Nichts liegt ferner, als den Protestantismus mit Dandysmus und einen protestantischen Theologen mit dem Typen des Dandys in Verbindung zu bringen. Der protestantische Durchschnittstheologe läßt sich eher durch folgende Merkmale charakterisieren: Stil ist nicht seine Sache, vielmehr soll alles möglichst naturbelassen und ungezwungen sein; seine Kleidung ist nachlässig bis schluffig; Kleidungsstücke, die auch nur einen Hauch von Etikette haben, verabscheut er. Betritt er etwa während eines Pastoralkollegs, welches er bis zur kürzlichen Entdeckung seiner Friedfertigkeit "Rüstzeit" nannte, eine Akademie, so geht er zuerst auf sein Zimmer, zieht seine bequemen Straßenschuhe mit den Lauflern-Gummisohlen aus, um die noch bequemeren Birkenstock-Sandalen anzuziehen. Diese kombiniert er dann gerne mit einer ebenso bequem-gemütlichen Woll-Joppe, - und so schlufft er dann 2 Wochen durch die Akademie. In Kleidung und Gebaren macht er jeden öffentlichen Raum zu seinem Wohnzimmer. Entsprechend ist seine Mentalität: Die vielbesprochene Bildung der protestantischen Theologen, ihr zum Teil spleeniges Spezialwissen in hobbyhaft gepflegten exotischen Terrains gehört längst der Vergangenheit an. Intellektualität ist ein Schimpfwort für ihn. Der heutige Protestant hat vor allem die richtige Gesinnung, und die dröhnt er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit mit überzogener prophetischer Gebärde in die Welt hinaus.
Wie dieser Phänotyp, so sehen auch die Räume aus, in denen er sich aufhält und seinen Beruf ausübt. Der Gottesdienstraum, die Kirche: Ich beschränke mich auf ein anschauliches Beispiel aus meiner Erlebenswelt, meine Ortsgemeinde. Die räumlichen Voraussetzungen sind gar nicht so schlecht: Kirche im Stil der 50er Jahre, langes Kirchenschiff, in der Vierung ein Altar aus Schiefer, die Apsis mit einem etwas grellen Bild in Pop-Art-Farben - nun ja, nicht optimal, aber man könnte was draus machen. Der Gag ist der Chorraum hinter dem Altar: Dort sind Stühle übereinandergestapelt, die der Chor für seine gelegentlichen Auftritte benötigt. So sitzt also die brave Gemeinde Sonntag für Sonnntag und starrt während des gesamten Gottesdienstes in das Stuhllager und wundert sich womöglich noch, daß eine spirituelle Atmosphäre, welcher Einfärbung auch immer, sich nicht einstellen will. In Kombination mit dem Gummibaum und der Yuca-Palme im Apsisbogen - damit der Schiefer nicht so kalt wirkt - und dem wiederum gemütlichen rot-braunen Wollteppich, der durch das Kirchenschiff auf den Altar hinführt, ergibt sich ein religiöses Raumgefühl, demgegenüber meine unaufgeräumte Speisekammer vom Beben des Heiligen geradezu erschüttert wird.
Ein ähnliches Bild ergibt sich im Gemeinde- und Pfarrhaus: Gründerzeitvilla, italienisierender Stil, Rundbögen, Erscheinungstreppe. Man nähert sich dem Eingang, vorbei an einer Batterie spalierstehender Mülltonnen - auch Sie sind doch wohl umweltbewußt und trennen sorgfältig Ihren Müll, oder? -, man geht durch die großzügige Eingangstür und betritt einen kleinen Foyer-Raum. Er besteht vor allen Dingen aus 3 Türen: die vordere führt in die weiteren Gemeinderäume, die linke Tür ist die Tür für den Kloraum "Mädchen", die rechte ist die Tür zum Kloraum "Jungs". Allerdings sind beide Türen ausgehängt, - damits schneller geht, wenns mal schnell gehen muß. Beim Blick durch die rechte und linke Tür fällt der Blick auf diese blinden Chromgarderoben der 50er Jahre. Auf der Hutablage - wer trägt heute schon noch Hut ? - Toilettenpapier in Familiengroßpackungen mit Tragegriff - natürlich aus Umweltpapier. Wir verlassen das Foyer und gehen weiter auf die Gemeinderäume zu. Rechterhand noch eine Wandgarderobe, blinde Chromhaken auf großzügigen resopalbeschichteten Sperrholzflächen - falls es mal regnet und die Mäntel und Jacken naß sind, damits keine Flecken an der Wand gibt. An der Garderobe die obligatorische, hängengebliebene häßliche Wolljacke, im Schirmständer ein etwas zerzauster Knirps mit zwei verbogenen Spannstangen. Man merkt sofort: Hier kommt nichts weg. So ist das Arrangement seit Wochen, seit Monaten, seit Jahren.
