Exotheologie |
Was ist Humanismus?Eine RezensionHorst Schwebel An der Atheismus Front ist es stiller geworden. Da kämpft zwar Richard Dawkins gegen christliche Fundamentalisten, die statt an die Evolution an die Schöpfung nach sieben Tagen glauben. Doch dass der Schöpfungsmythos kein Objekt wissenschaftlicher Weltwahrnehmung ist, ist europäischen Christen längst bekannt, weshalb sich ein Streit zwischen Evolutionslehre und Schöpfungsglaube erübrigt. „Krawallatheismus“ nannte Joachim Kahl diese Form von Atheismus, die Glaube und Religion mit Stumpfheit und Blödheit gleichsetzt. So fragte einst Leonid Chruschtschow, der einstige Generalsekretär der KPDSU, Gagarin, den ersten Kosmonauten im Weltall, ob er IHN gesehen hätte. Gagarin hatte IHN freilich nicht gesehen. Also gibt es ihn nicht, triumphierte der Ost Kommunismus. Und mit ihm jubelte die Kolchose. Zugegeben, den „Krawallatheismus“ gibt es auch in Deutschland und Frankreich. Aber er bestimmt nicht die öffentliche Diskussion. Umfragen zufolge hat in jedem Jahrzehnt eine beachtliche Personenzahl Religion und Kirche den Rücken zugekehrt. Wenn die Säkularisation ein Selbstläufer ist, fragt man sich, wozu ein kämpferischer Atheismus noch nötig sei. Einer intellektuellen Nachhilfe bedarf es dann doch nicht mehr. Das geht so weit, dass man sogar meint, sich vom Wort „Atheist“ verabschieden zu müssen und stattdessen das Wort „Agnostiker“ bevorzugt. Der „Agnostiker“ wäre also die Person, der die Gottesfrage nichts mehr bedeutet, weshalb sie auf einen Anti Gestus getrost verzichten kann. Bemerkenswert ist, dass „Atheisten“ und „Agnostiker“, sofern sie als Weltanschauungsgemeinschaft aufzutreten gedenken, sich selbst als „Humanisten“ verstehen. Michael Schmidt Salomon schrieb das „Manifest des evolutionären Humanismus“ (2004), Joachim Kahl spricht vom „Weltlichen Humanismus“ (2005) und Frieder Otto Wolf vom „Humanismus für das 21. Jahrhundert“ (2005). Der zugehörige Verband ist der „Humanistische Verband Deutschlands“, der eine „Humanistische Akademie Deutschland“ unterhält und der sich für das Schulfach „Humanistische Lebenskunde“ einsetzt. Die Konzentration auf den Begriff „Humanismus“ war für den katholischen Theologen Florian Baab der Anlass, in seiner Dissertation der Frage nachzugehen: „Was ist Humanismus. Geschichte eines Begriffes, Gegenkonzepte, säkulare Humanismen heute“. Das Buch ist 2013 im Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, in der Reihe „ratio fidei. Beiträge zur philosophischen Rechenschaft der Theologie“ erschienen. Der erste Teil des Buches von Florian Raab widmet sich dem Thema „Humanismus, historisch betrachtet“. Im 19. Jahrhundert geht es dabei weitgehend um Positionen, die, orientiert an den Griechen und den Renaissancehumanisten, Konzepte entwickelten, deren Rahmen die Menschheit als ganze ist, wobei sich das Individuum als ein Teil dieses Ganzen versteht. Es ist das Bildungsideal, wie es beispielsweise im Humanistischen Gymnasium bis ins 20. Jahrhundert hinein zum Ausdruck kam. Im 20. Jahrhundert wird angesichts seiner Weltkriege und Erschütterungen dieses letztlich idealistische Bildungsideal in Frage gestellt. Natürlich wird auch weiterhin nach dem Menschen gefragt; doch dabei geht es mehr um den Einzelnen, und ein verbindliches Rahmenwerk als Telos ist ebenfalls nicht mehr vorhanden. Florian Baab spricht in Anlehnung an Lyotard vom „Ende einer großen Erzählung“. In der Folge scheint der Begriff „Humanismus“ manchmal im Verschwinden begriffen zu sein. Doch sein Fehlen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch weiterhin intensiv nach dem Menschen gefragt wurde. Das betrifft auch die sogenannten „Inhumanisten“ Heidegger und Sartre. Man verbindet ein solches Fragen dann mit anderen Denkmodellen und Begriffen bis hin zu Foucault, der den Anthropozentrismus im Verschwinden begriffen sah. Interessant ist nun, dass im ausgehenden 20. Jahrhundert dem Begriff „Humanismus“ wieder ein konkreter Ort zugewiesen werden kann, nämlich bei den Freidenkern und Atheisten. Wie hier der Humanismus neu definiert wird, soll an Hand der Ausführungen von Frieder Otto Wolf, Joachim Kahl und Michael Schmidt - Salomon gezeigt werden. Frieder Otto Wolfs „praktischer Humanismus“ bietet kein abschließendes Menschen- und Weltbild. [Wolf, Frieder Otto (2008): Humanismus für das 21. Jahrhundert. 