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Lust am Untergang?

Apokalypse im Film

Inge Kirsner

Filmbeispiele: 

  • O.P.A. (Marius Fietzeck, Martin Lapp, D 2011/12), 8 min
  • Die Stadt der Blinden (Fernando Mereilles, Brasilien/Japan/Kanada 2008)
    Anfang (bis 3, 16 Titel: Einblendung und Schluss -10.30 - 7.44, ca 3 min
  • Melancholia (Lars von Trier, Dänemark/S/F/D 2011)
    Anfang (3,55 min), Mitte (Das Nichts, 3.07 min), Ende (6,09 min)

Der Mensch wird durch Maschinen ersetzt; ein großer Planet trifft auf die Erde; eine rätselhafte Krankheit lässt die Sehkraft der Menschen erlöschen: Filmische Visionen über eine mögliche Zukunft der Erde sind ein Spiegel der Gesellschaft, in dem Tendenzen der Gegenwart aufgenommen und weitergedacht werden.

Einige mehr oder weniger realistische Filmphantasien möchte ich vorstellen und überlegen, was an Apokalypsefilmen so reizvoll ist, dass aus der  "Lust am Untergang" ein eigenes Filmgenre werden konnte.

Der an den Kinokassen sehr erfolgreiche "Independence Day" (Roland Emmerich, USA 1996) war der Startschuss für eine Renaissance des Katastrophenfilms im Kino. Bis zur Jahrtausendwende zeugen zahlreiche weitere Hollywood-Produktionen wie "Deep Impact" (Mimi Leder, USA 1998), "Armageddon" (Michael Bay, USA 1998) etc.[1]  von dem wiedererwachten Interesse v.a. der amerikanischen Populärkultur am Weltuntergang. In diesen amerikanischen Produktionen wird die Vielfalt der Geschichten und Visionen autoritär auf eine Weltanschauung bzw. Großgeschichte fixiert.

Verstehen wir apokalyptische Visionen als Symbolisierungen nachhaltiger seelischer und sozialer Erschütterungen[2], so stellen entsprechende Dramatisierungen eine Bewältigungsstrategie traumatischer Erfahrungen dar. Sie bauen erzählerisch eine rettende Distanz zwischen den beteiligten Personen und der übermächtigen Realität des Bösen auf und bannen so seine destruktive Kraft. Als Symbolisierungen nachhaltiger Krisen können apokalyptische Visionen somit auch heilende Kräfte bergen.[3]

Neben der potentiell heilenden Kraft einer apokalyptischen Vision gibt es nach ethischen und ästhetischen Aspekten noch weitere systematische Funktionen:

  • Medien können die oben genannte autoritäre Struktur apokalyptischer Rede nutzen, um ihr Publikum politisch und/oder religiös zu manipulieren. Dies kann, wie es in "Independence Day" geschieht, mithilfe von Überwältigungsästhetik versucht werden. Ethische und ästhetische Ideologiekritik kann zur Entdramatisierung des Pathos beitragen.
  • Neben religiösem und politischem Interesse kann die Konjunktur apokalpytischer Motive und Stilfiguren auch Ausdruck kommerziellen Verwertungsinteresses sein. Medienkritische Auseinandersetzung kann den Blick schärfen für ästhetische Manipulation der Aufmerksamkeitslenkung, die, wie oben, sich einer manipulativen Ästhetik bedient.
  • Zum dritten und vorläufig letzten kann die apokalyptische Visualisierung auch Zeichen sein für die wache Sensibilität gegenüber möglichen und von Menschen mitverschuldeten Krisen. Dann hat ein Film möglicherweise eine prophetische Funktion und ermöglicht den Betrachtenden neue rettende Einstellungen und Weltanschauungen. Im Sinne einer solchen doppelten Realitätsansage halten solche Filme die Spannung zwischen Untergang und Neuanfang in der Schwebe.

