf Steiners festhalten[7], aber anders als Riegel auch darüber informieren, dass die von Beuys vertretene Immanenztheologie (die entsprechend alle veräußerten Gottesvorstellungen ablehnt) auch in der Frömmigkeitsgeschichte der Großkirchen eine Tradition hat (in dieser Weise hat Beuys immer wieder zustimmend auf Vertreter der christlichen Mystik wie etwa Nikolaus von Flüe, Jakob Böhme u.a. Bezug genommen). Im dritten Teil sieht sich der Autor zunehmend vor die Aufgabe gestellt, biographisch wichtige Werke des Künstlers darzustellen. Zwar liefert er dabei nicht selten für ihr Verständnis erhellende Hintergründe, doch bleiben konstruktive Ansätze für eine Deutung gewollt oder ungewollt meist aus. Das kann man etwa am Kapitel zu Beuys' Aktion „Manresa“ von 1966 (S. 247-255) anzeigen. Zwar liefert Riegel reichlich Material zur Frage, ob Beuys im Vorfeld der Aktion einen tatsächlichen Aufenthalt in der Bekehrungsstadt des Ignatius von Loyola hatte, verpasst aber die Gelegenheit, dies beziehungsreich mit den Inhalten der Aktion zu verbinden.[8] Stattdessen erfolgen in Bezug auf das Beuyssche Werk im gesamten Buch redundante und insofern ermüdende Hinweise auf die Unverständlichkeit dieser Kunst, womit dann wiederum im betreffenden Kapitel ein für meine Begriffe zusammenhangloses Zitat des vermeintlichen Manresa-Fahrt-Begleiters Per Kirkeby über die totalitäre Verführungskraft seines Künstlerkollegen übergebührend an Gewicht gewinnt (vgl. S. 250). Gerade im letzten Teil, der sich mit dem politischen Engagement und dem Spätwerk beschäftigt, fällt immer wieder auf, wie weit hier das Ziel, die ältere biographische Literatur auf breiter Ebene zu überholen, verpasst wird. Blicken wir auf die Darstellung der letzten Lebensmonate von Beuys (S. 504-514), so hat man kaum den Eindruck, dass wir über die alten Biographien hinaus in diesem Fall über jene von Stachelhaus[9] Entscheidendes erfahren: Den vielen im Gesamttext gestreuten Anspielungen über Beuys' angeblichen Hang zu einem völkischen Denken hätte der Autor hier mit einer kurzen und pointierten Analyse der in der Diktion tatsächlich äußerst missverständlichen Münchner Kammerspiel-Rede versuchen können zu untermauern (S. 511). An Stelle dessen erfolgt (über magere neun Zeilen) eine pauschale, sehr verzeichnende Inhaltsangabe mit lediglich einem Zitathinweis auf die gesamte Rede. Zu Beuys letzter Rauminstallation „Palazzo Regale“ zitiert Riegel aus dem Katalog „Beuys zu Ehren“ indirekt nach Stachelhaus und es findet sich im Anmerkungsapparat, obwohl er sich über zwei Seiten hinweg darüber auslässt, nichts aus dem Bereich der darauf bezogenen Grundlagenliteratur.[10] Eine Biographie, die den diesbezüglichen Diskurs revolutionieren will (der Klappentext spricht gar von der „ersten kritischen und umfassenden Biographie“), sieht anders aus. Die vorliegende Besprechung sah sich auffällig gezwungen die Gepflogenheit einer Rezension, die Kritik komprimiert erst am Ende anzuführen, zu durchbrechen. Neben unredlichen Anspielungen wie etwa Beuys' familiäre wie berufliche Kontakte zu Menschen mit NS-Vergangenheit weist sie methodische Mängel auf, die man an betreffender Stelle nicht unerwähnt lassen konnte. Gemeinsam mit dem Beuys-Schüler Johannes Stüttgen bin ich über Einschätzungen, die darin einen „aufklärerischen Furor“ und „große Präzision“[11] erkennen wollen, eher irritiert. Dennoch enthält Hans Peter Riegels Werk wie zu Beginn erwähnt an zahlreichen Stellen Material, das als Steinbruch für eine noch zu schreibende und nicht bloß auf den medienwirksamen Skandal aufgerichtete wissenschaftliche Biographie dienen kann und deren Dringlichkeit mit der hier vorgelegten Biographie umso deutlicher geworden sein sollte. Anmerkungen
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/85/mas.htm
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