1. Aufl. Berlin: Humanistischer Verb. Deutschlands, Landesverb. Berlin (Zur Theorie und Praxis des Humanismus).] In der „herrschenden Barbarei“ gilt es, jene Verhältnisse zu verändern, die den Menschen erniedrigen und versklaven. Das bedeutet ein Verzicht auf Verabsolutierungen jeder Art. Anzustreben ist nach Wolf ein „Diskurs, an dem alle Menschen zumindest als reale Möglichkeit beteiligt sind.“ Es geht um ein Selber Denken und Selber Machen, um einen Austausch der Meinungen und Argumente. Religion und Gottesglaube sind aber von diesem Prozess aufgeschlossen. Denn, wer Gott einbezieht, weigert sich „im Grunde, selber Verantwortung zu übernehmen, für unser eigenes Leben wie für das Gemeinwesen, in dem wir leben“. Mit dem Gottesglauben würde man die Verantwortung auf eine illusionäre Kraft außerhalb des Menschen abschieben. Die Frage nach Gott kann nach Frieder Otto Wolf nicht mit „Aussicht auf Erfolg“ gestellt werden. „Theologien ... haben keinen Platz im Konzert der Wissenschaften.“ Es ist erstaunlich, dass Wolf angesichts seiner ständigen Betonung der „Offenheit“ in Sachen Religion jede Offenheit vermissen lässt. Geht es um Religion, Gott und Glaube, bleibt die Tür zugesperrt. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil Wolf sich einer Gesellschaftsanalyse bedient, die an die der „Dialektik der Aufklärung“ von Horkheimer und Adorno anknüpft. Dort aber, zumindest bei Horkheimer, ist eine solche „Öffnung“ möglich. Demgegenüber basiert Kahls „weltlicher Humanismus“ auf dem Naturalismus als geschlossenem System. [Kahl, Joachim (2007): Weltlicher Humanismus. Eine Philosophie für unsere Zeit. 3., korrigierte Aufl. Berlin [u.a.]: LIT (Philosophische Plädoyers, Bd. 1).] Der Mensch ist ein Geschöpf der Natur, hervorgegangen aus der Evolution, entstanden in „einer kosmischen Nische im Seitenarm einer beliebigen Spiralgalaxie“. Bei der Entstehung der Spezies Mensch handelt es sich um „ein höchst unwahrscheinliches Ereignis, das aber doch einmal eingetreten ist.“ So wie der Mensch einst auftauchte, wird er einst „spurlos verschwunden sein, als wäre da nie etwas gewesen“. Während seiner irdischen Zeit ist es dem Menschen aber möglich, zu sich selbst, seinen Mitmenschen und der Welt in eine vernünftige Beziehung zu treten. Kahl spricht von der „Weltweisheit“; gemeint ist, „unserem flüchtigen Dasein einen Sinn zu verleihen“. Hierzu gibt er Ratschläge, beruft sich auf Goethe, die Stoiker oder Montaigne, behandelt Fragen der Ethik (Gentleman Ideal) und behandelt Ehe und Freundschaft. Das Katastrophische einer Gesellschaftsanalyse à la Wolf bzw. der Kritischen Theorie liegt ihm fern. Kahl bleibt immer im Nahbereich personaler Kommunikation und rechnet damit, dass man vermöge der Vernunft anstehende Probleme einst wird lösen können. Die Religion kommt für ein solches Vorhaben nach Kahl freilich nicht in Betracht. Religion ist Illusion und Aberglaube. Sie ist „Ausdruck menschlicher Entfremdung.“ Gott ist hier zitiert Kahl Feuerbach eine „Projektion des Menschen“. Im Naturzusammenhang kommt Gott nicht vor. Kahl ist sich bewusst, dass sich die Menschen gern auf ein Stück Transzendenz angesichts der Grenzsituationen des Lebens einließen. Das aber ist nach Kahl dem Menschen verwehrt. Ohne transzendente Absicherung, ohne Illusionsapparat, gelte es, anständig und human mit den anderen Menschen zusammen zu leben. Der in der Philosophie, der Literatur und der Kunst geborgene Schatz an „Weltweisheit“ sollte dabei genutzt werden. Völlig anders ist das „Manifest des evolutionären Humanismus“ von Michael Schmidt Salomon aus dem Jahr 2004, einer Auftragsarbeit der zuvor gegründeten Giordano Bruno Stiftung. [Schmidt-Salomon, Michael (2006): Manifest des evolutionären Humanismus. Plädoyer für eine zeitgemäße Leitkultur. 2., korrigierte und erw. Aufl. Aschaffenburg: Alibri-Verl.] Der „evolutionäre Humanismus“ verfolgt das Ziel, die Aufklärung zu vollenden. Doch diese Fortschrittsbewegung werde durch die „Irrtümer der althergebrachten Welterklärungsmodelle behindert.