Im Folgenden werden Filme vorgestellt, die eher der Sensibilisierung als der Abstumpfung der Wahrnehmungsfähigkeit dienen. Zumindest zwei von ihnen haben eine prophetische Funktion, der dritte arbeitet eindeutig mit Mitteln der Überwältigungsästhetik, aber ganz anders, als Hollywoodproduktionen dies tun. Letztere wurden exemplarisch mit "Independence Day" vorgestellt, der zum Mainstream apokalyptischer Visualisierungen zählt und letztlich die herrschende Weltordnung verklärt. Nach 9/11 hat sich dieser Optimismus allerdings auch in den USA verflüchtigt, ein so triumphales Happy-End war z.B. in "2012" (ebenfalls Emmerich) nicht mehr möglich, wo nur noch ein kleiner Teil der Menschen in einer Art Arche Noah gerettet wird.

Keine Rettung gibt es am Ende des 8minütigen Animationsfilms von Marius Fietzeck und Martin Lapp aus dem Jahr 2011. Sein Titel O.P.A. ist die Abkürzung für "Organized Personal Assistant", und ein solcher steht eines Tages vor der Tür.

1. Filmbeispiel "O.P.A." (Marius Fietzeck, Martin Lapp D 2011)

In O.P.A. erleben wir mit, wie der "Organized Personal Assistant" - ein Roboter, eigentlich als Haushaltshilfe gedacht - immer mehr Funktionen im Haushalt eines alten Menschen übernimmt und schließlich auch die Kontrolle über die Gesundheit seines Klienten. Was zunächst wie eine Erleichterung der alltäglichen Aufgaben erscheint, wird durch die ständigen Uploads der Maschine zur Bedrohung. Alles Analoge (Bücher, Kaminfeuer) wird digitalisiert und schließlich wird der Mensch - das letzte analoge ´Ding´ - selbst zum Opfer der letztlich von ihm initialisierten "schönen neuen Welt". Die Einverleibung des Menschen durch den Computer - im Film ganz ´bildlich´ - ist die letzte Konsequenz der Cyborgisierung der Welt. "Cyborg" (cybernetic organism) bezeichnet ein Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine; bezeichnet werden damit Menschen, deren Körper dauerhaft durch künstliche Bauteile ergänzt werden. Sie sind also keine Roboter, da sie lediglich technisch veränderte biologische Lebensformen sind.

Würde man den Begriff ganz streng fassen, so müsste auch ein Brillenträger oder die Trägerin eines Hörgerätes letztlich "Cyborg" genannt werden - man überlege selbst einmal, ohne welches Gerät oder ohne welche Maschine man sich nicht vorstellen könnten zu leben. Fällt uns jetzt spontan der Computer ein, wäre einzuwenden, dass man mit diesem Gerät ja nicht dauerhaft verbunden ist, jedenfalls nicht zwangsläufig. Lässt man aber mal den Blick schweifen in einem Zugwaggon, könnte man schon den Eindruck gewinnen, dass der vorläufig kleinste der Alltagscomputer, das Smartphone, nur im Schlaf abgelegt wird.

Der Roboter im Film ist das Gegenüber des alten Mannes, er ist (bis auf das Ende) nicht direkt körperlich mit ihm verbunden. Gedacht ist er aber vom (im Film nicht benannten) Schenkenden als unverzichtbar werdende Dauerhilfe, die den Absender von seinem möglicherweise schlechten Gewissen entlastet. Das Gerät soll zur Ich-Erweiterung des Empfängers werden und ihm all das ermöglichen, was er aus Altergründen immer weniger selbst schafft (dies alles ist längst keine Science-Fiction-Utopie mehr).

Nun aber geschieht die Umkehrung, die alte Angst des Menschen, das von ihm Geschaffene oder Verursachte könne sich letztlich gegen ihn selbst wenden:

Die Maschine wird immer eigenmächtiger und wird zunächst zum Herrscher über seinen Schöpfer, schließlich sogar zu seinem Todfeind.

Visualisiert wurden solche Ängste schon früh, man denke an den jüdischen Lehmmenschen Golem ("Der Golem, wie er in die Welt kam, Paul Wegnener/Carl Boese, D 1920) oder an Dr. Frankensteins Monster ("Frankenstein", James Whale 1931), um frühe Filmbeispiele zu nennen. Später wurde Ridley Scotts "Blade Runner" (USA 1982) stilbildend und mit dem "Terminator" (USA 1984) schuf James Cameron schließlich eine menschliche Maschine, die zunächst gegen und dann für die Menschen eingesetzt wird ("Terminator 2 - Tag der Abrechnung", 1991), um der Maschinenherrschaft über die Menschen Einhalt zu gebieten.