Die weitere Inneneinrichtung des Hauses verblüfft vor allem durch ihre Konsequenz: Jede Spur von großbürgerlicher Grandezza, die das Haus einmal gehabt haben muß, ist radikal ausgemerzt. Das Innere ist stringent im Sozialwohnungsbau-Stil der 50er Jahre renoviert. Hohe Decken, gar mit Stuck? Runterziehen auf 2,50m - ist gemütlicher und wirkt nicht so offiziell. Hochherrschaftliche Räume mit Parkett? Parkett raus, Linoleum rein - Parkett ist so laut beim Laufen und erzwingt eine bestimmte Haltung, auf Linoleum kann man sich viel leisetreterischer bewegen, und er ist zudem viel billiger. Großzügig geschnittene Räume? Verkleinern, aus Eins mach Drei,- was in der Dogmatik richtig, kann in der Architektur ja nicht falsch sein. Zumindest müssen faltbare Kunststoff-Türen rein, das ist flexibler, spart im Winter Heizkosten und ist obendrein noch gemütlicher. Sie halten das alles für eine reichlich übertriebene, blasierte Schilderung des Protestantismus? Kommen Sie mich besuchen, in diesem Haus, in der 1. Etage dieser Villa wohne nämlich ich.
Der Theologe als Dandy - eine unmögliche Verbindung? Keineswegs! Denn es hat eigentlich alles ganz gut angefangen. Das Christentum hat die besten Voraussetzungen. Man muß sich nur beherzt entschließen, ein wenig fundamentalistisch zu werden, freilich ohne Vollbart. Dann liegt plötzlich nichts näher, als den Protestantismus mit Dandysmus und den protestantischen Theologen mit dem Typen des Dandys in Verbindung zu bringen. Es gab doch solche Typen mit den ihnen entsprechenden Räumen, den ihnen entsprechenden Gesten in Kleidung und Stil noch vor nicht einmal 100 Jahren.
Man achte auf einen gewissen erhaben-gehobenen Ton in den Schriften Adolf von Harnacks, man betrachte seine Photos, besuche seine Predigtstätte, den Berliner Dom, den Petersdom des deutschen Protestantismus, Kultstätte der preußisch-lutherischen Symbiose von Thron und Altar seligen Angedenkens. (Nach heutiger Gesinnung müßte man freilich richtiger sagen: den Götzentempel der preußisch-babylonischen Gefangenschaft der nachkonstantinisch gefallenen Kirche!).
Was ist ein Dandy?
In der Kultur- und Literaturgeschichte bezeichnet man damit einen Typus, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts entsteht, im späten 19. Jahrhundert verschiedentlich mutiert und spätestens mit dem Aufkommen verschiedener faschistischer Bewegungen in Europa in den späten 20er Jahren endet. In der Nach-68er-Bewegung, deren Impulse aufnehmend, entsteht er in zeitgenössischer Form wieder und wird von Susan Sontag unter dem Titel "Der Camp" analysiert. Irgendwie scheint er also wieder da zu sein, sich seine Accessoires, seine Pisten, seine Themen zu suchen. Seien wir auf der Hut: Wenn er sich langweilt - und er langweilt sich fast immer - könnte er sogar auf pädagogischen Kongressen in Erscheinung treten. Er ist meist unschwer daran zu erkennen, daß er bei der wichtigen Aufgabe des Schmiedens an einer neuen Armada von Imperativen zur Rettung der Welt im Geiste von Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung auf Kommafehler achtet.
