Globalisierung der Religionen |
Was kommt nach dem Abschluss der christlichen Theologie?[1]Paul Schwarzenau Die christliche Theologie hat in diesem Jahrhundert große, aber auch abschließende Entwürfe hervorgebracht, von denen die Werke von Barth, Tillich, Bultmann und Rahner die namhaftesten sind. Einen Hintergrund der Tiefe erfuhr solches Denken aus der Begegnung mit der Existenzphilosophie und ihren Vätern Kierkegaard und Nietzsche. Wie nun die Existenz in ihrem Wesen ihrer Auslegung in der Kultur voraus ist, so wird Offenbarung erlebt als Ursprung und Kritik jeder Form von „gegebener“ Christlichkeit und Kirchlichkeit. Trotz dieser Überlieferungskritik bleibt aber der Horizont von Offenbarung im Rahmen der christlichen Religion. Offenbarung ist für die genannten Denker letztlich Offenbarung Gottes in Jesus Christus, der gegenüber jeder Offenbarung in anderen Religionen der Charakter der Letztgültigkeit abgesprochen wird. Die Theologie hat die damit gestellten Fragen in einer Fülle von Entwürfen beantwortet und ihren „Gegenstand“ erschöpft Sie hat, wie U. Mann einmal scherzhaft sagte, „ihre Hausaufgaben gemacht“. Man wird daher den Eindruck des Epigonalen in dem nachfolgenden theologischen Denken nicht los, dem es schwerfällt, sich von den festgeschriebenen Denkgewohnheiten „moderner“ Theologie zu lösen. Kennzeichen der Erschöpfung sind das Ausweichen von der durchdringenden Gedankenarbeit in die Bereiche des Ethischen, Therapeutischen, Politischen, Ökumenischen und Missionarischen. De genannten großen Theologen haben aus prinzipieller Gebundenheit den Umkreis der eigenen christlichen Religion kaum überschritten. Ansätze dazu aus den eigenen Systembedingungen gibt es bei allen, doch scheuten sie eine extensive Berührung mit den außerchristlichen Religionen. Von der Schiefheit vieler Urteile im Einzelnen einmal abgesehen. Wir dürfen darin einen, wenn auch widerwilligen Hinweis sehen, dass die Grenzüberschreitung gewagt werden muss, wenn wir die in der modernen Theologie aufgebrochenen Denkbewegungen wirklich fortsetzen wollen. Im Anschluss an U. Mann wird man sagen müssen, dass nach dem Abschluss der christlichen Theologie in unserem Jahrhundert ein synoptisches Denken gefordert ist, das zur Offenbarung als Selbstmitteilung der Wirklichkeitstiefe durch eine Synopse oder Zusammenschau der Religionen vordringt. An die Stelle eines bisher geübten Exklusivitätsdenkens wird dann ein Inklusivitätsdenken treten, an die Stelle einer nur christlichen Theologie eine Theologie der Religionen. Synopse heißt Zusammenschau. Aber Zusammenschauen ist nicht einfach Identifizieren. Es geht nicht darum, Jesus oder Buddha als historische Gestalten einfachhin gleichzusetzen. Oder Reich Gottes und Nirwana. Identifikation löscht das Besondere aus und macht eine eigentliche Zusammenschau könnte stattdessen bedeuten, dass man ein und dieselbe Wirklichkeit von verschiedenen Blickpunkten aus betrachtet. So zeigt sich eine Landschaft oder eine Stadt verschieden, wenn man sie von Süden oder von Norden aus betrachtet. U. Schoen zieht in seinem Buch „Das Ereignis und die Antworten“[2] zur Verdeutlichung die Vasarelyschen Bilder zu Rate, in denen mehrere Perspektiven nach dem Prinzip der optischen Täuschung ineinander liegen, obgleich man mit einem Blick nur je eine Perspektive wahrnehmen kann. Aber diese Vergleiche haben auch ihre Grenze. Sie setzen voraus, daß man ungeachtet aller Perspektivik unmittelbar Identisches wahrnehmen kann. Eine synoptische Betrachtung ist in sich komplexer. So kommt Jesus nicht nur im Evangelium, sondern auch im Koran vor; dort aber ganz als Muslim stilisiert. Man darf also, wenn man die ganze Sphäre dessen wiederfinden will, die mit der Aussage Jesus-Christus-Logos im Christentum bezeichnet ist, nicht nur auf die koranischen Aussagen über Jesus im Islam schauen. Wenn sich der ewige Logos im Islam in der Offenbarung des Korans manifestiert, dann tut er dies in dem Gottmenschen Jesus Christus im Christentum. Hier stehen eine impersonale und eine personale Selbstaussage der Gottheit nebeneinander, die sich nicht ausschließen müssen, wenn sie das Eine ewige Wort in Gott meinen. Wenn man beide Aussagen, die zunächst paradoxal nebeneinandertreten, zusammenschaut, stellt sich vielmehr die Frage, ob sie sich nicht zu einer noch ausstehenden Vollständigkeit ergänzen könnten. Wie kann aber nun eine Überschreitung zu den anderen Religionen überhaupt geschehen? Ulrich Schoen weist in seinem bereits erwähnten Buch auf Karl Barth hin. Barth unterscheidet in Band IV/3 seiner Dogmatik zwischen dem primären Immanuel und dem sekundären Immanuel.[3] Immanuel heißt auf Hebräisch „Gott mit uns“ und ist ein Titel für den Messias. Barth ist der Meinung, daß dieser Immanuel von Anfang an schon in Gott existent gewesen sein muss; denn sonst würde Gott oder der Urgrund des Seins nicht aus sich herausgehen und sich seiner Welt mitteilen, also eine Mitteilung schaffen, in der er sich offenbart. Dieser sogenannte primäre Immanuel ist gleichsam der Wille Gottes, sein Entschlossensein, sich zu öffnen. Dieses wesentliche Entschlossensein Gottes erscheint in der christlichen Theologie als präexistenter Christus. Als Barth diese Ansicht vertrat, wurde er von buddhistischer Seite darauf aufmerksam gemacht, dass es eine Entsprechung auch im Buddhismus gebe. Ehe ich darauf eingehe, möchte ich zunächst noch ei was anderes deutlich machen: dieser präexistente Christus wird in der traditionellen christlichen