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Worin besteht denn das Neue des neuen Gottes?AnmerkungenHans-Jürgen Benedict
Nach einem bekannten Diktum Goethes ist die Kirchengeschichte „ein Mischmasch von Irrtum und Gewalt.“ Der Privathistoriker Karl Heinz Deschner, im letzten Jahr verstorben, hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, eine „Kriminalgeschichte des Christentums“ vorzulegen und seine größten Ungeheuerlichkeiten penibel zu dokumentieren. Zu Ende ist er mit dieser polemischen Dokumentation kirchlicher Verbrechen nicht gekommen (Band 18 ging bis ins 19.Jahrhundert). Man kann den Siegeszug des Christentums auch heiter betrachten: Der große Filmemacher Luis Bunuel hat in seinem Drei-Stunden-Film „Die Milchstraße“ eine amüsante Reise durch die Ungereimtheiten der Dogmen- und Ketzergeschichte unternommen, ein theologisches Roadmovie, zu dessen herrlichsten Szenen das Streitgespräch zwischen dem Oberkellner und einer Serviererin über die Zwei-Naturen-Lehre gehört. Sehr unterhaltsam ist auch in Flauberts „Bouvard und Pecuchet“, jener amüsant-gnadenlose Abrechnung mit dem aufgeklärten Bürgertum, das Kapitel, in dem Pécuchet den Ortspfarrer eines Abends auf der Landstraße in ein langes und köstliches Gespräch über die christlichen Märtyrer verwickelt. Während eine Gewitterwolke aufzieht, streiten sie über die Zahl der Märtyrer, wie viele hat es wohl gegeben: 20 Millionen, viel zu hoch ein scharfer Windstoß fegt vorüber , Pécuchet bestreitet die Legende von der thebäischen Legion und die 11000 Jungfrauen der heiligen Ursula die ersten Regentropfen fallen Damen von hohem Stand wurden in antiken Freudenhäusern bloßgestellt an Pécuchets Mantel war kein Faden mehr trocken, doch der Streit geht weiter usw.
Denn wenn schon Paulus in Röm 13 Gehorsam gegenüber der Obrigkeit angemahnt, warum sollte man die formale Religiosität des Kaiserkults nicht aus Respekt vor der Obrigkeit praktizieren, sich zumindest auf auch krummen Wegen Bescheinigungen über abgehaltene Opfer besorgen u.ä. Es ging ja beim Kaiseropfer weniger um Glaubensinhalte oder Haltungen, sondern vor allem um den einheitlichen Reichskult. Die römische Überzeugung, dass es einen gemeinsamen Kult geben müsse, hat dann, angefangen mit Konstantin, den Vorrang des Christentums begründet und schließlich unter Theodosius I zum Verbot heidnischer Opfer geführt. Die damit an die Macht gekommenen Christen haben keinesfalls zu Duldung Andersgläubiger, der Heiden, Juden und der Häretiker aufgerufen, sondern fortan alle Abweichungen noch entschiedener bekämpft … Clauss will in seiner Geschichte des frühen Christentums vor allem zeigen, dass keine der konkurrierenden Religionen so fundamentalistisch eingestellt war wie die christliche (und das belegt er mit einer Fülle von Zitaten der Kirchenväter und Apologeten). Im Unterschied zu der Toleranz jenes heidnischen Philosophen, der sagte, Gott möchte auf unterschiedliche Weise verehrt werden, beanspruchten die Christen mit Jesu Satz „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ die Wahrheit allein für sich. „Wahr und falsch aber sind Kategorien, deren Zuordnung dem rationalen Diskurs entzogen sind.“ Überspitzt gesagt: „die Irrationalität ist das Kennzeichen des Christentums. Das Eigene ist wahr, alles andere ist falsch.“ (16) Um diese Orthodoxie durchzusetzen, muss man die staatliche Macht zur Hilfe nehmen bis hin zur Verfolgung und Ermordung Andersgläubiger. Aber was war denn der eigentliche Grund für die große Überzeugungskraft der christlichen Botschaft, die letztlich das römische Reich aus den Angeln hob? Darauf gibt Clauss nur die Antwort, dass es letztlich die staatliche Gewalt war, die zum Sieg des Christentums führte. Seinen Titel „Ein neuer Gott für die alte Welt“ löst er nur begrenzt ein, weil er das Neue am christlichen Glauben und Gottesverständnis nicht genauer beschreibt. Nun Clauss geht als Profanhistoriker vor, der anders als die Kirchen- und Dogmengeschichtler an den theologischen Fakultäten aus den Quellen keine kohärente Darstellung der christlichen Frühzeit ableiten will. Er will und muss nichts zurechtbiegen, apologetisch mit Ja aber verteidigen, keine geschichtstheologische Konstruktion vertreten, die List göttlicher Vernunft hinter den widersprüchlichen Theologien herausarbeiten u.ä.
