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Zwischen Unermesslichkeit und SinnentwürfenAlter, Sterben und Tod im Film[1]Hans J. Wulff
Trotz dieser Überlegung darf nicht darauf geschlossen werden, dass die gesellschaftlichen Vorstellungen des Sterbens und des Todes, wie sie uns im Kino entgegentreten, homogen seien. Nein, ganz im Gegenteil sie sind bis zur Unvereinbarkeit verschieden, bilden ein ganzes Netz von Konzepten und Modelle, sprechen ganz unterschiedliche Horizonte an. Und sie sind immer mit den kulturellen Traditionen kurzgeschlossen, das Sterben und den Tod für die Lebenden zu erschließen, beides in Geschichten verschiedenster Art zugänglich zu machen. Es sind die Symbolarsenale der Mythologie ebenso wie die Bildwelten der Malerei, die Muster des Erzählens oder der Ideologien und der Propaganda, die sichtbar werden, wenn man die Todesdarstellungen sammelt und zu durchdringen sucht. Und es sind vor allem immer auch Konzepte des Lebens und der Identität, die in Sterben und Tod in Frage gestellt werden: Es geht um die für das Subjekt so zentralen Wertkategorien der Handlungsmacht und der Selbstbestimmung, um den Umgang der Anderen die Inszenierung des Kollektivs angesichts des Todes einzelner, um die Selbstinszenierung des Sterbens und um die Reflexion der Lebensentwürfe der Sterbenden. Leinwandtode stehen im Kontext ihrer Geschichten, werden hier als Sinnkonstrukte entworfen und können vom Zuschauer mit seinen erworbenen Wissenszusammenhängen koordiniert werden, diese vielleicht sogar verändern. Und immer geht es darum auch um den Zuschauer, um die Instrumentierung seines Blicks auf das ebenso düstere wie unausweichliche Geschehen, nicht zuletzt seine eigenen Haltungen gegenüber den Alten auf dem letzten Stück des Lebensweges. So sehr man auch mit Forschern wie Ariès der Überzeugung sein kann, dass Sterben und Tod nicht nur medizinische, sondern auch kulturelle Tatsachen, letztendlich symbolische Konstruktionen sind, so sehr wehrt sich die phänomenale Vielfalt der Beispiele gegen eine Vereinnahmung und Unifizierung. Darum auch folgen die Überlegungen dem Prinzip des Kaleidoskops, der Heterogenität der Entwürfe soll Raum gegeben werden weil jeder Film, der das Thema behandelt, den Zuschauer von Neuem herausfordert, die Konzepte zu überprüfen und mit der Geschichte und den Figuren abzugleichen, denen er im Kino begegnet. Seitenhemen wie Freitod und Sterbehilfe bleiben weitestgehend ausgeklammert beide bedürften eigener Überlegung. Und: In der Annahme, dass Todeskonzeptionen in anderen Kulturen und Religionen anders sind, an andere Symbolbestände anschließen, entstammen die Beispiele fast ausschließlich der Produktion der indoeuropäischen Kinematographien. Kulturelle Relativität also auch hier, zumindest der Vorannahme nach. § 1 Verlust der Handlungsmacht: Suicide by CopIn den Kontext der Selbstbewahrung und der Vereidigung der Handlungsmacht am Ende des Lebens gehören die Filme, deren Helden den suicide by cops suchen, ein zum Motiv gewordenes Muster in einer ganzen Reihe von Krimis: Angesichts einer Krankheit wie Alzheimer, die die Handlungsmacht sukzessive auflöst, nicht den Tod qua selbstvollzogenem Suizid suchend, sondern durch die Polizei. So endet ein alter Auftragskiller, dessen Bruder bereits ohne jede Registrierung seiner Umwelt im Pflegeheim lebt, bei einer Ausbruchsinszenierung in den Gewehrsalven der Polizei (in dem holländischen Thriller De Zaak Alzheimer, 2003, Erik Van Looy) seine Waffe war nicht geladen.