Vollendet erschien diese Herrschaft dann in "Matrix" (Wachowksi, USA 1999), jenem großartigen Actionspektakel, das noch vor dem 3D-Zeitalter in einer Achterbahn für die Sinne zeigte, dass Menschen eben doch kreativer sind als Maschinen (und unvorhergesehene Dinge tun, die die rationalen Maschinen schließlich zum Patt zwingen). Zur Zusammenarbeit kommt es in "I, Robot" (Alex Proyas, USA 2004).

Alle diese genannten Filme gehen letztlich gut aus für den Menschen - ob die wenig tröstliche Version im radikalen Kurzfilm "O.P.A." nicht die realistischere ist, wäre zu diskutieren.

2. Filmbeispiel: "Die Stadt der Blinden" (Fernando Mereilles, Brasilien/Japan/Kanada 2008)

Das zweite Filmbeispiel ist die Verfilmung eines Romans von José Saramago aus dem Jahr 1995. "Die Stadt der Blinden" beginnt mit einer Straßenszene:

Die Ampel schaltet auf grün, doch ein Auto bleibt stehen, mitten auf einer verkehrsreichen Straße; alle hupen, fluchen, überholen, irgendwie. Ein Blick in das blockierende Auto offenbart einen verstörten Mann, der immer wieder die Hände vor das Gesicht schlägt, hilflos herumtastend. „Ich kann nichts mehr sehen!“

Der Mann am Steuer hat von einem Augenblick auf den anderen sein Augenlicht verloren. Der freundliche Passant, der den Hilflosen anspricht und nach Hause geleitet, wird den Schlüssel behalten und das Auto des Blinden stehlen; ein geringes Delikt im Vergleich zu dem, was folgt, als epidemieartig immer mehr Menschen schlagartig erblinden. Die Folge dieser Epidemie ist der Zusammenbruch der Zivilisation, und deutlich wird, dass wir in einer visuellen Welt leben, in der Informations- und Warenströme hautsächlich über das Auge laufen. Fällt der Sehsinn aus, läuft auch sonst nichts mehr. Im Vorteil sind hier die Immer-Schon-Blinden, da sie sich besser in dieser Welt auskennen.

„Der Zustand der Welt erfüllt mich mit großer Angst und Sorge, da bahnt sich eine Katastrophe an, um die sich niemand zu kümmern scheint. Wir müssen die Art, wie wir leben und konsumieren, radikal verändern, bewegen uns aber immer weiter in dieselbe Richtung“, resümiert der brasilianische Regisseur Fernando Mereilles die Intention seines Filmschaffens.[4]

Diese apokalyptische Grundstimmung kommt in seiner Verfilmung des Romans von José Saramago am stärksten zum Ausdruck. Im Gegensatz zum meist furiosen Auftakt vieler Endzeitdramen kündigt sich hier das Grauen, wie die oben beschriebene Anfangsszene zeigt, ganz leise an. Was bedeutet es, in einer medialisierten Gesellschaft und somit aufs Visuelle ausgerichteten Welt, in der das Auge das wichtigste Organ der Wahrnehmung darstellt, plötzlich das Augenlicht zu verlieren? Es ist der Untergang, zunächst der persönlichen, dann auch der ganzen westlichen, zivilisierten Welt. Die Zivilisation zeigen Mereilles wie auch Saramago als dünne Schicht, gleich darunter lauert die Barbarei, die sich zunehmend ungehindert Bahn bricht.

„Ich werde blind“, denkt am Ende ihrer Odyssee die einzig Sehende, die ihre Gruppe, von einer Notgemeinschaft zur Wahlfamilie geworden, schließlich sicher in ihrer (ehemaligen) Wohnung untergebracht hat. Sie hat zuviel gesehen: Hunde, die aus Nahrungsmangel Leichen fressen; ‚natürlich’ Blinde, die ihre Vorerfahrung in den Dienst skrupelloser Tyrannen stellen, eine Welt, die von der Natur zurückerobert wird und wo die Menschen, sich als evolutionärer Fehltritt erweisend, einander ausrotten. Blind sein wäre eine Gnade gewesen, und blind werden wäre die natürliche Konsequenz, nachdem sie, mit der zweifelhaften Gabe des Sehens gesegnet, die anderen gerettet hat, die gerade wieder staunend anfangen, die Dinge mit ihren Augen wahrzunehmen – die sie zuvor (so) nicht gesehen haben. Der Film endet mit der Hoffnung, die sich auf alle überträgt, nachdem der erste Blinde ("Patient Zero") sein Augenlicht wieder erlangt hat.