Sozialgeschichtlich wird der Dandy in historischen Übergangsperioden verortet: dem Zusammenbruch der aristokratischen, der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft, dem Zusammenbruch der bürgerlich-modernen, der Herausbildung der postmodernen Gesellschaft. Die Ahnengalerie des Dandys ist lang und geht weit hinter das 18. Jahrhundert zurück: Sie beginnt mit Alkibiades bei den Griechen, hat weitere große Orientierungsfiguren im Verfall des römischen Imperiums - Petronius, Heliogabal - , setzt sich im Mittelalter fort bei den Dandys der Liebe, den Troubadours, und findet schließlich in der Renaissance eine stilbildende Figur in Graf Baldassare Castiglione. Das höfische Leben in Frankreich und England z.Zt. des Absolutismus bringt einige berühmte Ahnen der Dandys hervor: Richelieu in Frankreich, Raleigh und Buckingham in England, Heinrich Reichsgraf von Brühl (der mit den Terrassen) Minister Augusts III. von Sachsen, in Deutschland. Am Ende des 18. Jahrhunderts steht er in nie wieder erreichter Perfektion da: George Bryan Beau Brummel, König der Dandys, Freund des Prince of Wales, des späteren Georgs IV. Er dominiert, diktiert, beherrscht die Londoner Gesellschaft fast 20 Jahre lang bis 1820. Alle seine Nachfolger beginnen mit einer Interpretation seiner Person, von Barbey d'Aurevilly über Fürst von Pückler-Muskau, einer der wenigen echten deutschen Dandys, über Baudelaire, Balzac, Flaubert, Joris-Karl Huysman bis zu Oscar Wilde.
Was tut der Dandy?
Der Dandy tut v.a. nichts, - so lesen wir bei Baudelaire. Er ist der Heros des gesellschaftlichen Niedergangs, - so lesen wir bei Otto Mann. Er bildet eine moderne Form von Stoizismus aus, will ruhig und unbeweglich bleiben und auf keinen Fall in das Leben eingreifen. Er verachtet nichts mehr, als ein nützlicher Mensch zu sein, er existiert ostentativ zweckfrei. Der Dandy ist Ästhet. Nicht, daß er unbedingt Kunstwerke hervorbrächte - nur ab und an aus Langeweile -, er macht sich vielmehr selbst zum Kunstwerk. Die Form ist sein ganzes Leben, und die restlose Durchdringung seiner Existenz durch künstlerische Form ist sein Ideal. Der Dandy muß leben und schlafen vor einem Spiegel, - so Baudelaire. Das ästhetische Bewußtsein dominiert alles, der Dandy verwandelt in Kunst, was immer er berührt.
Was hat das nun mit Theologie, gar mit protestantischer Theologie zu tun? In der Ahnengalerie der Dandys kommen wohl einige christliche Theologen vor: Gregor der Große, die Medici-Päpste, aber Protestanten sind bisher wenig auffällig geworden. Dabei hätte nichts nähergelegen. Der Protestantismus begann schließlich mit einem großen Paukenschlag: Gegen die Werke, gegen das Handeln, gegen den religiösen Utilitarismus. Frei nach Baudelaire müßte man ihn so auf den Begriff bringen: Der Protestant tut nichts!
Der Protestant, der befreite Christ schlechthin, ist wie der Dandy ein Phänomen des Übergangs, er lebt "Zwischen den Zeiten", wie die "Dialektische Theologie" unermüdlich einschärfte. Das Erkenntnisprinzip des Protestanten ist wie bei Baudelaire der Spiegel, denn - gut paulinisch - zwischen den Zeiten erkennen wir alles wie in einem Spiegel, dann erst von Angesicht zu Angesicht (1. Kor.13,12).