Der Freitod im Kugelhagel der Polizisten ist Sterotyp gewordene Schlusswendung von Geschichten, in deren Mittelpunkt Figuren stehen, die ihre Lebensgeschichte im Gegenüber der Ordnungsmächte verankert hatten. Natürlich ist die Figur des Freitodes am Ende einer Geschichte, die den Helden außerhalb der Machthaber gebracht hatte, eine Variante dieses Motivs. Wenn sich General Harras (Curd Jürgens) am Ende von Des Teufels General (BRD 1955, Helmut Käutner) mit einem Flugzeug in den Tod stürzt, ein Ende, das ihn endgültig als Oppositionellen des Naziregimes qualifiziert. Der Freitod ist das Ende einer individuellen Biographie; vor allem aber ist er das Ende einer Geschichte und reklamiert die moralische oder ethische Rechtfertigung für den Protagonisten: Harras ist in dieser finalen Wendung ein Held des verdeckten politischen Widerstandes, die Figur wird trotz ihrer Kooperation mit den Machthabenden rehabilitiert. Der Tod wird zum Mittel, eine moralische Position zu extremifizieren und für den Zuschauer zugänglich zu machen für ihn sind weder Mitleid noch Trauer zentriert, sondern er erstarrt am Ende in resignativer Empörung, vielleicht in einem von Fatalität umhüllten Mitleidsgestus. § 2 Wiedergewinnen der Handlungsmacht oder Die letzte Reise
Die Wendung habe ich viele Male wiedergefunden, oft verbunden mit dem Motiv der Reise (das wiederum der Metapher des „Todes als Reise“ nahesteht). In dem isländischen Film Börn náttúrunnar (Children of Nature Eine Reise, Island/Norwegen/BRD 1991, Friðrik Þór Friðriksson) geht es um den fast 80jährigen Geiri, der seinen Hof auf dem Land aufgeben muss und der zu seiner Tochter nach Reykjavík zieht, die ihn aber schon bald ins Altersheim abschiebt. Dort begegnet der alte Mann einer Jugendfreundin wieder, mit der er in den Westfjorden der Insel aufwuchs. Als ein gemeinsamer Freund stirbt, beschließen die beiden, an den Ort ihrer Jugend zurückzukehren. Sie stehlen einen alten Jeep und brechen in das entlegene und fast menschenleere Paradies ihrer Kindheit auf, um dort in Freiheit zu sterben. Die Reise wird immer phantastischer bleibt am Ende in einem Zustand stehen, in dem das alte Paar ganz mit der Natur zu verschmelzen scheint (unterstützt von der Musik Hilmar Örn Hilmarssons) die so bedrückende Zivilisation ist hinter ihnen versunken.
§ 3 Formeln, Symboliken und MotiveSterben und Tod sind medizinische und kulturelle Tatsachen gleichzeitig. Es gehört zur symbolischen Arbeit jeder Gesellschaft (und vielleicht auch jeden Individuums), Zustoßendes zu interpretieren und es in Begreifbares und Erzählbares umzusetzen. Man stößt schnell auf stereotype Muster, die wiederkehren, die sich allerdings im Lauf der Geschichte wandeln. Immer wieder sind es Modelle von Strafe und Belohnung, die aufscheinen, als sei der Tod Teil einer Lebensbilanz. Da hat einer ein sündiges Leben geführt und stirbt dafür einen schweren Tod. Da hat einer sich für seine Familie aufgeopfert und wird mit einem langen Leben belohnt. Doch sind die symbolischen Modelle, die im Film wie in der kollektiven Imagination den Tod als kulturelle Tatsache erschließen, vielfältiger. Darstellungen des Sterbens und des Todes bedürfen aber des Nachdenkens über das, was in der Fiktion gefordert ist. Das Alltägliche bleibt außen vor; der plötzliche Tod findet sich im Kino ebensowenig wie das Sterben nach langer Zeit im Krankenbett. Kinotode müssen sich in den Kontext der Erzählung einfügen, in seine Sinnhorizonte und seine kausalen Netze. Tod also nicht als kontingente, sondern als narrative Tatsache? Suicide by Cop, die letzte Reise die Frage des Formelhaft-Werdens im Horizont des Erzählens zeichnet sich ab: Kann man den Tod darstellen, wenn man ihn nicht formelhaft einkleidet und einbettet? Im Kino, das sich so für Bewegung interessiert? Wohl am rigorosesten hat der Western den Tod von Figuren formalisiert: Finales Duell, Schusswechsel, einer fällt um, er ist tot. Das war‘s. Vielleicht gibt er noch die eine oder andere Sentenz von sich, wird auch als fiktionale Figur zum Ende gebracht. Auch der Kriegsfilm begnügt sich meist mit Formelhaftem, mit dem Hinfallen der Getroffenen, vielleicht unterschnitten mit Bildern strömenden Blutes, manchmal mit letzten Schmerzlauten. Für die Geschichte langt es, das Sterben von Figuren zu reduzieren, ein im Grunde abstraktes Bild zu finden, das den Tod eher symbolisiert als wirklich zeigt. Es wird viel gestorben im Kino. Doch der Tod „ist nicht Selbstzweck, und nicht auf das physiologische Faktum kommt es an“ (Arnheim 1977, 136), sondern er ist „dramatisches Veranschaulichungsmittel“ (ibid.). Eine Erzählung folgt dem Prinzip der Maximierung „a death is better than a scratch, just as love is better than kindness in terms of narrative situations“ (Alloway 1971, 37). Das Sterben der jungen Figuren ist dramaturgisch interessant, weil es unzeitig ist; das der alten eher beiläufig, sie sind dem Tod sowieso schon nahe. Die Erzählung gewinnt ihre Intensität aus dem maximalen Ausnutzen sozialer Kategorien wie „Nähe“ und „Distanz“, „Konflikt“ und „Loyalität“, „Bedrohung“ und „Verpflichtung“. Nicht auf das physiologische Faktum kommt es an das demonstriert insbesondere der Tod des Gangsters mit Deutlichkeit: Die paradoxe Moral von der Geschichte (der Held des Films ist zugleich ein Missetäter) kommt erst im Tod des Protagonisten zum Vorschein. Eine „Verhaftung“ wäre schwacher Ersatz. Das Aussetzen der Beweglichkeit des Körpers des Sterbenden ist vielfach reduziert worden auf minimale Gesten letzte Blicke (Marschall 2008, 35f), die entkrampfende Hand, das sich entspannende Gesicht, das Wegknicken oder -sacken des Kopfes u.ä.