Theologie als der Logos bezeichnet, als der sich selbst erschlossene Grund des Seins. Er hat in dieser Bestimmung eine gründende Beziehung zum Kosmos, zur Kirche als der Geistgemeinschaft der Menschen (ich spreche hier nicht von der Institution der Kirche, sondern von der Anlage der Menschen, aus dem Nebeneinander in eine Geisterschlossenheit zur Einheit herauszutreten und darin den vollständigen Daseinssinn zu entbergen) und zum Wesenskern des Menschen, zu seinem Selbst. Der sekundäre Immanuel, der historische Jesus von Nazareth, ist gewissermaßen nur eine Antwort, eine historische Antwort, auf dieses im Grunde der Welt liegende Ereignis der Selbsterschließung Gottes, der Erschlossenheit des Seinsgrundes. Eine weitere Eigentümlichkeit des Buches von Ulrich Schoen besteht darin, dass er eigentlich nicht von „Gott“ spricht, sondern das Wort „Gott“ vermeidet, indem er bewusst impersonell formuliert. Schoen spricht vom „Grund der Wirklichkeit“, oder er spricht vom „Ur-Sein“. Das Ur-Sein erschließt sich zu sich selber hin. worin auch die Wurzel der Personalität liegt. Entsprechungen zu dieser Weise sich auszudrücken, sind Aussagen wie die von Tillich „das Sein selbst“ oder Karl Barths Rede von Gott als dem „Ganz Anderen“. Meister Eckhart spricht von der Gottheit als dem Einen oder auch dem Leeren mit Ähnlichkeit zu buddhistischen Vorstellungen. Plotin nennt die Ur-Wirklichkeit das Eine. Die Buddhisten sprechen vom Nirwana. Wenn man die Beschreibungen von Nirwana genau liest, sind sie Beschreibungen von dem, was Meister Eckhart „die Gottheit“ nennt. Entsprechendes gilt von der shunyata oder der Leere. Der Hinduismus spricht von brahman. Barth ist, wie bereits gesagt, von buddhistischer Seite darauf aufmerksam gemacht worden, dass es im Buddhismus eine Entsprechung zu dem gibt, was er den präexistenten Christus nennt. Diese buddhistische Entsprechung sieht wie folgt aus: Aus dem Ur-Sein, der Shunyata, der Leere, die in sich die potentielle fülle, die Möglichkeitsfülle von allem enthält, erhebt sich in einem Selbstergreifungsakt des Seins der Ur-Buddha oder Adi-Buddha. und dieser Ur-Buddha oder Adi-Buddha meditiert in sich die liefe des Seins, so daß die Ur-Wesenheiten. Urgedanken. Urbilder und Urwirklichkeiten gleichsam so aus ihm emporsteigen, daß sich darin der ideale Gehalt des künftigen Kosmos entfaltet. Der Ur-Buddha ist zugleich aber auch der Wesenskern des Menschen, das heißt, jeder Mensch ist offen zu diesem Ur-Buddha hin, er trägt den Ur-Buddha in sich als den diamantenen Kern seiner Existenz. Der irdische Buddha - und das wäre jetzt die Entsprechung zum irdischen Jesus -, der Siddhartha Gautama oder Shakyamuni, ist nur die äußere Verkleidung, hinter der sich der Ur-Buddha hält. Der irdische Buddha öffnet sich meditierend zu dem Ur-Buddha und realisiert ihn so in geschichtlicher Gestalt. Der gesamte kosmologische und soteriologische Prozess tritt im Buddhismus also dadurch in die Wirklichkeit, dass sich der Ur-Grund und Adi-Buddha ausspricht und dadurch zugleich das Welt- und Menschsein ausspricht in seinem Grund. Man könnte also sagen, im Adi-Buddha ist der Ursprung und das Ziel der gesamten Wirklichkeit zur Stelle. Diese Aussage ließe sich ohne weiteres auf den ewigen Christus als Ausdruck des ewigen Logos übertragen. Der Adi-Buddha ist in gewisser Weise der ideelle Mensch bzw. Gott als der ideelle Mensch. Der Buddhismus nimmt darin eine Vorstellung, die sehr im Zentrum der indischen Religion, des Hinduismus, steht, auf. In Rigveda X. Hymnus 90 ist von dem Purusha die Rede. Purusha bedeutet der Mensch, und zwar der Mensch als der Urname Gottes. Dieser stellt ein gleichsam riesiges Urwesen dar, das dadurch, daß es aus sich herausging, sich zerteilte (wir würden sagen: analysierte), ein Viertel seiner Existenz opfert, die Welt hervorbringt und gleichzeitig die Gliederung in eine irdische und eine transzendente Sphäre. Der Purusha könnte heißen: der präexistente Immanuel. Gleichzeitig aber ist Purusha die Bezeichnung für das Selbst, das jeder Mensch als inwendigen Menschen in sich trägt. Die Entsprechung dazu finden wir in der philosophischen und in der christlichen Logos-Idee. Gott oder das Eine, das Ur-Sein, die Ur-Wirklichkeit ist kein toter, sich selbst nicht wissender Grund, sondern ein solcher, der sich selbst gewahrt, sich selbst erfährt, sich selbst ergreift. Diese Selbstergreifung des Einen ist der Logos oder in anderen Formulierungen der Nous. Ich lasse das Wort Nous bewusst unübersetzt. Übersetzungen wie Vernunft oder Verstand bringen einfach nicht zum Ausdruck, dass es sich dabei um die Gewährung des eigenen Seins handelt. Gott ist gewissermaßen sein eigener Ur-Gedanke, und in diesem Ur-Gedanken liegen zugleich alle Gedanken, die Urbilder oder Ideen, aus denen die Welt hervorgeht, die geistige Welt. Die Parallele zum Buddhismus oder auch zur Purusha-Vorstellung der Inder ist unverkennbar. Dieser Urgedanke Gottes wird zugleich personifiziert vorgestellt als Zeus in der griechischen Religion, etwa so bei Plotin, als himmlischer Hoherpriester im Judentum bei Philo, als himmlischer Christus oder Sohn Gottes im Christentum. Dieser personifizierte himmlische Christus darf mit dem historischen Jesus nicht ohne weiteres in eins gesetzt werden. Der historische Jesus ist derjenige Mensch, der sich für den himmlischen Christus oder Logos öffnet und sich ihm opfert. Tillich hat es einmal so ausgedrückt, daß das Verhältnis zwischen Christus und Jesus so bestand, daß Jesus sich ständig dem Christus opferte[4], damit in ihm Christus, der Logos der Welt, ständig zugegen sei. Die alte Kirche hat aber darauf hingewiesen, daß eine solche Beziehung des ewigen Logos oder himmlischen Geistes nicht nur in Jesus da war, sondern auch als samenhaft geteilter Logos in Gestalten wie Herakles, Buddha. Sokrates und so weiter. