Christoph Menke kennzeichnet die Freiheitskultur der Moderne als konfliktuelles Verhältnis zwischen zwei verschiedenen aber je unbedingt gültigen Dimensionen subjektiver Freiheit: der Freiheit autonomer Selbstbestimmung, die das Subjekt abstrakt adressiert als eines wie jedes, und der Freiheit individueller Selbstverwirklichung in Orientierung an Authentizität, die aus dem konkreten Selbstbezug des Subjekts erwächst. Diese normative Spannung zwischen öffentlicher Gerechtigkeit und individuellem Guten gilt es, will man nicht Ideologien verfallen, aufrechtzuerhalten.(1) Wenn Kunst diese Erfahrung einer "modernen Tragik" unter ästhetischen Bedingungen reflektieren will, kann der Raum der Öffentlichkeit, als der Raum, in dem die beiden Ansprüche subjektiver Freiheit kollidieren können, zum Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung werden. Ich möchte zunächst theoretisch Möglichkeiten und Grenzen eines ästhetischen Umgangs mit Öffentlichkeit aufzeigen, um anschließend einen Projektvorschlag des Frankfurter Künstlers Tobias Rehberger für die Skulptur. Projekte in Münster 1997 (2) zu diskutieren. Zwei Möglichkeiten eines künstlerischen Verfahrens scheinen angesichts des Gegenstandes problematisch: der integrative und der exklusive Umgang mit Öffentlichkeit. Ein künstlerisch integrativer Umgang mit Öffentlichkeit versucht, ein bestimmtes Ideal von Öffentlichkeit zu entwerfen. Der Rezipient wird ästhetisch auf gelungenes oder mißlungenes öffentliches Leben aufmerksam gemacht. Öffentlichkeit soll im Kunstwerk als das erscheinen, was auch außerästhetisch sowohl individuelle Freiheit als auch rechtliche Gleichheit aller garantieren könnte. Sie kann damit nur inhaltlich Gegenstand der künstlerischen Darstellung werden. Merkmal einer künstlerisch integrativen Argumentation ist die Unmöglichkeit für den Rezipienten, Distanz zum dargestellten Gegenstand einzunehmen. Die ästhetische Argumentation erscheint formal deckungsgleich mit einem bestimmten außerästhetischen Sinn(3) (ein bestimmtes Verständnis von Öffentlichkeit), so daß mit dem Durchspielen unterschiedlicher Kontexte zur Erschließung der Darstellung die ästhetische Erfahrung abbrechen muß: Die Zeichen verstummen, und zugleich ist man damit - und daher der Ideologievorwurf - aus dem kulturellen Raum der Verständigung über das, was als legitime Öffentlichkeit gelten kann, ausgeschlossen. Im besten Fall wird also eine kritische Einsicht politischer, ökonomischer oder sozialer Mißstände erzielt, im schlimmsten Fall kommt es zu ästhetischem Terror. Ist der heranzuziehende Kontext von geltender Öffentlichkeit im Vorfeld gar rassen- oder klassenspezifisch definiert, schlägt Ästhetik in Propaganda um. Die Großveranstaltungen des Nationalsozialismus sind Beispiele einer integrativ inszenierten Öffentlichkeit, die dem Rezipienten nur eine identifikatorische Haltung erlaubt und ihn verführt, seine Individualität als im Kollektiv des Volkes gelungen aufgehoben zu deuten. Eine formale Redundanz, d.i. gleichgewichtige Teilungen, Symmetrien und Spiegelungen, hilft Tautologien zu verdecken und so die "Gefahr" einer reflektierenden Distanznahme von Seiten des Rezipienten zu bannen. Der entgegengesetzte Versuch, im exklusiven Verfahren Kunst als das Andere von Öffentlichkeit zu thematisieren, muß Öffentlichkeit strukturell negieren: Gegenüber dem Privaten als absoluter Freiraum oder der Natur als noch nicht öffentlicher Raum erscheint Öffentlichkeit als bestimmte Verhinderung individueller Freiheit in der Verwirklichung privater oder