Präsentations- und Kommunikationstechniken des Dandys scheinen mir auch durchaus kommensurabel mit guter Theologie und Dogmatik. Otto Mann nennt drei Säulen dandystischer Kommunikationstechnik: Überlegenheit, Verblüffung und Verhüllung. Überlegenheit erhält er durch den in der stilvollen Vergangenheit verankerten Standpunkt. Was dem Dandy die historische Horizontale, sei dem Theologen die offenbarungstheologische - oder wie auch immer religiöse - Vertikale: Unsere ethischen Imperative an die Welt fällen wir doch schon lange aus der Perspektive Gottes - "Gott will die 35-Stunden-Woche!" - und unsere theologischen Einsichten gar aus trinitarischer Perspektive. Mittel der Verblüffung beim Dandy wie beim Theologen: das Paradoxon; dort gelebt und dargestellt, hier ständig als einzige theologisch mögliche Denkform behauptet und traktiert. Endlich die Verhüllung: Das Faszinierende beim Dandy ist, daß er sich auf dem Höhepunkt seines Erfolges, der Epiphanie seines als Kunstwerk gestalteten Ichs, plötzlich zurückzieht und wieder verhüllt - wie Gott in seiner Offenbarung, die die Theologie und die Theologen doch ebenso nachzeichnen und -gestalten sollen: als Entbergung und Verhüllung in einem.
Übrigens wird der späte Versuch, Dandysmus und Protestantismus einander anzunähern, auch von der anderen Seite kräftig unterstützt. Zahllos sind die Belege, die beigebracht werden können. Hier sind darum nur Andeutungen möglich. Flaubert: "Menschen wie unsereiner bekennen sich zur Religion der Verzweiflung." Sehr schön. Da sind wir ja schon genau in der richtigen Kirche. Der Protestantismus, so sagt man, war doch von Anfang an so nah an der "Krise" gebaut wie der Leuchtturm am Meer. Je verzweifelter wir uns darstellen - und da erreichen wir zur Zeit historische Spitzenwerte-, desto religiös attraktiver werden wir. Novalis: "Wahrhafte Anarchie" (aus der der Dandy entspringt, D.N.) "ist das Zeugungselement der Religion". Ein schwerer Satz. Hingegen wird er sofort verständlich, wenn man zuerst einen tiefen Blick in Struktur und Arbeitsweise einer Kirchenverwaltung tut und hernach einen zweiten oberflächlichen in echte Kirchengebäude von Ortsgemeinden. Dort kommt wahrhaftig noch Religion vor , und wir wissen jetzt dank Novalis: nicht trotz, nein wegen Kirchenverwaltung. Otto Mann: "Die Kunst soll die Religion, die Religion soll die Kunst sein". Das hat mittlerweile auch der letzte Pfarrer begriffen und verabreicht nun der Gemeinde sein sonntägliches Pensum von Botticelli bis Beuys wie einstmals von Dan bis Beerscheba. Und endlich meinte Barbey d'Aurevilly nach der Lektüre eines Romans von Huysman: "Nach einem solchen Buch bleibt dem Verfasser nur noch die Wahl zwischen der Mündung einer Pistole und den Füßen des Kreuzes". Da sitzen wir ja zum Glück schon und warten. Allerdings: Der Autor wird katholisch - welch grausames Mißverständnis. Huysman scheint das mit dem Kreuz nicht metaphorisch, sondern zu wört-bildlich genommen zu haben. Aber wollen wir nicht kleinlich sein, die Richtung stimmt wenigstens.
Nach dem Aufspüren so vieler Affinitäten wird es immer seltsamer, daß Christentum, protestantisches Christentum nicht viel mehr mit Dandysmus zu tun hat. Es muß daran liegen, daß der Protestantismus sich selbst nie ernst genommen, daß er seine Lehre und sein Leben, sein Reden und sein Tun immer aufs Peinlichste auseinander gehalten hat. "Der Protestant tut nichts" - welch grandioser Anfang. Aber nirgendwo ist die Kirche so zugepflastert mit "Werken, Ämtern und Einrichtungen", so daß Religiöses kaum noch zu entdecken ist, wie im Protestantismus. "Ohne die Werke des Gesetzes" - aber nirgendwo wird so mit Imperativen auf die Menschen eingedroschen. Dogmatik ist konsequent durch Ethik und der Gedanke einer religiös lebendigen Gemeinschaft durch das richtige Gesinnungsmilieu ersetzt worden.