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, einen Blick auf den Koran zu werfen. Nach der Lehre des Korans und des Islams beziehen sich die heiligen Schriften der Offenbarungsreligionen auf einen Ur-Koran, wörtlich: „Die Mutter des Buches“. „Der Koran als das Wort Gottes“, so Rudi Paret, „ist für den islamischen Theologen al-Baqillani (+ 1013) allerdings von Ewigkeit her existent und somit nicht geschaffen. Aber diese Feststellung gilt nur für den Koran als das eigentliche Wort Gottes - wenn man so sagen will: für den Ur-Koran -. während die den Menschen vorliegende schriftliche oder mündliche Wiedergabe des Korans zeitgebunden und der Sphäre des Irdischen zuzurechnen ist.“[5] Es kommt also zu einer Unterscheidung zwischen dem Koran und dem Wort Gottes (kalam Allah). Koran wäre in diesem Fall der arabische Koran, das Wort Gottes der Ur-Koran. Vom Wort Gottes oder Ur-Koran sagt al-Baqillani:
Als Vermittler aus dem Ewigen in das Zeitliche dient Gabriel. Zur Vermittlung gehört auch die Sprachform des Arabischen. Denn Gott spricht weder Arabisch noch irgendeine menschliche Sprache. „Das eigentliche Wort (Gottes) ist der Sinngehalt, der sich im (göttlichen) Selbst befindet.“[7] Wir haben also hier wieder eine genaue Beschreibung des Logos, des Adi-Buddha, des ewigen Christus, des Purusha, nämlich die Selbsterschließung Gottes und die Zuwendung zur Welt. Gott läßt die „Urschrift“, das ewige Wort, in der jeweiligen Sprache eines Volkes übermitteln, den Arabern in Arabisch, den Hebräern in Hebräisch, das heißt, alle offenbarten Schriften, insbesondere die Thora der Juden, das Evangelium der Christen und der Koran der Moslems gehen auf das ewige Wort Gottes, den Ur-Koran, zurück. Der ewige Ur-Koran, das eigentliche Wort Gottes, ist den Menschen nach al-Baqillani nur mittelbar zugänglich und verständlich, nämlich in einer durch die jeweilige Umweh bedingten sprachlichen Verkleidung. Dann stehen auf der irdischen Ebene der historische Buddha, der historische Jesus, der arabische Koran, der Veda als Schrift nebeneinander. Der Ur-Koran entspricht hingegen dem ewigen Logos, dem ungeschaffenen Wort Gottes, das mit Gott gleichzeitig ist, dem himmlischen Christus oder primären Immanuel. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß in den Religionen eine Beziehung besteht zwischen dem primären Immanuel und dem eigentlichen Wesenskern des Menschen. Dieser Wesenskern trägt in der indischen Überlieferung die Bezeichnung Selbst oder Atman. Dieser Begriff Selbst ist streng vom Ich zu unterscheiden. Er meint nicht so sehr eine menschliche Immanenz, als besitze der Mensch das Göttliche, das im Selbst in ihm ist, sondern es meint das Hineinragen der Transzendenz in die Immanenz. Es meint daher letztlich auch nicht ein Eingesperrtsein des Göttlichen in der menschlichen Innerlichkeit, sondern das Vorstoßen des Göttlichen oder des Seinskerns in die Innerlichkeit des Menschen. Das Selbst ist, wenn ich so sagen darf, nicht in man, sondern into man. Die menschliche Innerlichkeit ist zum Selbst hin offen oder wird vom Selbst zum Göttlichen hin geöffnet. Es handelt sich um ein transpersonales und transsubjektives Phänomen. Der vedische Purusha-Hymnus bringt das in sehr schöner Form zum Ausdruck: Sahasra-shirsha purushah: „Tausendköpfig ist der Purusha“. Die Zahl Tausend will die Unendlichkeit besagen. Das heißt, in diesen Selbstkeimen ist gleichsam eins von den unendlich vielen Häuptern des Seinsgrundes in uns selbst, wirkt in uns hinein und öffnet uns zur Tiefe unserer Psyche. Das Selbst ist der geheime Mittelpunkt, über den eine Wirkung des Transpersonalen zum Ich hin vorstößt. Das Selbst ist der Logos als das Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in die Welt kommt (Johannesevangelium 1,9), und zwar vor Christus, zur Zeit Christi, neben Christus und nach Christus. Es ist das innere Licht, der innere Christus in diesem Sinne. Es ist der Purusha, wie wir auch sagen können, es ist der Adi-Buddha als der innere Buddha oder Kristallkern unseres Wesens, oder es ist das Mohammed-Licht, das als Inspirationslicht (nur muhammadiya) die Propheten erleuchtete. Es ist der Nous von Römerbrief 7,22f., der mit dem inwendigen Menschen, dem eso anthropos, identisch ist. Wägt man die strukturellen Entsprechungen, die wir an buddhistischen, hinduistischen, christlichen, islamischen und platonischen Beispielen aufgezeigt haben, ab, dann hat man den Eindruck, es in den verschiedenen Religionen im Grunde genommen nur mit Einer Religion zu tun zu haben, die je nach dem Kulturraum, dem Volkstum, der geschichtlichen Zeit und der Gesellschaftsform unterschiedlich gewandet ist. Alle Religionen wären dann Lichter aus dem ewigen Licht. Diese Einsicht verdient einen Hinblick auf den Koran. Sure 5 enthält die letzte, dem Propheten Mohammed mitgeteilte Offenbarung. „Heute habe ich euch eure Religion vollendet“, heißt es V.5. Man hat sie daher das Testament des Korans genannt.