natürlicher Utopien. Die Kunstwerke selber bleiben jedoch Konstrukte, deren formale Analogielosigkeit zum öffentlichen Raum ihnen jede Sprengkraft nimmt. Ein künstlerisch integrativer Umgang ist demnach immer dem Verdacht der ästhetischen Ideologie ausgesetzt, während ein exklusiver Umgang dem thematisierten Gegenstand formal nicht gerecht werden kann und letztlich gesellschaftlichen Ideologien das Feld überläßt. Öffentlichkeit wird im einen Fall inhaltlich thematisiert - die Freiheit auf autonome Selbstverwirklichung muß eingeschränkt erscheinen. Im anderen Fall wird Öffentlichkeit strukturell negiert - damit erscheint der Anspruch auf rechtliche Gleichheit und damit die Freiheit zur moralischen Selbstbestimmung im Kunstwerk ignoriert. Jeweils sind eindeutig bestimmte außerästhetische Kontextkriterien für das, was als eigentliche Öffentlichkeit gilt, vorausgesetzt, um die künstlerische Darstellung adäquat deuten zu können. Will man Öffentlichkeit ästhetisch erfahrbar machen, muß sie jedoch als Raum möglicher subjektiver Freiheit in deren beiden Dimensionen erscheinen, ohne daß eine Versöhnung beider auf Kosten der einen oder anderen erfolgt. Man muß einen Ort finden, der unter ästhetischen Bedingungen weder die Spannung zwischen Individuum und Gesellschaft (dialektisch kritisch) aufhebt, noch den Rezipienten ihrer (ästhetizistisch) enthebt, sondern Öffentlichkeit in kontextueller Uneindeutigkeit erfahrbar macht.(4) Der Künstler Tobias Rehberger hat die Idee, im Rahmen der Skulptur. Projekte in Münster auf der erhöhten Terrasse eines universitären Hörsaalgebäudes temporär eine Bar(5) einzurichten. Das nahezu völlig verglaste Obergeschoß stattet er mit Starklichtscheinwerfern aus und verhängt die Curtainwall mit einer transparenten Folie - bei Einbruch der Dämmerung wird der Gebäudekörper zu einer riesigen "Lampe"(6). Sie dient als einzige Beleuchtung für die Freiluftbar und bietet eine szenische Kulisse, vor der sich die Menschen in der Dunkelheit als schwarze Silhouetten abzeichnen. Den Boden der Terrasse legt Rehberger mit rotem Kunstrasen aus, der tagsüber bei Sonneneinstrahlung Wärme speichert, so daß die Besucher abends auf dem Boden sitzen können. Die Architektursprache wird so mittels Licht und Farbe künstlerisch analog definiert. Ihre funktionale Schönheit in den formalen Entsprechungen von Innen und Außen, Raum und Ebene, Volumen und Fläche wird neu sichtbar gemacht. Der künstlerische Eingriff verändert nicht, sondern paraphrasiert die architektonischen Gegebenheiten zum Zweck einer hommagehaften Illuminierung von Öffentlichkeit. Zusätzlich entwirft Rehberger eine sparsame Infrastruktur: multiple Aufbauten, die formal den bereits vorhandenen Betonbänken folgen und abends aufgerichtet als Bartresen, Ablage und DJ-Pult verwendbar sind. Einem kommerziellen Betreiber überläßt der Künstler schließlich die Sorge für Kühlschränke, Getränke und Musik. Bedingung für den Betrieb ist ein kostenfreier Zugang zum Bargelände. Der Getränkeausschank soll nach dem low-budget-Prinzip erfolgen und lediglich für die ökonomische Absicherung des Anbieters sorgen. Eine Bar exemplifiziert keine inhaltlich integrative Form von Öffentlichkeit. Als konsumierende Individuen sind alle untereinander gleichberechtigte Glieder einer situativen Gemeinschaft, ohne schon durch bestimmte Rechte und Pflichten innerhalb der Gesellschaft klassifiziert und gefordert zu sein. Gleichzeitig ist als Konsument jeder einzeln angesprochen, ohne damit von der Gemeinschaft unendlich separiert zu sein. Jeder ist jeder, und