Anders als Heinrich Heine, der den Leidensaspekt des Christentums als Ursache für seinen Erfolg benennt, „ewiger Ruhm gebührt dem Symbol des leidenden Gottes, des Heilands mit der Dornenkrone, des gekreuzigten Christus, dessen Blut gleichsam der lindernde Balsam war, der in die Wunden der Menschheit herabrann (Die Stadt Lucca)“, kann Clauss als säkular eingestellter Historiker kein besonders überzeugendes Argument für das Christsein in den Schriften der Apostel und Kirchenväter entdecken. Aber er schildert, wie sich das Christentum als geduldete Religion langsam aber stetig ausbreitet, im Alltag von immer mehr Menschen festsetzt, immer mehr Bereiche erobert und so lange intrigiert, bis es schließlich den Kaiserpalast in Rom und später Byzanz erobert. Dass der Sieg des Christentums nicht nur auf Gewalt beruhte, sondern eine emotionale Basis hatte, die wirklich einen religionspsychologischen Fortschritt gegenüber dem bisherigen Gottes-und Weltverständnis bedeutete (das hat selbst der religionskritische Freud zugegeben), eben die Aufnahme der Differenz, Schuld- und Leidenserfahrung in den Glauben, dieser Einsicht verschließt sich Clauss. Aber die Geschichte der frühen Christenheit besser kennenlernen, das kann man bei ihm allemal. Er widmet sich dem Alltag der Christen, dem Gottesdienst, dem Katechumenat, dem Abendmahl, der Bußpraxis und entdeckt immer wieder die großen theologische Ansprüche, die von einer widersprüchlichen Praxis konterkariert werden. In Clauss‘ Literaturliste kommen Autoren wie Troeltsch, von den neueren Peter Brown mit dem differenzierten Werk Die Keuschheit der Engel, Gerd Theissen mit seiner religionspsychologisch spannenden Darstellung Die Religion der ersten Christen und seinem Standardwerk über den historischen Jesus gar nicht vor, Harnack mit nur einem Titel. Die Kirchen- und Dogmengeschichtsschreibung der evangelischen und katholischen Theologie wird weitgehend souverän ignoriert. Das gilt auch für die Untersuchungen zur frühchristlichen Diakonie (ich denke an Uhlhorns Die christliche Liebesthätigkeit, an Gottfried Hammanns Geschichte der christlichen Diakonie), die doch für den Erfolg des Christentums mitentscheidend war, bedenkt man nur das Votum von Kaiser Julian Apostata an seine Priester: „Die gottlosen Galiläer ernähren neben ihren auch unsere Armen.“ Den diakonischen Aktivitäten der frühen Kirche widmet er nur zwei Seiten in dem Kapitel „Finanzen und Reichtum vom Erwerb der himmlischen Gnade.“ Die Bischöfe, besonders die von Rom, werden darin als vor allem an Einfluss und Geldmitteln interessierte Strategen dargestellt. Nur ein Viertel der kirchlichen Einnahmen diente karitativen Zwecken, behauptet Clauss, die anderen Dreiviertel der Repräsentation, die mit der der weltlichen Statthalter konkurrierte und dafür mehr Geld ausgab als diese. Mit dem Reichtum machte man nach Clemens von Alexandriens geschickter spiritueller Neudeutung der reichtumskritischen Worte Jesu seinen Frieden. Clauss schildert, wie nach dem Decius-Edikt und dem Streit um die Abgefallenen das Christentum zwei Jahrhunderte „in brüchiger Sicherheit“ sich konsolidieren konnte, wie es unter Diokletian und Maximian noch einmal Rückschläge gab, bevor unter Galerius und Konstantin es von der Duldung