Sehenden Auges blind zu sein, dieses Motiv hat Platon in seinem Höhlengleichnis ausgeführt, das die Matrix für mehrere Romane Saramagos (am dichtesten in „Das Zentrum“) bildet. Das Kino bildet strukturell die Höhle Platons nach, und ein Kinostück zu machen, das annähernd dieses Nicht/Sehen abbildet, das hat Filmemacher Mereilles geschafft. Die Welt, in der die Sehenden ihr Augenlicht verlieren müssen, um zu erkennen, was Leben ausmacht, was Liebe ist, was die Welt zusammenhält, geht am Ende nicht unter; Keimzelle der Hoffnung bildet die kleine Gemeinschaft, die, einander solidarisch begleitend, einander erkannt hat und so in der apokalyptischen Umwelt überleben kann.

Die ganze Welt retten, wie es die US-amerikanischen Helden tun, ist ihnen versagt; aber sie werden einander zur Welt.

Werfen wir nun einen kurzen Blick zurück auf jene US-amerikanischen Helden: die sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Die Superhelden scheinen zugleich mit den Twin Towers zu Fall gekommen zu sein und haben sich davon nicht mehr erholt. Der dunkelste Held von allen ist Batman, der in „The Dark Knight“ (Christopher Nolan, USA 2008) einen so starken Abschied genommen hat, dass niemand an (s)eine Rückkehr glauben mochte. Um Gotham City, exemplarisch für die ganze Welt, zu retten, musste er seinen Heldenstatus opfern, fremde Schuld auf sich nehmen, um der Menschheit ihren Glauben an das Gute und somit ihre Überlebensfähigkeit zu erhalten. Aber nun kehrt das Böse zurück – denn solange Batman lebt, wird er die dunklen Mächte anziehen.

Die Düsternis von „Dark Knight“, wo „der tragische Held den Kampf gewonnen, die moralische Schlacht jedoch verloren hat“[5], konnte von seinem Sequel kaum übertroffen werden. Das Austreiben des Heroischen aus dem Helden jedoch wird in „The Dark Knight Rises“ (Christopher Nolan, USA 2012) perfektioniert. Als heroisch könnte am Ende lediglich sein (allerdings von ihm selbst inszenierter, also gefakter) Opfertod gedeutet werden, als er die von Bösewicht Bane scharf gemachte Atombombe mit dem Batmobil aus Gotham herausschafft (durch den ´Autopiloten´ jedoch gerettet wird).

In der gesamten Batman-Trilogie Nolans herrscht eine apokalyptische Grundstimmung, die den Eindruck vermittelt, dass es bestenfalls um Verlängerung des Bestehenden und schon lange nicht mehr um Rettung geht.

Nichts Neues unter der Sonne, nur noch Wiederholungen, Sequels und Prequels… diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls bei einem flüchtigen Blick auf die gegenwärtige Kinoszenerie (Hollywoods).

Schauen wir uns in der Science Fiction um, die immer schon die besten apokalyptischen Nährböden bot, so zeigt sich auch hier, dass parasitenartig an die großen Erfolge angeknüpft wird. Selbst Regisseure, die uneinholbare Klassiker wie „Alien“ (Ridley Scott, USA/GB 1979) geschaffen haben, scheuen sich nicht, deren Vorgeschichte zu erzählen. (Aber vielleicht rufen Entmystifizierungen unter Umständen neue Mythenbildungen hervor.)

Der gesamte Alien-Kosmos zeigt – hierin typisch für die USA (wenn auch europäisch infiziert durch seinen englischen Ursprung) und stellvertretend für die S-F-Filme, dass das Weltbedrohende von außen kommt, während europäische Filme (wie die meisten nicht-amerikanischen) das Zerstörerische von innen her wirkend vorstellen.