Ein zweites Bild- oder Motivrepertoire entspringt mythologischen Bezügen. Es sind Bilder des Übergangs, des Verlassens, einer Bewegung ohne Ziel. Der Schwnk zum Himmel als Bildvision des Jenseits, vielleicht sogar als Bild der Auferstehing. In den 1930ern wurde des öfteren mit Lichtarchitekturen gearbeitet, die den Bildraum zu einer unbegrenzten Weiße hin aufzureißen schienen; noch Fearless (Fearless - Jenseits der Angst, USA 1993, Peter Weir) nutzt diese Symbolik. Eine andere Inszenierung nutzt eher Bilder des Verlassens, der Wegbewegung in die Tiefe des Bildes hinein. Im Schlussbild von Wim Wenders‘ Dokumentarfilm Nick‘s Film (Nick's Film: Lightning over Water, Schweden/BRD 1980), in dem er das lange Sterben seines krebskranken Freundes Nicholas Ray begleitet hatte, fährt eine rote Dschunke mit der Urne Rays auf‘s Meer hinaus Beleg auch dafür, dass selbst Dokumentaristen, die die Nähe zum Sterben Nahestehender gesucht haben, auf Bilder und Symboliken zurückgreifen, die Tod und Sterben als gesellschaftliche Tatsachen greifen und damit mitteilbar machen.
Manchmal tritt der Tod als Figur auf (Echle 2009). Selbst dann, wenn der Tod wie ein Zeitgenosse auftritt (wie in Meet Joe Black / Rendezvous mit Joe Black, USA 1998, Martin Brest), wird das Spiel zum Symbol, zu theaterhaftem Geschehen, in dem es um Moral, Werte und Sinngebungen geht. Manchmal entstehen Ketten von Bildzitaten über die Filmgeschichte hinweg: Der ‚Sensenmann‘, der in Last Action Hero (USA 1993, John McTiernan) in Schwarzweiß der Leinwand entsteigt und über das Kinopublikum hinwegzuschweben scheint, stammt aus dem Ingmar-Bergman-Film Det sjunde inseglet (Das siebente Siegel, Schweden 1957), findet sich auch in anderen Filmen. Aber mit einer naturalistischen Darstellung des Sterbens hat das nichts zu tun ‚Gevatter Tod‘ tritt im Mysterienspiel, in Märchen und Allegorien auf, nicht im realistischen Spielfilm. Für den Zuschauer ist der Tod eine eher beiläufige Tatsache. Myriaden von Nebenfiguren kommen in Filmen um, ohne größere Anteilnahme auszulösen. Erst wenn der Tod Person wird (wie in den Sensenmann-Figuren) oder wenn der Übergang des lebendigen Körpers zur Leiche szenisch ausgestaltet ist, ist der Zuschauer im Spiel, als mitfühlend-empathisierendes Wesen wie auch als Mitleidiger oder Trauernder. „Es ist für den Lebenden anscheinend zu schwierig, sich mit einer Leiche zu identifizieren“, heißt es bei Amos Vogel (1997, 266). Und unsere „armselige Vorstellungskraft“ zwinge uns, „viel mehr mit denen zu leiden, die gerade im Sterben liegen, als mit denen, die bereits tot sind“ (ibid.). Tod muss Schauspiel werden, um für den Zuschauer erlebnishaft zugänglich zu werden, heißt das. Gerade darum ist die Todesdarstellung so auf den Gebrauch von Symboliken und Bildmotiven eingeschränkt. All Quiet on the Western Front endet mit dem „Marsch der Toten“ alle Figuren, die im Lauf des Films umkamen, marschieren an der Kamera vorbei in die Tiefe eines diffusen Raumes hinein; und jede wendet sich noch einmal zur Kamera, Abschied nehmend und auf den eigenen Tod verweisend. Es sind nicht die Leichen, sondern erst die Revitalisierung der Toten ermöglicht es für den Zuschauer, die für den Film so wichtige Klage zu aktivieren, die ihn am Ende noch einmal zum Thema des Krieges in Stellung bringt. § 4 Die Toten und die AnderenDie Maßlosigkeit des Todes wird beantwortet von der Trauer, dem Festhalten und der imaginären Adressierung des Toten. Trauerfeiern sind indirekte Thematisierungen des Todes, sie sind filmisch zugänglich, geben sie über alle Bindung an den Verstorbenen Gelegenheit, Konflikte zwischen den Trauernden (erneut) aufbrechen zu lassen, Erinnerungen zu aktivieren und anderes mehr. Den Vorgang des Sterbens selbst umgehen sie, gleichwohl sie gebunden und motiviert sind durch den Dahingegangenen. Auch hier wird mit Formelhaftem gearbeitet Schmerz und Trauer werden in eine (religiös oder weltlich begründete) Liturgie überführt und damit begehbar und ertragbar gemacht.