zur Förderung des Christentums als schließlich alleiniger Religion kam. Wie dann die Reste des Heidentums attackiert, die Juden verfolgt und natürlich die Häretiker mitleidslos attackiert wurden. Von Jesu Feindesliebe keine Spur. Zu den Höhepunkten des Buchs gehört die Darstellung der dogmengeschichtlichen Streitigkeiten in ihrer fast unentwirrbaren Mischung von Theologie und Machtpolitik, sowohl der Streit um Arius, also zu dem Verhältnis von Gottvater und Sohn Gottes im 4. Jahrhundert sowie die christologischen Streitigkeiten um die Zweinaturenlehre im 5. Jahrhundert. Es finden sich skurrile alltagsweltliche Beobachtungen über den Streit zwischen Miaphysiten und Dyophysiten in Alexandria, der besonders streitlustigen Metropole Ägyptens, in der die verfeindeten Bischöfe wie die einfachen Gläubigen aufeinander losgingen so wurde den theologischen Gegnern trotz großer Hitze der Besuch der Bäder verwehrt, wenn man an der Macht war - In seinem Resümee vermerkt Clauss, dass die Christianisierung sich langsamer vollzog als man annehmen konnte. Noch im ersten Viertel des 6. Jahrhunderts gab es zahlreiche heidnische Kultzentren. Millionen traten dem Christentum bei, ohne ihre heidnischen Bräuche ganz aufzugeben. Das hatte besonders in Mitteleuropa Folgen. Freud sagte, die Germanen sein „schlecht getauft“. Oft wurde mit staatlichem Zwang nachgeholfen, weswegen die Germanen ihre gegen das Christentum gerichtete Aggression auf die Religion verschoben, aus der dieses hervorgegangen war, das Judentum, das hatte schreckliche Auswirkungen bis hin zur Schoah.
Da aber abgesehen von dem ersten Jahrhundert der überzeugten, leidenschaftlichen und leidensbereiten Christen apologetisch-fundamentalistische Überzeugungen dominierten, resumiert Clauss nüchtern: „Mag das Christentum auch religiöse Gefühle angesprochen haben, auf die nur der neue Glaube eine Antwort gab, entscheidend war meiner Meinung nach die Gewalt, mit der die Christen ihren Glauben durchsetzten.“ (479) Ein wenig befriedigender Schlusspunkt. Allerdings wären wir damit wieder bei Goethes Diktum, die Kirchengeschichte sei ein „Mischmasch von Irrtum und Gewalt“. Dieser Mischmasch erfuhr im 16.und 17. Jahrhundert mit Reformation und Glaubenskriegen noch einmal eine Steigerung, bevor die Trennung von Religion und Politik für einen brüchigen Religionsfrieden sorgte. Der Protestantismus beförderte nach Max Weber die Durchsetzung des Kapitalismus, säkularisierte sich aber dabei so sehr, dass auch ein 500jähriges Reformationsjubiläum kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervorlockt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts steht vor allem die katholische Weltkirche, die aus der frühen Westkirche entstanden ist, relativ solide dar. In jüngster Gegenwart knüpft sie mit einem sich Franziskus nennenden Papst an die jesuanische Tradition der Wahrnehmung der Armen und Leidenden überzeugend an, ihr Ansehen wächst trotz der Missbrauchsskandale. Nach der Lektüre von 500 Seiten müsste man also sagen: Ein alter Gott für eine neue Welt. Oder besser eine frühchristliche Wahrheit: „das, was vor der Welt niedrig und schwach ist, hat Gott erwählt“ (1 Kor 1,26), ist nach wie vor aktuell. |
Artikelnachweis: https://www.theomag.de/99/hjb46.htm |