“ Wer daran die Schuld hat, ist bald ausgemacht. Nach Schmidt - Salomon ist dies die Religion. Sie zeichne sich nicht nur durch Unvernunft und Aberglaube, sondern auch durch die Verabsolutierungen der eigenen Positionen aus. Ihre einstige Rolle sei längst auf Wissenschaft, Philosophie und Kunst übergegangen. Zum Wesen der Religion gehört es nach Schmidt Salomon, „die real existierenden Bedürfnisse zu ignorieren“. In Sachen Religion bedürfe es daher eines „Prozesses weltweiter Abrüstung“. Religion bekommt bei Schmidt Salomon die Rolle eines Feindbildes zugewiesen. Dabei scheut Schmidt Salomon vor keinen Invektiven zurück. Gotteserfahrungen seien „neuronale Aktivitäten“. „Gott“ lasse sich „als ‚imaginäres Alphamännchen‘ beschreiben, eine typische PrimatenhirnKonstruktion, die sich u. a. deshalb etablieren konnte, weil sie einigen Mitgliedern unserer Spezies deutliche Vorteile im Kampf um die Ressourcen verschaffte.“ Weiter heißt es: „Sämtliche religiösen Quellentexte“ stünden „weit unter dem ethischen Mindeststandart jeder halbwegs zivilisierten Gesellschaft.“ - Apropos Mindeststandart: Der Philosoph Edmund Husserl meinte, man müsse dem Gegner erst die nötigen Waffen bereitstellen, damit der Kampf ein würdiger Kampf werde. Dieser Meinung ist Schmidt Salomon offensichtlich nicht. Er gibt seinem Gegner ein Plastikschwert in die Hand und setzt ihm eine Pappnase auf. - Auf dieser Ebene erübrigt sich die Argumentation. Als Theologe stellt sich einem nun die Frage, bei welchem der Vertreter des neuen Humanismus am ehesten die Chance besteht, in ein Gespräch zu kommen. Michael Schmidt Salomon dürfte auf eine solche Anfrage wohl mit Spott und Hohn reagieren. Bei Frieder Otto Wolf ist ebenfalls kein Anknüpfungspunkt zu erkennen. So bleibt denn Joachim Kahl übrig, für den die Religion zwar eine Illusion und eine Angelegenheit menschlicher Entfremdung ist; doch darüber lässt sich reden. Die Schwierigkeit bei Kahls Ansatz besteht allerdings darin, dass Kahl als Naturalist innerhalb eines geschlossenen Systems denkt. Bei diesem ausschließlich wissenschaftlich oder sagen wir besser: naturwissenschaftlich zu erschließenden System ist nach Kahl für Gott kein Platz. Mit welchem Argument sollte man ihn einbeziehen, es sei denn man erklärt wie einst Spinoza das Gesamt der Natur zu Gott. Aber auch hier würde der weltliche Humanist fragen, warum er das tun sollte. Ist es nicht für einen Naturalisten naheliegender, hier von Natur zu sprechen? Jenseits des Naturalismus sei gleichwohl die Frage gestellt, ob der Mensch in seiner Grundverfassung der Religion - in welcher Form auch immer - bedarf. In der Religionswissenschaft pflegt man zu sagen, dass man im bisherigen Geschichtsverlauf kein Volk gefunden habe, dass ohne Religion ausgekommen wäre. Dabei bleibt unbestritten, dass die Religion oft die seltsamsten Gedankengebäude und Kulte hervorgebracht hat. Doch die Frage bleibt bestehen: Ist Religion eine Konstante des menschlichen Geistes? Der Religionsgegner mag dies bestreiten und sagen. Für ein unaufgeklärtes Bewusstsein mag das wohl der Fall gewesen sein, für ein aufgeklärtes Bewusstsein gelte dies aber nicht mehr. Er würde ähnlich wie Freud die Religion der Kindheit des Geistes zuschreiben, die durch Aufklärung, dem Erwachsenenstatus, überwunden sei. Zu geistiger Reife gekommen, müsse der Mensch die Religion ablegen. Das mag der Fall sein, oder auch nicht. Angesichts des überwältigenden religionsgeschichtlichen Materials, bei welchem Menschen sich zum Tranzendenten in ein Verhältnis gesetzt haben bzw. vom Transzendenten ergriffen wurden, mag man jedoch fragen, ob es sich bei der Religion nicht doch um eine anthropologische Konstante handelt. Hat die Aufklärung tatsächlich einen solchen welthistorischen Einschnitt bewirkt wie die Religionsgegner glauben? Könnte nicht selbst in einem naturalistischen System eine „Öffnung“ möglich sein? |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/89/hs16.htm
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