Dass sich einer im Angesicht des Todes eines Freundes von der Kamera abwendet, in einer Geste der Ohnmacht an einen Lkw lehnt, ist eine andere Form, die Tatsache des Todes gegen die Kamera und den Zuschauer abzuschirmen, die Trauernden in der Privatheit ihres Gefühls zu belassen (ein Beispiel unter vielen findet ich in Konrad Wolfs Ich war neunzehn, DDR 1968).
§ 5 Bühnen und dramatische Motive des TodesDass das Sterben selbst ritualisiert wird, ist fast ausschließlich mit „Freitod“ konnotiert. Sansot spricht in einem weiteren Sinne von einer „Theatralisierung“ des Todes in den Massenmedien (Sansot 1985), ein Vorschlag, der produktiv ist, weil er darauf hindeutet, dass Tod und Sterben in den Dramatisierungen immer ein demonstratives Moment innewohnt, eine bedeutungsinduzierende Geste des Erzählers wird spürbar.
Liebestod und Todeshochzeit sind dramatische Motive, die seit der Antike immer wieder variiert worden sind. Der müde Tod (Deutschland 1921, Fritz Lang) über ein Mädchen, das dem Tod das Versprechen abverlangt, dass sie ihren Geliebten wiederbekommt, wenn es ihr gelingt, eine von drei Kerzen nicht verlöschen zu lassen, oder Robin and Marian (Robin und Marian, Großbritannien 1975, Richard Lester) über den alten, aus dem Kreuzzug zurückgekehrten, müden und rheumakranken Robin Hood, der seine Jugendliebe Marian wiederfindet und mit ihr zusammen in den Freitod geht: Es sind dramatische Grundkonstellationen wie die von Orpheus und Eurydike, von Romeo und Julia und Tristan und Isolde, die als Vorbilder und Modelle aufscheinen. Und der Film zelebriert die Aufbewahrung einer Liebe, die sich melancholisch ihrer Symbolfähigkeit bewusst ist. Liebe ist ein konservatives Gefühl, sie möchte den Augenblick festhalten. Nichts ist so brutaler Eingriff in die Verdauerung des Glücks wie der Tod. Doch sind die Sinnhorizonte, in denen Alter und Tod zusammengebracht werden, nicht immer auf Konstellationen der Kulturgeschichte zurückzuführen, sondern entfalten viel komplexere Zusammenhänge von Leben, Erinnern, Werthorizonten und Identitätskonstruktionen.
Der so anrührende, ja sentimentale Schluss bezieht sein Wirkungspotential nicht aus der Tatsache des Sterbens, sondern aus der Vollendung der Liebe von Noah und Allie. Der gemeinsame Tod ist ein Zeichen, das der oben schon erwähnten Liebes- oder sogar Todeshochzeit nahekommt. Der Realitätsverlust der Alzheimer-Erkrankung ist in der Sicht dieser Geschichte eine Vorstufe des Todes (Wulff 2008, 253f). Noah ist eine Reinkarnation Orpheus‘, der seine Eurydike wiederfindet und im Tod mit ihr schließlich vereint wird.
