![]() Globalisierung der Religionen |
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Pilgern als globales Phänomen
Muslime weltweit haben als ein Zentrum ihres Glaubens die Pilgerfahrt nach Mekka, Christen, Muslime und Juden sehen gleichermaßen Jerusalem als eine ihrer heiligsten Orte. Die zahlenmäßige Größenordnung der Wallfahrten in Indien ist besonders phänomenal. Wenn man etwa an die alle 12 Jahre stattfindende Kumbh Mela in Allahabad denkt.[4] Am Zusammenfluss von Yamuna und Ganges, versammelten sich im Jahre 2013 etwa 100 Millionen Pilger! Eine säkulare, digitale Variante des Pilgerns?Neben diesen als religiös ausgewiesenen Pilgerwegen muss man in einer teil-säkularisierten Welt allerdings auch fragen, ob nicht inzwischen eine Reihe von Museen weltweit zu solchen Pilgerstätten geworden sind. Hier lohnte sich eine eigenständige Untersuchung. Ein interessantes Beispiel bietet das Portal „Museum ohne Grenzen“ Dieses „Museum With No Frontiers” hat die Europäischen Union 1995 in Barcelona als Programm für eine „Partnerschaft Europa Mittelmeer“ initiiert. Daraus entwickelte sich ein weitreichendes Kulturprojekt, das schließlich 2005 online gehen konnte. An der Ausgestaltung sind 175 Institutionen, darunter zahlreiche Museen und Universitäten, aus 15 Ländern beteiligt. Für diese virtuellen Touren wurde vielfältiges Begleitmaterial in verschiedene Sprachen entwickelt. So entstand aus dem „Mare Nostrum“ des Römischen Weltreiches in der Gegenwart eine umfassende interkulturelle Begegnung. Sie beinhaltet islamische Kunst in Sizilien bis zur Levante unter Einbeziehung beeindruckender Zeugnisse christlichen Kunst. Die europäische Bedeutung des Jakobsweges
Angesichts großen überregionalen Einflüssen und Wirkungen der Pilgerfahrten lohnt ein Blick auf den Jakobsweg. Er ist der am meisten frequentierte Weg für die Pilger aus Europa und inzwischen aus der ganzen Welt geworden, in den klimatisch günstigen Monaten geradezu ein Massenphänomen. In seiner Geschichte spiegelt er sowohl die Trennung der großen monotheistischen Religionen wie auch ihre inneren Verflechtungen wieder. Als ursprünglicher auch variierender Grenzweg zwischen dem christlichen und islamischen Teil der Iberischen Halbinsel im Mittelalter und Santiago de Compostela als „Ersatz-Wallfahrtsort“ für das in muslimische Hände gefallene Jerusalem spielen diese Motive für die heutigen Pilger allerdings kaum noch eine Rolle.
Wegen seiner ambivalenten Geschichte erscheint der Jakobsweg auf den ersten Blick nicht gerade ein geeignetes Symbol für interkulturelle und interreligiöse Verbindungen zu sein. Die JakobuslegendenWir erinnern uns: Die Legenden[6] erzählen in verschiedenen Variationen, dass Jakobus der Ältere, der Jünger Jesu, bereits in seinem Leben in Spanien evangelisiert habe. Nach seinem dramatischen Tod in Palästina tauchte sein Leichnam auf wundersame Weise wieder in Nordwest-Spanien auf, wo er folglich begraben wurde.