[8] Diese Sure bringt dann in den Versen 52 und 53 den Gotteswillen zum Ausdruck: „Einem jeden von euch haben wir eine klare Satzung gegeben und einen deutlichen Weg vorgeschrieben. Und hätte Gott es gewollt, er hätte euch alle zu einer einzigen Gemeinde gemacht. Doch er wünscht euch auf die Probe zu stellen durch das, was er euch gegeben. Wetteifert daher miteinander in guten Werken.“ Der Koran vertritt einen religionsökumenischen Standpunkt; Gott will nicht Eine Religion, er will viele; aber in den vielen verkündet er die Eine. Der Übersetzer des Korans Sadr-ud-din sagt in diesem Sinne zur Stelle: „Die Menschheit teilte sich in verschiedene Gruppen und Gemeinschaften. Ihre Umstände, ihre Notwendigkeiten und der Stand ihrer Geistesverfassung waren verschieden. Alle riefen sie nach Gesetzen, die ihren Lebensbedingungen entsprachen und je nach der Stufe ihres geistigen Fortschritts eingerichtet waren. So entstanden die verschiedenen Religionsgesetze. Aber wirkliche Religion bleibt immer dieselbe. Ihre Wurzel ist das Gefühl der Abhängigkeit von Gott, in dessen Willen man sich gern und ganz schickt, und die Liebe zur Menschheit, der man das Möglichste an guten Diensten leisten will, und für die man, da sie ein Werk Gottes ist, tiefinnerste Neigung hegt.“[9] Dabei unterscheidet Sadr-ud-din twischen Frömmigkeit und Kirchlichkeit, zwischen Religion und Orthodoxie. Die strukturelle Entsprechung weist, um den Ausdruck von Ulrich Mann zu gebrauchen, auf die „Religion in den Religionen“[10] hin. Das wirft aber sogleich eine neue Frage auf. Wie ist eine wirkliche Wechselwirkung zwischen den Religionen möglich, wenn alle im tiefsten Grunde nur das Gleiche verkündigen? Lohnt es sich dann überhaupt, sich mit einer anderen Religion zu beschäftigen, wenn ich ja schon in der eigenen alles vorfinde? Man wird zunächst dazu sagen müssen: In den verschiedenen Religionen sind die Aspekte unterschiedlich akzentuiert. Ulrich Schoen weist, wie schon erwähnt, auf die Bilder von Vasarely hin. In diesen Bildern liegen mehrere Perspektiven ineinander, obgleich man mit einem Blick nur je eine Perspektive wahrnehmen kann. Dieser Vergleich hilft uns natürlich auf dem Wege nicht weiter, wie eine wirkliche Wechselwirkung zwischen den Religionen entstehen kann. Ulrich Schoen meint: „Die Religionen müssen sich wechselseitig einander aussetzen.“[11] Ich möchte an dieser Stelle auf eine Erkenntnis der Tiefenpsychologie CG. Jungs zurückgreifen. Jeder Traum, sagt CG. Jung, stellt eine Offenbarung aus dem Unbewussten dar, insbesondere der große, der archetypische oder urbildliche Traum. In diesem manifestiert sich das Selbst und verhält sich darin komplementär zur bewussten Einstellung des Träumers. Der Traum enthält also eine wichtige Botschaft des Selbst an das Ich. Will ich diese Botschaft in ihrem Umfang und in ihrer Tiefe einigermaßen erfassen, dann muss ich ihre Bildelemente mit analogen Vorstellungen aus dem Mythos, dem Märchen, der Kunst, der Folklore und ähnlichem anreichern oder, wie Jung es nennt, amplifizieren. Träume ich also von einem Schloss auf einem Berge, dann wäre es zu amplifizieren mit dem Gralsschloss, dem himmlischen Jerusalem oder der Stadt auf dem Berge von Matthäus 5.14. Das Schloss oder die Burg auf dem Berge ist, wie ich wenigstens hinzufügen will, ein Bild für das Selbst, das dem Menschen einen Aufstieg zu einer Bewusstseinserweiterung und einer umfassenderen Ganzheit zumutet. Selbstverwirklichung ist Verwirklichung des Selbst, nicht lch-lnflation. Diese tiefenpsychologische Einsicht bedeutet, auf die Religion angewandt: Jede Religion kann oder muß mit jeder amplifiziert werden. Dabei ist die folgende Erkenntnis von leitender Bedeutung: Der Adi-Buddha. der Purusha, der ewige Christus, das Wort Gottes als tiefenpsychisch erfahrenes Inspirationswort sind Archetypen des Geistes oder Sinns im Umkreis des Archetyps des Selbst. Wo diese Bilder oder Symbole zu wirken beginnen, wird der Mensch auf den Weg der Selbstverwirklichung gestellt. Er bekommt aus der seelischen Tiefe die dahingehenden Impulse. Ich möchte das im folgenden an drei Beispielen wenigstens andeuten und in einem vierten ausführlicher erläutern. Der Adi-Buddha ist in der buddhistischen Lehre und Kunst von vier Dhyani- oder Meditationsbuddhas im Sinne der vier Himmelsrichtungen umgeben. Sie werden zugleich in einen hegenden Kreis, ein Mandala, eingefügt. Ein so gestaltetes Mandala dient der Meditation und bildet einen Ausdruck der Ganzheit. Wir können von dort aus einen Hinweis auf die Christusdarstellungen gewinnen, die ihn in die Mitte der vier Evangelistensymbole versetzen, die in dreien als Tiere (Löwe, Stier, Adler), im vierten als Mensch dargestellt sind und auf den Gotteswagen der Ezechielvision zurückweisen. Auch dies ist ein Ausdruck der Ganzheit, ein umfassendes Symbol. Hier zeigt sich aber schon die Meditationsschwäche des traditionellen Christentums. Sehe ich den ewigen Christus in einem symbolischen Zusammenhang mit dem Adi-Buddha, dann drängt eine solche Amplifikation in die Richtung der Meditation. Es entsteht dann die Frage nach einem christlichen Yoga, der sich ohne die Hilfe der östlichen Religionen nicht entwickeln kann. Jedenfalls lernen heute einige Franziskaner unbefangen bei buddhistischen Lehrern Zen-Meditation. Ich habe mich immer über die Teilnahmslosigkeit gewundert, mit der christliche Theologen an der Anthroposophie Rudolf Steiners vorübergehen; denn hier haben wir einen christlichen Yoga als Ausdruck eines esoterischen Christentums. Amplifizieren wir, drittens, die Purusha-Vorstellung mit der des Christus, dann Irin in kosmischer Umfassung das Symbol „Christus das Alles