§ 6 Die Armee der UnsichtbarenDie absolute Mehrheit der Filme handelt von jungen Figuren, die durch die Verwirrungen und Krisen des Lebens gehen: Pubertät, erste Liebe, Familiengründung. Die sich in katastrophalen Konflikten bewähren müssen Action-Helden, Helden in Katastrophenfilmen und ähnliches. Ältere sind eine gewaltige Minorität. Eine „Armee der Unsichtbaren“, die im Hintergrund der Geschichten auftauchen meist als namen- und gesichtslose Statisterie. Als Nebenfiguren, die im Fenster lehnen und Zeuge einer Straftat werden. Als Skat spielende Runde in einer Kneipe. Als Großeltern, die sich über die Rückkehr der Kinder freuen. Zu Protagonisten werden sie selten. Manchmal wird dieses sogar zum Thema. In dem Tatort: Herzversagen (BRD/Österreich 2004, Thomas Freundner) wird eine alte Frau gefunden, die elf Monate in ihrer Wohnung gesessen hat, tot und inzwischen mumifiziert. Der Kommissar recherchiert, wer sie in der Nachbarschaft gekannt haben könnte niemand erinnert sich. Eine alte Frau im Supermarkt sagt ihm, er suche ein Mitglied einer „hochgeheimen Gesellschaft“ „der Armee der Unsichtbaren“; gemeint sind die alten alleinstehenden Frauen, ohne soziale Bindungen und Kontakte. Vergessen, obwohl sie in unmittelbarer Nähe leben. Was bleibt, sind Akteneinträge, wenige Objekte und am Ende bleibt nur die Erinnerung von anderen. Eberhard Fechners Film Nachrede auf Klara Heydebreck (BRD 1969) spürt einer Frau nach, deren Todesanzeige Fechner in der Zeitung gefunden hatte: Die alleinstehende, 72 Jahre alte Berlinerin Klara Heydebreck starb am 10.3.1969 an einer Überdosis Schlaftabletten. Motiv: unbekannt. Fechner interviewt Verwandte, Nachbarn und ehemalige Kollegen. Er sucht Dienststellen auf, die mit Klara Heydebreck zu tun hatten. Die Verwandten gewähren dem Autor Einsicht in den Nachlass der Verstorbenen. Viele Dokumente ihres Lebens hat Klara Heydebreck aufbewahrt und über die Wirren zweier Kriege gerettet. Fechner besichtigt die Wohnung, die Überbleibsel, vertieft sich in die Lohnbücher der Verstorbenen, rekonstruiert nebenbei Zeitumstände und vor allem die Lebensgeschichte einer mutigen und einsamen Frau, die sich nicht den konventionellen Regeln für ein Frauenleben unterwerfen wollte und konnte (vgl. http://www.eberhardfechner.de/claraHeydebreck.html). Aus Recherche wird Nachruf und es setzt sich ein Bild der Verstorbenen aus den Erinnerungen derjenigen zusammen, die sie gekannt haben. Film gewordene Trauer, Nachdenken darüber, was bleibt, zugleich. § 7 Das Altern des Körpers
Aber schon das Alter der Schauspieler schafft einen eigenen Schau- und Marketingwert. In vielen Kritiken zu Hanekes Michael Hanekes Amour (2012) war das Schauspiel der beiden Hauptdarsteller Jean-Louis Trintignant (82) und Emmanuelle Riva (85) wichtiger als die Auseinandersetzung mit der Geschichte, die der Film erzählt, als sei die Präsenz so alter Akteure als Schauspieler in sich bereits eine Sensation. Man sieht den Akteuren das Alter an. Darum auch können junge Schauspieler so schlecht die Rollen von Alten spielen man sieht ihnen die Maskerade unwillkürlich an, so dass die Deckungssynthese, die der Zuschauer erbringen muss, Figur und Schauspieler als Einheit wahrzunehmen, so schlecht gelingt. Nicht nur, dass körperliche Fitness oft durch Gebrechlichkeit abgelöst worden ist (das betrifft eher den Schauspieler), sondern auch die Wertvorstellungen, in denen Alte im Film leben, geraten in Differenz zu dem, was heute für wert gehalten wird (das ist Teil ihrer Rolle). Manche Alte illuminieren das Ideal des „Lebensthemas“ einer tiefen Identifizierung der eigenen Existenz mit dem, was man tut. Leben also nicht als dauerhafte Anklammerung an Sehnsüchte oder Wünsche, als lebenslange Erfahrung von Entfremdung, sondern vielmehr als fundamentales In-sich-Sein. Dann wären Darstellungen des Todes dieser Figuren auf‘s Engste mit der Darstellung von gewonnener und gelungener Identität verbunden. Der Tod stünde nicht für sich, sondern wäre Konsequenz und Vollendung eines geradlinigen Lebens. § 8 Entwürfe des Sterbens