Rückblende: Christliche Missionierung der Welt und der heilige Jakob
In die Geschichte globaler Christianisierung gehört nun auch Bild des heiligen Jakobus, das die Christen der späten Antike und des frühen Mittelalters von ihm zeichneten. Angesichts der „islamischen“ Bedrohung durch die Araber ging es darum, die Iberische Halbinsel „wieder“ christlich zu machen. Man vergaß dabei allerdings, dass das Christentum der Westgoten, also vor der arabischen Eroberung im 8. Jahrhundert, durch den Arianismus und Adoptianismus geprägt war. Es wies z.T. sogar mehr Ähnlichkeiten mit dem Islam auf als die „katholische“ Kirche von Westrom oder Ostrom.[7]
Die Pilgerfahrt zum Grab des Apostels Jakobus in Galizien bildete darum zugleich einen Trost für Pilger, die auf diese Weise dank päpstlicher Empfehlung auch zum Sündennachlass in den Westen Spaniens reisen konnten. Und Santiago de Compostela wurde zum „westlichen Jerusalem.“ Die Flut der (vermutlich nicht nur) um Vergebung nachsuchenden Pilger, von denen viele ihr Ziel gar nicht erreichten, endete erst mit der Reformation. Luther und besonders Zwingli lehnten das ganze Wallfahrts- und Pilger(un)wesen als nicht mit dem Evangelium Christi vereinbar ab.[9]
Die neue Attraktivität des „Camino“
Grenzüberschreitungen und HorizonterweiterungenDie heutigen Pilger auf dem Jakobsweg gehen immer noch auf der Grenzlinie zwischen Islam, Judentum und Christentum und sogar im Kontext steinzeitlicher Traditionen, (wie z.B. die berühmten Höhlenbilder von Altamira am Camino de Costa, dem küstennahen Jakobsweg, zeigen). Die Kirchen, Paläste und Synagogen zeigen arabische Einflüsse und Designs. Wir sollten nicht vergessen: Diese Grenze im Norden von Spanien wurde gleichermaßen von positiven und negativen Rivalitäten der islamischen, jüdischen und christlichen Hochschulen und Schulen von Übersetzern gebildet. Hier näherten sich die alten Wissenschaften von Indien, Iran, Ägypten, Griechenland und Rom an, um dem Rest von Europa eine neue Gestalt zu geben. Insofern lohnt es, den Jakobsweg als kulturelle Brücke zu verstärken. Allerdings ist noch einiges zu tun, um die lange umkämpfte Grenzlinie zwischen dem muslimischen Spanien und dem christlichen Europa aufzuarbeiten. Dennoch der Jakobsweg bietet die fast einmalige Chance auf eine dauerhafte Integration von verschiedenen Trends in der Entwicklung menschlichen Lebensverständnisses als Einzelner und im gemeinschaftlichen Kontexten verbunden mit einem weltoffenen Geist bewusster Grenzüberschreitungen. Damit kann ein solcher Pilgerweg zu einem grundsätzlichen Zeichen werden, das Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Voraussetzungen und Möglichkeiten verbindet und weit über die Geschichte Europas hinauswirkt.
Anmerkungen[1] Literaturhinweise in Auswahl: http://buchvorstellungen.blogspot.de/2014/10/sachbucher-informationen-und.html, vgl. auch: Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.): Wegmarken zur Transzendenz. Interreligiöse Aspekte des Pilgerns Religionen im Gespräch , Band 8 (RIG 8). Balve: Zimmermann 2004 [2] Vgl. dazu die umfassende Einführung bei „Planet Wissen“: http://www.planet-wissen.de/kultur_medien/religion/pilgern/ (abgerufen 27.10.14) [3] http://www.jakobsweg-pilgerweg.de/wallfahrt/definition.html (abgerufen 27.10.14) [4] http://kumbhmelaallahabad.gov.in/english/index.html (abgerufen 27.10.14). Kumbh Mela wird am Ganges alle drei Jahre abgehalten, und zwar an vier Orten, sozusagen im Rotationsprinzip: Haridwar, Allahabad (Prayaga), Nashik and Ujjain. See: https://en.wikipedia.org/wiki/Kumbh_Mela [5] http://www.fernwege.de/jakobsweg/index.html (abgerufen, 27.10.14) [6] Vgl. Andreas Drouve: Die Wunder des Heiligen Jakobus. Legenden am Jakobsweg. Freiburg u.a.: Herder 2007 [7] Vgl. Míkel de Epalza: Jesus zwischen Juden, Christen und Muslimen. Frankfurt/M.: Lembeck 2002 (2. Aufl. als PDF: 2012), Anhänge 1-3, S. 221264: http://www.rpi-virtuell.net/workspace/24686AD5-936C-476D-9EA0-65E2968590C8/archiv_zeitschriften_und_buecher/epalza-%C3%9Cbers-komplett.pdf [8] Texte des Paladins von Karl d. Großen, dem Pfaffen Roland: http://www.jadu.de/mittelalter/roland/ [9] Lutheralphabet Wallfahrt: http://www.luther2017.de/lutheralphabet/w (abgerufen 03.11.2014) [10] Vgl. Tagesspiegel online vom 19.03.2012: http://www.tagesspiegel.de/wissen/die-geschichte-europas-das-christliche-abendland-ist-eine-fiktion/6342154.html (abgerufen 27.10.2014) [11] Statistisches zum Jakobsweg 2005-2014: http://www.pilgern.ch/jakobsweg/statistik.htm (abgerufen 07.10.14) Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Way_of_St._James (abgerufen 27.10.2014) [12] Vgl. Christian Augustin / Johannes Wienand / Christiane Winkler (Hg.):Religiöser Pluralismus und Toleranz in Europa. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2006 und Philip Jenkins, Philip: God’s Continent. Islam, and Europe’s Religious Crisis. Oxford Univ. Press 2007 [13] Weitere Infos bei Wege der Jakobspilger, „Textmaterial“ (03.11.2014): http://textmaterial.blogspot.de/2014/11/die-wege-der-jakobspilger.html |
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Artikelnachweis: https://www.theomag.de/92/rk03.htm
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