in Allem“ in den Blick. Der Blick wird dann frei für den Gottes- oder Christuskern in allem, den zu erkennen, die eigentliche Liturgie des Daseins ausmacht. Alles leuchtet auf aus seinem Kern, darin zugleich das zentrale Symbol der Religion aufglänzt. In den Zusammenhang dieser Amplifikation gehört das Forschungswerk von Teilhard de Chardin, das in einer kosmischen Liturgie aufgipfelt. Insbesondere aber möchte ich noch eingehen auf das Phänomen der Gegensatzvereinigung. Buddhistische Mandalas stellen zuweilen die Dhyanibuddhas in sexueller Vereinigung mit ihren weiblich verstandenen Bodhisattvas dar. Diese Vorstellung ist tantrisch vermittelt. Der Kosmos beruht auf der sexuellen Vereinigung der Göttin Kali mit Mahakala, beziehungsweise der von Shiva und Shakti. Dabei muß man bedenken, daß das Wort Shakti so viel wie Energie bedeutet. Die männliche Potenz erfährt ihre Gestaltungsmöglichkeit, das eigentlich Schöpferische, aus dem Zuströmen der weiblichen Seinsenergie. Will man diesen Zusammenhang weiter amplifizieren. muß man nach China zum I Ging und zum Judentum der Kabbala gehen, wie hier wenigstens angedeutet sein soll. Ansätze für ein christliches Tantra finden wir im Hohenlied, in der Kabbala und im Chassidismus, in der Brautmystik des Mittelalters und gewissen Elementen der spirituellen Schäferspiele im Herrnhutertum. Es muss zu denken geben, daß Marc Chagall die Hälfte seiner Bilder zur Bibel ausschließlich Szenen aus dem Hohenlied gewidmet hat, als wollte er damit sagen, dass diese ebenso sinnenhafte wie religiöse Erotik den eigentlichen Gehalt der biblischen Religion ausmache. Die erotische Meditation ist heute dringend gefordert und sollte nach Offenbarung 19,7 die Erfüllung des christlichen Heilsmysteriums bringen: die Hochzeit des Lammes ist gekommen, und seine Frau hat sich bereitet. Nach der Tiefenpsychologie von CG. Jung gilt die Vereinigung des Männlichen und des Weiblichen als Ausdruck der Selbstverwirklichung. Der mann-weibliche oder androgyne Mensch fordert aber eine Repräsentation im Gottesbild, das bisher ausschließlich den männlichen Menschen vertritt. CG. Jung sieht daher in dem 1950 von Papst Pius XII. im heiligen Geist ex cathedra verkündeten Dogma von der Assumptio oder leibhaften Aufnahme Mariens in den Himmel eine Entscheidung, die in diese Richtung geht. Mit nicht zu überhörender Eindringlichkeit wendet sich Jung daher an den Protestantismus, wenn er in „Antwort auf Hiob“ schreibt: „Die Konsequenz der päpstlichen Deklaration ist nicht zu überbieten und überlässt den protestantischen Standpunkt dem Odium einer bloßen Männerreligion, die keine metaphysische Repräsentation der Frau kennt; ähnlich dem Mithraismus, welchem dieses Präjudiz sehr zum Nachteil gereicht hat. Der Protestantismus hat offenbar die Zeichen der Zeit, die auf die Gleichberechtigung der Frau hinweisen, nicht genügend beachtet.“ Jung sagt dann weiter: „Wie man die Person Christi nicht durch eine Organisation ersetzen kann, so auch nicht die Braut durch die Kirche. Das Weibliche verlangt eine ebenso personhafte Vertretung wie das Männliche.“[12] Es bildet daher einen in die Zukunft weisenden Höhepunkt der neutestamentlichen Offenbarung, wenn in der Johannes-Apokalypse Kapitel 12 der zweite Erlöser von der Frau des Lammes, der Sonnenfrau, geboren wird, der ganz im Zeichen der Ganzheitskonstellation einer Gegensatzvereinigung steht: „Und es erschien ein großes Zeichen im Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen. Und sie war schwanger und schrie in Kindesnöten und hatte große Qual zur Geburt. Und sie gebar einen Sohn, und ihr Kind ward entrückt zu Gott und seinem Thron.“ Es ist ein Symbol von Tag (Sonne) und Nacht (Mond), von bewusstem und unbewusstem Sein, von Männlichem (Sonne) und Weiblichem (Mond). Ein neues Gottesbild und, darin enthalten, ein neues Menschenbild ist in diese Schau von Offenbarung 12 hineingestellt. Das Unbewusste des modernen Menschen scheint in besonderem Maße vom Geheimnis der Gegensatzvereinigung und der Erweiterung des traditionellen Gottesbildes erregt zu sein. Die christliche Religion bedarf offenbar, worauf manches im Neuen Testament hinweist, einer Nachoffenbarung. CG. Jung spricht von einer Erweiterung der rein männlich akzentuierten Trinität durch Hineinnahme des Weiblichen zur Quaternität Vierheit und Mandala, im Buddhismus, wie wir sahen, ein geläufiges Bild der Ur-Wirklichkeit, zeigen sich nicht selten in modernen Träumen an. Auf die Gegensatzvereinigung weisen moderne Träume, wie sie Helmuth Hark in seinem Buch „Der Traum als Gottes vergessene Sprache“ veröffentlicht hat.[13] Insbesondere das Unbewusste moderner Frauen ist von diesem Motiv der Ganzwerdung konstelliert und drängt auf Aufnahme ins Bewusstsein. Unter Betonung ihres fraulichen Seins schreibt eine Träumerin: „Mir als Frau ist eine intuitive Schau gegeben, und ich erlebe und erleide in meiner Person die Wandlung des Gottesbildes, wie es wohl viele Menschen erleben.“[14] So sieht sie eine Gestalt, die sie zuerst als „den ewigen Menschen“ bezeichnet, dann aber als Zen-Priester erkennt. Sie begreift diesen Traum als Ergänzung Christi und des christlichen Bildes vom Menschen. Sie spricht in diesem Zusammenhang von der „Rückseite meines Christusbildes“.[15] „Die christliche Botschaft“, so schreibt sie in ihr Tagebuch, „betont das Wort, das Geistige, das Aktive. Dieser östliche Priester dagegen ist in seine Imaginationen versunken und ruht ganz in seinem Leibe. Er ist passiv und lässt die Dinge geschehen.