Die etablierte Kirche und Religion wird in unserer Gesellschaft immer marginaler, zumindest glaubt die Kirche das selbst, andächtig lauschend auf die klugen Sozialwissenschaftler, die ihr das seit 200 Jahren einreden. Umso lauter meint sie nun ihre Nützlichkeit unter Beweis stellen zu müssen und mithilfe noch der letzten PR-Strategien - "Öffentlichkeitsarbeit" ist z.Zt. das Zauberwort in der Kirche! - "echt" in die Welt hinauszuelementarisieren. Das Flaggschiff des Protestantismus ist längst nicht mehr der Berliner Dom oder die Wittenberger Schloßkirche, sondern das Diakonische Werk in Stuttgart. Aus einem krassen Mißverständnis der Sozialwissenschaften, die doch mit der Marginalisierungsthese nur das Selbstverständnis der Moderne und nicht eine empirische Feststellung formulieren wollten, stolpert man von einem aktionistischen Programm zum andern, statt aus der völligen Nutzlosigkeit, dem wunderbaren Luxus der Religion, Kapital zu schlagen! Aber wie könnte das aussehen?
Der Theologe sitzt an seinem Sekretär, hat das gerade von der Synode beschlossene 7-Punkte-Aktions-Notprogramm und das 12-Punkte-Sparprogramm der Kirchenbehörde beiseite gelegt und aus Zerstreuungsgründen zum "Spiegel" gegriffen: "Exodus aus der Kirche", titelt es ihm schrill entgegen. "Nein, nicht schon wieder", denkt er, legt den "Spiegel" beiseite und greift stattdessen zum "Statistischen Bericht der EKD", der vor drei Wochen mit der Dienstpost kam. Beim gelangweilten Herumblättern stößt er zufällig auf die Statistik, aus der hervorgeht, daß die höchste Austrittsquote in den westdeutschen Landeskirchen bei 0,8 % liegt. Er legt sich zurück, hebt sein Glas "Tignanello" gegen das Licht und sagt sich: "Also ein Exodus mit 0,8% . Welch überwältigender Anblick. Ei, ei, was mag den aufgeklärten Menschen von heute an der Kirche nur wieder so ärgern, daß er sie kaputt reden möchte, wo er sie schon nicht kaputt kriegen kann? Eine Journaille setzt was in die Welt und landauf, landab plapperts man nach bis in die höchsten Kirchenränge. Das Ärgernis sind offensichtlich die 99,2 %, die dringeblieben sind. Ein solches Pölsterchen hatte ja nicht einmal die SED zu ihren besten DDR-Zeiten. Liebe Christenmenschen, die Zeit zum Ausspannen war noch nie so günstig! Morgen werde ich alle nützlichen Dinge, alle zielgerichteten Handlungen aus meinem Kalender streichen. Als Beamter werde ich schließlich dafür bezahlt, daß ich bin, nicht daß ich arbeite! Ich lege mir die beste Garderobe an, binde meine Krawatte à la Beau Brummel und flaniere ohne Plan über die Piste unseres Städtchens, allzeit bereit, mich in die nutzlosesten Gespräche verwickeln zu lassen:
"Haben Sie schon von der überwältigenden Masse von 0,5% unserer Kirchenmitglieder gehört, die im letzten Jahr unsere Kirche verlassen haben? Bedauerlich, äußerst bedauerlich. Massen haben mich immer schon bedrückt und traurig gestimmt. Stellen Sie sich das vor: bei 35 Millionen Kirchenmitgliedern ergibt das fast ein halbes Fußballstadion! Aber dann doch auch wieder:- wie aufregend, wie aufregend, so ein Exodus, fast wie damals in Ägypten, als der Moische..."
Die Tendenz zum Dekadenten und Ästhetischen - Kierkegaard muß geahnt haben, was alles im Protestantismus steckt, anders ist die schelmische Parteinahme für das Ethische und gegen das Ästhetische von dem Meister des Paradoxons nicht erklärbar.
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