3. Filmbeispiel: "Melancholia" (Lars von Trier, Dänemark/S/F/D 2011)

In dem großartigsten Untergangsfilm der letzten Kinojahre, „Melancholia“ des Dänen Lars von Trier (2011), kommen beide Elemente zusammen: Das (amerikanisch) Bedrohliche von außen – der Planet Melancholia – und das (europäisch) Zerstörerische von innen – die Melancholie der Hauptfigur Justine – vereinen sich zu einem orgiastischen Untergang der Welt, wie man ihn so schön noch nie gesehen hat.

Der Film setzt sofort mit den Bildern des Untergangs ein, die in ihrem Zeitlupentempo fast wie Gemälde erscheinen und am Ende wieder aufgenommen werden.

Apokalypse heißt "Offenbarung", und in der Mitte des Films kommt es zu Offenbarungen, die den Betroffenen die Maske vom Gesicht reißen und persönlichen Weltuntergängen entsprechen: Hier findet die Enthüllung der Ausweglosigkeit des Lebens auf zwei Ebenen statt. Mitten im verlogenen Reigen einer Hochzeitsgesellschaft zeigt er das dunkle Gesicht der Welt - und deren Vernichtung. "Nichts" heißt die Überschrift eines Kapitels in der Mitte des Films, mitten im Hochzeitsfest, wo Justine auf ihren Chef, der sie eben zum Art Director der Werbefirma ernannt hat, trifft und ihm die Idee liefert, seine minderwertigen Produkte mit "Nichts" - also mit sich selbst - zu bewerben, woraufhin er sie entlässt.

Beeindruckend ist es, gegen Ende des Films mitzuerleben, wie die Hypersensibilität Justines, die sich bestenfalls in Kreativität, zunehmend aber in Depressivität auswirkt, angesichts der tatsächlichen Bedrohung von außen zu Stärke wird. Sie, die Hilfsbedürftige, wird zur Führerin ihrer Schwester, der pragmatisch-starken Fürsorgerin, die angesichts der baldigen Kollision Melancholias mit der Erde schwach wird.

Am Ende des Films werden die rätselhaften Bilder des Filmanfangs, die wie in Zeitlupe erscheinen und uns eher bewegte Gemälde zeigen als Filmbilder, wieder aufgenommen. Wir sahen, wie ein Kind Stöcke zuschnitzt, wir sahen eine verzweifelte Mutter, die ihr Kind vergeblich irgendwohin trägt, denn es gibt keinen Ausweg mehr, nirgends. Wir sahen die rätselhafte Ruhe der uns später als Hauptperson vorgestellten Justine, sie sendet nicht, wie Zeus, Blitze aus, sondern empfängt sie, empfängt von der drohenden Apokalpyse her eine Energie, die ihr zuvor zu fehlen scheint. Und endlich, endlich kommt es zu dem, was uns musikalisch schon mehr als angedeutet wurde, Richard Wagners Tristan und Isolde kommen endlich zusammen, wenn schon nicht im Leben, so im Tod. Die Ouvertüre der Oper hat die Eingangsbilder begleitet, nun erfüllt sich, was das Motiv vorbereitet hat:

Ein finaler Zusammenstoß, eine orgiastische Vereinigung, nicht zwischen Mann und Frau, sondern zwischen der Erde und dem Planeten Melancholia, und danach Leere, Schweigen und ein energiegeladenes Nichts, wie der Moment vor dem Urknall.

Eine Wiedergeburt wird uns nicht gezeigt, aber der Augenblick davor. Es ist keine Auslöschung, darauf deuten die letzten Bilder vor der Schwarzblende.

Melancholia, jener Planet in Kollisionskurs Richtung Erde, ist der eigentliche Hauptdarsteller in Lars von Triers Untergangsdrama. Vorausgesehen und -gefühlt hat den kommenden Weltuntergang die unter Depressionen leidende Justine, die im Laufe des Films immer stärker wird. Claire, ihre zunächst tatkräftige Schwester hingegen verzweifelt, gerade auch angesichts ihres etwa zehnjährigen Sohnes Leo, den sie nun nicht mehr schützen kann. Justine weiß jedoch, was zu tun ist. Sie versichert Leo, dass es einen Ausweg gibt und sammelt mit ihm kräftige lange Äste im anliegenden Wald. Diese schnitzen sie gemeinsam zu und bauen daraus eine magische Höhle. In diesen tipiartigen Unterstand setzen sich die drei, einander an den Händen haltend, während der riesige blaue Planet auf unseren kleinen blauen zusteuert.