“[16] Eine andere Frau sieht sich im Traum an das Ufer eines großen Stromes hinabgeführt. In feierlicher, man möchte sagen, hieratischer Sprache schildert sie: „Und ich sah - und siehe, eine große Gestalt stieg empor aus den Wassern, der Leib war der Leib einer Frau und das Haupt eines Mannes Haupt, die Anne waren ausgebreitet wie der Querbalken eines Kreuzes. Um das Haupt kreisten die Gestirne, die Arme umspannten nicht nur die Rosstrappe und den Hexentanzplatz, sie umfassten die ganze Erde, ja das All.“ Hier taucht aus dem Strom des Lebens der Gekreuzigte als mannweibliches Wesen empor. Ein Bote erscheint im Traum und erläutert ihr: „Das ist der ICH BIN. Der Leib ist die große Mutter, die ausgebreiteten Arme sind der Vater, das Haupt ist der Sohn ... Gott ist der ICH und der Heilige Geist ist der BIN!“ Das auftauchende Bild vereinigt das uralte Symbol der großen Mutter mit der männlichen Gottesvorstellung der christlichen Trinität. es zeigt den Ganzheitsaspekt des Kreuzes und schließt durch den Hinweis auf Rosstrappe und Hexentanzplatz den Aspekt der Vitalität und des Dämonischen mit ein. Ein neuer Mensch soll geboren werden, der das Getrennte wieder vereinigt. Gott will sich darin neu verleiblichen. „Und da mich nun alle Kraft verließ, neigte (der Bote) sich zu mir und rührte mich an und stärkte mich. Sein Gewand aber war wie das Silber des Mondlichts. Und da er mich aufgerichtet hatte, fragte ich ihn: 'Und wer bist du?' - 'Dein Engel und dein Dämon', antwortete er mir, 'da du liefest auf der Teufelsmauer, war ich die höhnische Stimme. Ihr törichten Menschen wisst nur nicht, dass wir beides sind, Wasserquelle und Feuerflamme. Du aber musst nun eingehen in den Schoß der großen Mutter. Dort lernst du die rechte Anatomie, dort sind auch deine Kindlein.“'[17] Die Phantasie und das Phantastische verbergen tiefere Wirklichkeitsschichten und verlangen eine eigene Zugangsart des Erkennens. Beim Hinabsteigen in die Tiefe der Seele stoße ich auf eine Schicht, die nicht mehr „meine“ Seele, „meine“ Psyche ist. Es ist die Kollektivseele. die ich dann erreiche, die Menschheitsseele, die das enthält, was immer schon war, ist und sein wird. Es ist die Welt der Archetypen oder Urbilder, in denen die Kräfte sich spiegeln, darstellen und gegebenenfalls in mein Leben eigreifen, die die Religionen als höhere Wesenheiten - Engel, Götter. Dämonen - kennzeichnen und beschreiben. Gegenüber der „subjektiven Psyche“ stellen sie eine tiefere, umfassendere „objektive Psyche“ dar. die sich zur Weltseele weitet. Es gibt darüber hinaus Grund zu der Annahme, dass diese Archetypen ursprüngliche Anordner darstellen, die nicht nur das psychische Leben, sondern auch dessen materielle Spiegelung, das physische Sein, konstellieren, impulsieren und anordnen. CG. Jung und der Physiker Wolfgang Pauli haben diesen Zusammenhang bei Erforschung der sogenannten Synchronizitätsphänomene wahrscheinlich gemacht. Darauf kann hier nur hingedeutet werden. Die Welt des Archetypischen bildet den Wurzelboden des Wirklichen und spricht sich in der Evolution aus, die in der Geschichte der Religionen weitergeht; denn m den Religionen nimmt der Mensch seine Behausung in den Urbildern, die zugleich den Quellgrund für jede sich entwickelnde Kultur bilden, selbst da. wo man sich von dieser Welt der Urbilder, der Welt des Transpsychischen und Transphysischen zu emanzipieren sucht. Das Archetypische hat daher nicht nur eine Innenstruktur und eine Tiefenstruktur; es ist zugleich das Innen und Außen Umgreifende. Weil immer nur ein feil der Wirklichkeit bewusst, der andere hingegen unbewusst ist, sind letztlich nur paradoxale Aussagen wahr. Das Unbewusste verhält sich komplementär bzw. kompensatorisch zur jeweils bewussten Einstellung. Man sollte sich darum nicht wundern, wenn Gott in den Religionen bald als Person, bald als reines Sein, bald transzendent, bald immanent vorgestellt wird. Dogmatische Entscheidungen nach der einen oder der anderen Seite werden der vollen Wirklichkeit nicht gerecht. Die Tiefenpsychologie CG. Jungs stellt eine Brücke zu Erkenntnissen dar. die das normale (eurozentrische) Bewusstsein übersteigen. Wesentliche Einsichten verdankt Jung für seinen Zugang zur Tiefe der Seele der Begegnung mit der fernöstlichen Mystik und Yoga-Technik. Wenn er sich auch dagegen aussprach, daß der abendländische Mensch die indischen Meditationswege einfach übernimmt, ist es heute notwendig, sich mit den Grundlagen derselben vertraut zu machen. Alle Erkenntnisse der westlichen Naturwissenschaft, auf die unser Bild vom Kosmos zurückgeht, beruhen auf der Verarbeitung von Daten, die der Mensch seinen Sinnesorganen verdankt. Auch wenn er die Wahrnehmungsfähigkeit derselben durch Vorschalten hochempfindlicher Instrumente (z.B. Elektronenmikroskop) um ein Gewaltiges verstärkt, so bleibt er doch im Umkreis dieser Organe, wie er durch informations-verarbeitende Maschinen nur sein normales Bewusstsein verstärkt. Die Yoga-Erkenntnis hingegen entwickelt durch meditative Übungen neue, übersinnliche Wahrnehmungsorgane, mit deren Hilfe der Mensch befähigt wird, in eine hinter der physischen Welt liegende geistige Welt hineinzuschauen. Diese übersinnlichen Wahrnehmungsorgane werden Chakras oder Lotusblumen genannt. Es ist auch dem Neuen Testament bekannt, daß der Mensch aus einem stofflichen, einem seelischen (soma psychikon) und einem geistigen Leib (soma pneumatikon) besteht. Nach dem Apostel Paulus hat nur der geistige Leib Anteil am ewigen Leben.