Sehen und Gesehen-Werden, doppelte Inszenierung. Der Junge weiß um seine Attraktivität und verhält sich auf den Blick Aschenbachs hin. Aschenbach gibt die Rolle des bürgerlich-steifen, der Formen des Umgangs sicheren Hofkünstler auf, legt eine seinem Alter ganz unangemessene Jugend-Maske an und kriecht in das ihm so fremde Rollenfach des Gigolo, in der überaus lächerlich wirkenden Manier der Masken der commedia dell‘arte, als habe er sich für einen Kostümball geschminkt. Er kommt in einer grotesken Art sozusagen „zu sich“ und den vor sich selbst so geheimgehaltenen pädophil-homoerotischen Neigungen und stirbt. Der Tod in Morte a Venezia also als Endpunkt eines Lebens, das nie zu sich gefunden hatte? Dessen Zentrum Verdrängung und Verleugnung war? Und war Aschenbach erst im Vorgang des Sterbens so sicher vor dem Gesetz und dem Gefängnis der gesellschaftlichen Form, das er heraustreten konnte? Sich dabei aber in der Hilflosigkeit der Maske darstellen musste, also nicht als authentische Person? Man muss weiter ausholen, zumal es hier um den Zusammenhang von Alter und Tod im Film gehen soll. In manchen amerikanischen Quellen spricht man vom gerontologischen Film (gerontological film)[3] und fasst darunter alle Filme zusammen, die sich mit dem Alterungsprozess befassen. Derartige Filme behandeln ihren Gegenstand fast immer sensibel und vorsichtig. Alter ist durch Einsamkeit, tatsächliche Vereinzelung, Senilität, Alzheimer und den allgemeinen Verfall körperlicher und geistiger Fähigkeiten charakterisiert.
§ 9 Wertekonflikte im Angesicht des TodesEigene Aufmerksamkeit verdient das Erinnern an Jugend- und Kindheit, das in Filmen wie Ingmar Bergmans Smultronstället als ein Zurückgehen des Erinnerns auf immer entferntere Teile der Biographie und so Teil der Einstimmung auf das Sterben wird. Es scheint als Rekurs auf frühe und tiefe und manchmal unerfüllte Wunschenergien vermeint zu sein, durchaus in dem Sinne, dass der Film die Einstimmung auf den Tod fast wie eine selbsttherapeutische Durcharbeitung durch die Erfahrung eines ganzen Lebens beschreibt. Smultronstället ist dem „spirituellen Kino“ zugerechnet worden, zu Recht, weil es hier um das Nachdenken über die Sinn spendenden Rahmen der Erfahrung geht.
Nicht nur, dass der zum Zeitpunkt des Films 78jährige Eastwood die Alterung seines Körpers sehr bewusst ausstellt und die Grantigkeit der Figur als Teil der Resümierung des Lebens der Hauptfigur ausweist, es ist die zufälligerweise zu Tage tretende Fähigkeit, am Ende die lebenslang geltenden Werthaltungen zu relativieren und grundlegend zu modifizieren, die den Opferungstod so plausibel machen: Er bezieht Stellung gegen die Weißen, die die Werte der weißen Kultur, an die Kowalski so bedingungslos geglaubt hatte, aufgegeben und in das Schreckensgesicht einer von Gewalt, Materialismus und Rassismus bestimmten Lebensform transformiert haben; und er nimmt Partei für die ursprünglich so verhassten fremden Nachbarn, weil sie ein Leben führen, das just jene Horizonte von Ordnung, Strebsamkeit und sozialer Nähe realisiert, die ihm so wichtig waren. Die Abrechnung betrifft sogar die eigenen Kinder, die nur auf seinen Tod gewartet hatten, um das Haus zu erben Kowalski vererbt es der Kirche, setzt dem Verrat der Kinder an innerfamilialen Pflichten zugunsten dem eigenen, nur noch egoistischen Streben nach Bereicherung ein klares Signal entgegen. Der Rassismus Kowalskis wird gewissermaßen „enttarnt“, er ist nur die Maske von Werten und Bedeutungen gewesen, die mit Herkunft, Hautfarbe und Religion nichts zu tun haben.