jeder ist jemand. Man bekommt, egal wer man im Leben draußen ist, sein Getränk. Eine Bar exemplifiziert ebenso wenig eine Art von exklusiver Öffentlichkeit - das würde sie nur dann, wenn die Zugangsbedingungen bereits im Vorfeld durch Kleidungscodes oder Eintrittspreise definiert wären. Der kostenfreie Zugang garantiert, daß es sich nicht um eine Pseudo-Öffentlichkeit, in Wahrheit aber um einen privaten Zirkel handelt. Der Aufenthalt in einer Bar kann Öffentlichkeit vielmehr in einer kontextuellen Schwebe erfahrbar machen. Die reale Kommerzialisierung (nicht nur zitierte) ist dabei - und dies ist die künstlerische Pointe - die formale Bedingung der Möglichkeit eines sinnvollen Erlebens dieser Öffentlichkeit. Ein sinnvolles Erleben ist nur dann möglich, wenn die Form öffentlichen Konsums in ihrer eigengesetzlichen Bedeutung reflektiert, d.i. ästhetisch wahrgenommen wird. Ein sinnvolles Erleben ist deshalb möglich, weil im Vollzug gemeinschaftlichen kommerziellen Konsums der konkrete Selbstbezug des Einzelnen und zugleich eine abstrakte Gleichstellung aller gewahrt ist. Die Rede von der 'Ökonomie des Kunstwerks' erhält eine überraschende Konkretisierung. Man könnte an dieser Stelle vergleichend die diversen Bars in Filmen, Bildern und Büchern aufsuchen. Gemeinsam ist ihnen, daß sie in Form öffentlichen Konsums arbiträre räumliche Kontexte ausbilden. Sie bieten gleichsam ein soziales Meta-Design für kulturelle und soziale Praktiken, das die Individuen formal egalisiert, ohne ihre Individualität einzuschränken oder gar zu nivellieren. Rehberger legt Wert auf ein reduziertes Design. Der rote Teppich signalisiert die räumliche Unterbrechung und erzeugt zugleich, indem man auf ihm sitzen kann, eine von Konventionen befreite und verbindende Atmosphäre. Der Leuchtkubus suggeriert großstädtische Anonymität und szenische Intimität zugleich. Rehberger untersucht m.E. nicht die Möglichkeiten einer Kommerzialisierung des Ästhetischen - dies hieße, abbildtheoretisch zu argumentieren und in der Bar mimetische Verweise auf den Kunstmarkt oder Clubkulturen zu erkennen.(7) Die Bar thematisiert jedoch nicht mit ästhetischen Mitteln das Verhältnis von Kunst und Kommerz, sondern reflektiert durch die künstlerische Nutzung eines außerästhetischen Mittels das Verhältnis von Ästhetik und Konsum. Erprobt wird eine Kommerzialisierung im Ästhetischen: strategisch eingesetzt ermöglicht sie individuelle Freiheit zu sozialen Praktiken, ohne daß diese bereits nach intersubjektiven Kriterien inhaltlich bestimmt wären. In der ästhetischen Erfahrung struktureller Öffentlichkeit kann sich deren soziales Potential enthüllen, noch bevor bestimmte Verpflichtungen für den einzelnen verbindlich werden. Formal kann man von einem erweiterten ready-made-Verfahren sprechen. Der institutionelle Rahmen ist durch das Mittel der realen Kommerzialisierung uneindeutig geworden, so daß nicht die Situation in einer Bar, sondern kontextuelle Arbitrarität als solche eine Verschiebung erfährt.(8) So werden die Bedingungen der Möglichkeit von Öffentlichkeit zum Gegenstand der Reflexion - Freiheit im Öffentlichen wird erfahrbar. Die Grenzen des Ästhetischen im Verhältnis zum Raum des Öffentlichen sind auch hier deutlich: Das Ästhetische ist zu seiner Realisierung auf die nicht transformierende Übernahme eines außerästhetischen Prinzips angewiesen. Dieses prothetische Verfahren läßt keine Kunst im öffentlichen Raum entstehen, es zeigt vielmehr die Kunst am Öffentlichen. Anmerkungen
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