Während Claire immer haltloser weint, schließen Justine und ihr Neffe die Augen, sie strahlen eine Ruhe und Konzentration aus, die als Energie auch noch im Kinoraum ist, als die Erde nach dem Zusammenstoß in einem Flammenmeer untergeht.

So schön ist die Erde selten im Kino untergegangen. Doch die anschließende Dunkelblende enthält noch so viel von der Kraft der magischen Höhlenbewohner, dass man fast versucht ist zu sagen: eine Apokalypse ist noch kein Weltuntergang. Er erscheint hier als Wiedergeburt, denn es erscheint unvorstellbar, dass diese Energie sich zugleich mit der Erde auflösen könnte.

Die an ihrer inneren Dunkelheit leidende Justine erwacht zu neuem Leben angesichts der finsteren Bedrohung von außen. Ihr wird die Dunkelheit der äußeren Ereignisse zum Licht, das ihr den Weg weist, ihr klar macht, was zu tun ist, wenn man eigentlich nur noch auf das Ende warten kann. Sie nutzt die letzten Minuten dazu, ein temporäres Kunstwerk zu errichten und ihrem Neffen mit dieser magischen Höhle ein Gefühl der Geborgenheit zu vermitteln. Das angesichts der Wucht der kommenden Ereignisse zerbrechlich erscheinende Tipi wird zu einem Zelt, das wie die Rauch- und Feuersäule den Israeliten in der Wüste Schutz verlieh, in dem Bewusstsein, dass Gott ihr Reisebegleiter war. Die magische Höhle wird zum Übergangsobjekt, das dazu hilft, mit den Ereignissen, die geschehen und geschehen werden, umzugehen. Sie ist vergleichbar mit dem, was man die Konstruktion des Glaubens nennen könnte. Es nimmt dem Jungen die Angst, der Hand in Hand mit seiner Tante das Ende nicht überlebt, aber erlebt. Der Glaube hilft zu leben, und manchmal bedient er sich auch temporärer Konstruktionen wie derjenigen eines Gegenstandes, der die Erde bewohnbar macht und erleuchtet – wie die Höhle, die dem Glanz des lichtvollen Untergangsplaneten einen eigenen entgegenstellt. Das Licht kommt von der Verbindung der drei Menschen miteinander, die auf zwar unterschiedliche Weise, aber eben miteinander verbunden das Finale zu einem Übergang gestalten. Sie setzen der kalten Welt der Beziehungslosigkeiten eine wie für diesen letzten Augenblick erworbene Bindungsfähigkeit entgegen, die ihnen Würde verleiht und sie vor einem sinnlosen Abbruch aller Geschichten rettet.

„Melancholia“ erzählt so mitten in den geschilderten Finsternissen, inneren und äußeren, die einander entsprechen, zugleich die Geschichte vom Licht.

Angesichts der filmischen Schluss-Szene kann man vielleicht nicht von Erlösung sprechen, aber von der Möglichkeit, mit den geschilderten Ereignissen umzugehen, diese zu gestalten. Es ist ein Akt der Freiheit, wie ihn auch Franz Kafka in seinem „Bericht für eine Akademie“ beschreibt. Kafka skizziert hier, dass es eine Erlösung höchstens im Sinne einen Auswegs geben kann, der darin besteht, die einzige Wahl, die man hat, als Freiheit zu begreifen.

Die Erde geht unter, doch dem mitleidlosen Planeten, dem sie unglücklich im Wege steht, kann man immer noch das Wunder der eigenen Existenz entgegensetzen, die auch mit der irdischen Auslöschung weder verneint noch rückgängig gemacht wird. Ich existiere, ich werde existiert haben: ein Augenblick, der Ewigkeit wird in der Zeit.