[18] Die indische Erkenntnis unterscheidet zwischen einem physischen Leib (sthula-sharira), einem Ätherleib (linga-sharira). einem Astralleib (sukshma-sharira) und einem Ich-Bereich (aham-kara). Der Mensch besteht also aus verschiedenen leiblichen Hüllen, denen eine entsprechende physische, seelische und geistige Welt zugeordnet ist. Alles, was der Inder über diese Hüllen und Welten aussagt, sind nicht Phantasien oder Spekulationen, sondern Wahrnehmungen. Es handelt sich dabei auch nicht um Glaubensgegenstände, sondern um objektive Wahrheit auf einer höheren Stufe. Sie zu ignorieren oder zu leugnen, macht das Defizit der westlichen wissenschaftlichen Weltanschauung aus. an dem die christliche Theologie teilhat. So glaubt der indisch Erleuchtete nicht an die Wiederverkörperung, sondern er nimmt sie wahr. Die Lotusblumen sind Wahrnehmungsorgane des Astralleibes, die sich an der Grenze zum Ätherleib befinden Sie bilden Schwingungszentren der Lebensenergie. Der Mensch stirbt nicht nur mit seinem physischen Leib, sondern bald darauf auch mit seinem Ätherleib. Er tritt nach Verlassen desselben in die Astralwelt, den Ort der Begierden, ein und durchleidet das, was traditionell Fegefeuer genannt wird. Eine „ewige“ Hölle gibt es nicht. Der Mensch ist in der Astralwelt gleichsam sich selbst ausgeliefert. Nach dem Tode des Astralleibes erreicht der geistige Kern des Menschen, sein Selbst oder höheres Ich, die geistige Welt, die in der traditionellen Sprache Himmel oder Paradies heißt. Er schaut in ihr die Ur-Gestalten der Schöpfung, die reinen Ideen, und betritt von dort aus die übergeistige Sphäre des reinen Seins, die zugleich das Nichts oder das Leere der Gottheit ist, daraus alles stammt. Der Mensch trägt diese Bereiche in seinen leiblichen Hüllen und seinem Wesenskern bereits in sich, sie werden ihm durch den Tod nur enthüllt. Wenn daher der Mensch in die Tiefe seines Seins hineingeht, geht er damit zugleich in die Tiefe des Kosmos, ja der Gottheit hinein. Der Mensch ist nach dem Bilde der Gottheit und nach dem Bilde des Kosmos geschaffen. Der Mensch ist der kleine Gott der Welt und Mikrokosmos, der Kosmos ist der große Mensch oder Meganthropos. Diese Erkenntnisse stehen stärker, als man es im Allgemeinen wahrhaben will, im Hintergrund der christlichen Religion. Es ist unzutreffend, dass das Christentum mit diesen Einsichten unvereinbar sei. Das Neue Testament ist voller Hinweise. Sie werden meist mit dem Gnosisverdacht abgelehnt oder, wenn es sich um Worte Jesu oder des Paulus handelt, umgedeutet. So enthalten die Reden Jesu deutliche Hinweise auf das Selbst, den geistig-göttlichen Wesenskern des Menschen. So in den Gleichnissen vom Samenkorn, das in den Acker, das heißt in uns. gesät worden ist als zu entfaltendes Göttliches in uns. Niehl die synoptischen Evangelien, sondern das gnostische Thomasevangelium gibt den ursprünglichen Sinn der Gleichnisse wieder. Das Markusevangelium macht ja schon durch die Zwischenschaltung einer Geheimnistheorie, die auf eine Beziehung der Gleichnisse zum Golgathaopfer verweisen soll, deutlich, daß es den ursprünglichen Sinn nicht mehr versteht, deutet aber noch einen Unterschied zwischen exoterischem und esoterischem Verständnis an. Die exoterische Deutung geht auf ein irdisches Reich Gottes im Sinne der apokalyptischen Erwartung, die esoterische auf die Findung des Selbst als Reich Gottes in uns. In diese Richtung weist auch Lukas 17,21: „Das Reich Gottes ist inwendig in euch.“ Das ist die sprachlich genauere Übersetzung und der ursprüngliche Sinn der Stelle, die ein selbständiges Jesuswort bildete, ehe sie bei Lukas aus der theologischen Zielsetzung seines Evangeliums eine neue Bedeutung annahm: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch“, mit Beziehung auf Christus als Mitte der Zeit. Der Raum reicht hier nicht aus, den Spuren einer christlichen Gnosis im Neuen Testament nachzugehen, die man nicht mit der häretischen Gnosis gleichsetzen darf. Es gab offenbar eine Geheimlehre Christi, die er den Jüngern kata monas (allein, esoterisch) mitteilte. Der Apostel Paulus spricht davon, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt der Menschheitsentwicklung der Glaube kam (Galater 3,23). P. Althaus schreibt zu der Stelle: „Die Zeit des Glaubens als Heilsweg war nicht von Anfang an da (obgleich ein Mann wie Abraham geglaubt hat); der Glaube ist erst in einem bestimmten Zeitpunkte 'gekommen', nämlich (V.24) als Christus kam. auf den er gerichtet ist. Da erst wurde der Heilsweg des Glaubens, den Gott schon von Ewigkeit her vorgesehen, aber noch als Geheimnis verhüllt hatte, 'geoffenbart'.“[19] Der Mensch schaute ursprünglich in die Welttiefe hinein; er sah in einer Art von Traumbildsehen die Wesenheiten, Götter, Engel und Dämonen, die den Hintergrund unserer Welt bilden. Unter diesen Bedingungen hatte der Glaube keinen Sinn. Unser Bewusstsein ist nicht immer so gewesen, wie wir es heute erfahren, und es wird sich auch in Zukunft nicht immer so darstellen, wie es sich uns heute kundgibt. Unser Bewusstsein ist hineingenommen in eine Bewusstseinsgeschichte. Der Verlust des ursprünglichen Traumbildsehens hängt zusammen mit der Entwicklung des Zentrums des Bewusstseins, des Ich. In einem langen, notwendigen Prozess der Bewusstseinsgeschichte hat sich dieses Ich von dem traumbildhaft erfahrenen Welthintergrund abgelöst und verdeckt nun denselben. Es hat sich von ihm „emanzipiert“ und, in der Folge davon, atomisiert. Jeder einzelne Mensch, jedes Ich, erfährt sich als eine abgelöste Entität, abgelöst vom Hintergrund der Welt und von der Tiefenverbundenheit mit dem Mitmenschen und den Mitgeschöpfen. Es ist insbesondere R. Steiner, der auf diese Zusammenhänge der Bewusstseinsgeschichte hinweist. Nur der Glaube überbrückt den Verlust der unmittelbaren Verbundenheit mit dem Grund des Seins. Die Welttiefe, in die der Mensch ursprünglich hineinschaute, ist in das menschliche Unbewusste gefallen. CG. Jung nennt dies den Sternenfall. „Seitdem die Sterne vom Himmel gefallen und unsere höchsten Symbole verblasst sind, herrscht geheimes Leben im Unbewussten.