§ 10 Die Erfahrung des Schönen
§ 11 Verweigerung und GeheimnisSterben und Tod im Film sind immer dramaturgisch eingebunden, sei es als der Tod von Statisten (der die Brutalität der erzählten Welt dokumentieren wie im Kriegsfilm), als Tod der Bösewichte (der zeigt, dass es eine tiefe narrativ begründete Gerechtigkeit gibt), als Tod des oder der Geliebten (der den Zuschauer einlädt, sich in den Schock und die Trauer einzuschmuggeln, den die Überlebenden erleiden), als Tod des Protagonisten oder der Protagonistin (dann fast immer verbunden mit einem Bemühen, die Sinnhorizonte des vergangenen Lebens abzustecken), vielleicht auch als Heldentod (dann scheinen propagandistische Horizonte auf oder die ethischen Grundlagen radikaler Entscheidungen der Sterbenden, sich selbst zu opfern, um andere zu retten). Realer Tod ist dem Dokumentarischen vorbehalten. Auch dort kann das Sterben sensationalisiert und als voyeuristisches Objekt inszeniert sein (wie in den sogenannten snuff movies, die zumindest vorgeben, reale Hinrichtungen, Folterungen und Lustmorde vorzuführen). Es sind aber nicht die Filme, sondern die Photographien, die sich beim Betrachter einbrennen, die ihn nicht mehr verlassen und ihn wie Gedächtnisikonen begleiten wie das Bild des erschossenen Soldaten aus dem Spanischen Revolutionskrieg von Robert Capa (1936) oder das Bild, das die Erschießung eines vorgeblichen Vietcong durch einen südvietnamesischen General zeigt, das Eddie Adams 1968 für die Associated Press gemacht hat. Realer Tod vor der Kamera löst einen moralischen und epistemischen Schock aus, und es mag das Einfrieren der Zeit sein, die dem Geschehen im Photo seine Bedeutung zuweist. Ob sich jener tiefe Schock notwendigerweise einstellt, wenn ein Tier im Kontext eines Films getötet wird, den Vivian Sobchack als Einbruch des Indexikalischen in die symbolische Repräsentation des umgebenden Films beschrieb, als plötzliches Stück dokumentarischer Repräsentation mitten in einer fiktionalen Realität (1984, 293; Sobchack illustriert die These am Beispiel des Films La règle du jeu / Die Spielregel, Frankreich 1939, Jean Renoir), sollte in Zweifel gezogen werden weil die Veränderungen der Trickmöglichkeiten ebenso wie die Häufungen von Aufnahmen der Körperzerstörung möglicherweise zu einer Veränderung des Sehens der Zeitgenossen geführt hat. § 12 Die Blicke des ZuschauersZuzustimmen ist ihr aber sicher bis heute, dass der dokumentarische Blick auf den Toten oder den Sterbenden besonderer Begründung bedarf, weil sie hier plötzlich ein (bild-)ethischer Raum auftut, der die Selbstverständlichkeit des Zeigens als des semiotischen Grundmodus des Films in Frage stellt. Sobchack unterscheidet im Dokumentarfilm fünf „Blicke“ (gazes), die ausnahmslos nach dem Prinzip der Verantwortlichkeit zu bemessen sind: (1) den „hilflosen Blick“ (helpless gaze), der den Dokumentaristen zu einem reinen Beobachter des Geschehens macht; dass er nicht interveniert, gehört zum Programm des Bildmachens; der Zuschauer wird zum Voyeur eines unerhörten Geschehens eine Tatsache, die von Susan Sontag (2003) scharf attackiert wird, weil der Zuschauer zum „image junkie“ werde, der sich am Leiden und Sterben anderer erfreue; (2) den „gefährdeten Blick“ (endangered gaze), bei dem der Kameramann selbst in Gefahr schwebt, was sich an der Bildführung ablesen lässt, an Bildgesten, die der Sicherung der Kamera dienen, aber nicht der Kadrierung oder der Bildkomposition; (3) der „eingreifende Blick“ (interventionist gaze) ist ganz unüblich; er zeigt die Kamera als Akteur im Geschehen des Sterbens resp. Tötens; manchmal kommt dabei der Kameramann ums Leben (wie sogar Spielfilme gezeigt haben); (4) den „professionellen Blick“ (professional gaze), den Photoreporter und professionelle Kameraleute einnehmen müssen, die immer die Entscheidung fällen müssen, ob sie ein Leben retten oder eine story für die Öffentlichkeit gewinnen wollen; das Bildmachen wird zum Teil einer institutionellen Praxis, ist damit in ein Feld ethischer Auseinandersetzung anderer Art integriert; (5) schließlich das „menschliche Starren“ (human stare), das aber anders als der ‚intervenierende Blick‘ die emotionale und moralische Beteiligung des Kameramannes und seine Parteilichkeit des Zeigens in Empathie und nicht in Eingreifen umsetzt. Das Bild, das die Erschießung des Vietcongs durch General Loan zeigt, gewinnt in dieser Beschreibung