Zum Schluss:

Am Ende bleibt: Wir sind immer die Überlebenden, die Lust am Untergang speist sich aus dem Voyeurismus des Kinos, Bilder zu sehen von Dingen, die man fürchtet, und selbst an Leib und Leben unversehrt zu bleiben. Es ist wie das memento mori eines mittelalterlichen Totentanzes, den man betrachtet und angesichts des Endes, das jedem bevorsteht, die Zeit bis dahin schätzen lernt. Apokalypse im Kino also als Glückserfahrung des Hier und Jetzt; zugleich aber auch das Ermöglichen eines Handelns im Hier und Jetzt, auf das abgewendet werden kann, was uns der Film als dunklen Spiegel vorhält und auch als Konsequenz menschlichen Handelns gezeigt wird.

Dabei ist die Johannesoffenbarung der Bildlieferant für viele apokalyptische Filme. Auch die Grundbewegung der biblischen Geschichte und ihrer Geschichten wird aufgenommen: Zu Beginn wird ein Ereignis geschildert, das kann Sündenfall genannt werden oder auch ein unverhoffter Einbruch von außen. Der Normalzustand gerät ins Wanken, die Krise steigert sich bis zu einem alles entscheidenden Höhepunkt - und es erfolgt die Rettung in letzter Minute (jedenfalls meistens; in "O.P.A." heißt es, das Ende des Menschen ist noch nicht das Ende der Welt; "Melancholia" schildert uns zumindest die Rettung der inneren Integrität angesichts des Untergangs).

Als die erste biblische Apokalypse könnte die Sintfluterzählung bezeichnet werden (die ebenfalls Bildgeber von Filmen wie Roland Emmerichs "2012" von 2009 oder Alfonso Cuaróns "Children of Men" von 2006 ist). Bevor Gott - nachdem er erkennt, dass die Menschen sich wohl auch durch Strafe nicht ändern - seinen Bund mit Noah schließt, verheißt er: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht" (Gen 8,22). Es muss nämlich weiter kein kosmisches Ereignis eintreten, um die Welt untergehen zu lassen als das Stillstehen der Zeit, die Unterbrechung des Naturkreislaufes. (Dies wird eindrucksvoll in einem weiteren Kurzfilm von Ludwigsburger Akademiestudenten - in "Tohu wa Bohu" geschildert und in dem schon erwähnten "Children of Men".)

Die letzte biblische Apokalypse, die in der Johannesoffenbarung mit gewaltigen und großartigen Bildern beschrieben und in vielen Filmen transformiert wird, endet jedenfalls mit einer Unterbrechung; nach Apk 22, 5 "wird keine Nacht mehr sein" - und das wäre dann endgültig das Ende des Kinos. Dieses tröstet uns, solange es noch existiert, über die Entdeckung hinweg, wie groß das Weltall ist und wie klein die Erde darin und wie wenig es bedarf, die kleine blaue Kugel auszulöschen. Solange das Weltall - wie zuletzt in "Gravity" (Alfonso Cuarón, USA/GB 2013) zu sehen - in einen Film passt, haben wir Menschen das Gefühl eines gewissen Überblicks. Im Kino schauen wir unentwegt der Zerstörung, aber auch der Schöpfung "eines neuen Himmels und einer neuen Erde" zu oder jedenfalls eines kleinen Stücks davon, in dem Bewusstsein, dass die Vollendung jener neuen Welt in unserer Mitverantwortung, aber jenseits unserer Macht liegt.

Anmerkungen

[1]    Vgl. Josef Müller/Reinhold Zwick (Hg.), Apokalyptische Visionen. Film und Theologie im Gespräch, Schwerte 1999

[2]    Vgl. Gerhard Marcel Martin, Weltuntergang. Gefahr und Sinn apokalyptischer Visionen, Stuttgart 1984, 47-60 und 73-82.

[3]    Vgl. Matthias Loretan/Charles Martig, Weltuntergang im Film, in: Müller/Zwick, a.a.O., 1999, 47-95, 50f

[4]    „Wir sitzen alle im selben Auto“. Der brasilianische Regisseur Fernando Mereilles über die Internationale des Kinos, den Zustand der Welt und seinen neuen Film „360“, Gespräch mit Anke Sterneborg in: epd Film 8/2012, 18-23, 23

[5]    Frank Schnelle, Filmkritik zu „The Dark Knight Rises“, epd-Film 8/2012, 41

Artikelnachweis: https://www.theomag.de/87/ik10.htm
© Inge Kirsner, 2014