“[20] Die geistig-göttlichen Wesenheiten, die den Kosmos durchdringen und tragen, wirken durch das archetypische Geschehen in der Tiefe der Seele. Der Mensch besieht nach dem „Sternenfall“ aus Bewußtem und Unbewusstem. Seine Aufgabe ist es. beide Bereiche zu vereinigen. Das Ich-Prinzip, der aham-kara (Ich-Macher), das den Menschen von der Welt und ihrer Tiefe getrennt und so das Ego zum zentralen Bezugssystem gemacht hat. gilt es als das Integrationsprinzip zu erkennen, dass das Bewusstsein um die Tiefenbereiche des Unbewussten erweitert. Der Mensch wird darüber zur Person. Es scheint so zu sein, als habe es im Interesse der Tiefe der geistig-göttlichen Welt gelegen, im Ich des Menschen eine Instanz hervorzubringen, in der sie sich selbst in Bewusstsein und Freiheit erscheine. Das Ich wird zum Spiegel und Sprecher des göttlichen Wesenskerns des Menschen, des Selbst, das aus den liefen des Unbewussten auftaucht. Wir haben uns die Frage gestellt: Was kommt nach dem Abschluss der christlichen Theologie? Es sind drei Dimensionen des Fragens und der neuen Erfahrungen, die sich uns zeigten. Es ist, erstens, die synoptische Begegnungsart im Blick auf die Welt der Religionen. Es handelt sich dabei nicht so sehr um die Feststellung von Identitäten oder bloßen Parallelen, sondern um komplementäre und paradoxale Vervollständigungen. Zweitens geht es darum, die Tiefe der menschlichen Seele selber als Quelle der religiösen Wirklichkeit zu erfahren, die zugleich die eigene, historisch gegebene Religion übergreift. Im kollektiven Unbewussten und seiner Archetypik ist ein Fundament gegeben, das alle Religion in sich vereint. Schließlich führen die östlichen Meditationserkenntnisse in einen Zusammenhang von astralen und mentalen Welten, der den Rahmen unseres westlichen, traditionell-christlichen Weltbildes sprengt. Es geht bei diesen Einstellungen nicht um eine künstlich zu schaffende Superreligion (Synkretismus), sondern um einen Erfahrungs- und Erlebnisaustausch, in dem sich wirkliche Religionen begegnen. Aus allen Religionen bricht göttliche Tiefe hervor, die sich in der menschlichen Person individuieren will. Es kommt heute wahrscheinlich mehr darauf an, die Beiträge der Religionen von den Erfordernissen der Individuation als von denen der Reproduktion religiöser Gemeinschaften aus zu werten. Im nie abschließbaren Individuationsprozess wird jede kollektive Religion dann durchsichtig für die „Religion in den Religionen“, die U. Mann, der den Ausdruck geprägt hat, bei anderer Gelegenheit die „Religion ohne Namen“ nannte.[21] In ihr erfüllt sich erst eigentlich das Streben nach einer persönlichen Religion. Anmerkungen[1] Der Beitrag stellt eine Zusammenfassung der beiden in der Zeitschrift „Religion heute“ erschienenen Aufsätze dar: „Von der Theologie der christlichen Religion zur Ideologie der Religionen“ (1/1986) und „Was kommt nach dem Abschluß der christlichen Theologie?“ (4/1988) [2] Ulrich Schoen. Das Ereignis und die Antworten. Auf der Suche nach einer Theologie der Religionen heute. Göttingen 1984 [3] K. Barth. Die Kirchliche Dogmatik. 4. Band. 3. Teil. I. Hälfte, Die Lehre von der Versöhnung. Zollikon-Zürich, 1959; siehe zu dem Ausgeführten die Seiten 115-153. aber auch U. Schoens Ausführungen auf S. 88ff. seines Buches „Das Ereignis und die Antworten“, in denen auch auf den Dialog mit dem Buddhismus angespielt wird. [4] Tillich wörtlich: „(Jesus) bestätigt seinen Charakter als Christus gerade dadurch, daß er sich als Jesus preisgibt an sich als den Christus“ Systematische Theologie. Band II. Stuttgart 1958. 3. Aufl.. Seite 134 [5] Rudi Paret, Der Standpunkt ul-Baqillani's in der Lehre vom Koran (1956). in: Rudi Paret. Der Koran. Wege der Forschung Bd. 326. Darmstadt 1975. S. 422 [6] Ebd.. S. 423 [7] Ebd.. S. 424 [8] So mündlich M. S. Abdullah [9] Der Koran. Arabisch-Deutsch, Übersetzung, Einleitung und Erklärung von Maulana Sadr-ud-din. Berlin 1964. 2. Aufl.. Seite 197 [10] Titel eines Buches von Ulrich Mann. Stuttgart 1975 [11] So dem Sinn nach in dem Abschnitt „Theologie der Religionen in interreligiöser Existenz“, in: „Das Ereignis und die Antworten“. Seite 112ff. [12] CG. Jung. Antwort auf Hiob. Gesammelte Werke 11, Olten 1973. 2. Aufl.. Seite 498f. [13] Helmut Hark. Der Traum als Gottes vergessene Sprache. Olten 1982 [14] Ebd., S. 164 [15] Ebd., S. 177 [16] Ebd., S. 178 [17] Ebd.. S. 161 [18] 1. Kor. 15.49f. [19] Das Neue Testament Deutsch, Teilband 8, Die kleineren Briefe des Apostels Paulus. Göttingen 1962. 9. Aufl., Seite 30 [20] CG. Jung. Über die Archetypen des kollektiven Unbewußten. Gesammelte Werke 9/1. Olten 1978. 3. Aufl., Seite 35 [21] Ulrich Mann. Lutherische Monatshefte 3/1964. Seite 58ff. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/92/ps02.htm
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