seine nachhaltige Wirkung, weil es ethisch keinen einzigen tolerierbaren Ort gibt, der die Darstellung dieses Sterbens tolerabel machte. Reales Sterben und realer Tod sind auch für den Dokumentarfilm mit einem Darstellungstabu verhüllt, sie sind Sobchacks These folgend notwendigerweise Teil eines momentan sich öffnenden ethischen Diskurses. Allein die Wahl des Sujets bedarf eines umfassenden moralischen Nachdenkens, und auch dann geht es um die Kontextualisierung des Themas. Tatsächlich haben nur wenige Filme versucht, sich an die Fragilität dieses halböffentlichen Geschehens heranzutasten und diesen im Spielfilm so selbstverständlichen und unumgänglichen Kreislauf der Transformation von Subjekten zu Figuren zu unterlaufen. Dazu rechnet Allan Kings zweieinhalbstündiger Film Dying at Grace (Kanada 2003), der vierzehn Wochen das Sterben von fünf Patienten auf einer Pflegestation in Torontos Grace Hospital beobachtet und sich jeden Kommentars enthält, ausschließlich seine Protagonisten zu Wort kommen lässt. Des öfteren geht es um die Nähe des Todes und das Wissen der Protagonisten um seine Unausweichlichkeit. Dazu gehören Elfi Mikeschs Was soll‘n wir denn machen ohne den Tod (BRD 1980), eine spröde Annäherung an das Leben zweier alter Frauen in einem Hamburger Altenheim, Zeit zu gehen (Österreich 2006, Anita Natmeßnig) über den Alltag in einem Hospiz oder Frederick Wisemans sechsstündiger Film Near Death (USA 1989) über die Lungenabteilung eines Krankenhauses in Boston, dessen drei Teile die im Titel benannte Nähe zum Tod im ersten Teil mit den Kranken, im zweiten mit dem medizinischen Personal und im dritten mit den Angehörigen auszuhorchen versuchen. Andere Filme setzen sich autobiographisch mit dem Tod auseinander. Johan van der Keukens sensibler Film De grote Vakantie (2000) gehört dazu, in dem der Filmemacher wissend, dass er tödlich an Krebs erkrankt war noch einmal die Orte seiner Filme besucht, dabei immer wieder über die eigene Krankheit nachdenkend. Ganz anders endet Rolf Schübels Dokumentarfilm Der Indianer (BRD 1987) es sind Bilder des Glücks, die die Geschichte ausklingen lassen, zunächst eine Geburtstagsfeier, zu der Freunde und Familie zusammenkommen, sodann Bilder einer Tandemfahrt des todkranken Helden der Geschichte; ein Voice-Over erzählt vom Tod des Titelhelden und gibt einen Text wieder, den jener noch geschrieben hatte, den er aber nicht mehr selbst sprechen konnte. Der Schluß wirkt wie eine Weigerung, die Geschichte in Symbolik ausklingen zu lassen, und sie zieht sich vom Geschehen zurück, als wolle sie dem Sterbenden seinen Tod als privaten Besitz belassen. ‚Der Indianer‘ ist als Held eines Films öffentliche Figur gewesen, und wie er sich mit der tödlichen Krankheit auseinandersetzte, ist sicherlich eine exemplarische Anstrengung, das Leben und seine Wertorientierungen neu auszuloten. Sie fundiert auch das dokumentarische Interesse an seinem Schicksal. Das Geschehen am Ende seines Lebens aber gehört nicht mehr dem Film an, der sich abwendet, seinen Helden gegen die Emotion des Zuschauers abschirmt und so das Wesentliche über den Schluß hinweg rettet. Sterben und Tod bleiben im Dokumentarfilm am Ende private Gegenstände. Sollen sie in die Sphäre des Öffentlichen erhoben werden, bedarf es symbolischer Rahmen und diskursiver Arrangements, die den individuellen Tod transformieren und zu etwas wesenhaft anderem machen. Der nicht von klaren Handlungs-Interessen geformte Blick auf den Toten (und erst recht auf das Sterben) bleibt etwas Rätselhaftes und Geheimnisvolles. Die Darstellung von realem Tod und realem Sterben ist nach wie vor ein Skandalon. Literatur
Anmerkungen[1] Dank gilt Julian Hanich und Ina Wulff für die Hinweise, die den Text vorangetrieben haben. [2] Es sei auch darauf hingewiesen, dass der Leichnam spätest seit dem Zentralwerden der Pathologenrolle im TV-Krimi zum Objekt der Untersuchung und oft auch der Zurschaustellung für den Zuschauer geworden ist; vgl. Wulff 2007. [3] Verwiesen sei insbesondere auf die mehrfach fortgeschriebene Filmographie: Gerontological film collection (North Texas State University, Center for Studies in Aging, 1983ff) sowie die Rezension: Cynthia Jane Milam: „Mediatmosphere: Gerontological Film Collection Broadens Views on Aging“ (in: American Libraries 12,9, 1981, S. 564-565). |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/93/hjw12.htm |